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AUFBAU/581: Stell dir vor es ist Kunst und keiner sieht hin


aufbau Nr. 98, Sep/Okt 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

KUNST
Stell dir vor es ist Kunst und keiner sieht hin


Diesen Sommer sorgte der in der Tagespresse geäusserte Verdacht, das Kunsthaus Zürich stelle ein fälschlicherweise dem italienischen Renaissancemaler Tizian zugeschriebenes Gemälde aus, für einigen Wirbel im bürgerlichen Kulturbetrieb. Ereignisse wie dieses verdeutlichen, dass die Bourgeoisie in der Kunst nichts als die Repräsentation von Reichtümern zu sehen imstande ist.


(agkkzh) Wer im madrilenischen Museo Reina Sofia vor der Guernica steht, diesem Ölgemälde von allein schon imposanter Grösse, kommt nicht umhin, die Schrecken der faschistischen Bombardements während des spanischen Bürgerkriegs am eigenen Leib zu spüren. Im Angesicht dieses sinnlichen Erlebnisses, dem Mitgefühl mit den Opfern des Bombenterrors und der Solidarität mit Allen, welche den faschistischen Kräften Widerstand leisteten und heute noch leisten, gerät die Frage nach Authentizität und Autorenschaft des Werks unweigerlich in den Hintergrund. Im Augenblick der Betrachtung ist das Gemälde von der Betrachterin vereinnahmt, Teil ihrer Realität geworden, durch ihre Rezeption verändert und so zu ihrem persönlichen Werk geworden. Im Moment der Betrachtung ist die Vorstellung, dass dieses Gemälde jemandes Eigentum ist, schlicht Absurd.

Trotz der Absurdität dieser Vorstellung ist Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft Privateigentum und als solches eine Repräsentation von Reichtum. An diesem Punkt wird auch die Frage nach Authentizität und Autorenschaft eines Gemäldes relevant. Während für die Betrachterin allein ihre emotionale Reaktion auf das Werk massgebend ist und es im Prinzip keine Rolle spielen sollte, wer wann die Farbe auf die Leinwand aufgetragen hat, so spielt für die Besitzerin dessen Wert die zentrale Rolle. Dieser Wert konstituiert sich mitunter dadurch, dass es sich um ein Original handelt. Wird der Wert allein darin gesehen, findet eine Art künstlicher Verknappung statt, aufgrund derer sich der Wert erhalten kann. Denn von Wert ist nicht die Idee, sondern allein das Material, dessen Authentizität einfach festgestellt werden kann. Nun gab und gibt es diverse Momente, in denen der bürgerliche Kulturbetrieb diese Vorstellungen herauszufordern versuchte und noch versucht.


Kunst ab Fliessband

Die New Yorker Factory, Wirkungsstätte des US amerikanischen Künstlers Andy Warhol, war in den 1960er Jahren Schauplatz einer Kampfansage an das bürgerliche Verständnis von Echtheit in der Kunst. Warhol kreierte Vorlagen seiner Werke, die er im Anschluss per Siebdruck beliebig oft kopieren konnte und stellte sich so in die fordistische Tradition der Fliessbandproduktion. Infolgedessen gestaltet es sich für KäuferInnen von Kunstobjekten schwierig, einen "echten" Warhol zu erstehen. Müsste man dazu die Druckvorlage kaufen? Und ist das erste Exemplar, welches gedruckt wurde, wertvoller als das Zweiundvierzigste? Warhol spielte bewusst mit diesen Fragen. So schuf er das Werk Thirty Are Berter Than One. Dieses zeigt 30 Mal Leonardo Da Vincis Mona Lisa, was, nach Werktitel Warhols, dem Original definitiv überlegen sei, da die Quantität an Mona Lisen massiv erhöht wurde. Oft wählte Warhol simple, aus der Werbung bekannte, Motive für sein Schaffen. Dies kann, in Verbindung mit seiner Fliessbandproduktion, durchaus als Kritik am hyperkapitalistischen Zeitgeist verstanden werden.


Möbel für die Massen

Gut 40 Jahre vor den Bestrebungen Warhols, dem bourgeoisen Kulturbetrieb den sprichwörtlichen Spiegel vorzuhalten, betrieb die in Weimar gegründete Architektur- und Designschule Bauhaus Anstrengungen, Kunst und Design für die breite Bevölkerung verfügbar und erschwinglich zu machen. Im Rahmen von Architektur und Gestaltung sollte die Form der Funktion untergeordnet werden, Effizienz und Nützlichkeit standen im Vordergrund, verschnörkelte Aufmachung war verpönt. Infolgedessen wurde die industrielle Herstellung von funktionalen, langlebigen und bezahlbaren Gebrauchsgegenständen propagiert, deren Ästhetik sich auf ebendiesen Eigenschaften begründet. Prominentes Beispiel ist der von Marcel Breuer entworfene, allein aus Stahlrohren und Leder bestehende, Freischwinger. Auch hier ist die Frage nach dem Original müssig, da die Stühle aus einfachen Materialen industriell gefertigt wurden und so, aufgrund hoher Anzahl, als Investitionsobjekt uninteressant sein sollten.


Subversion an Hausfassaden

In der Gegenwart ist der britische Streetart-Künstler Banksy, dessen wahre Identität der Öffentlichkeit unbekannt ist, Beispiel eines Kunstschaffenden, der die bürgerlichen Vorstellungen des Kunstbetriebs immer wieder in Frage zu stellen weiss. Seine Graffitis erstellt er mit der Schablonenmethode. So sind diese, ähnlich Warhols Werken, im Prinzip beliebig oft reproduzierbar. Eines seiner bekanntesten Sujets, das Balloon Girl, zeigt ein kleines Mädchen, welches einen herzförmigen Ballon davonfliegen lässt. Als Streetart-Künstler, der in der breiten Öffentlichkeit Anklang findet, schafft es Banksy, der Frage nach dem privaten Eigentum von Kunstobjekten ein neues Gewicht zu geben. Da er nicht im Besitz des Objekts, auf dem er sein Werk erstellt, ist, kann er dieses auch nicht verkaufen. Tatsächlich liegt der Tatbestand der Sachbeschädigung vor, wenn Banksy seinem Handwerk nachgeht. Implizit stellt jedes Werk seines Schaffens die Eigentumsverhältnisse im öffentlichen Raum infrage. Zudem nimmt Banksy oft Projekte in Angriff, welche explizit die Heuchelei und Absurdität des bürgerlichen Kunstmarkts aufzeigen. So wurden an einem Souvenirstand im New Yorker Central Park vor einigen Jahren Banksy Originale auf Leinwand zum Spottpreis von 60 Dollar pro Stück zum Verkauf angeboten. Die Aktion fand gerade mal einen Käufer. Das Werk per se scheint überhaupt keinen finanziellen Wert zu haben, die KäuferInnen in den Auktionshäusern zahlen allein für den Namen.


Kritik bleibt wirkungslos

Anhand der erwähnten Beispiele wird ersichtlich, dass es durchaus ExponentInnen des bürgerlichen Kulturbetriebs gibt, welche diesem gegenüber eine kritische Haltung einnehmen. Trotzdem zeigt sich, dass die Bestrebungen der aufgezählten Akteure keine Reformation des Kulturbetriebs zur Konsequenz hatten. Mittlerweile erzielen die Werke Warhols, trotz hoher Quantität, astronomische Summen auf den Kunstmärkten. Dasselbe gilt für Objekte des Bauhauses. Betreffend der Graffitis von Banksy werden, ohne das Einverständnis des Künstlers, Häuserfassaden abmontiert und in Auktionshäuser verfrachtet. In diesen Fällen gibt es keine rechtliche Handhabe, welche dies verhindern könnte, da Banksy nie im Besitz der von ihm bemalten Fassaden war. Es geht sogar soweit, dass der Kunstmarkt mit Subversion kokettiert und sich selbst als Förderer von kritischen Inhalten inszeniert, obwohl das Endziel, die Rendite, zu jedem Zeitpunkt klar ersichtlich bleibt. Jeglicher, aus dem Inneren der kapitalistischen Kunstproduktion stammenden, Kritik wird durch gnadenlose Vermarktung die Zähne gezogen. Diese Praxis des internationalen Kunsthandels ist an Zynismus wohl kaum zu überbieten. Auf die Spitze getrieben wird das Ganze in Form von extraterritorialen Zollfreilagern. Gemäss Vermutungen der New York Times seien in solchen Einrichtungen mehr als 1.2 Millionen Gemälde, darunter ungefähr tausend Picassos (es handelt sich um den Urheber der Eingangs erwähnten Guernica), fernab den Blicken der Bevölkerung eingelagert. An diesem Beispiel wird der Charakter, den die Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft annimmt, am deutlichsten, nämlich den eines reinen Investitionsobjekts.


Kunst jenseits kapitalistischer Verwertungslogik

Am Beispiel des bürgerlichen Kulturbetriebs zeigt sich, dass eine Reformation von Innen keine Perspektive darstellt. Solange kulturelles Schaffen privat angeeignet werden kann, wird die Kunst im wesentlichen blosse Investitionsobjekte schaffen. Dies geht bis zu dem Punkt, an dem Gemälde, der Öffentlichkeit unzugänglich, in Zollbunkern ihr Dasein fristen. Ein Verständnis von Kultur als etwas unabdingbar mit dem Menschsein Verknüpftes, als etwas, was uns möglicherweise erst zu Menschen werden lässt und daher allen zugänglich sein muss, findet keinen Platz in der kapitalistischen Kulturvorstellung. Die revolutionäre Perspektive erhält so einen weiteren Aspekt der Dringlichkeit. Ein revolutionäres Bestreben legitimiert sich nicht allein dadurch, der Ausbeutung und Unterdrückung der ArbeiterInnenklasse ein Ende zu bereiten, sondern auch um einer Gesellschaft willen, in der die Kultur von ökonomischen Zwängen befreit ist und so letztlich den Menschen als kulturelles Wesen ernst nimmt und in seiner Entwicklung unterstützt.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2019

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