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CORREOS/128: El Salvador - Das Rätsel der Remesas


Correos des las Américas - Nr. 166, 16. Juni 2011

Das Rätsel der Remesas

Die Leute erhalten real viel weniger Geld von ihren ausgewanderten Angehörigen, als offiziell angegeben. Die Narcoökonomie lässt grüssen und die Sozialerzählung stürzt ab.

Von Dieter Drüssel


Remesas, Rimessen - das sind die Heimüberweisungen der Emigrierten, im Falle El Salvadors vorwiegend aus den USA. Im Jahr 2007 betrugen sie $3.7 Mrd., stiegen im folgenden Jahr trotz Wirtschaftskrise in den USA sogar noch auf $3.8 Mrd., sanken 2009 auf $3.46 Mrd. und erholten sich letztes Jahr leicht auf $3.54 Mrd. Dies die Zahlen der salvadorianischen Nationalbank BCR. Nun gibt es in El Salvador jedes Jahr eine stichprobenartige Befragung der Haushalte, vergleichbar mit dem Modus der Volkszählung in der Schweiz. Bei dieser Encuesta de Hogares de Propósitos Múltiples (EHPM) des Wirtschaftsministeriums werden die Leute auch nach Erhalt und Höhe von Rimessen gefragt. Die FMLN-Ökonomen Jorge Sol und Salvador Arias schreiben in einem Papier zu den Folgen der Dollarisierung vom 16. Mai 2011: «Das Wirtschaftsministerium gibt in seiner Encuesta de Hogares de Propósitos Múltiples an, dass die von den salvadorianischen Haushalten erhaltenen Rimessen weniger als $1 Mrd. ausmachen, doch 2008 kamen fast $3.8 Mrd. [als Rimessen] ins Land». Für Sol und Arias keine Frage: Es handelt sich um Geldwäscherei. Arias geht in seinem letztjährigen Buch «Atlas de la pobreza y la opulencia en El Salvador» ein wenig mehr auf dieses Phänomen ein (S. 102/103). Er vergleicht die Zahlen der Zentralbank und der Statistikbehörde für das Jahr 2007. Statt fast $3.7 Mrd. erhielten die Haushalte damals laut EHPM $733 Mio. Ginge man bei der EHMP statt von der angegeben Fehlerquote von 5 Prozent von einer von «absurden» (Arias) 100 Prozent aus, hätten die Haushalte rund $1.5 Mrd. erhalten, immer noch weniger als die Hälfte der von der Zentralbank angegebenen Summe. Die letzten zur Verfügung stehenden Angaben der EHMP betreffen das Jahr 2009 (Tabelle C09). Auch in diesem Jahr erhielten die Haushalte nur um die $700 Mio.

Ich versuchte zu erfragen, wie die Zentralbank Rimessen überhaupt definiert. Die Auskunft von Sachkundigen war zusammengefasst, dass darunter alles summiert wird, von dem man nicht so genau weiss, woher es kommt ..., also nicht nur die Überweisung per Western Union. Auch eine «Metodología para la compilación de las remesas familiares» des BCR hilft nicht viel weiter. Danach stützt sich die Zentralbank auf die Tagesangaben der Privatbanken und spezialisierten Remesas-Unternehmen, wobei per definitionem keine Rimesse ist, wenn der Absender oder die Empfängerin keinen spanischen Namen hat oder die Zahlung von einem Unternehmen kommt. Zusätzlich zu den Überweisungen über das formale System rechnet die Bank aufgrund von Umfragen unter den Emigrierten alle zwei Jahre hoch, wie viel Rimessen über informelle Kanäle ins Land kommen. Unter Einbezug etwa der Saison (Weihnachtsbesuch der Emigrierten bei ihren Angehörigen oder umgekehrt etc.). Naturgemäss eine etwas vage Sache. Doch: Verrechnet sich die Bank einfach um den Faktor 5? Was die EHPM angeht, gilt sie anscheinend als seriös.

Eine andere Rimessen-Schätzung geht davon aus, dass ungefähr 3 Mio. SalvadorianerInnen im Ausland leben. Darunter sind Kinder, Leute, die mit den Jahren den Bezug zur Heimat verlieren etc. Wenn eine halbe Million Emigrierter im Monat $100 nachhause schickt, macht das $600 Mio. im Jahr. Bei einer Million kommen wir auf $1.2 Mrd. Auch hier bleibt ein Riesenbetrag unausgewiesen.

Eigenartigerweise sind all diese Unklarheiten in El Salvador kaum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Allgemein werden die BCR-Angaben unhinterfragt als Basis für sozialpolitische Aussagen genommen, ob von der Journalistin oder vom Weltbank-Experten.

Als 2008 die Wirtschaftkrise in den USA genau die Arbeitsplätze wegfegte, in denen die Mehrzahl der MigrantInnen malochte (so arbeiteten etwa ein Viertel der Salvadoreños in den USA auf dem Bau), fielen die Remesas laut offiziellen Angaben in den Nachbarländer El Salvadors, dramatisch etwa in Mexiko. Einzig aus El Salvador kamen Monat für Monat Boom-News über neue Rekordhöhen, die erst im folgenden Jahr nachgaben. Wir fragten uns damals, ob die Zentralbank die Zahlen frisierte, um im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen auf Wirtschaftsoptimismus zu machen. Natürlich war auch von Geldwäscherei die Rede, immerhin waren schon früher etwa Western-Union-Filialen wegen Drogenhandelsfinanzierung aufgeflogen. Doch die Dimension des Problems haben wir damals nicht getickt - es fehlte der Connect mit den Ergebnissen der Haushaltsbefragungen. Abgesehen von diesem Jahr 2008 verhielten sich die Remesas ungefähr entsprechend der Wirtschaftsentwicklung in den USA. Die Frage ist nicht, warum sie 2009 sanken und 2010 leicht ausstiegen, sondern, warum sie 2008 nicht abstürzten. Und natürlich, warum in den Haushalten offenbar nie auch nur annähernd die Menge ankommt, die das offiziell tun müsste.

Mit seinen Gesetzen und seiner Dollarisierung gilt El Salvador als Paradies für Geldwäscher. Dies ist kein Geheimnis. An der für die Wirtschaft des Landes verheerenden Dollarisierung aber wollen die USA und in ihrem Schlepptau der IWF unbedingt festhalten. Aus der Funes-Equipe kommen hierzu einzig vom Zentralbankchef zuweilen sinnierende Töne. Funktioniert die Dollarisierung auch als eine dieser Kommunikationsröhren, die global das Verhältnis zwischen legaler und illegaler Wirtschaft regulieren? Und weiter: Die Frage, wie sich die Menschen bei den Hungerlöhnen überhaupt über Wasser halten können, wird meist mit dem Verweis auf die Rimessen beantwortet. Offenbar ermöglichen diese in mehr Fällen als angenommen nur gerade das Überleben; die elende sozialpolitische Denunziation derer, die Remesas empfangen, als NichtstuerInnen wird noch widerlicher. Und umso gefährlicher sind die transnationalen entwicklungspolitischen Bestrebungen, die Rimessen in einen bankengesteuerten Verwertungszyklus «für die Entwicklung» zu kanalisieren.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 166, 16. Juni 2011, S. 16
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2011