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DAS BLÄTTCHEN/1171: Die Geisterhand


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 4 | 20. Februar 2012

Die Geisterhand

von Margit van Ham


Gestern habe ich Max getroffen. Der wirkte verwirrt und ich hatte den Eindruck, dass er nicht so erfreut war, mich zu erblicken. Da er sonst keinen kleinen Flirt mit mir auszulassen pflegte, war ich erstens schwer verwundert und zweitens leicht beleidigt. Oder umgekehrt. Ich drängte ihn mit sanfter Gewalt in die nächste Kneipe. "Was ist los", forderte ich ihn zum Reden auf. Erst druckste er herum, aber dann ergab er sich. Er kannte meinen zuweilen strengen Blick. "Also gut, aber verrate es nicht weiter. Ich bin noch nicht soweit, mit anderen darüber zu quatschen." Ich versprach hoch und heilig zu schweigen und war nun wirklich gespannt. (Meinen Bericht müssen Sie daher natürlich ganz vertraulich behandeln.)

Max leerte sein Rotweinglas, bestellte gleich noch ein neues. "Nun mach schon", drängelte ich voll Neugier und versuchte meinen besten Augenaufschlag (ich war allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr so gut im Training). "Also, ich habe mich nach reiflicher Überlegung von meiner materialistischen Grundeinstellung getrennt. Ich, ausgerechnet ich, bin kein Atheist mehr." Max seufzte: "Ich kann es selbst nicht fassen. Aber alle meine Nachforschungen haben mich zu der Überzeugung kommen lassen, dass es doch ein höheres Wesen gibt. Eine Geisterhand." Er blickte mich an, vermutlich stand mein Mund offen, ich war ein einziges Fragezeichen und der Inhalt meines Glases ergoss sich über den Tisch. War mein alter Freund Max jetzt durchgeknallt? "Das musst du mir erklären", brachte ich nach endloser Zeit mühsam heraus.

Das gefiel Max, er dozierte generell gern und im ausfüüührlichsten Detail ... Meine Aufforderung hatte ihm den Rücken gestärkt und er hub - wie ich befürchtete - zu einem längeren Vortrag an. Ich sollte recht behalten. Nach fünf Stunden Vortrag, drei Cappucinos, einigen Flaschen Rotwein und etlichen Erdnüssen waren unsere Rollen vertauscht. Ich war verwirrt und er flirtbedürftig.

Ich ging in diesem Zustand nach Hause, stolperte über die Wohnungsschwelle und liege nun mit einer Gehirnerschütterung im Bett. Die Geisterhand, denke ich, hat mich geschubst. Ich will Sie nicht mit seinem langen Vortrag belästigen, die Gefahr einer Schädigung - siehe meine Gehirnerschütterung - lässt sich ja nicht ausschließen. Hören Sie also meine Kurzfassung eines langen Maxschen Vortrages.

Max hatte sich verschiedentlich gewundert, wie sich manche Probleme vor Ort und in der Welt plötzlich in Nichts aufgelöst hatten. Er versuchte, den Dingen auf den Grund zu kommen. Er ist so ein Typ, der immer verstehen will ... Fukushima zum Beispiel. Erst großes Entsetzen, dann schien ein Schalter umgelegt zu sein. Funkstille. Also alles paletti, oder zumindest fast im Griff. Im Sommer störten die Hungerbilder aus Ostafrika unser Essen - übrigens just zu einem Zeitpunkt als die Kanzlerin mal kurz in der Region vorbeischaute. Nach kurzer Zeit war dieses Problem verschwunden. Alle Lager vermutlich ohne Hunger, dito die Menschen, die es nicht bis in die Lager geschafft hatten. Wie von Geisterhand - genau!

Das war Maxens Erklärung: Eine Geisterhand kreist über uns, ab und an senkt sie Daumen und Zeigefinger und schnipst - und ein Problem beendet sein Dasein. Kindersoldaten im Kongo? Schnipp. Dann streckt sie die Finger, und ein starker Aufmerksamkeitsmagnetismus richtet alle Medien auf ein neues Thema. So geschehen mit Wulff und Uns-Gottschalk. Aber bald wird die Geisterhand sich fortbewegen. Auf zu neuen Ufern, äh Themen.

Kürzlich gab es eine klitzekleine Meldung, dass die Sieger in Libyen jetzt ihre ehemaligen Gegner foltern und töten. Da war die Geisterhand besonders schnell: schnips - hat irgendwer noch etwas davon gehört? Wie von Geisterhand sind auch die Berichte über Deutschlands massiv gewachsenen Rüstungsexporte im Allgemeinen oder Panzerexporte nach Saudi-Arabien im Besonderen weggeschnipst. Mit Antibiotika belastete Hühner? Bestochene Ärzte? Schnipp, schnapp.

Eine Geisterhand musst Du nicht anbeten, hatte Max noch erwähnt. Die braucht auch keine Kirche, spart enorme Kosten. Und sie ist wunderbar für einen guten Schlaf. Ich muss Max noch fragen, ob die Geisterhand nicht eventuell auch im Privaten wirkt. Stellen Sie sich vor, so als Nebeneffekt könnten dämliche Aufträge Ihres Chefs weggeschnipst werden. Oder der Chef selbst. Aber wie könnte man die Geisterhand dorthin lenken. Doch mit Beten??

Ich schlief über dieser Frage ein. Im Traum überhob ich mich dann und fing selbst an zu schnipsen. Verzeih, Max! Die Eurokrise hatte ich so per Schnipp geregelt. Klimakatastrophe? Kein Problem. (Da fällt mir ein, ob die Amerikaner das mit der Geisterhand schon länger kennen?) Oh, welche Welten öffneten sich ...
Ich wachte auf und der Geisterhand gehörte mein Glauben. Den leisen Zweifel wegen ihrer Steuerung werde ich schon wegglauben.


*


Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2012 vom 20. Februar, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012