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AUFBAU/567: Gesellschaftliche Produktion und private Reproduktion


aufbau Nr. 96, März/April 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Gesellschaftliche Produktion und private Reproduktion


REPRODUKTIONSARBEIT Sie ist in der kapitalistischen Produktionsweise - im Gegensatz zur Lohnarbeit - Privatsache. Sie zählt deshalb nicht als produktive Arbeit. Und je mehr es der Bourgeoisie gelingt, Reproduktionsarbeit in die proletarischen Haushalte zu verschieben, desto tiefer sinkt der Wert der Ware Arbeitskraft. Dieses Paradox kann nur in einer zukünftigen Gesellschaft aufgehoben werden, durch Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit.


(gpw) Basis der Ausbeutung in der kapitalistischen Produktionsweise ist der Mehrwert, der durch die ProletarierInnen in der Produktion für die Bourgeois erarbeitet wird. Diese Produktion ist heute vergesellschaftet: Keine Warenproduktion, ohne dass ein grosser Teil der Gesellschaft involviert wäre. Es ist schlicht nicht vorstellbar, einen Computer herzustellen, ein Auto oder auch nur ein modernes Fahrrad mit den Ressourcen einer einzelnen Arbeitskraft oder eines einzigen Standortes. Es werden daher verschiedenste Arbeiten und damit Arbeitskräfte sowie verschiedene Rohstoffe aus allen möglichen Regionen benötigt, um moderne Waren herzustellen. Die Vergesellschaftung der Produktion hat so, bis auf kleinere Nischenplätze, jeden Bereich der Ökonomie erfasst.

Während, aus diesen Gründen, die Arbeit in der Produktion von Waren einen gesellschaftlichen Charakter hat, also die Form von gesellschaftlicher Arbeit, ist die Reproduktionsarbeit - vom Wäsche waschen, Essen machen bis zum Aufziehen der Kinder - grösstenteils Privatsache. Dadurch bat sie die Form von Privatarbeit, meist vermittelt durch die "typische" Kleinfamilie. Eine Ausnahme ist die Bildung der Kinder, also der späteren Arbeitskräfte, durch die Schule. Nicht, dass hier die Bourgeoisie "dieselben Chancen für alle" will, sondern es ist nicht möglich, dass das Wissen, das Arbeitskräfte heute brauchen, privat gelehrt wird.

Es wird also eingekauft und gekocht, gewaschen und Staub gesaugt, unbezahlte Arbeit, die erledigt werden muss, soll die Arbeitskraft auch die nächsten Tage, Wochen und Monate einsatzfähig sein. Müsste diese Arbeit bezahlt werden, würde das die Kosten für eine Arbeitskraft für das Kapital massiv erhöhen. Der Mehrwert würde entsprechend geschmälert. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Die Reproduktionsarbeit verbilligt die Kosten der Arbeit für das Kapital. So kommt es, dass, je mehr private Reproduktionsarbeit in die Produktion der Ware Arbeitskraft gesteckt wird, der Wert dieser Ware nicht steigt, wie es bei allen anderen Waren der Fall ist, sondern sinkt. "Ist es auch Irrsinn, hat es doch Methode": So lange kapitalistische Produktionsweise herrscht, kann dieser Widerspruch nicht aufgehoben werden.


Umfassende Entwicklung der Persönlichkeit

In einer zukünftigen Gesellschaft muss daher die Kleinfamilie, soweit sie Trägerin von privater Reproduktionsarbeit ist, aufgehoben werden. Die Entwicklung der Persönlichkeit und die Sozialisierung eines Kindes müssen so weit als möglich von der Gesellschaft als ganzes getragen und verantwortet werden. Auch der biologische Teil, der im Kern nur von Frauen individuell geleistet werden kann, wird im Sozialismus, als Teil der Reproduktion für die zukünftige Gesellschaft, ebenfalls als gesellschaftliche Arbeit gelten. Damit werden Kinder nicht mehr Produkt privater Arbeit sein, die als solche keinen Wert bilden kann, wie es im Kapitalismus der Fall ist.

Dies entschärft zwei grundlegende Widersprüche der heutigen Gesellschaft. Auf der einen Seite kann schon im frühen Alter, kindgerecht, Arbeit und Bildung integriert werden, da die Arbeit nicht Mittel privater Ausbeutung sein wird. Kinder werden auf der andern Seite keine Privatangelegenheit mehr sein, über die die Eltern das Bestimmungsrecht haben. So kann in einer zukünftigen Gesellschaft die Entwicklung der Persönlichkeit, ihrer individuellen Fähigkeiten und Interessen für alle - unabhängig von Einschränkungen durch private Interessen oder Vorlieben ihrer Eltern - gewährleistet werden. Dadurch werden, andererseits, auch die Eltern freier in der Gestaltung ihrer Beziehung zu den Kindern.

Menschen bringen eine biologische Ausstattung mit, welche die Reproduktionsarbeit so besonders anspruchsvoll und für viele auch befriedigend macht:

1. Wir sind "physiologische Frühgeburten", weshalb es eine jahrelange, sorgfältige und kompetente Betreuung von Säuglingen und Kleinkindern braucht.

2. Die allseitige Entwicklung zu gesellschaftlich kompetenten Menschen ist abhängig vom Grosshirn. Das ermöglicht und erfordert lange und intensive Ausbildungs- und Formierungsprozesse spätestens vom Schulalter an.

Diesen besonderen Ansprüche an diese Arbeit, eine uneingeschränkte Entwicklung der Säuglinge, Kinder und jungen Erwachsenen zu garantieren, kann nur gewährleistet werden, wenn diese als gesellschaftliche Arbeit "professionalisiert" wird. So ist es möglich, die Fähigkeiten und Interessen der Kinder unabhängig von den Fähigkeiten und Interessen der biologischen Eltern zu fördern. In einer Gesellschaft, in der nicht einfach die besten Schulnoten zählen und die Kopf- gegenüber der Handarbeit den grösseren Wert besitzt, kann besonders darauf geachtet werden, wo welche Kompetenzen liegen, welche Fähigkeiten und Interessen gefördert werden können.

Kinder, Jugendliche wie auch Erwachsene leisten, indem sie lernen und sich zu aktiven und kompetenten Gesellschaftsmitgliedern entwickeln, selber anspruchsvolle Eigenarbeit, die schliesslich der ganzen Gesellschaft zu gute kommt. Diese Eigenarbeit berechtigt sie, eigenständig "entlohnt" zu werden, also am gesellschaftlichen Produkt teilzuhaben und über ihren Anteil selbst zu bestimmen. Das gilt für jede Art der Aus- und Weiterbildung. Im Gegenzug wird längere Aus- und Fortbildung keinen Anspruch auf höhere Belohnung begründen.

Solche grundlegenden Veränderungen brauchen nicht nur eine absolute Neugestaltung der Politik und der Ökonomie, sondern wird im Besonderen in den Köpfen ein Kampf um die Revolution sein. Sätze wie "Mein Kind wird einmal Rechtsanwalt oder eine Ärztin" kommen aus der tiefen Verinnerlichung der Werte des kapitalistischen Leistungsprinzips und der Konkurrenz jede gegen jeden.


Reproduktionsarbeit als Frage des Geschlechts

Ein Grossteil der Reproduktionsarbeit, das heisst von der nicht bezahlten Arbeit im Haushalt und mit den Kindern, wird heute von Frauen ausgeübt. Dies hat verschiedene Ursachen, und einige davon sind historisch gewachsen. Die Überwälzung der Reproduktionsarbeit auf Frauen ist einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen schlechtere Berufs- und Karrierechancen haben und darüber hinaus meist schlechter verdienen als Männer, auch wenn sie dieselben Arbeiten ausführen. Zusätzlich werden sie sehr oft für weniger qualifizierte Arbeiten eingestellt. Das führt in auch heute noch in "typischen Kleinfamilien" oft dazu, dass die Männer Lohnarbeit leisten, während sich die Frauen um die Reproduktion kümmern.

"Die Entwicklung hin zur kapitalistischen Produktionsweise hat die individuellen ProduzentInnen der Produktionsmittel enteignet, so dass heute die Produktionsarbeit getrennt von den Familien, in den kapitalistischen Betrieben stattfindet, während die für die Reproduktion der ArbeiterInnenklasse notwendige Familienarbeit den Charakter einer reinen Privatsache angenommen hat. Dadurch entwickelte sich der historisch neuartige Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktion." (Plattform des Revolutionären Aufbaus)

Das ist die materielle Grundlage dafür, dass wir den Geschlechterwiderspruch als Teil und Besonderheit des kapitalistischen Klassenwiderspruchs betrachten. Es ist nicht so, dass der Kapitalismus "das Patriarchat" einfach von älteren Produktionsweisen übernommen hätte, sondern er hat es eigenständig umgestaltet und zu einem seiner eigenen Charakteristika gemacht.

Im Gegensatz zu heute werden in einer sozialistischen Gesellschaft die Arbeiten je nach Fähigkeiten - intellektuellen, emotionalen und körperlichen - aufgeteilt werden. Mühsame, eintönige und unangenehme Arbeiten, die es in beschränktem Mass weiterhin brauchen wird, müssen so gerecht wie möglich verteilt werden, sowohl in der Produktion als auch der Reproduktion. Die Aufhebung des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktion wird es unnötig machen, moralisierend an die Frage geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung heranzugehen, da die Reproduktionsarbeit nicht mehr benachteiligt sein wird. Sie wird für viele Gesellschaftsmitglieder, Frauen und Männer, eine der attraktivsten Formen sein, ihre Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.


Dies ist der zweite einer Serie von Zeitungsartikeln, in denen perspektivisch behandelt wird, wie sich die Grundwidersprüche des Kapitalismus in einer zukünftigen Entwicklung aufheben und andere sich verschieben werden. In der letzten Nummer (aufbau 94) standen die modernen Produktivkräfte im Zentrum, die im Widerspruch zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen stehen. Heute beleuchten wir den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktion, welcher die Grundlage des Geschlechterwiderspruchs bildet, als Teil und Besonderheit des Klassenwiderspruchs.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 96, März/April 2019, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2019

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