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DAS BLÄTTCHEN/1701: Atomwaffenverbot ohne Atommächte


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 13 | 19. Juni 2017

Atomwaffenverbot ohne Atommächte

von Jerry Sommer


In New York hat Anfang Juni die zweite Verhandlungsrunde über einen Atomwaffen-Verbotsvertrag begonnen. Es gibt bereits einen Vertragsentwurf. Darin wird an die katastrophalen humanitären Folgen eines Einsatzes dieser Massenvernichtungswaffen erinnert. Und weiter heißt es: "Jeder Gebrauch von Nuklearwaffen würde im Widerspruch stehen zum Völkerrecht."

Entsprechend dem Entwurf sollen sich alle Unterzeichnerstaaten verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln, zu produzieren, zu testen, zu erwerben bzw. zu besitzen oder andere Länder bei solchen Aktivitäten zu unterstützen.

Über 130 Staaten haben sich bisher für einen Atomwaffenverbotsvertrag ausgesprochen. Vieles spricht dafür, dass die jetzt anstehende Verhandlungsrunde im kommenden Monat erfolgreich abgeschlossen wird. Allerdings: Die neun Atommächte sind an den Verhandlungen nicht beteiligt - es fehlen also die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Ein Verbotsvertrag wird für diese Staaten deshalb rechtlich nicht bindend sein, schätzt der Nuklearexperte Giorgio Franceschini von der "Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung": "Eine Atommacht wird höchstwahrscheinlich diesem Vertrag nicht beitreten und wird deshalb nicht völkerrechtlich belangt werden können, wenn sie Kernwaffen herstellt, transportiert und anderes unternimmt, was der Vertrag verbieten möchte. Er ist völkerrechtlich bindend nur für diejenigen Staaten, die aus freien Stücken entscheiden, diesem Vertrag beizutreten."

Trotzdem haben die Atomwaffenstaaten sich vehement gegen einen Verbotsvertrag ausgesprochen. Wie die Bundesregierung lehnen ihn auch die meisten anderen Bündnispartner der USA ab. Sie beteiligen sich daher nicht an den Verhandlungen. Die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley, organisierte im März zu Beginn der Vertragsverhandlungen im New Yorker UN-Gebäude sogar eine Protest-Pressekonferenz unmittelbar vor den Türen der Konferenz. Eine sehr ungewöhnliche Aktion, meint Beatrice Fihn von der Internationalen Kampagne für ein Atomwaffenverbot - einer Nichtregierungsorganisation, die sich seit Jahren für eine Ächtung der Atomwaffen einsetzt: "Es war schon etwas komisch, dass die mächtigsten Staaten der Welt draußen vor dem Sitzungssaal protestierten, während der Rest der Welt drinnen mit den Verhandlungen begann. Normalerweise ist das ja umgekehrt. Das zeigt, dass die Atommächte erkannt haben, dass dieser Vertrag Wirkung haben wird, auch wenn sie ihm nicht beitreten. Sonst würden sie sich die Mühe sparen, dagegen zu protestieren".

Die Atommächte und ihre Bündnispartner befürchten, dass sich durch einen Verbotsvertrag das internationale Meinungsklima stärker gegen ihre Sicherheitspolitik wenden könnte, die sich gegenwärtig ja auf Atomwaffen stützt - als sogenannte "letzte Sicherheit". Aber genau das erhoffen sich die Befürworter eines Verbotsvertrages: Eine weitere politische Delegitimierung von Atomwaffen und der Abschreckungslogik - auch wenn juristisch eine Ächtung dieser Waffen für die Atommächte zunächst keine unmittelbaren Folgen hätte. Beatrice Fihn: "Ein Vertrag, der Atomwaffen verbietet, wird eine sehr starke Botschaft an die Nuklearmächte und die ganze Welt sein, dass diese Waffen nicht akzeptabel sind. Und wenn der Vertrag in Kraft tritt, dann müssen die Atommächte Position dazu beziehen, dass die Mehrheit der Welt diese Waffen für illegal hält. Dadurch wird sich am Ende letztlich auch das Verhalten der Nuklearstaaten verändern".

Hintergrund der internationalen Bewegung für einen Atomwaffenverbotsvertrag ist, dass sehr viele Staaten unzufrieden sind, dass die Atommächte bisher nicht entsprechend ihrer Verpflichtung im Atomwaffensperrvertrag deutliche Schritte in Richtung einer totalen Abschaffung der Nuklearwaffen unternommen haben. Im Gegenteil. Gegenwärtig sind alle Atommächte dabei, ihre Nuklearwaffen zu modernisieren. Dabei wird auch auf atomare Systeme gesetzt, die weniger als Abschreckungswaffen dienen, sondern vor allem als Kriegsführungswaffen einsetzbar sind. Heute gibt es noch immer etwa 15.000 Atomsprengköpfe - genug, um die Welt gleich mehrfach zu zerstören. Obwohl über neunzig Prozent davon im Besitz der USA und Russlands sind, finden seit Jahren zwischen diesen beiden Ländern keine Verhandlungen mehr über weitere Abrüstungsschritte statt. Ein Verbotsvertrag werde daran wohl unmittelbar nichts ändern, meint der Rüstungsforscher Giorgio Franceschini: "Natürlich kann man erst einmal sagen, die Atommächte, die gerade dabei sind, ihre Atomwaffen zu modernisieren, werden sich nicht beeindrucken lassen. Allerdings könnte es sein, dass über Zeit sich gewisse Dinge verändern könnten. Es könnte einige Atommächte zu einer gewissen Zurückhaltung verleiten, was Doktrinen betrifft, was auch nukleares Auftrumpfen betrifft."

Ein Argument, dass die Atommächte wie auch die Bundesregierung gegen eine Nuklearwaffen-Ächtung ins Feld führen, ist, dass eine solche Vereinbarung den 1970 in Kraft getretenen Nichtweiterverbreitungsvertrag schwächen würde. Dieses Abkommen, dass oft auch als Atomwaffensperrvertrag bezeichnet wird, gilt als die zentrale Grundlage für alle Bemühungen, die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen zu verhindern und eine vollständige atomare Abrüstung zu erreichen. Diese Sorge ist von den Atommächten möglicherweise aber nur vorgeschoben. Denn in dem vorliegenden Entwurf für einen Verbotsvertrag wird die "entscheidende Bedeutung" des Nichtweiterverbreitungsvertrages ausdrücklich hervorgehoben. Bekräftigt wird, zudem, dass die darin eingegangenen Verpflichtungen weiterhin auch für alle Staaten gültig bleiben, die dem Verbotsvertrag beitreten. Insofern wird der Nichtweiterverbreitungsvertrag durch ein Atomwaffenverbot eher gestärkt als geschwächt. Das glaubt auch Alicia Sanders-Zakre von der "Arms Control Association" in Washington: "Es ist ein wichtiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen. Es ist aber nicht der einzige Schritt. Wenn der Verbotsvertrag vereinbart ist, werden zusätzliche Bemühungen notwendig sein, um die Nuklearwaffenstaaten einzubeziehen und eine wirkliche Verringerung von Atomwaffen zu erreichen."

Von den EU-Staaten werden wohl zumindest Irland, Österreich und Zypern dem Vertrag beitreten. An den Verhandlungen beteiligten sich bisher auch die Niederlande - als einziges NATO-Mitglied. Im Parlament in Den Haag hat es für die Teilnahme an den Verhandlungen eine Mehrheit gegeben, obwohl die Regierung dies abgelehnt hat. Es bleibt abzuwarten, ob es im niederländischen Parlament auch einen Mehrheit für einen Beitritt zu einem Verbotsvertrag geben wird. Dann müssten die circa 20 in den Niederlanden stationierten US-Atomwaffen abgezogen werden. Die Folge: Eine Diskussion in der NATO über die nukleare Abschreckungsdoktrin wäre unumgänglich.

Doch selbst wenn die Atommächte und ihre Alliierten - zumindest vorerst - einem Verbotsvertrag nicht beitreten: Entsprechend dem Entwurf werden die Unterzeichnerstaaten alle zwei Jahre zusammenkommen, um über die Umsetzung des Abkommens sowie über weitere nukleare Abrüstungsschritte zu beraten. Damit wird im Rahmen der UN ein weiteres internationales Forum geschaffen, mit dem der Druck auf die Nuklearmächte erhöht werden könnte.

Indirekt könnte eine vereinbarte Ächtung von Atomwaffen damit auch direkte Abrüstungsschritte ermöglichen. Entsprechende Gespräche sind für die US-Rüstungsexpertin Alicia Sanders-Zakre überfällig: "Dialoge sind besonders wichtig. Und die fehlen gegenwärtig sowohl beim Atomstreit zwischen den USA und Nordkorea wie auch zwischen den USA und Russland. Der Verbotsvertrag könnte die Nuklearmächte dazu anstoßen, Verhandlungen über eine Reduzierung nuklearer Waffensysteme zu beginnen."

Trotzdem: Ein Atomwaffenverbotsvertrag, dem die Nuklearmächte und ein Großteil der NATO-Verbündeten nicht beitreten, wird kurzfristig vermutlich nur eine eher symbolische Bedeutung haben.

Leicht veränderte Version eines Beitrags für "Streitkräfte und Strategien" (NDR-Info, 04.06.2017).

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 13/2017 vom 19. Juni 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2017

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