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DAS BLÄTTCHEN/1667: Staatsmacht und "Sanctuary Cities"


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 4 | 13. Februar 2017

Staatsmacht und "Sanctuary Cities"

von Arndt Peltner, Oakland


Am Abend des 1. Juli 2015 spaziert die 32-jährige Kathryn Steinle mit ihrem Vater entlang des Embarcadero in San Francisco. Die beiden schlendern vorbei am "Ferry Building" und gehen dann auf den Pier 14, von wo man einen wunderbaren Ausblick auf die Bay Bridge, Treasure Island und Downtown San Francisco hat. Plötzlich fallen drei Schüsse, eine der Kugeln ist ein Querschläger, trifft die junge Frau hinten am Hals. Kathryn Steinle stirbt kurz darauf in einem Krankenhaus, ihre Halsschlagader war getroffen worden.

Der Täter war Juan Francisco Lopez-Sanchez, ein mehrfach vorbestrafter Mexikaner, der zuvor bereits fünfmal zurück nach Mexiko deportiert wurde. Die Waffe hatte er zuvor in Downtown San Francisco aus dem Privatwagen eines Officers des "Bureau of Land Management" gestohlen. Damit ballerte er anschließend am Pier 14 um sich.

Eigentlich hätte Lopez-Sanchez nach einer Drogenstraftat zum sechsten Mal ausgewiesen werden sollen, doch San Francisco überstellte ihn nicht an die zuständige Behörde, die "Immigration and Customs Enforcement" (ICE) und entließ ihn stattdessen aus der Haft, als ein Richter die Anklage wegen Marihuana-Besitzes fallen ließ. Der Grund, warum Lopez-Sanchez nicht an ICE überstellt wurde ist der Status, den sich San Francisco 1989 selbst gab: "Sanctuary City", eine Schutzstadt für illegale Einwanderer. 364 Bezirke, darunter 39 Städte gibt es in den USA, die als solche "Schutzgebiete" gesehen werden. Doch damit ist nicht überall das gleiche gemeint.

In San Francisco und vielen anderen Städten bedeutet das, dass es lokalen Polizeieinheiten untersagt ist mit ICE zusammen zu arbeiten, die von ICE ausgestellten Anfragen zur weiteren Inhaftierung des Verhafteten zu ignorieren und bei Kontrollen und Verhaftungen den legalen Status der Personen zu erfragen. In allen Kommunen heißt "Sanctuary City" aber vor allem, dass man illegalen Einwanderern den Zugang zu sozialen Programmen und ihren Kindern den Schulbesuch erlaubt und ermöglicht.

Der 1. Juli 2015 war der Beginn der heißen Phase im amerikanischen Wahlkampf, die ersten Fernsehdebatten der Republikaner standen an. Zwei Wochen zuvor hatte Donald Trump seine Kandidatur erklärt und gleich mit markigen Sprüchen auf sich aufmerksam gemacht: "Wenn Mexiko seine Leute schickt, schicken sie nicht ihre besten [...] Sie schicken Leute, die eine Menge Probleme haben, und sie bringen die Probleme zu uns. Sie bringen Drogen. Sie bringen Verbrechen. Sie sind Vergewaltiger. Und manche, nehme ich an, sind gute Leute." Trump hatte damit das Medieninteresse an seiner Kandidatur geweckt. Der Tod von Kathryn Steinle kam ihm da gerade recht. Er legte nach, twitterte der Familie sein Beileid und meinte, der Mord an der 32-Jährigen hätte verhindert werden können, wenn San Francisco keine "Sanctuary City" wäre. Er forderte deshalb: "Wir werden den 'Sanctuary Cities' ein Ende setzen, die für so viele sinnlose Tote verantwortlich sind. Keine finanziellen Mittel mehr für sie", meinte er auf einer Wahlveranstaltung unter dem Jubel seiner Anhänger.

Donald Trump setzte im Wahlkampf alles auf eine Karte und nahm es mit den Zahlen nicht so genau. Auf seinen Veranstaltungen sprach er davon, dass zwischen zwei und drei Millionen "kriminelle Ausländer" im Land lebten, die ausgewiesen werden könnten und müssten. Unter diese Kategorie fallen jedoch laut offiziellen Zahlen der Behörde ICE nur 82.228 Personen. Trump hat damit (erneut) nachweislich mit dem Feuer gespielt, ein Bild einer kriminellen Epidemie verbreitet und dazu noch ein paar der schlimmsten Fälle, wie den von Kathryn Steinle, ins Rampenlicht gezogen, um politisch Profit daraus zu schlagen. Der Kandidat Trump bestimmte fortan den Ton. Vor allem seine teils rassistischen und xenophoben Äußerungen kamen an, nicht nur bei einem Großteil der republikanischen Wähler. Auch rechtsradikale und offen fremdenfeindliche Gruppierungen wie der Ku Klux Klan sahen in Donald Trump "ihren" Kandidaten. Endlich werde ausgesprochen, was das weiße Amerika schon lange verlange, war die einhellige Meinung auf diversen Rechtsaußen-Foren.

Der New Yorker Milliardär hatte sein Thema im Wahlkampf gefunden. Er sprach nicht von einem Grenzzaun, Donald Trump forderte vielmehr den Bau einer Mauer. Hoch, schön, undurchlässig, müsse sie sein, wie er es umschrieb. Ganz so eine Mauer, wie es die "Berlin Wall" oder die "Great Wall of China" gewesen sei, so Trump. Und diese Forderung hämmerte er in das Bewusstsein der Amerikaner. So sehr, dass im Rückblick die Frage nur von wenigen beantwortet werden kann, für was eigentlich seine ärgsten innerparteilichen Konkurrenten Ted Cruz oder Marco Rubio standen. Geblieben ist, was Trump per Twitter und in seinen Reden hinausposaunte.

Es war ein Wahlkampf, wie ihn Amerika und die Welt noch nicht gesehen hatte. Trump präsentierte sich als Außenseiter, als "Law and Order"-Kandidat, der mit den "Illegalen" und den "Kriminellen" aufräumen werde. Er formulierte und unterschrieb sogar einen vermeintlichen Vertrag: "Donald Trump's Contract with the American Voter". Darin zahlreiche Forderungen, die er in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit abarbeiten werde. Vieles davon war gegen all das, wofür Amerika steht. Und nicht nur das, viele dieser politischen Ideen, sind verfassungswidrig oder liegen schlichtweg nicht in der Macht des Präsidenten, wie eben auch die Streichung von Bundesmitteln für Städte, die sich selbst als "Sanctuary City" sehen. Das steht dem Kongress zu.

Doch der macht sich nun zum Gehilfen Donald Trumps. Bereits am 5. Januar dieses Jahres, noch vor der Amtsvereidigung des neuen Präsidenten, brachte der republikanische Abgeordnete Lou Barletta den "Mobilizing Against Sanctuary Cities Act" ein. Es ist das dritte Mal, dass der Abgeordnete aus Pennsylvania seinen Gesetzesvorschlag zur Abstimmung einbringt. 2011 und 2015 scheiterte er, nun hat sich die politische Lage deutlich verändert. Mit dem Gesetz will Barletta erreichen, dass alle finanziellen Bundesmittel an die betreffenden Kommunen, Bezirke und Bundesstaaten ein Jahr lang ausgesetzt werden. So will er sie zum Einlenken zwingen. "Eine der Grundaufgaben der Regierung ist der Schutz der Bürger. Die Idee der 'Sanctuary Cities' ist dieser Verantwortung komplett entgegen gestellt. Zu viele Bürgermeister und Stadtverwaltungen glauben über dem Gesetz zu stehen und stellen damit ihre Ideologie über die Sicherheit ihrer Bürger. Dieses Gesetz wird diese Praxis beenden, in dem diesen 'Sanctuary Cities' verdeutlicht wird; wenn ihr euch weigert mit den Einwanderungsbehörden zusammen zu arbeiten, verliert ihr eure öffentlichen Bundesgelder."

Dutzende von Kommunen haben sich auf die Einschnitte vorbereitet, die mit der Amtsübernahme Donald Trumps auf sie zukommen könnten. Und die sind ganz unterschiedlich. Zwischen ein und 25 Prozent des kommunalen Haushaltes könnten die Einschnitte bedeuten. Washington DC wäre davon am stärksten betroffen, die amerikanische Hauptstadt hängt am finanziellen Tropf des Kongresses. Für San Francisco würde ein Stopp des Geldflusses aus Washington einen Einschnitt von zehn Prozent des Haushalts oder eine Milliarde Dollar bedeuten. Bürgermeister Ed Lee erklärte dennoch nach der Wahl Trumps: "Wir waren schon immer und werden auch weiterhin ein Zufluchtsort sein, eine Stadt, die Schutz bietet, eine Stadt der Liebe." San Franciscos Rechtsdezernent prüft bereits rechtliche Schritte, falls die Trump-Administration ihre Androhung wahr machen sollte. Die "City by the Bay" ist bereit bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um dort klären zu lassen, welche Rechte Städte, Bundesstaaten und die Bundesregierung hätten.

Auf der anderen Seite der San Francisco Bay, in Oakland, will man sich ebenfalls nicht dem Druck aus Washington beugen. Oakland erhält rund vier Prozent des städtischen Haushalts, etwa 52 Millionen Dollar in Bundeshilfen. Viel Geld für die hochverschuldete Stadt. Doch auch am hier zeigt man sich kampfbereit. Bürgermeisterin Libby Schaaf, die im Wahlkampf bereits erklärte, der gefährlichste Ort Amerikas sei das Mundwerk von Donald Trump, meinte nach dem Sieg des Republikaners: "Donald Trumps Wahl fühlt sich für mich wie ein Angriff auf all das an, woran ich glaube und wofür Oakland steht. Oaklanders können versichert sein, dass unsere Stadtverwaltung auch weiterhin all unsere Bewohner schützt und unsere progressiven Werte verteidigt. Wir sind stolz darauf eine 'Sanctuary City' zu sein und damit die Bewohner Oaklands vor - in unserer Überzeugung - ungerechten Einwanderungsgesetzen zu schützen."

Donald Trump ließ nicht lange mit seiner Entscheidung auf sich warten. Nur wenige Tage nach seinem Amtseid unterschrieb er "Executive Order: Enhancing Public Safety in the Interior of the United States", damit machte Trump auch dieses Wahlversprechen, den "Sanctuary Cities" ein Ende zu setzen, wahr. In diesem Dekret erklärt der neue Präsident, dass den Städten, die nicht mit den Einwanderungsbehörden zusammen arbeiten, alle finanziellen Unterstützungen aus dem Bundeshaushalt gestrichen werden. San Francisco reagierte umgehend und verklagte die Trump-Adminstration. Nun sind die Gerichte gefragt.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2017 vom 13. Februar 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2017

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