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DAS BLÄTTCHEN/1203: Nie mehr hassen - Heinrich Vogeler zum 70. Todestag


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 13 | 25. Juni 2012

Nie mehr hassen - Heinrich Vogeler zum 70. Todestag

von Helmut Donat



Heinrich Vogeler - Maler, Grafiker, Architekt, Designer, Pädagoge und Schriftsteller - ist stets seinen Weg gegangen. 1872 in Bremen als Sohn in eine wohlhabende Familie hineingeboren, kommt er mit 21 Jahren in das Künstlerdorf Worpswede und lernt dort die 15jährige Martha Schröder kennen - eine für sein Leben schicksalhafte Begegnung.

Martha wird über viele Jahre hinweg sein bevorzugtes Modell. Anfang 1901 heiraten sie und gründen eine Familie. Fast gleichzeitig schließen zwei andere mit ihnen befreundete Paare den Bund fürs Leben: Der Dichter Rainer Maria Rilke ehelicht die Bildhauerin Clara Westhoff, der Maler Otto Modersohn die Malerin Paula Becker. Als Künstler und "Märchenprinz" residiert Vogeler zunächst im weißen Haus am Weyerberg, seinem "Barkenhoff". Rastlos und anrührend schafft er Werk um Werk, schenkt der Jugendstilbewegung eindrucksvolle Beiträge und erreicht eine erstaunliche und nachhaltige Wirkung. Des Bürgers "liebstes Kind", erfolgsverwöhnt, anerkannt und verträumt, inszeniert er sein Leben als Kunstwerk - bis die Realität den Ausnahmekünstler einholt. Das Scheitern seiner Ehe, schwindende Aufträge und erlahmende künstlerische Produktivität führen in eine tiefe Krise. Als Freiwilliger folgt er im August 1914 dem Ruf der Waffen, überzeugt, Deutschland sei von Feinden umringt und von ihnen überfallen. Als "Kriegszeichner" erlebt er die Grausamkeit und erkennt, dass "die Militärkaste gar nicht fürs Volk kämpfte, sondern für den Mehrbesitz der Reichen." Dabei dachte Vogeler vor allem an die einfachen Soldaten, "die den Mächtigen nur als Kanonenfutter taugen. Es muss endlich Frieden sein. Der Krieg hat mich zu einem glühenden Pazifisten gemacht. Nach all dem Elend, das der Krieg über die Völker gebracht hat, kann Deutschland nur noch ein christlich geprägter Sozialismus helfen."

Als sich im Oktober 1917 die kriegsgegnerisch orientierte bolschewistische Revolution durchsetzt, sieht er einen Silberstreif am Horizont. Doch statt einer Verständigung diktiert deutscher Eroberungsgeist den "Frieden" von Brest-Litowsk. Vogeler soll ein Plakat für die Propaganda neuer Kriegsanleihen anfertigen. Er entscheidet sich, den Befehl zu unterlaufen, skizziert eine niederdeutsche Bäuerin mit Holzschuhen, die sich mit der linken Hand auf einen Spaten stützt und mit der rechten die Augen vor der Sonne schützt. "Zeichnet Kriegsanleihen." - " Die Heimat ruft!" steht auf dem Plakat. Es geschieht, was Vogeler erwartet. Seinen Auftraggebern missfällt das Plakat, aber ihm einen Vorwurf zu machen, lässt die Ausführung nicht zu.

Statt während seines Heimaturlaubs in Worpswede einen neuen Entwurf zu fertigen, wendet er sich im Januar 1918 mit seinem "Märchen vom lieben Gott", einem christlich-ethischen Appell, an Kaiser Wilhelm II., fordert ihn darin zu einem bedingungslosen Frieden auf. Eine Abschrift schickt er zugleich an den Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff, der so empört ist, dass er den Künstler wegen Landesverrats erschießen lassen will. Vogeler hat damit durchaus gerechnet. Doch er hat Glück - und landet in einer Bremer Irrenanstalt. Der ihn behandelnde Arzt Karl Stoevesandt versteht sein Aufbegehren gegen den Irrsinn des Krieges und hält seine schützende Hand über ihn. Er gibt seinem "Patienten" alles, was er zum Malen und Zeichnen braucht. Vogeler entwirft das Antikriegsbild "Die sieben Schalen des Zorns". Der Arzt entlässt ihn nach 63 Tagen als nicht mehr militärfähig. Fortan engagiert sich Vogeler, obwohl unter Polizeiaufsicht, für eine neue Welt, fernab von Gewalt, sozialer Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Malend setzt er sich zudem weiter mit dem "Menschenschlachthaus" seiner Zeit auseinander. So entsteht das Bild "Der Kriegsgott". Bewusst wählt er Hindenburg, der als nackte Männerfigur in der Mitte des Bildes hockt. In der einen Hand hält er ein Schwert, in der anderen eine brennende Fackel. Im Hintergrund ist eine verwüstete Kriegslandschaft zu sehen. Über Hindenburgs Kopf schwebt eine weibliche Figur, die den neuen Menschen gebiert. Als Schmuck trägt der "Kriegsgott" menschliche Leichenteile. Gleich nach dem Krieg kauft ihm eine amerikanische Schriftstellerin das grausige Bild ab.

Nach dem 9. November 1918 stürzt Vogeler sich in den politischen Kampf und engagiert sich für ein Deutschland auf der Grundlage einer neuen Ethik. Sein Credo: "Ich will nicht mehr hassen!" Und: "Ich möchte nicht erneut schuldig werden." Auf dem "Barkenhoff" zum Vorsitzenden des Arbeiter- und Bauernrates gewählt, gründet er die "Gemeinschaft für sozialen Frieden". Sie wirbt für einen Sozialismus aus Nächstenliebe, Brüderlichkeit und Frieden, spricht sich für die "sozialistische Volksrepublik" aus und fordert "den dauernden, unzerstörbaren Frieden zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk". Vogeler bringt es auf den Punkt: "Der Kommunismus will die Durchsetzung des gesamten Volkslebens mit dem lebendigen Christentum, dem Gesetz der gegenseitigen Hilfe."

Als Pressekommissar des Osterholzer Arbeiter- und Soldatenrates sieht er sich im Januar 1919 vor eine zunehmend schwierige Aufgabe gestellt. Seine Versuche, aufklärende Artikel in den Zeitungen zu veröffentlichen, werden weitgehend torpediert. Nicht einmal sein "Märchen vom lieben Gott" will man drucken. Doch Vogeler hält an seinen Idealen fest, will die Dinge ins Positive wenden. Unter Rückgriff auf die Bibel verfasst er ein "Kommunistisches Manifest", plädiert für die Aufhebung jeglichen Besitzes, die Freiheit und Selbstbestimmung jedes Einzelnen, verwirft Klassenhass, Vergeltung, Enteignung aus Rache. Vor allem gelte es, die "göttlichen Güter der Erde jedem Menschen dienstbar zu machen."

Ein klares, einfaches Programm. Je mehr Vogeler sich bemüht, das alte System zu überwinden, desto deutlicher sieht er sich ungeachtet aller Hoffnungen nach 1918 zum ersten Mal auf verlorenem Posten.

Nach der Niederschlagung der Bremer Räterepublik Anfang Februar 1919 wird auch Vogeler als "Spartakusanführer" steckbrieflich gesucht und inhaftiert. Er soll den Bahnhof der Kleinbahn und Bauernhäuser angezündet haben. Selbst der Richter erkennt die Haltlosigkeit der Vorwürfe und lässt den "Brandstifter" frei.

Vogeler veröffentlicht zahlreiche Schriften, hält Vorträge und gründet trotz der großen Widerstände auch im Worpsweder Umfeld auf seinem "Barkenhoff" eine Kommune und Arbeitsschule. In der Öffentlichkeit ist die neue Gemeinschaft als "kommunistischer Miniaturstaat" verrufen, der ganz Nordwestdeutschland verseuche. Nicht nur den Staatsorganen, auch vielen Worpsweder Bürgern ist die Kommune ein Dorn im Auge. Es mangelt nicht an Verdächtigungen und Verleumdungen. Mitte Mai 1919 durchsuchen schwer bewaffnete Reichswehrsoldaten das Gelände und Haus und nehmen Vogeler mit, was Anwohner der Umgegend mit Schadenfreude erfüllt. Nach zwei Wochen ist der Inhaftierte wieder auf freiem Fuß. Kriminelles ist ihm nicht nachzuweisen. Wieder in Worpswede, geht die Stimmungsmache, getragen von Neid, Häme und Hass, weiter. Als einer der wohl schlimmsten Hetzer erweist sich Fritz Mackensen, 1889 Mitbegründer der Worpsweder Künstlerkolonie und über viele Jahre hinweg Vogelers Malerkollege und väterlicher Freund. Nun bespitzelt er ihn, verfasst Berichte an den Leiter der politischen Polizei in Bremen, schreibt, Vogeler "setze sich über jede Sitte hinweg" und sei "schwer geisteskrank". Vogeler begegnet dem gelassen, bezeichnet Mackensen als "Malerleutnant", der sich an die neuen Zustände nach 1918 nicht gewöhnen wolle und sich gebärde als eine Art geistiger Feldherr, der wie ein Zwerg auf einem Maulwurfshügel mit Dreck um sich schmeiße. Ein treffendes Bild.

Wer nicht von der Gräuelpropaganda gegen Kommunisten verhetzt war, urteilte anders. Auguste Kirchhoff, eine weit über Bremen hinaus geschätzte Pazifistin und Frauenrechtlerin, erinnert sich an ihren Besuch vom 8. Dezember 1918 mit folgenden Worten: "Wäre die Welt voll Heinrich Vogelers, es stünde besser um alles. So etwas von Güte und vornehmer Gesinnung ist mir noch kaum vorgekommen. Dabei eine so feine, selbstverständliche Gastfreundschaft ... Das Schönste aber ist die ungeheure Natürlichkeit und Bescheidenheit dieses hervorragenden Künstlers und Menschen. Übrigens ist er ein überzeugter Kommunist durch seine Kriegserlebnisse geworden. Bei ihm stört das gar nicht; denn einmal soll das alles durch den Geist, durch die Liebe gehen mit Ablehnung aller Waffengewalt, und dann steht er mit Taten hinter seinen Worten."

Den "Barkenhoff" schenkt Vogeler nach dem Scheitern des Experiments einer neuen Lebensform 1923/24 der "Roten Hilfe", die in ihm Kindern inhaftierter Sozialisten und Kommunisten eine Heimstatt gibt. 1923 reiste Vogeler mit seiner neuen, viel jüngeren Lebensgefährtin Sonja Marchlewska, einer Halbpolin, zunächst für einige Monate nach Russland. Im Oktober desselben Jahres kommt ihr gemeinsamer Sohn Jan in Moskau zur Welt. Doch auch diese Ehe hält nicht, Vogeler soll kein Glück mit den Frauen haben.

Wieder in Deutschland, wählt die "Rote Hilfe" ihn 1924 in ihren Zentralvorstand. 1927-1931 hält er sich in Berlin oder in Russland auf. Er reist in die entlegendsten Provinzen von Turkestan bis Samarkand und Baku, von Karelien und Taschkent bis Aserbaidschan und Murmansk, fertigt hunderte von Zeichnungen und wählt die Sowjetunion als seine neue Heimat. Er malt Bilder mit politischen Inhalten, aber auch das Leben der Arbeiter auf den Feldern, in ihren Fabriken und Unterkünften. Nach dem Machtantritt der Nazis wendet er sich gegen den Faschismus. Bilder wie "Bücherverbrennung in Berlin", "Konzentrationslager", "Folterkammer der SA" oder "Einmauerung lebender Kommunisten in der Festung Hohnstein" veranschaulichen die Gräuel der Nazis ebenso wie seine Illustrationen zu dem von der Komintern beauftragten Buch "Das Dritte Reich" mit von Johannes R. Becher verfassten Versen. Gleichwohl beäugt die kommunistische Führung ihn misstrauisch, doch als Schwiegersohn eines verdienten Revolutionärs bleibt er von stalinistischer Willkür verschont.

Am 22. Juni 1941 überfallen deutsche Truppen die Sowjetunion und stehen schon bald vor Moskau. Vogeler befindet sich auf der Sonderfahndungsliste der Nazis. Mit anderen Deutschen schickt man ihn in die weite Steppe Kasachstans. Die Evakuierten erwartet ein schweres Los. Vogelers Unterbringung ist primitiv und gestaltet sich schwierig. Obwohl gesundheitlich angeschlagen, muss er auf dem Lande und im Straßenbau arbeiten. Schließlich bleibt seine monatliche Rente aus, und er bekommt nichts mehr zu essen. Er muss betteln gehen und stirbt am 14. Juni 1942 entkräftet und mittellos in der Krankenstation des Kolchos Budjonny nahe Korneewka. Wo sich sein Grab auf dem örtlichen Friedhof befindet, ist unbekannt.

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In Bremen widmen sich zurzeit drei Museen Aspekten des künstlerischen Schaffens Heinrich Vogelers und seiner Zeit in Worpswede. In der ehemaligen Künstlerkolonie haben sich gleich vier Museen zu einem Ausstellungsverbund zusammengetan und präsentieren wichtige Einblicke in sein Leben und Wirken ("Aufbruch als Künstler", "Gesamtkunstwerk Barkenhoff", "Vogeler in der Sowjetunion", "Krieg und Revolution"). Alles ist sehenswert und eindrucksvoll präsentiert. Und doch fehlt etwas Wichtiges. Nichts erfährt der Betrachter darüber, wie Worpswede sich selbst zu Lebzeiten und in den siebzig Jahren nach Vogelers Tod dem Künstler gegenüber verhalten hat. Ist es damit getan, im "Vogeler-Rausch" zu schwelgen und über den wenig rühmlichen Umgang mit Vogeler in der Vergangenheit den Mantel des Schweigens zu breiten? Auch in dem opulent ausgestatteten und empfehlenswerten Katalog ist dazu nichts zu finden. Welche Schwierigkeiten die örtliche Presse oder einstige Malerfreunde wie Mackensen dem Künstler bereiteten, erfährt man nicht. Es wird ein Worpsweder Maler in Worpswede präsentiert und gewürdigt - aber ohne das Worpswede, das ihn in weiten Teilen ablehnte, verunglimpfte und in den Zeiten des "Kalten Krieges", um es gelinde auszudrücken, nichts mit ihm zu tun haben wollte. Wie geht man mit der Tatsache um, dass Vogeler in seinem Bild "Der Kriegsgott" Hindenburg als Massenschlächter und -mörder darstellt, seine erste Frau Martha eben diesen Hindenburg in einem von ihr gefertigten übergroßen Gobelin als - durchaus im Sinne des NS-Regimes - verehrungswürdige Gestalt vorführt? So nachzulesen in einem Buch von Peter Groth aus dem Jahre 1995 über das "Haus im Schluh" und die damit aufs engste verwobene Biografie Martha Vogelers, deren NSDAP-Mitgliedschaft Groth unterschlägt.

Im Rahmen des Ausstellungsprogramms über Heinrich Vogeler wird es demnächst in Worpswede - wie schon vor drei Jahren - wieder ein "Rosenfest" geben. Gut so, warum nicht zum Thema machen, dass der Künstler in seiner Jugendstilzeit gerade das Rosen-Motiv vielfach verwandt hat? Wo aber wird mit dem gleichen Elan, der politische Vogeler, der jedwedem Krieg und jedweder Gewalt sowie sozialer Ungerechtigkeit und Härte eine Absage erteilte, ins Blickfeld gerückt und verdeutlicht, wie er zum Beispiel zum Krieg in Afghanistan und zu dem Abbau von Sozialleistungen stehen würde?

Vor einigen Monaten ist Ferdinand Krogmanns Buch "Worpswede im Dritten Reich" (siehe Das Blättchen 8/2012) erschienen, eine überaus quellengesättigte Darstellung, die belegt, wie bereitwillig sich der Künstlerort mit dem "Leben unter dem Hakenkreuz" arrangiert hat. Zwei von den vier ausstellenden Museen halten es bis heute nicht für nötig, den Band in ihren Verkaufsständen anzubieten.


David Erlay: Von Gold zu Rot. Heinrich Vogelers Weg in eine andere Welt, 504 S., 24.80 Euro; Bernd Küster: Heinrich Vogeler im Ersten Weltkrieg, 111 S.,12,80 Euro; Heinrich Vogeler: Zwischen Gotik und Expressionismus-Debatte. Schriften zur Kunst und Geschichte aus dem Exil, Hrsg. S. Bresler, 190 S., 14,00 Euro (alle im Donat Verlag Bremen)

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 13/2012 vom 25. Juni 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012