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CORREOS/146: Wirtschaftliche Entwicklung in Kuba - Ohne Eile und ohne Pause




Correos des las Américas - Nr. 169, 8. März 2012

Ohne Eile und ohne Pause

Allmählich treten die Konturen der wirtschaftlichen Entwicklung in Kuba klar hervor. Gelingt es, soziale Grundwerte der Revolution zu retten?

von Franco Weis

Dies ist die Antwort von Präsident Raul Castro auf die ständigen Fragen, wieso es denn nicht schneller vorwärts gehe mit den Reformen. Rund 300 Punkte umfasst das vom sechsten Parteikongress im April 2011 verabschiedete Reformprogramm, dessen Schwerpunkt die Wirtschaft des Landes ist und dessen Verabschiedung ein intensiver Diskussionsprozess vorausging. An einer Parteikonferenz im Januar 2012 ging es vorab darum den eigenen Arbeitsstil und das Verhältnis zu staatlichen Institutionen und Massenorganisationen zu definieren. Aber wie Raúl Castro bereits im Vorfeld angekündigt hatte waren die Resultate ziemlich unspektakulär, bis auf eine Klärung in seiner Abschlussrede: Die grösste Bedrohung für die Revolution sei die interne Korruption, mehr als die Bedrohung von aussen oder die dissidenten Kleinstgruppen im Land. Ihre Bekämpfung gehöre zu den Hauptaufgaben der Partei.


«Nicht nur auf dem Rücken der Arbeitenden»

Die Frage, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, scheint banal, aber wenn sie auf die vorgegebene Reformagenda, den Erwartungsdruck in der Bevölkerung und die Unruhe angesichts der knappen biologischen Zeit angewandt wird, ändert sich dies. Allerorts finden Veränderungen statt, wenn auch die westlichen Medien vorwiegend dann berichten, wenn sie mehr «Freiheiten» wittern, wie die Freigabe des Kaufs und Verkaufs von Automobilen oder Wohneigentum oder wenn der aufgeblähte Staatsapparat - der dafür Vollbeschäftigung garantierte - abgespeckt wird und ein Teil der Aufgaben an einen rasch wachsenden Privatsektor abgetreten und zum Teil von den ehemaligen Angestellten in Eigenregie weitergeführt wird. Diese zahlen Steuern und Lokalmiete, verfügen aber frei über ihr Einkommen und bestreiten die Einkäufe selber. Obwohl der Rhythmus der Reformen generell langsamer ist als erwartet und angekündigt, ist es ein stetiger Prozess mit einem klaren Horizont und die Endziele stehen nicht zur Diskussion. Vielleicht ist es sogar besser, nicht allzu schnell allzu viele öffentliche Angestellte zu entlassen, so lange kein Kooperativengesetz (ausser für den landwirtschaftlichen Bereich) da ist und der private Sektor aus MikrokapitalistInnen besteht, die vor allem Dinge weiterverkaufen, ohne realen Wert zu schaffen. Vielleicht ist es unumgänglich die Reformen in den Ministerien so langsam zu vollziehen, damit der Staatsapparat nicht ins Schleudern kommt. Ende 2011 wurde das ehemals allmächtige Zuckerministerium in eine Staatsholding umgewandelt, dessen Fabriken Unternehmen sind. Einerseits erinnert das an Ches Ideen als er Industrieminister war, andrerseits hat der brasilianische Multi Odebrecht sich bereits in eine Zuckermühle eingekauft, womit sich dieser traditionelle und weitgehend darniederliegende Wirtschaftssektor für Auslandsinvestitionen öffnet, ein Rezept, das auch auf andere Sektoren angewandt werden, und, falls klug angewandt, eine Ergänzung zur dünnen lokalen Kapitaldecke sein könnte.

Es wird erwartet, dass in Kürze die Ministerien für Fischerei, Nahrungsmittelindustrie, Metallindustrie und andere mehr, die sich vorwiegend der Produktion widmen, ebenfalls in staatseigene Unternehmensgruppen umgewandelt werden. Diese Entflechtung zwischen unternehmerischer Tätigkeit und staatlicher Regelfunktion macht sicher Sinn und erleichtert den Weg zu weniger staatlichen Subventionen, mehr ausländischen Investitionen und unternehmerischer Autonomie - inklusive an das Wohl oder Unwohl des Unternehmens gekoppelte Löhne. Dass dabei nicht einfach das einheimische Tafelsilber verscherbelt wird, davon zeugt der Rückkauf der italienischen Beteiligung an der staatlichen Telefongesellschaft für 500 Millionen Dollar, Zeugnis auch von hart erarbeiteter wirtschaftlicher Stabilität nach der schweren Krise 2009 mit weitgehender Zahlungsunfähigkeit. Ein rigider Sparkurs - im Gegensatz zu Europa nicht nur auf dem Rücken der Arbeitenden - hat die Zahlungsbilanz ausgeglichen. Steigender Tourismus trotz Krise in Europa und vor allem der Verkauf von Dienstleistungen (rund 8 Milliarden Dollar, vorwiegend nach Venezuela) haben das ihre dazu beigetragen. Die ausstehenden Schulden wurden soweit bedient, dass es dem internationalen Schuldnerkartell (Klub von Paris) angemessen schien, Kuba zu Gesprächen über seine 30 Milliarden Dollar Schulden (2/3 von Russland geerbte Schulden gegenüber der Sowjetunion, die Kuba nicht anerkennt) einzuladen, wobei zu hoffen ist, dass die kubanische Antwort weiterhin auf sich warten lässt ...


Biofarmen

Am Horizont zeichnet sich ein Kuba 2020 ab. Im Osten des Landes wird die Nickelindustrie modernisiert und die über 1000 km lange Insel investiert in das sinnvollste Verkehrsmittel, die Eisenbahn, um vor allem den Gütertransport zu verbessern. Um sich gegen den Klimawandel zu wappnen, wird ein Kanal- und Dammsystem ausgebaut, das Wasser aus den regenreichen Gegenden im Osten und Zentrum des Landes in die ertragreichen Ebenen transportieren soll, um so die Nahrungsmittel für den Eigenbedarf anbauen zu können. 2011 gab das Land 1.7 Milliarden Dollar für Grundnahrungsmittel aus, von denen ein Grossteil lokal angebaut werden könnte. Dies sollen vor allem die Familien in diversifizierten und weitgehend ökologischen Farmen gewährleisten, die im Nutzungsrecht in einem ersten Schritt 13 Hektar Land erhielten und sich um zusätzliche Flächen bewerben können, wenn sie die erhaltene Fläche produktiv bewirtschaften. Ein ebenso nachhaltiges wie interessantes Gegenmodell zur industrialisierten Monokultur von Syngenta und Gates-Stiftung. Cuba begann in den 90 Jahren gezwungenermassen auf Biolandwirtschaft umzuschwenken und gilt heute laut Vía Campesina als das Land mit der weitverbreitetsten Erfahrung in diesem Bereich.


Ölträume und Karibikhub

Die Kapazitäten der Ölraffinerie in Cienfuegos im Süden werden dergestalt ausgebaut, dass sie den kubanischen Bedarf mehr als abdecken ... Kuba als künftiger Hub für die Karibik, wie es unlängst ein Vertreter eines US-Multis, der seine Fühler ausstreckte, benannte. Der Hafen von Habana wird ins nahe Mariel verlegt, wo mit brasilianischer Beteiligung ein Tiefseehafen erbaut wird. Eine zollfreie Zone soll die Gegend mit Fertigungsbetrieben dynamisieren. Gleichzeitig ist der Hafen logistische Basis für die zu Jahresende eingetroffene Ölbohrplattform, die weitgehend ohne US-Technologie in China gefertigt wurde. Ölunternehmen aus Norwegen, Indien, Russland, Vietnam, Malaysia und anderen Ländern haben Verträge für Gebiete in den kubanischen Hoheitsgewässern abgeschlossen. Dass es Öl gibt ist klar, die Frage ist nur, wo und wie viel. Dieses oder kommendes Jahr dürften Klarheit schaffen. Ein erheblicher Fund hätte grossen Einfluss auf die Geschehnisse im Land, das zwar 50% seines Ölbedarfs aus Eigenförderung deckt, aber auf die 100.000 Fass täglich aus Venezuela als Zahlung für über 40.000 Fachpersonen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, etc. dringend angewiesen ist. Ein relativ hohes Risiko angesichts der Situation in Venezuela und der Gesundheit von Hugo Chávez. Zwar würden zwischen «Entdeckung» und kommerzieller Förderung und damit verbundenen «Geldsegen» mehrere Jahre vergehen, aber der internationale Kredithahn wäre per sofort geöffnet und gäbe dem Land wirtschaftlichen Schnauf. Andrerseits würden die US-Multis kaum tatenlos zuschauen, wie vor ihrer Nase ohne sie Öl gefördert wird, und es wäre abzusehen, dass die Tage der einschneidenden Wirtschaftsblockade gezählt wären ... denn die Hälfte der Förderblocks sind noch zu haben und dies dürfte kein Zufall sei. Ob es rundweg positiv ist, wenn dann auch gleich eine Million AmitouristInnen ins Land strömen, kann sicher hinterfragt werden, aber dass dies Geld bringt, darf nicht unterschätzt werden, genau so wenig wie die Möglichkeit, den SonnenrentnerInnentourismus mit Wohneigentum auszubauen. Kuba mit seiner Sicherheit und dem ausgezeichneten Gesundheitssystem könnte dabei viele andere Destinationen in den Schatten stellen.


Was kommt auf den Teller?

Aber derweil ist die Situation im Land keineswegs einfach und jedes Jahr ist mehrere Monate lang banges Warten auf die Wetterprognose angesagt ... nach dreijähriger Pause der gefürchteten Wirbelstürme und ihrer Auswirkungen. Für viele, allzu viele, ist der Monat nach wie vor viel zu lang im Vergleich zum ungenügenden Lohn und verschiedene Massnahmen haben zu steigenden Kosten bei weitgehend gleichbleibenden Löhnen geführt. Wohnungs- und Autokauf und -verkauf hin oder her, Auslandsreisenerleichterung ja oder nein (in Diskussion), Zugang zu Hotels oder nicht ... eine Mehrheit berührt dies kaum direkt. Wer keine Familienüberweisungen aus dem Ausland erhält oder sonstige Einkommen oder Ersparnisse in Hausrenovationen oder -erweiterungen investieren oder verkonsumieren kann, der/die wartet dringend darauf, dass die Wirtschaftsreformen sich auf den Mittagsteller auswirken. Auf rund 20% wird der Anteil der Bevölkerung geschätzt, der Probleme hat, seine Grundbedürfnisse zu decken, somit relativ arm und einkommensbedingt (aber auch auf Grund der lokalen Esskultur) einseitig ernährt ist. Diese auf Unterstützung angewiesene Bevölkerungsgruppe möglichst klein zu halten und andrerseits spezifisch zu subventionieren, darauf zielt die Sozialpolitik ab. Dies bedeutet ein Umdenken weg vom Allgemeinanspruch, der allen eine Art Grundeinkommen in Form von Sachwerten garantierte und in Krisenzeiten den Ansporn zur vergleichsweise unzureichend bezahlten [Arbeit] beeinträchtigt(e).

Ein erstes Beispiel dieser spezifischen Subvention für Bedürftige ist die Möglichkeit, Geld für Baumaterialien und die damit verbundene qualifizierte Arbeit zu erhalten. Die Mittel dafür stammen aus einer Steuer von 48 Prozent auf frei verkaufte Baumaterialien und werden von den jeweiligen politischen Gemeinden verwaltet. Begünstigt werden dabei auch Personen, deren Wohnraum durch Wirbelstürme beschädigt oder zerstört wurde. Es ist zu hoffen, dass es der öffentlichen Verwaltung gelingt, diese klar antineoliberale Subvention von oben nach unten so effizient zu verwalten, dass der erhoffte und benötigte soziale Effekt eintritt und somit zentrale Werte der vergangenen 53 Jahre wie Gerechtigkeit und Solidarität weiterleben.

Zusammen mit der notwendigen wirtschaftlichen Erholung sind dies Eckpfeiler, um den hohen sozialen und politischen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, dass Kuba auch für und in der kommenden Generation ein Referenzpunkt dafür ist, dass «eine andere Welt», eine Welt für die 99 Prozent möglich ist.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 169, 8. März 2012, S. 14-15
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012