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AUFBAU/585: Kuba - Das Ziel bleibt der Kommunismus


aufbau Nr. 98, Sep/Okt 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

INTERVIEW
"Die Gefahr, dass der private Sektor politische Macht einfordert, ist mit dieser Verfassung kaum gegeben, das Ziel bleibt der Kommunismus."

Gespräch mit einem Genossen, der seit mehreren Jahren auf Kuba lebt, über die neue Verfassung, verschärfte Sanktionsbedingungen und internationale Solidarität.


(gpw): Seit Februar 2019 hat Kuba eine neue Verfassung. Diese wurde nach einem Entwurf, den das Parlament erarbeitet hatte, breit in der Bevölkerung diskutiert. Wie hast du diese Diskussionen erlebt?

Genosse: Dem Aushandlungsprozess konnte man sich definitiv nicht entziehen. Es gab sehr viele Versammlungen, sei dies am Arbeitsplatz, in den Nachbarschaftsversammlungen und natürlich in den verschiedenen Massenorganisationen. Bei diesen Versammlungen konnte jede/r seine/ihre Einwände oder Bedenken einbringen. Ich war an den Versammlungen in meinem Quartier dabei. Das Viertel, in dem ich wohne, zeichnet sich nicht als besonders politisch aktiv aus und ich war gespannt zu sehen, wie viele kommen würden. Schliesslich kam mehr als die Hälfte der EinwohnerInnen. Ich war positiv überrascht wie gut vorbereitet die Leute an die Versammlung kamen. Es gab dadurch tiefgründige Diskussionen. So kamen im ganzen Land tausende Vorschläge zusammen, die zu einer Veränderung von 60 Prozent des Verfassungsentwurfs führten. Ich denke, dass dank diesen Diskussionen auch die Wahlbeteiligung so hoch lag (84.4%) und die neue Verfassung so deutlich angenommen wurde (86.8%).


(gpw): Wurde der Sozialismus in Frage gestellt?

Genosse: Bei der Versammlung, bei der ich war, geschah dies nicht. Es wurde aber eine Statistik publiziert, welche Änderungsvorschläge wie oft eingebracht wurden. Die Themen "Mehrparteiensystem" und "Abschaffung des Sozialismus" wurden zwei- bis dreihundertmal genannt.


(gpw): Mit der neuen Verfassung wird auch mehr private Wirtschaft zugelassen, sprich mehr Kapitalismus möglich.

Genosse: Alle Wirtschaftszweige in denen es Privatwirtschaft gibt, wie beispielsweise Coiffeure, kleine Restaurants etc., sind seit dem Sieg der Revolution faktisch privat ausgeführt worden. D.h. mit der neuen Verfassung wurden diese Betriebe formalisiert und legalisiert. Es war eine Anpassung an die Realität. Dadurch kamen aber auch wichtige arbeitsrechtliche Fragen auf. Die BesitzerInnen von Betrieben haben nun auch stärkere Pflichten. Wichtig ist nicht zu vergessen, dass von der kubanischen Wirtschaftskraft der private Sektor nur 15-20 Prozent erwirtschaftet. Schlüsselindustrien bleiben staatlich, es gibt keine Produktionsmittel, die in privaten Händen sind. Die Gefahr, dass der private Sektor politische Macht einfordert, ist mit dieser Verfassung kaum gegeben, das Ziel bleibt der Kommunismus. Ein Restrisiko bleibt aber natürlich bestehen.


(gpw): In Europa sind die Frauen- und Klimabewegung momentan prägend. Kannst du etwas zur neuen Verfassung in Bezug auf diese Themenfelder sagen?

Genosse: In der neuen Verfassung wurde der Kampf gegen den Klimawandel als eines der wichtigsten Themen bestimmt. Dies auch vor dem Hintergrund, weil Kuba besonders davon betroffen ist. Dazu muss man festhalten, dass Kuba das einzige Land der Welt ist, das die Klimaziele der Vereinten Nationen erfüllt hat. Im Verhältnis zur ökonomischen Entwicklung und der ökologischen Bilanz steht Kuba sehr gut da.

Bezüglich Frauenkampf gab es beispielsweise ein Dekret, das Sexismus in der Kunst verbietet. Dies hat starke Auswirkungen auf die Musik wie den Reggaeton. Auch gegen den Sexismus im Alltag gibt es immer wieder Kampagnen, aber der Machismo ist in Kuba stark verankert. Das wird noch Jahrzehnte dauern.


(gpw): Kommen wir zur Blockade gegen Kuba. Trump hat als erster Präsident den dritten Teil des sogenannten Helms-Burton-Acts aktiviert. Das Gesetz ermöglicht es US-Bürgern gegen Firmen und Privatpersonen vor US-Gerichten zu klagen, die Eigentum nutzen, das 1959 enteignet worden war.

Genosse: Viele dachten, dass nach der Annäherung der USA an Kuba die Blockade bald aufgehoben würde. Die Entschärfungen, die es gab, hat Trump nun rückgängig gemacht und die Schraube sogar noch weiter angezogen. Dieser Teil des Helms-Burton-Gesetzes wurde bisher von allen US-Präsidenten aufgehoben, selbst von Georg W. Bush. Ein Beispiel was nun passiert: Viele Schulen sind in Gebäuden oder Villen, die vor der Revolution irgendwelchen Bonzen gehört haben. Deren Kinder können nun in den USA klagen und sich das Gebäude wieder zurückholen. Solange Kuba jedoch seine Souveränität verteidigt, können sie das in der Realität natürlich nicht. Ein Problem gibt es bei ausländischen Firmen, wie beispielsweise Hotelketten, die Joint Ventures mit dem kubanischen Staat haben. In der Nähe von Holguin zum Beispiel gibt es ein grosses Hotel, das früher einem Grossgrundbesitzer gehörte. Dieser hat bereits in den USA geklagt und zwar gegen die Hotelkette, die das Hotel zusammen mit dem kuhanischen Staat betreibt. Das Problem ist nun, dass sie das Hotel ja nicht einfach konfiszieren können, aber sich können am Firmensitz der Hotelkette klagen und Schadensersatzforderungen stellen. Prekärer ist es für Firmen, die auch in den USA wirtschaften. Wenn sie die Busse nicht bezahlen, könnten sie in den USA enteignet werden.


(gpw): An einem solchen Gesetz haben andere Staaten kaum ein Interesse, insbesondere diejenigen, die in Kuba Geld investiert haben. Die EU möchte doch ihre Interessen und ihre Firmen schützen.

Genosse: Das ist richtig. Die EU hat die Aktivierung des Gesetzes auch schnell und heftig verurteilt. Sie hat sogar gedroht, US-Besitz in der EU zu enteignen. Das ist eine sehr offensive Reaktion, jedoch glaube ich nicht, dass tatsächlich Taten folgen würden.


(gpw): Was sind die konkreten Auswirkungen für Kuba?

Genosse: Einerseits kommt weniger ausländisches Kapital auf die Insel. Gleichzeitig hat Trump ja nicht nur diesen dritten Teil dieses Gesetzes aktiviert. Er hat auch verboten, dass Kreuzfahrtschiffe, die auf Kuba anlegen, danach in den USA anlegen dürfen. In Kuba ist es vor allem der Tourismus, der die wichtigen Devisen mitbringt. Das führt zu Problemen für alle, viele Kubaner sind direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig. Sogar Handelsschiffe sind von dieser Regelung betroffen, d.h. wenn sie in Kuba anlegen, können sie danach nicht in die USA.


(gpw): Diese Verschärfungen richten sich nicht nur gegen Kuba. Im Moment wird vor allem auch Venezuela stark vom US-Imperialismus angegriffen. Die US-Administration sprach von einer "Troika der Tyrannei", der Nicaragua, Venezuela und Kuba angehören soll.

Genosse: Diese Bezeichnung ist eine unglaubliche Provokation. Vor allem wenn man sich veranschaulicht, was Kuba in der Welt an Solidaritätsarbeit leistet. Kuba lebt nicht die Philosophie "wir teilen was wir zu viel haben" sondern "wir teilen was wir haben". Kuba schickt Ärzte in die halbe Welt, bei den Ebola-Ausbrüchen in Afrika konnte man das gut beobachten. Das Projekt "Milagro" (Wunder) heilte sechs Millionen Menschen vom grauen Star. Viele Studenten können gratis in Kuba studieren und so weiter und so fort. Vor diesem Hintergrund ist diese Aussage unglaublich dreist. Das politische Kalkül dahinter ist unschwer zu erkennen: Der Imperialismus schafft es nicht, die kubanische Revolution zur Strecke zu bringen. Nun versucht er die Länder, die mit Kuba solidarisch sind, zu Fall zu bringen und hofft, dass Kuba dann auch fällt.


(gpw): Wie wird der Machtkampf in Venezuela in Kuba wahrgenommen und diskutiert?

Genosse: Kuba ist solidarisch mit Venezuela, das ist ganz klar. Das Aussenministerium erkennt, dass das was in Venezuela abläuft, Einfluss auf die ganze Region hat. Es gab grosse Mobilisierungen gegen eine Intervention in Venezuela. Praktisch versucht man Venezuela zu helfen, so gut wie das eben möglich ist. So sind viele Ärzte in Venezuela im Einsatz, ca. 30.000, im Tausch für Erdöl. Auch wird versucht, eigene internationale Strukturen zu stärken, wie beispielsweise die linke "Bolivarische Allianz für Amerika", die im ökonomischen Bereich auf Tausch und nicht auf Handel setzt. Kuba ist aber ein kleines Land, besitzt keine grosse Industrie und kann daher nur begrenzt Hilfe leisten.


(gpw): Wenn wir uns in der Schweiz mit Kuba und Venezuela solidarisch zeigen wollen: Was können wir tun?

Genosse: Wie auch schon in der Vergangenheit, ist es für Kuba enorm wichtig, dass fortschrittliche Kräfte immer wieder die Blockade und den US-Imperialismus anprangern. In den 1990er Jahren stand die humanitäre Hilfe im Zentrum. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks stürzte Kuba in eine schwere, existenzielle Krise. Damals kamen Materialspenden eine grosse Bedeutung zu. Heute ist es viel wichtiger, sich politisch zu Kuba zu bekennen und sich mit Kuba zu solidarisieren.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2019

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