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CORREOS/182: Honduras nach dem Wahlbetrug


Correos des las Américas - Nr. 176, 16. Dezember 2013

Nach dem Wahlbetrug

von Dieter Drüssel



Was sich internationale Gemeinschaft schimpft, bekräftigt mit dem «Ja» zum Wahlbetrug massive Gewalt und setzt damit in den imperialen Einflussgebieten im Kontinent neue Massstäbe. In Honduras stehen schwere Zeiten an - um so dringender ist es, die Widerstandsfront aus den Fängen traditioneller Politik zu befreien.


(6.12.13) Laut dem derzeitigen Stand der Auszählung der Wahlen vom 24. November 2013 durch das Oberste Wahlgericht TSE führt der erzreaktionäre Kandidat des Partido Nacional, Juan Orlando Hernández (JOH), mit über 36.83 % der Stimmen (1.133.509) und damit 8 Prozent Vorsprung auf Xiomara Castro (28.78 % oder 885.894 Stimmen), Kandidatin der mit der Resistencia verbundenen Partei Libre (Libertad y Refundación). Entgegen anderslautenden Meldungen in einigen Medien haben die meisten Umfragen vor der Wahl Xiomara Castro, die Gattin des 2009 weggeputschten Mel Zelaya, in erster Position gesehen. Libre und die neue Antikorruptionspartei PAC (konservativ) protestieren gegen einen vom TSE orchestrierten technischen Betrug. Auf jeden Fall liegt ein wesentliches Element des Wahlbetrugs schlicht im traditionellen, schon fast nicht mehr verheimlichten Stimmenkauf und im Klima der Gewalt und Einschüchterung, das seit dem Putsch von Juni 2009 anhält und die Vorwahlzeit entscheidend geprägt hat.


Wofür steht JOH?

Hernández, der bisherige Parlamentspräsident, setzte im August 2013 die Schaffung einer «Militärpolizei für die Öffentliche Ordnung» durch; deren 5.000 Mitglieder - seit dem Putsch sind die Streitkräfte um mindestens 7.000 Männer und Frauen gewachsen - militarisierten seither den ganzen Bereich der inneren Sicherheit und tun sich vor allem mit verschärfter Repression gegen Mitglieder von Libre hervor. Hernández droht damit, unter seiner Regierung werde an jeder Strassenecke ein Soldat stehen - als Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität. Honduras gilt als das Land mit der höchsten Mordrate ausserhalb von Kriegsgebieten (86 auf 100.000 EinwohnerInnen); so gut wie alle Morde werden den sogenannten Strassenbanden oder maras angehängt. Hernández will die Anbauflächen für Agrosprit (Ölpalme und Zuckerrohr) verdoppeln. Vergessen wir nicht: Seit 2010 sind im Gebiet des Bajo Aguán, gegen die Karibikküste des Landes zu, 131 Menschen ermordet worden, davon 18 Mitglieder von Sicherheitspersonal der drei grossen Palmölbarone mit Putschfinancier Miguel Facussé an der Spitze, der auch im Drogenhandel mitmischt (s. Correos 170), der «Rest» alles BäuerInnen. Hintergrund: ein Landstreit zwischen den international bestens vernetzten Agrosprit-Unternehmern (Weltbank- und WWF-gesponsert) und bäuerischen Kooperativen. JOH reicht das nicht. Ziemlich sicher werden Honduras vier harte Jahre mit JOH als Präsident bevorstehen. Als das (putschistische) Oberste Gericht es ablehnte, Hernández' Lieblingsidee von künstlichen Städten mit eigener, Investoren genehmen Justiz und Verfassung als verfassungskonform zu taxieren, nutzte er seine Parlamentsmehrheit, um jene Magistraten, die falsch entschieden hatten, durch willfährige zu ersetzen.


Das Programm von Libre

Demgegenüber basierte das Wahlprogramm von Libre auf den Sozialprogrammen des 2009 weggeputschten Präsidenten Mel Zelaya. Es sah auch die Rücknahme von nationalen Ausverkäufen wie dem kürzlich verabschiedeten Minengesetz inkl. der damit verbundenen faktischen Privatisierung von Flüssen und den «Modellstädten» von Hernández vor. International wollte Xiomara Castro «die Beziehungen mit aller Welt beibehalten, basierend auf Respekt und Nicht-Einmischung, aber insbesondere mit den verschwisterten Ländern Zentral- und Südamerikas». Zentral war das Vorhaben, eine breit abgestützte Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Dieser letzte Punkt war 2009 der Auslöser für den Militärputsch, den das Pentagon aktiv mitgetragen hat.


Wahlgewalt

Bei diesen Wahlen standen also entgegengesetzte gesellschaftliche Projekte zur Wahl. Um zu verhindern, dass das emanzipatorische das Rennen macht, wurde systematisch Gewalt ausgeübt. Einige Beispiele aus der unmittelbaren Vorwahlzeit:

Am Tag vor den Wahlen interviewte Dina Meza für die honduranische Menschenrechtshomepage defensoresenlinea Gladys Lanza von der feministischen Organisation Visitación Padilla. Seit einer Woche erhielt diese Organisation sich häufende Berichte, wonach Frauen, die als Parteivertreterinnen an den Wahltischen ernannt worden waren, «Besuch» von teilweise vermummten, schwer bewaffneten Männern erhielten. Lanza: «Die Frauen erklärten, dass Gruppen von vermummten Männern in verdächtigen Wagen in ihre Comunidades kommen, Fotos machen, Häuser observieren und Auskunft über die Personalien und die Anzahl dort wohnender Personen haben wollen.» Die Journalistin fasste die Antwort auf die Frage, wann dies begonnen habe, so zusammen: «Vor einer Woche, als die Militärs und auch Zivilisten, einige vermummt, andere nicht, anfingen, spät am Abend in die Quartiere zu kommen. Um diese Zeit versammeln sich die Leute normalerweise bei den Kiosken, um Infos über den Wahlprozess auszutauschen, aber diese Männer kamen und fragten 'Und warum seid ihr hier, was macht ihr?'»

Am Freitag vor den Wahlen fuhren um 22 h Patrouillen der schwer bewaffneten Militärpolizei im Kennedy-Quartier in Tegucigalpa vor und wollten das örtliche Parteilokal von Libre und gleich auch die nahe gelegene Wohnung von Gilberto Ríos, einem führenden Mitglied der Antiputschfront FNPR und von Libre, «durchsuchen». Über Radio Globo konnten Basismitglieder vor Ort und telefonisch eine AktivistInnenversammlung mobilisiert werden. Es kam zu einer sehr angespannten Situation, als die Militärs ihre Waffen direkt auf die Leute richteten. Doch schliesslich zogen sie unverrichteter Dinge ab.

Der Resistencia nahestehende Radio- und TV-Sender wie Radio und TV Globo, Canal 36, Canal 11 und Hondured wurden am Wahltag militarisiert, um, so der Chef des Armee-Generalstabs, General René Osorio, «Probleme zu vermeiden». Nach den Wahlen wurden denn auch mehrere Sender zeitweilig von der Armee abgestellt.

Der Präsident des Wahlgerichts TSE, David Matamoros, gab am Tag vor den Wahlen bekannt, die Streitkräfte hätten einen nicht weiter spezifizierten Plan zur Sabotage des Systems der Resultatübermittlungen aufgedeckt und zerschlagen (zu diesem System s. unten). Die laut Matamoros als «Garanten des Wahlprozesses» fungierenden Streitkräfte würden dafür sorgen, dass die «fiesta cívica» vom kommenden Tag ungestört verlaufe. Besagte Garanten «operieren im ganzen Land in den Sektoren mit der grössten Konfliktivität, um den Frieden zu garantieren» (El Heraldo, 23.11.13).

Am gleichen Tag kontrollierten schwer bewaffnete, teilweise vermummte Männer - Mitglieder der Migrationsbehörde, wie sich herausstellte - im hauptstädtischen Hotel Aurora die Ausweise und andere Dokumente der im Hotel einquartierten internationalen WahlbeobachterInnen aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Unter den Kontrollierten befanden sich salvadorianische ParlamentarierInnen, BürgermeisterInnen und eine Vizemagistratin des dortigen Obersten Wahlgerichts, Mitglieder des FMLN. Am Tag zuvor ereilte ein ähnliches Schicksal an die hundert WahlbeobachterInnen aus den USA und El Salvador im jesuitischen Zentrum ERIC in der Stadt El Progreso. Das TSE hatte während Tagen eine Hetzkampagne gegen eine drohende «Einmischung» der WahlbeobachterInnen in honduranische Angelegenheiten geführt und Migrationschef Oberst a. D. Venancio Cervantes hatte «Hitzköpfe» und «ausländische Agitatoren» gewarnt: «Die Streitkräfte werden [gegen diese] nach dem Gesetz vorgehen und wir werden unerbittlich sein bei der Anwendung des Gesetzes».

Diese Handlungen integrieren sich in eine Kampagne gegen kritische ausländische Präsenz, wie sie seit dem Putsch 2009 am Laufen ist und zum Beispiel letzten Juli in der Entführung der Französin Orlane Vidal und des Schweizer Peacewatch-Mitglieds Daniel Langmaier sichtbar wurde. Die beiden wollten akut bedrohte Familien im Dorf La Nueva Esperanza begleiten, die sich weigerten, ihr Land an das Minenunternehmen Minerales Victoria zu verkaufen. Sie wurden von schwer bewaffneten Männern verschleppt und nach einigen Stunden mit der Warnung laufen gelassen, wenn sie zurückkehrten, würden sie «im Wald verschwinden». Wie Langmaier sagte: «Für uns waren es zwei Stunden Terror, für die Leute hier ist es Alltag».

Laura Raymonds, internationale Wahlbeobachterin des Center for Constitutional Rights und der National Lawyers Guild (beide USA) kommentierte am Wahltag: «Auffällig ist [die Sichtbarkeit] der gleichen Militärs, die vor vier Jahren den Putsch ausführten. Die Wahlen 2009 sind von vielen boykottiert worden, da sie sie nicht für frei und fair hielten. Dies sind nun die ersten Wahlen [seit dem Coup] und deshalb ist es so besorgniserregend, dass die Armee so involviert ist, so präsent, wo immer du hinschaut - Militärs an den Urnen, Militärs auf den Strassen und dann gibt es die neue Militärpolizei» (Honduprensa, 25.11.13, Violence, Intimidation and Inconsistencies on Election Day). In manchen Wahlzentren führten nach Aussagen vieler unabhängiger BeobachterInnengruppen die Militärs gleich die Oberaufsicht über die Übermittlung der Resultate.

Am Abend vor der Wahl wurden die Kooperativenmitglieder María Amparo Pineda Duarte und Julio Ramón Araujo Maradiaga in der Gemeinde Cantarranas ermordet. Beide waren lokale Kader von Libre und hatten schon seit längerem Morddrohungen von einem Exponenten des Partido Nacional erhalten. Die Morde ereigneten sich in der Nähe des Wahllokals, in dem sie, als WahltischvertreterInnen von Libre, an einem letzten offiziellen Vorbereitungstreffen teilgenommen hatten. Am 27. November wurde der Campesino Gilberto Lara, Mitglied von Libre und der LandarbeiterInnengewerkschaft CNTC, im Department Santa Barbara ermordet und enthauptet. Seit dem Putsch hat die CNTC 103 ermordete Mitglieder zu beklagen. Fünf Tage nach der Wahl wurde der in der Resistencia als Emo Dos gut bekannte José Antonio Ardón in der Hauptstadt mit vier Schüssen ermordet. Er hatte, wie mehrere andere seit dem Putsch Ermordete der motorizada de la resistencia angehört, jenen waghalsigen Kleinmotorradfahrern, die in den «heroischen Monaten» des Widerstandes nach dem Putsch von Juni 2009 Demoschutz und Kommunikationsstaffetten zwischen Demoteilen und Demoleitung waren. Gestern, am 5. Dezember, berichteten die Medien über die Ermordung des jungen Alexander Sánchez von den Resistencia-StrassenkünstlerInnen. Er gehörte zur «Jugend Anti-JOH», die bei Wahlbetrugsprotesten mehrere Zusammenstösse mit den Sicherheitskräften hatte. Zu Recht weist Mark Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research (Washington, D.C.) darauf hin, dass allein die ersten drei dieser Morde, hochgerechnet auf US-Verhältnisse, eine internationale Aufwallung verursachende Zahl von 120 umgebrachten Organizers der Demokratischen Partei bedeutet hätten.

Doch US-Botschafterin Lisa Kubiske, die wiederholt kaum verklausuliert, zur Stimmabgabe gegen Libre aufgerufen hatte, freute sich: «Was wir sahen, war ein transparenter Prozess mit guter Vertretung aller politischer Parteien an fast allenWahltischen» (La Prensa, 24.11.13). Wenig später bezeichnete sie Hernández noch vor dem Wahlgericht als Wahlsieger. Auch die Leiterin der EU-Beobachtungsmission, die österreichische Grüne Ulrike Lunacek, konnte nichts Arges entdecken: «Wir sahen einen Prozess, der transparent war» (Proceso Digital, 24.11.13).


Das Statement von Libre

Doch neben den Betrugsmomenten von Gewalt und praktisch offenem Stimmenkauf gab es auch solche des technischen Betrugs. In den letzten Tagen sind immer mehr Nachrichten zu einem Wahlbetrug im Rechenzentrum des TSE veröffentlicht worden, gestützt oft auf Mitteilungen der Hackergruppe Anonymous Honduras (s. El Libertador, 28.11.13). Und am Freitag, dem 29.11.13, verlas die Libre-Exponentin im Beirat des TSE, Rixi Moncada, ein Parteidokument mit Angaben zum Wahlbetrug. Einige Befunde daraus:

1. Der Vergleich zwischen 14.593 physischen Akten (von insgesamt 16.135) mit jenem im elektronischen Rechen- und Veröffentlichungssystem des TSE (SIEDE) ergibt: 82.000 Stimmen zu viel gezählt für den Partido Nacional, dafür zu wenig gezählt für Libre 55.720, für die neue Antikorruptionspartei PAC 34.183, für den Partido Liberal 29.063, für weitere Parteien: 13.307. Diese Änderungen sind bei der Übertragung ins Rechenzentrum erfolgt. (Allein das lässt den Vorsprung von JOH um die Hälfte schmelzen.)

2. Scans. Angeblich sollte das Rechenzentrum des TSE nur Wahltischakten akzeptieren, die von spezifisch für die betreffenden Wahlzentren programiierten Scannern übermittelt würden. Tatsächlich aber akzeptierte das Rechenzentren aber auch Akten, die von den kommunalen Wahlgerichtsinstanzen eingescannt worden sind. Zudem zeigen die ATX-Nummern (Scanner-Zentrum) mancher Scans, dass sie schon in den Morgenstunden des Wahltages übermittelt worden sind.

3. «Zahlreiche» vom TSE publizierte Akten stimmen genau mit fiktiven Resultaten überein, die bei den Übermittlungsproben verwendet worden sind.

4. «Zahlreiche» vom TSE an die politischen Parteien weitergegebenen und auf der Homepage publizierten Wahltisch-Akten stimmen nicht mit den Akten überein, die Libre-Mitglieder der Wahltische erhalten haben. [Anm.: Die ParteivertreterInnen an den Wahltischen erhalten nach der Auszählung eine Kopie der Resultateakten ihres Wahltisches; die Parteien bekommen später vom TSE jeweils eine Kopie der im Rechner verarbeiteten Wahltisch-Akte.]

5. 88 % der Wahltische weisen eine durchschnittliche Stimmbeteiligung von 61 % der eingetragenen Wahlberechtigten auf, 12 % der Wahltische eine solche von über 70 %. Bei 85 % dieser 12 % der Tische schwang der Partido Nacional obenauf. Diese statistische Inflation verlangt nach einem Abgleich mit dem WählerInnenregister zur Eliminierung von Stimmen von Ausgewanderten oder Verstorbenen.

6. Von 2805 Wahltisch-Akten erhielten die Partien keine TSE-Kopie, sie sind auch auf der Webpage des TSE nicht aufgeführt.

7. An fünf Kleinparteien, die insgesamt 17.516 Stimmen gemacht haben, wurden 160.000 Ausweise für ihre WahltischvertreterInnen ausgehändigt. Die Diskrepanz verweist auf das enorme Übergewicht des Partido Nacional an den Tischen dank seines Aufkaufs dieser Kredenziale.

8. Ein interner Bericht der Organisation der Amerikanischen Staaten vom 20. November 2013 (vier Tage vor dem Wahltermin) hält bezüglich ihrer Überprüfung des elektronischen Rechen- und Veröffentlichungssystem des TSE (SIEDE) fest, dass dieses «gewisse Mängel bei der adäquaten Implementierung der Sicherheitsmassnahmen aufweist, die bei diesen Projekttypen als Minimalstandards für die Garantierung der Integrität des Systems betrachtet werden sollten». Dito hielt der Bericht fest, dass «bezüglich des Moduls der Konsolidierung, Integration und Veröffentlichung der Resultate die Überprüfung Fehler gefunden hat, die die Non-compliance mit Qualitätsstandards für diese Art von Programmen zeigen.»

9. Eine am 26. November 2013 aufgeschaltete Page (http://pastebin.com/TL7CYCfM) zeigt mit einer Reihe von Programmcodes aus SIEDE und der als Beispiel veröffentlichten Suche nach Kandidaten mit dem Vornamen Mauricio, dass «wer immer die Seite im Web aufgeschaltet hat, Zugang zur Datenbank-Registry und nicht bloss zur Struktur gehabt hat».

10. In ihrem vorläufigen Bericht hält die Beobachtungsmission der EU fest, dass das WählerInnenregister 30 % falsch ist: Es enthält Tote, Ausgewanderte und hat Lebende als Verstorbene gestrichen.

Soweit das Libre-Dokument, das im ZAS-Blog konsultiert werden kann.


Das Übertragungssystem

Mitte September hatten die Wahlbehörden der Dominikanischen Republik ein Abkommen mit dem honduranischen TSE beendet, das die kostenlose Zurverfügungstellung von Scannern mit der Software für intelligent caracter recognition vorgesehen hatte. Die honduranischen Rechtsparteien und das TSE hatten den Gebrauch dieser Technologie abgelehnt. Die dominikanischen Scanner hatten zuvor bei der Übermittlung von Wahlresultaten in Guatemala, Ecuador und Paraguay anerkanntermassen gute Dienste geleistet.


OAS und EU

Die kritischen Aussagen im erwähnten internen Dokument werden im dazu veröffentlichten Kommuniqué der OAS zu einem Loblied auf das TSE verdreht. Auch in El Salvador wurden vor einigen Jahren im «technischen» Teil eines internen zentrale Fehler- und mögliche Betrugsquellen im Wahlsystem einer vernichtenden Kritik unterzogen, während sie im «politischen» Teil desselben Berichts und in den veröffentlichten Statements zu ihrem glatten Gegenteil umgelogen wurden.

Das österreichische Mitglied der Wahlbeobachtungsmission der EU (MOE-UE), Leo Gabriel, sprach im Flughafen, unmittelbar vor seinem Abflug, von einer verfälschten offiziellen Darstellung der Beobachtungsbefunde und schweren internen Differenzen. In einem Interview führte er aus: «Wir [die MissionsbeobachterInnen der EU] kamen zu Schlüssen, die denen der Zentralequippe der MOE-EU diametral entgegengesetzt waren, was die sogenannte Transparenz der Wahl und der Auszählung betrifft.» So haben er und andere Mitglieder der Mission etwa beobachtet: «Während der Übermittlung der Resultate gab es keine Möglichkeit festzustellen, wohin denn die Akten übermittelt wurden und wir erhielten glaubwürdige Mitteilungen über eine Umleitung von mindestens 20 % der ursprünglichen Akten an einen illegalen Server, der sie verheimlicht hat». Über die Gründe der offiziellen Haltung der Missionsleitung befragt, meinte Gabriel: «Einige von ihnen glauben tatsächlich dem TSE, aber generell gibt es einen politischen und ökonomischen tiefer liegenden Grund. Der Staatsstreich 2009 schadete dem internationalen Ruf von Honduras und bewirkte eine Verlangsamung beim Durchziehen des Assoziationsvertrags zwischen der EU und Zentralamerika. Einen sauberen und transparenten Wahlprozess zu behaupten, hilft der EU, das Bild Honduras' in der Welt zu reinigen und dieses Handelsprojekt umzusetzen»[1]

Natürlich desavouierte die EU-Missionsleitung Gabriel umgehend, warf ihm den Bruch eines Verhaltenskodex vor und betonte, einzig die Missionsleiterin, die grüne Euro-Abgeordnete Ulrike Lunacek, und Vizeleiter José Antonio de Gabriel seien zu öffentlichen Erklärungen befugt. Lunacek gilt in Österreich als LGTB-motiviert, in Honduras, wo seit dem Putsch 115 Mitglieder der LGTB-Community ermordet worden sind, die meisten von Hand der Sicherheitskräfte, vermochte es die Frau einfach nicht, die Wahlrealität von Bedrohung und Gewalt durch die Armee wahrzunehmen. Das ist zweifellos förderlich für die Karriere.


Basisorganisierung oder Vertrauen auf die Botschafterin?

Doch Libre wird noch ein zusätzliches Problem haben. Leider ist es fraglich, ob diese Partei den Willen und die Fähigkeit gehabt hat, für den Wahltag jene defensa del voto zu organisieren, also jenen Apparat, den es braucht, um mit Originalakten von den Wahltischen bei Resultatsanfechtungen operieren zu können. Diese Akten müssen von den jeweils am Wahltisch anwesenden ParteivertreterInnen unterschrieben werden. Dazu braucht es einen gut organisierten Apparat. Für jede/n VertreterIn an den Wahltischen braucht es zum Beispiel einen Ersatz, wenn das Klo aufgesucht werden muss, braucht es Leute in der Logistik (Essen, Trinken), braucht es Leute, die die jeder Partei an den Wahltischen ausgehändigten Resultateakten einsammeln usw. Es braucht eine intensive Schulung nicht nur zu technisch-legalen Aspekten des Wahlvorgangs, sondern etwa auch zu «Autoritätsproblemen»: Was tun, wenn der Arbeitgeber für die Gegenpartei Zentrumschef spielt?

Doch die Führung von Libre hat dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Faktisch haben ehemalige Mitglieder der rechten Liberalen Partei, der bis zu seinem Sturz auch Mel Zelaya angehört hatte, die sich beim Putsch oder erst auch in jüngster Zeit von ihrer Mutterpartei abgewandt hatten, das Ruder in Libre übernommen und die Widerstandsfront FNRP relativ marginalisiert. Sie scheinen den Beteuerungen der US-Botschafterin geglaubt zu haben, keinen Wahlbetrug zuzulassen, um die sozialen Spannungen im Land nicht noch weiter aufzuheizen. Keine gute Voraussetzung, um einen Antiwahlbetrugsapparat an den Urnen zu organisieren.

Das Resultat dürfte sein, dass Libre tatsächlich im Besitz von nur einem Teil der direkten Wahltisch-Akten ist und sich mehrheitlich auf die vom TSE übermittelten Akten stützt. Damit wird jede Nachzählung bis zu einem gewissen Grad ein Fake. Das Wahlgericht der putschistischen Kräfte hat wohl nicht ohne Grund Libre eine Nachzählung der Akten vorgeschlagen. TSE-Chef Matamoros betont, diese betreffe nur die Akten, nicht etwa die in den Urnen enthaltenen Stimmzettel. Zelaya kritisierte gestern, dass das TSE damit «den Rückwärtsgang eingeschaltet hat. Wir halten dafür, dass dort, wo die Akten nicht übereinstimmen, die Urnen geöffnet werden müssen».


FNRP stärken

Diese Wahlen haben die Masslatte für Gewalt und Betrug in Lateinamerika, die für die USA und ihren Euro-Anhang als transparent gilt, klar erhöht. In Honduras stehen zweifellos schwierige, von Mord, Verelendung und Repression gezeichnete Zeiten an. Die Partei Libre in ihrer derzeitigen Verfassung wird kaum in der Lage sein, den Widerstand dagegen zu organisieren. Kleines Beispiel: Mel Zelaya und auch Xiomara Castro hatten Ansätze von Basiskollektiven in verschiedenen Städten zu Mobilisierungen gegen den Wahlbetrug öffentlich abgeklemmt, aber für letzten Sonntag zu einer Demo um 8 h früh aufgerufen - ausserhalb jeder Tradition des Volkswiderstandes im Land. Tagelange studentische Mobilisierungen gegen den Betrug liefen autonom. Auf jeden Fall wird es für die Kontingente der Resistencia unausweichlich sein, ihr im Widerstand gegen den Putsch geborenes Instrument, den Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP), wieder zu stärken. In Honduras hatte ein grosser Teil der Linken die Vorstellung, den FNRP als Instrument breiter gesellschaftlicher Mobilisierungen einzusetzen, als Leitungsorgan quasi der auf Wahlbereiche zugeschnittenen Partei Libre. Diese Rechnung ging nicht auf, nicht nur wegen des starken ex-liberalen Einflusses in Libre. In einem Wahlkampf, in dem für die Leute erfahrbar gegensätzliche gesellschaftliche Entwürfe anstehen, wird die den Wahlkampf führende Struktur zwangsläufig die Führungsrolle übernehmen. Rund ein Drittel der Wählenden hat sich - und das unter schwer repressiven Bedingungen - für eine linke Alternative ausgesprochen. Eine gute Basis für den FNRP!


Anmerkung:
[1] http://www.hondurastierralibre.com/2013/11/resultados-de-las-elecciones-en.html).

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 176, 16. Dezember 2013, S. 10-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2014