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CORREOS/171: Schöne Neue Kriegswelt


Correos des las Américas - Nr. 174, 29. Juni 2013

Schöne Neue Kriegswelt
«1984», «Schöne Neue Welt» - kalter Kaffee für das Weisse Haus.

von Dieter Drüssel



Der US-«Anti»-Terrorkrieg geht «mindestens 10 bis 20 Jahre» weiter, sagte Michael Sheehan, Assistenzverteidigungsminister, am 16. Mai 2013 vor dem Streitkräfteausschuss des Senats.(1) Und Danke, ja, die drei Tage nach 9/11 vom US-Kongress verabschiedete Authorisation for the Use of Military Force (AUMF), die dem US-Präsidenten das US-Recht gab, irgendwo auf der Welt militärisch gegen jene vorzugehen, die die Anschläge auf die Twin Towers und das Pentagon geplant und ausgeführt haben, «passt uns sehr gut» für diesen Zweck, teilte Sheehan den teilweise doch leicht verdatterten SenatorInnen mit. Nun sind z. B. die Einsätze in Mali oder Jemen nicht mit der explizit auf 9/11 beschränkten AUMF zu begründen, doch die Pentagonverantwortlichen haben zur Umgehung dieses Details den Begriff der mit Al Kaida irgendwie «assoziierten Kräfte» aus dem Hut gezaubert.

Dieser Vorgang wurde in den Medien, wenn überhaupt, einzig unter dem Aspekt abgehandelt, ob der US-Kongress bei der Ermächtigung zur Kriegsführung ein Wörtchen mitzureden habe, wie es die Verfassung und das War Powers-Gesetz festlegen, oder eben nicht, wie es das Weisse Haus handhabt. Senator Angus King sagte Sheehan und den ihn begleitenden Generälen: «Sie haben hier und heute faktisch die Verfassung neu geschrieben».(2) Das stimmt, ist aber nicht der zentrale Punkt. Wer darf weltweit killen lassen: das Weisse Haus oder der Kongress? Nice. Der US-Kongress debattiert eine Modifizierung der AUMF, wobei die Stimmen für deren ersatzlose Streichung (etwa die New York Times) jenen unterlegen zu sein scheinen, die eine Ausdehnung der AUMF anstreben. Anlässlich dieser bevorstehenden Entscheidung werden wir allenfalls eine erneute Portion «Ausgewogenheit» verabreicht bekommen, bewundernde Ausrufe über das System der checks and balances in wonderful USA, mit der «kritischen» Frage, ob dies nicht noch perfekter sein könne.

Dass da Machteliten in den USA darüber entscheiden, wo auf der Welt wer in den nächsten Jahrzehnten massakriert wird, ist ein Detail, unwürdig der Aufmerksamkeit der meisten Medienschaffenden. Sag Al-Kaida, und letzte Reste eigenständigen Denkens sind ausgesetzt. Wozu auch denken, wenn man es vorgekäut bekommt? Etwa von einem netten Duo an der Anhörung. «Fragte» Senator Lindsey Graham seinen Kumpan Sheehan: «Würden Sie mit mir einig gehen, dass das Schlachtfeld [im globalen Krieg «gegen» den Terror] überall dort ist, wo der Feind es wählt?». - «Yes, Sir, von Boston bis in die FATA»(3), also in die pakistanischen Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan. Boston bezieht sich auf den Anschlag auf den Boston Marathon von Mitte April 2013.

Cool, nicht? «Von Boston bis in die FATA» ... Militäreinsatz weltweit, auch im «Homeland» selbst. Ein Aspekt, dieser letzte, der zu Unrecht meist untergeht. Dabei wird (nicht nur) in den USA eine Art übergeordnete Militärphilosophie auch für den militärischen Inlandeinsatz Schritt für Schritt durchgesetzt, nicht erst seit 9/11, seither einfach unverschämter. Klar doch: «Terroristische Propaganda einer Zelle in Jemen kann Angriffe weit entfernt in Detroit oder Delhi auslösen. Ein Grippenvirus in Macao wird in Miami zur Epidemie.»(4) Sagte Admiral William McRaven, Chef des Special Operations Command, vor dem Streitkräfteausschuss des Senats am 5. März 2013. Nun, das US-Territorium ist bekanntlich nicht die einzige Sorge dieses Verantwortungsträgers:

«Um diesen Problemen zu begegnen, müssen wir eine globale Position einnehmen. Mit Special Operation Forces, die in 75 Ländern täglich im Einsatz sind»(5), weiss er, wie das geht.

Wir beginnen, eine Ahnung der entstehenden Schönen Neuen Kriegswelt zu kriegen. Einsätze in 75+ Ländern, ein nur umbenannter, nicht endender Krieg «gegen» den Terror, die Entscheidungsprozesse der Machteliten hermetisch abgeschirmt von «inkompetentem» Dissens, begleitet von der permanenten, menschenrechtsrhetorisch daherkommenden Einstimmung auf den gerade nächsten Krieg.

Michael Hayden leitete unter Bush II. die NSA, von der man jetzt bestätigt bekam, dass sie die Kommunikationsdaten von hunderten von Millionen TelefonbenutzerInnen und den Emailverkehr etc. der User von Google, Apple, Amazon etc. kontrolliert. Unter Obama sei die NSA-Bespitzelung der US- und internationalen Bevölkerungen im Vergleich zur Bush-Ära «ausgeweitet» worden, so Hayden, mit einer «leicht geänderten rechtlichen Grundlage... Es gibt eine unglaubliche Kontinuität bei den beiden Präsidenten.»(6)

Greg Palast beschreibt den Tod des 16-jährigen Abdul Rahman al-Awlaki, dessen Vater, ein US-amerikanischer Imam, 2011 in Jemen einem Drohnenangriff zum Opfer fiel. Zwei Wochen später wurden der Sohn, ein Cousin und ein Freund ebenfalls in Jemen mit einer weiteren Drohne ermordet, offenbar als Mitteilung an zukünftige «Märtyrer», dass ihre Angehörige in Sippenhaft genommen werden. Meinte Robert Gibbs, Sprecher des Weissen Hauses, dazu: «Ich würde sagen, man braucht einen weit verantwortungsvolleren Vater.»(7) Orwell im Element.

Vielleicht hilft dies, zu erahnen, was hinter Vorgängen steckt, die wir in diesem Heft beschreiben: die gewalttätige Destabilisierungskampagne in Venezuela, die FBI-Ausschreibung der nach Kuba geflüchteten Assata Shakur als «Topterroristin», die Herstellung einer speziellen Beziehung Kolumbiens mit der NATO...


Anmerkungen

(1) http://takingnote.blogs.nytimescom/2013/05/07/revisiting-the-a-u-m-f

(2) Democracy Now, 17.5.13: «Astoundingly disturbing»: Obama Administration Claims Power to Wage Endless War across the Globe

(3) Id.

(4) http://www.fas.org/irp/congress/2013_hr/030513mcraven.pdf

(5) Id.

(6) http://www.guardian.co.uk/world/2013/jun/09/us-surveillance-expanded-obama-hayden

(7) http://www.vice.com/en_uk/read/the-drone-ranger-obamas-dirty-wars

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 174, 29. Juni 2013, S. 3
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2013