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DAS BLÄTTCHEN/1589: Planet Nummer neun in Sicht?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 9 | 25. April 2016

Planet Nummer neun in Sicht?

von Dieter B. Herrmann


Manche regt es auf, andere lässt es kalt: Haben wir nun neun Planeten in unserem Sonnensystem oder sind es nur acht? Immerhin: Wer nach 1930 in die Schule kam, hat stets (wenn überhaupt) von neun Wandelsternen gehört, die mit der Erde um die Sonne ziehen.

Ausgerechnet im Internationalen UNESCO-Jahr der Astronomie 2009 beschloss die Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Prag, dem zuletzt entdeckten Planeten Pluto am äußeren Rand des Sonnensystems seinen Status abzuerkennen und ihn künftig nicht mehr als Planeten zu führen. Nur noch ein "Zwergplanet" sollte er künftig genannt werden dürfen. Es waren allerdings gute Gründe, die zu dieser Degradierung geführt hatten: Pluto hatte sich gleichsam mit falschen Bewerbungsunterlagen in die Garde der Wandelsterne eingeschlichen, und niemand hatte es bemerkt, wie ja auch gelegentlich schon mal jemand Chefarzt wird, der nie Medizin studiert hat.

Als Pluto entdeckt wurde, kannte man seine Masse nicht. Erst die Auffindung eines ersten Pluto-Mondes im Jahre 1978 ermöglichte eine Massenbestimmung, die fast einen kleinen Schock auslöste: Der neunte Planet verfügte nur über rund ein Sechstel der Masse unseres Erdmondes, der wiederum mit einem Einundachtzigstel der Erdmasse auch nicht gerade zu den Schwergewichten zählt. Der Durchmesser des Pluto wies ihn ebenfalls als einen Winzling aus. Es waren nur knapp 2.400 Kilometer - auch deutlich weniger als beim Erdmond mit rund 3.500 Kilometer. Zudem passte die langgestreckte elliptische Bahnform des Pluto nicht in das Bild der fast kreisförmigen Fahrtrouten aller anderen Planeten. Mehr noch: Auch die Neigung der Bahn des Pluto ist querulant. Sie steht nämlich um 17 Grad gegen die Hauptebene, in der sich der Rest der Planeten-Familie bewegt. Doch vollends kippte die Stimmung gegen Pluto als Planet, nachdem man in seiner unmittelbaren Umgebung nach und nach weitere ähnlich kleine Körper entdeckt hatte. Offensichtlich gehörte Pluto zu jenem vielzahligen Körpervölkchen am Rande des Sonnensystems, in dem sich wahrscheinlich Millionen von Kleinobjekten aufhalten, dem so genannten Kuiper-Gürtel. Eine neue wissenschaftliche Definition des Begriffes "Planet" führte dann schließlich zu der Herabstufung von Pluto. Er zählt jetzt zur Gruppe der Zwergplaneten und unser Sonnensystem hat seitdem nur noch acht "wirkliche" Wandelsterne. Der sonnenfernste von ihnen ist Neptun. Selbst da zeigt sich Pluto noch aufsässig, denn er steht manchmal wegen seiner elliptischen Bahn sogar näher an der Sonne als der eigentliche Rekordhalter in Sachen Distanz.

Doch nun keimt Hoffnung auf. Seit einigen Monaten hört man immer wieder, dass es möglicherweise doch einen echten neunten Planeten in unserem Sonnensystem gibt.

Natürlich fragt sich der durch vielerlei sensationelle Wissenschafts-Berichte, die sich dann oft genug als Flop erwiesen, skeptisch gewordene Laie, wie man denn plötzlich auf die Idee eines neuen Planeten kommt. Gesehen hat ihn jedenfalls noch niemand. Doch das muss noch kein schlechtes Omen sein und erst recht kein Argument. Man denke nur an den Planeten Neptun und seine Entdeckungsgeschichte. Den hatte auch noch niemand gesehen, als zwei junge Astronomen in England und Frankreich behaupteten, dass es ihn geben müsse. Und warum?

1781 hatte Friedrich Wilhelm Herschel, der aus Hannover stammende Astronom in England zum ersten Mal einen Planeten entdeckt, der nicht schon seit den ältesten Tagen der Astronomie bekannt gewesen war. Er fand den Planeten Uranus, der jenseits des Saturn seine Bahn um die Sonne zog. Doch er bewegte sich wegen seines großen Abstandes von der Sonne auch sehr langsam. Beobachtungen seiner Position zeigten kurzfristig kaum Veränderungen. Um eine Bahnberechnung durchzuführen, brauchte man aber ein längeres Stück seiner Bahn. Da erwies es sich als ein Glücksfall, dass man beim Durchsuchen älterer Beobachtungsjournale feststellen konnte: Der Planet war schon längst gesehen worden, bevor man wusste, dass es sich überhaupt um einen Planeten handelte. So konnten die Forscher insgesamt 20 ältere Positionen in ihre Rechnungen einbeziehen. Die älteste davon stammte aus dem Jahre 1587, das heißt knapp 200 Jahre vor der eigentlichen Entdeckung. Bei den jetzt folgenden Rechenarbeiten klafften aber Abweichungen seiner beobachteten Bahn von der Newtonschen Theorie. Dafür kamen zwei Erklärungen in Frage: Entweder war die Theorie doch nicht überall im Weltall gültig oder es gab einen weiteren noch unbekannten Planeten, der mit seiner Masse und Gravitationswirkung die Bahn des Uranus beeinflusste. John Adams in England und Urbain Leverrier in Paris machten sich daran, Positionen für den vermuteten Planeten zu berechnen. Die Berechnungen des erst 24-jährigen Adams blieben leider zu lange unbeachtet. Doch Leverrier landete einen Treffer. In einem Brief an den Observator der Berliner Sternwarte, Johann Gottfried Galle, forderte er zur Suche nach dem Planeten auf. Fast auf Anhieb gelang die Entdeckung am Himmel über Berlin. Ein Triumph für Newtons Himmelsmechanik!

Im Grunde beruhen alle Debatten über einen neunten Planeten jenseits der Bahn des Neptun auf ebensolchen indirekten Hinweisen, wie sie seinerzeit zur Entdeckung des Neptun geführt hatten. Doch diesmal sind es nicht die Reststörungen irgendeines schon bekannten Planeten, sondern Besonderheiten der Bahnen kleinerer Himmelskörper in der Region des Kuiper-Gürtels. Die Diskussion um dieses Problem währt schon einige Jahre, hat sich aber zu Beginn des Jahres 2016 durch neue Analysen intensiviert - soweit, dass in Pressemeldungen bereits mehrfach von einem "Planeten Neun" die Rede war. Bei mehreren transneptunischen Kleinkörpern (derzeit ist es eine Gruppe von sechs solcher Objekte) fand man nämlich, dass die Verbindungslinien zwischen den sonnenfernsten und sonnennächsten Punkten ihrer Bahn (die sogenannten Apsiden) ähnlich ausgerichtet sind.

Es handelt sich bei diesen Objekten um Körper, bei denen die große Halbachse ihrer Bahn oberhalb von 250 Astronomischen Einheiten liegt. Eine Astronomische Einheit (AE) entspricht etwa der großen Halbachse der Erdbahn, das heißt der mittleren Entfernung zwischen Erde und Sonne. Eine weitere Auffälligkeit bei den Bahnen der erwähnten transneptunischen Körper besteht darin, dass die Bahnneigungen gegen die Hauptebene des Sonnensystems sämtlich zwischen + 11 Grad und + 30 Grad liegen. Normalerweise sollten die großen Planeten Jupiter und Saturn mit ihren beträchtlichen Massen (rund 318 beziehungsweise 95 Erdmassen) eine viel breitere Streuung der Lagen der Apsiden und der Bahnneigungen bewirken. Am besten lässt sich der Befund dieser Verteilung daher mit einem weiteren Planeten des Sonnensystems erklären, der jenseits des Neptun umläuft.

Dafür gibt es aber vielerlei Möglichkeiten. So erklären sich auch die weit auseinander driftenden Prognosen über die Masse und die Bahn des "Planeten Neun" bei den verschiedenen Autoren. Besonderes Aufsehen erlangte eine neue mathematische Analyse vom Januar 2016 nebst Computersimulationen der beiden Wissenschaftler Konstantin Batygin und Michael E. Brown, die beide am California Institut of Technology (Caltech) arbeiten. Sie kommen zu dem Schluss, dass der hypothetische Planet eine Masse von zirka dem Zehnfachen der Erdmasse haben könnte und bis zu viermal so groß wie die Erde sei.

Die mittlere Entfernung des auf einer vermutlich stark elliptischen Bahn umlaufenden Himmelskörpers könne bei etwa der 20-fachen Neptun-Entfernung liegen. Dann würde der Planet für einen Umlauf um die Sonne rund 20.000 Jahre benötigen. Die Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines solchen Himmelskörpers geben die Autoren mit über 90 Prozent an. Wo allerdings man am Himmel nach ihm suchen müsse, das wissen sie auch nicht. Dennoch rechnen sie mit seiner Entdeckung innerhalb der kommenden fünf Jahre.

Sollte die Nummer Neun tatsächlich gefunden werden, dann wäre im Sonnensystem wieder alles beim Alten, jedenfalls, was die Zahl der Planeten anlangt. Nur einen neuen Sinnspruch brauchte man dann noch, mit dessen Hilfe sich die Reihenfolge der Planeten einprägen ließe. Der berühmte "Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten" (für Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto) war ja ohnehin seit 2009 nicht mehr zu gebrauchen. Wie ein neuer Merksatz lauten könnte, hängt natürlich von dem Namen ab, den der neue Neunte von der Internationalen Astronomischen Union in Falle seiner Entdeckung erhalten würde. Doch zunächst einmal muss er gefunden werden.

Könnte die Cassini-Sonde dabei helfen? Sie wurde 1997 gestartet und umrundet seit Jahren den Planeten Saturn. 2017 soll sie in die Gasoberfläche des Ringplaneten eintauchen und damit ihre erfolgreiche Mission beenden. Doch die "Planet Neun"-Anhänger bitten jetzt darum, die Mission noch bis 2020 zu verlängern. Dann - so ihre Prognose - könnten sie aus eventuellen Bewegungsanomalien der Sonde neue Hinweise auf den neunten Planeten gewinnen. Bisher allerdings verhält sich die Sonde (natur-) gesetzestreu. Verräterische Abweichungen: Fehlanzeige. So steht also die Entdeckung des neunten Planeten unseres Sonnensystems buchstäblich noch in den Sternen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 9/2016 vom 25. April 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2016

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