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CORREOS/170: Interview mit guatemaltekischen Liedermacher Alejandro Arriaza


Correos des las Américas - Nr. 173, 4. April 2013

Ansichten eines Liedermachers
Interview mit Alejandro Arriaza

von Stephan Tschirren und Andreas Hugentobler



Frage: An welchen Orten und bei welchen Gelegenheiten spielst du?

Alejandro Arriaza: Hauptsächlich bei Menschenrechtsfestivals, in Bars und Cafés im Zentrum der Altstadt von Guatemala Stadt. Das hat allerdings abgenommen, weil im Moment ein Prozess der Gentrifizierung stattfindet. Das hat auch grosse Auswirkungen auf das kulturelle Umfeld, es hat weniger Orte wo man singen kann. Ab und zu habe ich die Gelegenheit auswärts zu singen, wie eben gerade in Bern und in Den Haag.

Frage: Aus welchen Gründen machst du Musik?

Alejandro Arriaza: Ich fing an Gitarre zu spielen, weil es mir gefiel, weil ich Spass daran hatte. Dann lernte ich an der Universität die Trova kennen. Mir gefielen die kubanische Trova und ihre Liedermacher sehr gut. Dann begann ich meine eigenen Songs zu schreiben, über das was ich auf der Strasse sehe, über Politik und die Realität Guatemalas.

Frage: Du hast von den Menschenrechtsfestivals gesprochen. Kannst du uns ein Beispiel nennen, wo du gespielt hast?

Alejandro Arriaza: Mehrere Jahre habe ich jeweils am Tag gegen die Gewalt an Frauen, am 5. November gespielt. Kürzlich wurde ich zu einer grossen Demonstration in San Juan Sacatepéquez gegen die geplante Zementfabrik eingeladen. Dann war ich auch beim Festival ManifestArte in der Hauptstadt. Dieses bedeutende Kulturfestival hat während acht oder neun Jahren stattgefunden, ist mittlerweile jedoch auch der Gentrifizierung zum Opfer gefallen.

Frage: Inwiefern unterstützt du mit deiner Musik die Kämpfe der lokalen Bevölkerung?

Alejandro Arriaza: Musik ist für viele Menschen ein wichtiger Faktor, man lernt den Text eines Songs schnell auswendig. Bei allem was die Leute machen klingt Musik mit. So hören Menschen manchmal klassische Musik, um Ideen zu entwickeln.

Deshalb brauchen auch die Menschen in ihren sozialen Kämpfen ihre eigene Musik.

Ich hatte das Glück, bevor ich nach Europa gereist bin, in San José del Golfo zu spielen. Dort halten die Menschen seit einem Jahr den Zugang zur Mine besetzt. Die Leute freuten sich sehr über die Besuche und darüber, dass Leute für sie singen kommen, Gedichte lesen oder eine Clown-Aufführung machen. Es ist eine Form von Begleitung und dies ist schon eine grosse Hilfe. Sie spüren, dass sie nicht alleine sind.

Frage: Wo siehst du aktuell die grössten Herausforderungen für Guatemala?

Alejandro Arriaza: In den Institutionen gibt es grossen Widerstand gegen Neuerungen. Gleichzeitig hat der Kampf für die Rechte der Menschen an Gewicht gewonnen. Dies kann in nächster Zeit grosse Probleme verursachen. Wir haben eine sehr konservative Regierung, die neoliberale Politik in grossem Stil betreibt. Gleichzeitig hat der/die durchschnittliche BürgerIn in Guatemala keine hohe Bewusstseinsbildung. Die Menschen sind besonders über die Presse, welche den Mächtigen des Landes gehört, einfach zu beeinflussen. Eine der Herausforderungen ist deshalb, das Bewusstsein der Menschen zu stärken. Denn bis jetzt waren es immer nur wenige Menschen aus den sozialen Bewegungen, die gegen das System gekämpft haben. Und der/die DurchschnittsbürgerIn ärgert sich, weil es eine Demonstration gibt und der Verkehr gestört wird. Der Grund für den Protest interessiert nicht.

Mehr Bewusstsein könnte dazu führen, dass in Zukunft Regierungen gewählt werden, mit denen wenigstens ein Dialog möglich ist. Heutzutage geht nicht mal dies. Beim Bau eines Wasserkraftwerks oder bei der Reform der LehrerInnenausbildung beispielsweise verhindert die Regierung jeglichen Dialog mit den Betroffenen. Sie zieht ihre Projekte mit harter Hand durch. Und kommt es dann zu Protesten, marschiert die Polizei auf. Es fehlt eine wirkliche BürgerInnenkultur. Statt den Mythen, dass alle Linken Terroristen oder Kommunisten seien, müssten endlich die sozialen Bewegungen besser respektiert werden.

Zentral ist letztlich die Stärkung des Staates. Leider denken viele Menschen, die Politik ist schmutzig und der Staat für nichts. Doch wir müssen dafür sorgen, dass er funktioniert. Für einen funktionierenden Staat sollte man auch Steuern zahlen, aber gerechte! Wer mehr verdient, soll mehr bezahlen - in Guatemala ist dies jedoch genau umgekehrt: Der/die durchschnittliche BürgerIn zahlt viel, die Reichen zahlen nichts. Dabei würde ein starker Staat uns allen nützen, einer der für Gesundheit sorgt, für Bildung und nicht nur für Sicherheit. Auch in dieser Frage geht es letztlich um Bewusstsein.

Frage: Du sprichst von Bewusstsein und bist als Musiker kulturell aktiv. Gibt es in Guatemala eine kulturelle Szene, die dieses Bewusstsein unterstützt? Wie geht es der Kultur in Guatemala?

Alejandro Arriaza: Es ging ihr früher besser, glaube ich. Das kulturelle Leben hat stark abgenommen. Am Ende der 90er Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensverträge gab es eine Blütezeit mit vielen LiedermacherInnen, DichterInnen und PerformerInnen. Aber aktuell hat diese Bewegung an Schwung verloren, mit dem ganzen Neoliberalismus und Kommerz. Aber es gibt nach wie vor eine kulturelle Szene in Guatemala. Viele Menschen spielen beispielsweise Rock und HipHop, doch das soziale Engagement ging verloren. Sozial engagierte Liedermacher Alejandro Arriaza in Bern. Foto: Stephan Tschirren gibt es nach wie vor, doch sie werden nicht wahrgenommen. Man hört sie nicht mehr im Radio wie früher. Sie spielen mehr im Versteckten, ohne grosse Unterstützung. Auch deshalb ist es gut, wenn man Guatemala ab und zu verlassen kann. In Guatemala spielst du immer nur für die gleichen Leute. Es ist seltsam, dass Auftritte im Ausland in Guatemala oft eher wahrgenommen werden als jahrelanges Arbeiten vor Ort.

Frage: Es gibt eine grosse Distanz zwischen dem kulturellen Umfeld in der Hauptstadt und dem Land, wo viele der sozialen Proteste stattfinden.Welche Möglichkeiten haben Musiker wie du, diese beiden Bewegungen zusammen zu bringen?

Alejandro Arriaza: Eine gute Frage! Auch auf dem Land passiert in kultureller Hinsicht viel, zum Beispiel die Band Sobrevivencia die in der Maya-Sprache Mam singt. Tujal, eine weitere Gruppe, singt auf Kaqchikel. Doch leider merken die Menschen in der Stadt nicht, was auf dem Land passiert. Das Land ist von der Stadt stark getrennt. Institutionelle Anstrengungen zur Wahrnehmung und Unterstützung des kulturellen Schaffens auf dem Land sind notwendig.

Frage: Hat dies auch mit der gezielten Förderung der indigenen Maya-Kultur zu tun oder siehst du die Kulturförderung eher in anderen Kontexten?

Alejandro Arriaza: Der kulturelle Kampf ist bei weitem nicht deckungsgleich mit dem Kampf um indigene Rechte. Doch in der Praxis fällt es manchmal schwer, die beiden voneinander zu unterscheiden. Zum Beispiel gibt es Ansätze, indigene Rockmusik oder indigenes Theater zu machen, welche einen mehr traditionellen Fokus haben. Die Förderung des indigenen Rechts auf Ausübung ihrer Kultur ist das eine. Die Ermöglichung einer kulturellen Bewegung indigener Kunstschaffender etwas anderes.

Meiner Meinung nach müsste die Kultur allgemein gestärkt werden, egal ob indigener oder mestizischer Herkunft - und zwar ohne zu viele indigene Etiketten anzulegen. Sonst verliert die kulturelle Bewegung an Kraft.

Der Kampf um indigene Rechte muss dort geführt werden, wo es um konkrete Forderungen geht, sozialer, wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Natur im Sinne des Rechts, eigene Traditionen zu leben. Aber der Kampf um indigene Kultur muss anders geführt werden. Indigene Künstler, die beispielsweise expressionistische oder abstrakte Kunst machen sollen aus der klassischen Vorstellung des traditionell Indigenen ausbrechen können und als Künstler mit indigenen Wurzeln wahrgenommen werden. Zudem darf der Kampf um die indigene Kultur auch die mestizische Kultur nicht ausschliessen, denn als Künstler haben beide gleich viel zu sagen. Der Kampf um Kultur muss die indigene wie die mestizische Welt umfassen.

Frage: Siehst du dich als Teil des Kampfes für mehr kulturelle Rechte oder für die Rechte der Indigenen?

Alejandro Arriaza: Ich singe von Sachen, die mich beeinflussen und berühren. Deshalb habe ich Lieder zu zahlreichen kulturellen und indigenen Themen. Für die Kultur setze ich mich ein, schon nur weil ich diese Arbeit mache. Wenn du spielen willst, merkst du, dass es nicht genug Möglichkeiten gibt, um aufzutreten. Deshalb beteiligst du dich an den Kämpfen. Dann beginnst du dich zu vernetzten und bist mitten drin. In diesem Kontext hatte ich auch Kontakt mit indigener Kultur und merkte, dass es auch hier viele Widersprüche und Konflikte gibt. Diese Sachen müssen sehr vorsichtig angegangen werden, um die Rechte aller zu respektieren.

Frage: In welche Richtung möchtest du mit deinen Liedern und deiner Musik Guatemala verändern?

Alejandro Arriaza: In Guatemala fehlt es an Respekt. Respekt des Staates vor den BürgerInnen und der BürgerInnen untereinander. Dieser fehlende Respekt hat viel mit der exzessiven Gewalt zu tun. Guatemala hat viele Möglichkeiten, doch nur wenn wir diese Probleme angehen. Sonst ist ein erneuter gewaltsamer Konflikt nicht auszuschliessen. Wir müssen bei den Rechten ansetzen. Die Regierung muss die Rechte aller Menschen respektieren. Es braucht eine neue Kultur des Respekts und die Garantie grundlegender Rechte. Es fehlt die Bereitschaft, Gesetze aufzustellen und durchzusetzen. Etwa bei bewaffneten Überfällen. Es passiert dir nichts, wenn du jemanden überfällst oder gar umbringst.

Frage: Woher kommt dieser fehlende Respekt und diese Gewalt?

Alejandro Arriaza: Ein Grund liegt in der Geschichte seit der Kolonisierung, bei den Autoritäten, welche die Menschen unterdrückten und bewusst ein diskriminierendes Gesellschaftssystem aufbauten. Ein weiterer beim bewaffneten Konflikt. Im 36-jährigen Krieg, konnte die Polizei um zwei Uhr morgens an die Türe klopfen, das Haus durchsuchen, Menschen mitnehmen oder verschwinden lassen. So lernten die Leute, dass es keinen Respekt gibt und sie auch keinen zu haben brauchten. Alle machen, was sie wollen. Wenn die Polizei um zwei Uhr morgens die Tür einschlagen darf, dann nehmen sich die Bewohner heute auch das Recht, um drei Uhr morgens ihre Soundanlage voll aufzudrehen.

Frage: Welches sind die notwendigsten Veränderungen, für welche sich die soziale Bewegung in den nächsten Jahren vermehrt einsetzen soll?

Alejandro Arriaza: In erster Linie brauchen soziale Organisationen mehr Einheit. Dies vor allem, weil die Rechte zwar relativ einfältig, doch sehr selbstsicher im Auftreten ist. Dagegen hinterfragen sich soziale Bewegungen teilweise zu sehr. Dies führt nicht selten zu internen Uneinigkeiten und Fraktionen. Starke Selbstkritik und kritische Analyse ist zwar eine klare Stärke, doch die fehlende Einheit im Kampf für gemeinsame Anliegen und Ziele eine grosse Schwäche. Von der Basis her kannst du Vieles rechtfertigen und die Dinge kritisieren von vorne bis hinten - ohne je etwas zu erreichen.

Ich sehe das bei vielen Kollegen in sozialen Organisationen, die können sich ewig beim Streit um die richtigen Methoden und Konzepte zerfleischen oder sich bei der Frage nach der korrekten Systemkritik in Endlosdiskussionen verlieren. Bisher war es nicht möglich, eine einzige Partei der sozialen Bewegung mit einer Liste und einem Forderungskatalog aufzustellen. Stattdessen gibt es 14 Richtungen von sozialen Bewegungen mit guten Personen, die sich auf diese Weise politisch jedoch niemals zusammenschliessen und etwas Gemeinsames erreichen werden. Auf der anderen politischen Seite siehst du ein Grüppchen von vierzig Typen, die sich zusammenschliessen, ihre Forderungen aufstellen und all andern überrollen. In sozialen Organisationen sind gute Intentionen und theoretische Klarheit vorhanden. Doch was es braucht, ist der Wille, sich auf gemeinsame Ziele zu verständigen, bevor man zum Ausfeilen der Details gelangt.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 173, 4. April 2013, S. 23-24
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2013