Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/094: Mexiko - Armee und Drogenhändler gegen widerständige Dörfer


Correos des las Américas - Nr. 161, 14. April 2010

MEXIKO
Armee und Drogenhändler gegen widerständige Dörfer
Wie im Staat Guerrero die Militärs den Drogenhandel protegieren, einen Zeugen im Mordfall an einer Menschenrechtlerin schwer verletzen und einen betagten Grossvater in Geiselhaft nehmen.

Von Philipp Gerber


Die BewohnerInnen der Gemeinde La Morena in der Sierra Petatlán im südostmexikanischen Bundesstaat Guerrero arbeiteten gerade auf dem Feld, als sich am 16. Februar der Überfall ereignete. Eine Militäreinheit des 19. Bataillons der mexikanischen Armee eröffnete ohne Vorwarnung das Feuer. Angeführt wurden die Soldaten von Personen in Zivil, welche die Dorfbevölkerung als Paramilitärs identifizierte, die im Dienst des Lokalfürsten Rogaciano Alba Álvarez stehen. In einem dramatischen Anruf informierte der Bauer Javier Torres Cruz gleichentags die nächst gelegenen Menschenrechtsorganisationen: «Mein Onkel Isaias Torres Quiróz wurde durch einen Durchschuss am Oberkörper schwer verletzt», er sei dringend auf medizinische Hilfe angewiesen. Die DorfbewohnerInnen hatten auch das mexikanische Rote Kreuz um Hilfe angefragt, doch dieses verweigerte die Entsendung einer Ambulanz, da die Sicherheit in dieser Region nicht gewährleistet sei. Zudem hätten sich die Militärs in zwei nahe gelegenen Gemeinden stationiert, woher ebenfalls sporadisch Schüsse zu hören seien.

Weder Ort noch Zeitpunkt des Überfalls waren zufällig gewählt. Vielmehr handelte es sich um einen Racheakt. Denn eine Woche zuvor war Rogaciano Alba Álvarez, «El Roga» genannt, in Guadalajara von der Bundespolizei verhaftet worden. Alba gilt seit längerem als einer der größeren Fische im Sumpf von Politik, Drogenhandel und anderen Geschäften. Seine kriminelle Karriere begann er mit Marihuana-Großhandel in den 70er Jahren und bei seiner Verhaftung war er als Statthalter des Kartells von Sinaloa mit der Routenkontrolle für die Kokainlieferungen an der Küste von Oaxaca bis Michoacán tätig. Als jahrelanger Bürgermeister von Petatlán im Dienste der Revolutionären Institutionellen Partei PRI nutzte er sein Amt in den Neunziger Jahren für die massive Abholzung der Sierra im Auftrag einer US-Firma. Dies brachte die lokale Bevölkerung auf den Plan, sich gegen die Vernichtung ihrer Lebensgrundlage zu organisieren. So wurden die als «Ecologistas de la Sierra de Petatlán» bekannten Gemeinden zu erklärten Feinden von «El Roga». Die Gemeinden denunzierten schon vor zwei Jahren, dass 32 Morde an widerständigen Bauern und BäuerInnen auf sein Konto gehen, viele mit - auch für das «wilde Guerrero» - ungewohnter Bestialität ausgeführt.

Als seit dem Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón die Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Drogenmafias eskalierten, musste Rogaciano Alba im Mai 2008 untertauchen: Eine gegnerische Mörderbande hatte eine Sitzung der Viehzüchtervereinigung, deren Vorsitzender er war, unter Beschuss genommen und tags darauf seine Familie überfallen. Resultat: 17 Tote, seine Tochter ist seither verschunden. Seinen Einfluss in der Region bewahrte er als Statthalter des mächtigen Kartells von Sinaloa dennoch, wenige Monate später löschte er die Familie des gegnerischen Kartells aus. Im Volksmund war bekannt, dass Rogaciano Alba weiter mit der lokalen Militärführung gute Geschäfte machte. Die Militärs überfallen die Gemeinden regelmäßig mit Hurrarufen auf «El Roga» und in Begleitung von Mördern der Drogenmafia.

Der Hauptgrund für den kürzlichen Überfall auf La Morena findet sich darin, dass sich die mutigen Dorfbewohner Javier Torres Cruz und dessen Onkel Isaias Torres Quiróz zu einer konkreten Aussage gegen Alba entschlossen hatten. Dieser soll demnach der Auftraggeber des Mordes an Digna Ochoa sein. Digna, eine bekannte Menschenrechtsanwältin, wurde 2001 in ihrem Büro in Mexiko Stadt durch zwei Schüsse ermordet. Kurz zuvor hatte sie die Ökobauern von Petatlán besucht und sich in deren Verteidigung engagiert. Der Fall wurde damals von den Behörden mit dem skandalösen Untersuchungsresultat ad acta gelegt, sie habe Selbstmord begangen. Erst die neuen Zeugenaussagen aus La Morena führten zu einer zögerlichen Wiederaufnahme der Untersuchungen.

Javier Torres Cruz war nach seiner Aussage gegen Alba bereits im Dezember 2008 von Militärs verhaftet und den Paramilitärs übergeben worden. Zehn Tage lang wurde er gefoltert und verhört, schaffte es aber schliesslich, auf abenteuerliche Weise seinen Häschern zu entfliehen. Das Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit CCTI hatte die Entführung sofort öffentlich gemacht und die Folter dokumentiert. Seither fanden in La Morena mehrere Kurse statt, um die Bevölkerung im Umgang mit Repression und Folter möglichst gut zu wappnen. Die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Schutzmassnahmen für Javier Torres Cruz wurden jedoch bis heute von den Behörden nicht umgesetzt.

In den frühen Morgenstunden nach dem Überfall im Februar hatte sich eine ad hoc gebildete Beobachtungsmission auf den mehrstündigen Weg in die abgelegene Region der Sierra gemacht. Dort musste sie feststellen, dass die Militärs offenbar gezielt Jagd auf Javier Torres Cruz und dessen Angehörige gemacht hatten. Javier selbst konnte fliehen, doch Javiers Großvater Anselmo Torres sowie Huber Vega Coria waren von den Militärs verhaftet und per Helikopter ausgeflogen worden. Außerdem galt nach dem Überfall Alfonso Torres Cruz, ein weiterer Onkel von Javier, verschwunden. Laut Aussagen der DorfbewohnerInnen wurde dieser ebenfalls durch die Kugeln getroffen, konnte aber zunächst in die Berge entfliehen. Doch bereits am Tag darauf wurde Alfonso tot aufgefunden, die genauen Umstände seines Todes sind ungeklärt. Um den Aufenthaltsort des untergetauchten Javier Torres Cruz zu erfahren, habe laut CCTI ein Soldat mit einem Funkgerät der Gemeinde mit Javier kommuniziert, «ihn bedroht und angeschrieen, dass sie hinter ihm her seien und seine Familie in ihrer Gewalt hätten». Die Menschenrechtsorganisationen fordern nun vom mexikanischen Staat, dass der Überfall auf La Morena strafrechtliche Konsequenzen hat und dass Schutzmassnahmen für die Familie Torres getroffen werden. Besonders stossend ist die Gefangennahme von Anselmo Torres, dem 78-jährigen Grossvater der Familie. Er verlor mit Alfonso das dritte von insgesamt sieben Kindern gewaltsam, die anderen Söhne werden verfolgt. Die Haft dieses Alten ist eine unverhohlene Geiselnahme durch den mexikanischen Staat, um die überlebenden Familienmitglieder zur Aufgabe zu zwingen.

Die Kollaboration von politischen und wirtschaftlichen Interessen mit der organisierten Kriminalität ist selten so gut dokumentiert wie in Guerrero. Auch die mexikanischen Untersuchungsbehörden wissen: «Die Stärke des organisierten Verbrechens wurzelt in der Erstellung von Allianzen und Verbindungen auf allen Ebenen,inklusive der politischen und der militärischen. Mit Hilfe von Korruption erreichen die Verbrecher ihre Straflosigkeit» (Homepage der PGR). Doch dagegen handeln mag die mexikanische Regierung kaum. Einzelne, spektakulär inszenierte Verhaftungsaktionen wie diejenige von Rogaciano Alba dienen der Simulierung von Handlungsentschlossenheit und sollen die Öffentlichkeit über die weit reichenden politisch-militärischen Verstrickungen mit dem Drogenhandel hinwegtäuschen. So ist es wenig verwunderlich, dass Rogaciano Alba erst mal «wegen fehlender Beweise» nur in Untersuchungshaft sitzt. Von Untersuchungen bezüglich der Ermordung von Digna Ochoa und den Morden in Guerrero ist bisher gar nicht die Rede. Der kürzliche Überfall auf La Morena zeigt, dass die Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen mit dem organisieren Verbrechen weiter an der Tagesordnung ist.


*


Präventivkrieg in Guerrero

Ein Hintergrund für die sich zuspitzende Situation sind auch die verstärkten Aktivitäten der Guerilla ERPI (Ejercito Revolucionario del Pueblo Insurgente), insbesondere in der bergigen Region der Sierra. Die Guerilla bedeutet für die lokalen Machtinteressen ein Hindernis. Das ERPI denunziert explizit die Zusammenarbeit von Drogenbanden mit dem Militär in Sachen Aufstandsbekämpfung, sie nennt diese Mörder «Narcoparamilitärs».

Ende Oktober 2009 kamen Jacobo Silva Nogales und Gloria Arenas, zwei Gründungsmitglieder des ERPI, nach über 10 Jahren Haft frei. Sie verstehen sich inzwischen als Teil der «Anderen Kampagne» und arbeiten seit ihrer Freilassung auf zivilem Weg für die anderen politischen Gefangenen. Kaum ein Zufall, dass wenige Tage nach ihrer Freilassung der regionale Anführer des ERPI, Omar Guerrero Solís alias Comandante Ramiro, von einem «Narcoparamilitär» ermordet wurde.

Die Militarisierung des Bundesstaates Guerrero kennt keinen historischen Vergleich, wie auch der erfahrene soziale Aktivist Bertoldo Martínez Cruz im Gespräch bestätigt: «Die Militärs sind präsenter als in den Zeiten des schmutzigen Krieges in den 1970er Jahren. Das Hauptproblem für das Militär ist jedoch nicht der Drogenhandel, sondern die soziale Bewegung.»


Ein Jahr nach den Morden an Raúl und Manuel

Diesen Februar jährte sich das Verhaften, Verschwindenlassen, Foltern und Ermorden der beiden Indigenen Raúl Lucas Lucía und Manuel Ponce Rosas von der Organisation für die Zukunft des Volks der Mixtecos OPFM in Ayutla. An einer Pressekonferenz am Jahrestag des Doppelmords bedauerten die Mixtecos, dass keinerlei Fortschritte in der Aufklärung des international viel beachteten Doppelmordes vorliegen. Instanzen wie die EU und die UNO waren vor Ort, hunderte Menschenrechtsorganisationen protestierten, doch die lokalen Behörden der PRI stellen sich taub - und werden vom PRD-Gouverneur und von der PAN-Regierung gedeckt.

In den letzten zwölf Jahren seien in dieser Region nahe der Grenze zu Oaxaca rund 20 indigene Anführer der Mixtecos ums Leben gekommen, so ihr Sprecher Arturo Campos. Die selektiven Morde durch Paramilitärs begannen nach dem Massaker von El Charco vom Juni 1998, als dem Militär erstmals Dokumente über die Guerilla ERPI in die Hände fielen.

Die Mixtecos leben seit der Ermordung des Präsidenten und des Sekretärs ihrer indigenen Organisation vor einem Jahr in Angst, kündigten aber nun doch die neue soziale Organisation Poder an (Pueblos para el Desarrollo Regional), welche den Faden der Organisierung wieder aufnehmen und den Gemeinden aus ihrer Marginalisierung helfen soll.


*


Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 161, 14. April 2010, S. 7-8
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2010