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CORREOS/124: El Salvador - Impressionen vom 30. Jahrestag der Frente


Correos des las Américas - Nr. 166, 16. Juni 2011

Impressionen vom 30. Jahrestag der Frente

Als ich letzten Oktober in El Salvador weilte, hatte ich das Glück, an der Feier zum 30. Jahrestag der Gründung der FMLN dabei zu sein und ich möchte im Folgenden einige berührende und bleibende Eindrücke wiedergeben.

Von Ruth Waldvogel


Bereits Tage vor den eigentlichen Festivitäten trafen Internacionalistas aus allen Himmelsrichtungen ein. Dabei wurde deutlich, wie sich die Stellung der FMLN innerhalb der politischen Landschaft geändert hat. Als wir mit Lorena Peña zum Flughafen fuhren, um einige Compañeras und Compañeros abzuholen, konnten wir das Gebäude durch den VIP-Eingang betreten, wir wurden mit grosser Zuvorkommenheit behandelt, Getränke wurden angeboten und für Gepäck und Zollabfertigung wurde gesorgt. Einen Moment stellte ich mir vor, was früher passiert wäre, wenn wir mit Comandante Rebecca öffentlich angefahren wären. Heute wird sie respektvoll als «Diputada» angesprochen, vor 20 Jahren wären wir wohl alle sofort von Polizei und Armee überwältigt, beleidigt und erniedrigt, wenn nicht sofort umgebracht, im Gefängnis verschwunden und misshandelt worden. Als Psychotherapeutin drängt sich mir die Frage auf, was wohl in den Polizisten und Soldaten vorgeht, die einfach Befehle ausführen, ohne je gelernt zu haben, ihre Meinung zu reflektieren und ihre Tätigkeit in einem grösseren Zusammenhang zu stellen. Auch wenn viele der heute bei Armee und Polizei Beschäftigten den Krieg noch gar nicht erlebt haben, die militärische Haltung und Hierarchie bleibt dieselbe. Wie gefährlich das sein kann, haben der Staatsstreich in Honduras im Sommer letzten Jahres und der zum Glück gescheiterte Staatsstreich in Ecuador gezeigt.

Doch zurück zum Aniversario, sehr berührend war der Freitagabend, als in der «Casona» den Internacionalistas Anerkennungsschreiben (Reconocimientos) übergeben wurde. Compañeras und Compañeros aus aller Welt waren gekommen, viele trafen sich nach fast 20 Jahren zum ersten Mal wieder und tauschten gemeinsame Erinnerungen aus. Reconocimientos post mortem wurden auch für die gefallenen Internacionalistas vergeben, oft waren Familienangehörige da, um diese entgegen zu nehmen. Auch Jürg Weis aus Basel wurde eine Anerkennung verliehen. Leider sind keine Angehörigen von ihm mehr da, die dies übernehmen konnten, so dass es heute in der Druckerei von Richard Spillmann hängt. In El Salvador ist Jürg auf dem «Monumento a la Memoria y Verdad» im Parque Cuscatlan in San Salvador aufgeführt, dort steht sein Namen zusammen mit vielen anderen Opfern des Kampfes gegen die Unterdrückung und er hat so den ihm gebührenden Platz in der Geschichte von El Salvador.

Am Samstag waren wir an der Einweihung der «Escuela de Cuadros Shafik Handal» und dem Treffen der Invitados y Invitadas Internacionales. Dabei wurde sehr deutlich, wie wichtig die gegenseitige Unterstützung ist, gerade in einer Zeit, in der der Kampf in Lateinamerika in Vergessenheit zu geraten droht, z. B. ob all der Aufstände in den arabischen Ländern. Durch die heutigen Medien wird der Blick laufend auf neue Konfliktherde gerichtet, die einzelnen Länder geraten rasch in Vergessenheit und Zentralamerika ist nur noch im Falle einer Katastrophe in den Medien.

Am Abend dann der offizielle Festakt im Nationaltheater, eine bemerkenswerte Kulisse und ein grosser Kontrast zu den Campamentos der 80-er Jahre und wohl auch zu den Häusern vieler Compañeras und Compañeras. Offizielle Vertreter aus den verschiedensten Ländern waren anwesend, so etwa NepalesInnen, Sahraoui, KolumbianerInnen und KubanerInnen. Aus diesem Grund hatten wir die Gelegenheit, in Bussen unter Polizeischutz und mit Sirenengeheul durch die Stadt zu fahren. Neben verschiedenen Reden und einem (mässigen) Video zu den 30 Jahren gab es eine Darbietung aus Panchimalco, eine Darstellung des Kampfes der Frente mit nationaler Folklore, eine anrührende und lebendige Präsentation.

Das wohl eindrücklichste Erlebnis war der Sonntag mit dem «ACTO CENTRAL POR EL XXX ANIVERSARIO DEL FM LN» auf dem Platz Masferrer. Eine endlose Masse roter T-Shirts und Schirme breitet sich über den Platz und die darauf zuführenden Strassen aus. Überall trafen sich Leute, die sich teilweise seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten und oft nicht wussten, ob der oder die Andere noch lebte. Da ich mit verschiedenen Internacionalistas unterwegs war, die während des Krieges als ÄrztInnen gearbeitet hatten, erlebte ich, wie Männer und Frauen kamen, die damals PatientInnen waren und nun stolz ihre gut verheilten Narben zeigten und sich freuten, ihre Familien vorstellen zu können.

Das 30-jährige Jubiläum ist bereits Geschichte, die Alltagsarbeit geht weiter, was bleibt, neben vielen schönen und berührenden Erinnerungen, ist das Erleben, wie wichtig der gemeinsame Einsatz für eine gerechtere Welt ist und wie es für die Compañeras und Compañeros eine Notwendigkeit ist, zu wissen, dass sie in ihrem Kampf nicht alleine sind. Die ökonomische Krise bedroht den Aufbau eines sozialen Staates, der auch den Schwächsten ein Leben in Würde ermöglicht, ganz besonders in den Ländern, deren demokratischen Strukturen erst im Aufbau sind.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 166, 16. Juni 2011, S. 13
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2011