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GEGENSTANDPUNKT/178: Enteignungspläne im Fall Hypo Real Estate


GEGENSTANDPUNKT
Politische Vierteljahreszeitschrift 1-2009

Enteignungspläne im Fall Hypo Real Estate: Steuerzahler vs. Aktionäre

Geistesverwirrung & Streit um das Rettungsübernahmegesetz


Nachdem der krisenhafte Geschäftsbetrieb der HRE als Großfinancier und weltgrößter Pfandbriefemittent nur mehr mittels stets wachsender Staatszuschüsse und -garantien aufrecht erhalten werden kann, ein Konkurs aber wegen der erwarteten Folgen für das Finanzsystem - "Tsunami", "Springflut", "apokalyptisch" (Katastrophenlyrik der SZ, 20.2.09, stellvertr. für alle) - nicht in Frage kommt, beschließt die Regierung, wenn sie schon zahlt, schnellstmöglich auch das Anschaffen in dem bankrotten Laden zu übernehmen. Durch die Übernahme eines beherrschenden Aktienanteils soll der systemrelevanten Bank die Bonität eines Staatsinstitutes und damit wieder Zugang zum dringend benötigten Kredit auf den einschlägigen Märkten verschafft werden. Das soll entweder durch den möglichst billigen Aufkauf der weitgehend entwerteten Aktien seitens des staatlichen Rettungsfonds Soffin geschehen, oder durch eine Kapitalerhöhung, die, verbunden mit zweckdienlichen Änderungen des Gesellschaftsrechts, die Altaktionäre ohne Mitwirkungs- und Bezugsrechte in eine bedeutungslose Stimmenminderheit verwandelt. Oder am Ende, wenn das alles nichts hilft oder dem Staatsfonds zu teuer wird, als "ultima ratio" und "nachrangig gegenüber milderen Mitteln" (Präambel, Buchst. A, Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz), durch ein eilig vorbereitetes Enteignungsgesetz. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Entschädigung der enteigneten Aktionäre, der Größte von ihnen ein amerikanischer Investor mit ca. 24 % der Anteile, könnte dann zum niedrigen Zeitwert der Aktien erfolgen.

Die Dramatik des Anlasses wie auch die grundgut-systemverträgliche gesetzgeberische Absicht sollen - neben den Beteuerungen der Gesetzesmacher - auch im Titel des Teils des Paragrafenwerkes deutlich zum Ausdruck kommen, in dem das Verfahren der Enteignung geregelt ist - Rettungsübernahmegesetz - und in der Befristung des Enteignungsbeschlusses bis 30. Juni 2009 (Paragraph 6 Abs. 1 RettungsG)

Die öffentliche Erregung, die diese Pläne hervorrufen, ist beachtlich: Obwohl es sich bei dem Gegenstand der evtl. Enteignungsaktion nur um einen längst "wertlosen Misthaufen" (SZ, 23.2.) handeln soll und der ganze Betrieb "keine drei Euro wert ist, geschweige denn die Aktie die drei Euro, die die Aktionäre verlangen" (SZ, 20.2.), brechen Wirtschaftskreise in und außerhalb der CDU, organisierter Mittelstand, Industrie und Arbeitgeber samt FDP in vielstimmiges Entsetzen aus über den "Tabubruch", den "Wahnsinn" und "Verrat" (süddeutsche.de, 19.2.), den das Enteignungsgesetz möglicherweise Wirklichkeit werden lässt.

Die Pro-Fraktion, mit einer starken agitatorischen Bastion in der SZ-Redaktion, macht sich mit Argumenten grundsätzlichen Kalibers stark für den Gesetzentwurf der Regierung: Mit ihrem bodenlosen Geschäftsmodell als "Schuldenverteil- und Schuldenmach-Bank" ging es der HRE stets nur darum, "möglichst viel Geld auszuleihen, um wieder viel Geld verleihen zu können", so dass sie am Ende als "Pleitebank Deutschland gefährdet." (Kister, SZ, 20.2.) Auch wenn man den Redakteur Kister gerne fragen würde, wie viele Banken er kennt, die jemals ein anderes Geschäftsmodell gepflegt haben - was zählt, ist der Vorwurf durch Misserfolg zum nationalen Risiko und damit verdientermaßen zum Gegenstand staatlicher Korrekturaktionen geworden zu sein. Ein rechtskundiger Kollege erkennt dabei nicht nur auf ein Recht, sondern sogar auf eine Pflicht zur Enteignung "aus vorangegangenem Tun, ... um dem Steuerzahler für seine vielen Milliarden das bisschen an Gegenwert zu geben, das noch da ist." (Prantl, SZ, süddeutsche.de, 15.2.) Der Kumpel aus der Wirtschaftsredaktion, naturgemäß weniger mit Rechts- dafür mehr mit wirtschaftlichen Erfolgsfragen befasst, segnet die Argumentation auch aus der Sicht seines Ressorts so entschieden ab, dass von dem inkriminierten E-Wort ohnehin kaum mehr etwas übrig bleibt: Hier ist nämlich von einer Enteignung die Rede, "die eigentlich keine ist ... Richtiger wäre wohl, dass die Regierung aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen heraus ein Institut übernimmt, das sie seit Monaten künstlich am Leben erhält, dessen Eigentümer sich ergo als unfähig erwiesen haben ... Verstaatlichung damit sogar aus marktwirtschaftlicher Sicht konsequent" (Hulverscheidt, süddeutsche.de, 18.2.)

Der dergestalt blitzsauber begründete Standpunkt findet denn auch zu einer klaren Handlungsanweisung: "Nicht einen Cent mehr" (SZ, 21.2.) als den "aktuellen Marktpreis" sollte man dem US-Investor Flowers für seine Aktien zahlen. In einer Abwägung zwischen dem - wenn auch nur in "normalen Zeiten - ... legitimen und verständlichen" Interesse "so viel wie möglich aus seiner desaströsen Investition herauszuschlagen" und dem des "Steuerzahlers, der mit Milliardensummen ... etc.", also "des Staates und seiner Bürger" (SZ, ebd.), zieht Flowers klar den Kürzeren.

Allerdings: Dass "ein Zwangszugriff auf die Aktien der HRE ... einen anderen Rang" hat, als die "kleine Enteignung ... widerborstiger Bauern" wegen eines Autobahnbaus, das wollen auch die öffentlichen Anwälte der Steuerzahler und der Systemrettung nicht leugnen. Da "greift der Staat ins Herz des Kapitalismus", wenn auch "als Nothilfe" und "nicht zur Systemveränderung". (süddeutsche.de, 21.2.)

Das kann die Fraktion der Contras jedenfalls teilweise bestätigen: Sie fühlen sich demonstrativ und stellvertretend für den ganzen deutschen Kapitalismus durch die Enteignungspläne ans Herz gegriffen, in dem ihr Interesse, aus jeder Investition so viel wie möglich herauszuschlagen, auch und gerade wenn sie desaströs war, als subjektives Grundrecht wohnt. Sie halten lautstark dafür, dass - egal wie gut die Absicht sein mag - immer schon ein Stück Systemveränderung zum Schlechten in Gang ist, wenn "volkswirtschaftliche Gründe" ausreichen sollen, die Heiligkeit des Eigentumsrechtes anzutasten. Eigentum wegzunehmen soll plötzlich "marktwirtschaftlich konsequent" sein? Und Eigennutz systemschädlich, wo dessen Erfolge, als nationales Wachstum aggregiert, schon immer der Ausweis seiner Gemeinnützigkeit waren? Das alles nur wegen ein bisschen Krise?

So drohen also Anlegerschützer mit Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, BDI und Arbeitgeberverbände befürchten die "nachhaltige Zerstörung des Vertrauens von in- und ausländischen Investoren in den Investitionsstandort Deutschland" (Zeit online, 19.2.) Und die Lobbyisten des Kapitals in den Mittelstandsvereinen und Wirtschaftsräten der CDU werden gleich ganz grundsätzlich. Enteignungen "vergehen sich an den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft", dienen als "Vorwand für den Einzug der Staatswirtschaft", sind ein "ordnungspolitischer Tabubruch, der nicht mehr tragbar ist" und ein "Verrat am Profil der CDU". Kurzum: Das Rettungsübernahmegesetz "zerstört die Fundamente unserer freiheitlichen Ordnung." (Div. CDU-Stimmen, SZ, 19.2.)

Wenn also jetzt ein Gegensatz sein soll zwischen System- und Eigentümerinteresse, dann, so das Ergebnis der Interessenabwägung im Contra-Lager, um so schlechter für das erstere: Es muss doch allemal ein Scheißsystem sein, das sich für seine Rettung am privaten Eigentum vergreifen muss, ein anderes als das, was sie wollen, ein falsches jedenfalls und wert, dass es zugrunde geht!

Deswegen hat Westerwelle für die Kanzlerin aus den alten VEB-Provinzen des Ostens einen "einfachen Lehrsatz" parat, wie einen freiheitlichen Trompetenstoß: "Enteignung ist Sozialismus!" (Zeit online, ebd.) Und das Lager der Befürworter des "Rettungsübernahmegesetzes" kann nur mehr verwundert den Kopf schütteln über die Radikalität der Kritiker: "Dabei spielt die Frage, was eine Pleite für Folgen für das gesamte Bankensystem hätte, für keinen eine herausgehobene Rolle." (SZ, 19.2.)


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Dennoch sind tätliche Auseinandersetzungen zwischen den Lagern nicht zu erhoffen. Die Anwälte und Aktivisten des Finanzkapitals sind zwar aus voller Überzeugung so empört wie sie tun, weil sie wissen, dass ihre freiheitlichen Grundsätze sich auch im vorliegenden Fall in Gewinn und Verlust niederschlagen und das private Eigentum bei den allfälligen Preisfragen erst so richtig spannend wird: Drei Euro pro Aktie bei Übernahme durch den Soffin-Fonds, oder nur einszwanzig minus x als Entschädigung bei Enteignung?! Das sind Alternativen, die das Blut freier Bourgeois in Wallung bringen. Aber noch ist Hoffnung und der Marsch der Investoren und Mittelständler aufs Parlament kann noch warten: Schließlich kennt man seine Staatsgewalt als traditionell befreundete politische Macht, die immerhin schon in grauer Vorzeit das private Eigentum unwidersprechlich ins Recht gesetzt und bis zum heutigen Tag ohne Rücksicht auf Verluste an Mensch und Material als "elementares Grundrecht" und "Werteentscheidung von besonderer Bedeutung" (BVerfGE 14,263) wacker verwaltet hat. Vielleicht kann man ja noch mal reden: Wenn Enteignung nur die "ultissima ratio" (Wirtschaftsminister Guttenberg) sein soll, dann lässt sich doch vielleicht für den Staat "eine qualifizierte Mehrheit von 75 Prozent bei der HRE" auch anders erreichen. Auf eine Weise evtl., bei der "die Aktionäre zwar entmündigt ... aber eben nicht enteignet" würden (ein 'Aktionärsschützer', SZ, 19.2.).

Eben das hat sich ja auch das Rettungsübernahmegesetz vorgenommen: Es haben ja weder die Gesetzesmacher noch die staatsbürgerlich verantwortungsbewussten Parteigänger der Systemrettung - notfalls auch durch Enteignung - vor, Anträge einzubringen, die auf den Widerruf der Privatmacht des Eigentums über den Reichtum der Gesellschaft zielen. Vielmehr soll diese Macht in der Krise in den Stand versetzt werden, die Bilanzen des kapitalistischen Wachstums irgendwann wieder ins Plus zu bringen. Vielleicht schafft es der Finanzminister ja, mit "milderen Mitteln" zu den Anteilen der HRE zu kommen, wenn das nicht zu teuer wird für die staatlichen Schuldenverwaltung. Die bastelt ja mitten im schönsten Billionenschwindel an Schuldenbremsen und hält fiskalische Sparsamkeit sowie den Schutz des Steuerzahlers als ihre seriösen Prinzipien so hoch, dass auch die dringend erwünschten Käufer von Staatsanleihen sie gut sehen können. Bei soviel gemeinsamem Interesse am Erfolg des nationalen Kapitalismus und seiner grundrechtlich gerüsteten Privateigentümer gibt es sicher auch in Zukunft viel zu streiten. Steuerzahler und Anleger, Systemretter und scharf rechnende Investoren, Citoyens und Bourgeois, sind eben doch immer nur - ach! - zwei Seelen in derselben Brust, resp. zwei Backen am selben Arsch.


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2009