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GEGENWIND/363: Munition in Nord- und Ostsee - Tickende Zeitbombe


Gegenwind Nr. 246 - März 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Munition in Nord- und Ostsee
Tickende Zeitbombe

Von Lutz Heilmann, MdB


Jahrzehntelang wurden Nord- und Ostsee als Müllkippen missbraucht. Neben allem, was die "Zivilisation" nicht mehr gebrauchen konnte, wurden riesige Mengen an Munition und Kampfstoffen in beiden Meeren versenkt.


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Sei es durch Bombenangriffe im zweiten Weltkrieg, die ihr Ziel verfehlten, durch das Betreiben großer Übungsgebiete der Bundeswehr oder durch großangelegte Verklappungsaktionen, in denen die Bestände der Reichsarmee, der Wehrmacht, der Bundeswehr, der Nationalen Volksarmee und auch der NATO versenkt wurden.

Schätzungen gehen davon aus, dass in der Nord- und Ostsee knapp eine halbe Million Tonnen intakte Munition vor sich hin rosten.

Dabei handelt es sich nicht nur um ein paar versenkte Metallhülsen, aus denen gelegentlich mal ein Luftbläschen aufsteigt. Nein, neben Minen, Torpedos und Granaten rosten auch Bomben der Kategorie "Großkampfstoffe" vor sich hin. Sie wurden gebaut, um ganze Schiffe zu versenken und Menschen zu töten. Dabei ist es unerheblich, ob sie durch ihre Sprengkraft oder durch ihre giftige Wirkung ihren teuflischen Auftrag erfüllen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bis heute, zumeist in Deutschland, insgesamt 581 Opfer, davon 283 Todesfälle. Die Unglücksursachen sind vielfältig.

Neben spontanen Detonationen, werden die Bomben durch am Meeresboden schleifende Anker von Schiffen berührt und auf Grund ihrer angerosteten Ummantelung zur Explosion gebracht.

Neben den Explosionen besteht die Gefahr der Vergiftung insbesondere für Fischer durch Chlorgas, Arsen und Phosgen. Mit ihren Netzen holen sie die Munition an Bord ihrer Kutter. Durch den Druckunterschied bzw. die mechanischen Einwirkungen beim Netzeinholen zerfallen die Bomben oder Granaten an Deck und setzen die enthaltenen Giftstoffe frei. Atemnot, Erstickungen und Verätzungen der Fischer sind die Folge.

Für Badende und Erholungssuchende besteht die Gefahr von Verbrennungen durch die an die Strände gespülten Phosphorteilchen. Diese werden mit Bernsteinen verwechselt und verursachen starke Verbrennungen, sobald der aus Brandmunition stammende Phosphor getrocknet ist.

Aber auch das Ökosystem ist betroffen. Neben den Giften, an denen Fische und Pflanzen verenden, werden Giftsstoffe auch in geringeren Konzentrationen von den Lebewesen aufgenommen und gelangen so in die Nahrungskette.

Die Gefahr für Mensch und Tier ist nicht mehr zu leugnen. Die Zeitungsmeldungen häufen sich. Erst im vergangenen Frühjahr starben wieder drei niederländische Fischer, als eine Bombe an Deck ihres Kutters explodierte.

Es ist daher an der Zeit zu handeln! Nur wie und wer? Mangels einer eindeutigen rechtlichen Zuständigkeit streiten sich die Länder mit dem Bund und schieben sich gegenseitig die Pflicht zur Beseitigung zu. Nicht ohne Grund, denn schließlich kostet die Bergung und Entsorgung am Ende Geld, viel Geld.

Es gibt Zuständigkeitsregelungen. Doch diese gelten nur für bestimmte Fundorte, bestimmte Sprengkörper oder zielen auf die Herkunft der Munition ab.

So hängt es z.B. davon ab, ob die Altlasten innerhalb oder außerhalb der 12-Meilen-Zone liegen.

Ist deutsches Recht anwendbar, so ist die Gefahrenabwehr den Ländern zugeordnet, soweit diese Aufgabe nicht dem Bund zugewiesen ist. Das heißt, die Gefahr von Badenden, Sporttauchern und Fischern muss das jeweilige Bundesland abwehren.

Nach dem Seeaufgabengesetz hat der Bund in Küstengewässern die Aufgabe, die Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs, aber auch nur des Schiffsverkehrs, abzuwehren, obwohl es sich um die gleiche Gefahr - Kampfmittel aus zumeist deutschen Händen - handelt. Nach dem Grundgesetz hat der Bund die Pflicht, sofern es sich um Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg handelt. Nach dem allgemeinen Kriegsfolgengesetz ist der Bund zuständig, sofern die Munition aus Verteidigungsanlagen stammt. Nach dem Einigungsvertrag ist der Bund für Munition aus der DDR zuständig und nunmehr mit der Föderalismusreform 2006, wenn die Munition vom Aussterben bedrohte Arten im Meer gefährdet.

Darüber hinaus fordert die Linke eine umfassende öffentliche Meldepflicht, Katalogisierung und Kartographierung aller Sprengstofffunde, Munitionsunfälle, sowie Munitionsverluste. Deren Kennzeichnung ist lebenswichtig für die Nutzerinnen und Nutzer von Nord- und Ostsee. Schließlich muss endlich mit der raschen und systematischen Bergung bzw. Entschärfung der Munition begonnen werden. Dazu fordert die Linke ein 10-Jahres-Programm.

Die Linke fordert das "Wirrwar" an Zuständigkeiten zu beenden. Es kann nicht sein, dass für jede Bombe die Verantwortlichkeit erneut geprüft werden muss. Als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches hat der Bund die Pflicht dessen Hinterlassenschaften zu beseitigen. Das der Bund für seine eigenen Erblasten sorgen muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Um das alles zusammen zu führen muss eine eindeutige gesetzliche Regelung geschaffen werden.


Lutz Heilmann, MdB, Mitglied des Umweltaussschusses des Bundestages und Naturschutzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag


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Quelle:
Gegenwind Nr. 246 - März 2009, Seite 42-43
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009