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GEGENWIND/371: Konzerndominanz und Wettbewerb - Perspektiven für den Tourismus


Gegenwind Nr. 248 - Mai 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Konzerndominanz und Wettbewerb
Perspektiven für den Tourismus - lokal, regional und grenzüberschreitend

Von Klaus Peters


Wie andere Lebens- und Wirtschaftsbereiche ist auch der Tourismus Veränderungen unterworfen. Diese Veränderungen werden durch eine große Zahl verschiedener Faktoren bestimmt: Informationen, Erfahrungen, Werbung, finanzielle Mittel, Preis-Leistungsverhältnis, zur Verfügung stehende freie Zeit, verkehrstechnische Entwicklungen, Bewusstseinsveränderungen, klimatische Bedingungen, Landschaftsentwicklung, Ausstattung der Feriendomizile, Umweltbedingungen, Architektur, Ortsbild, Entfernung, Publikum, Freizeiteinrichtungen und anderes mehr.


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Die Ferien- und Urlaubswochen werden oft als die wichtigsten Wochen des Jahres bezeichnet. Ferienreisen für Jedermann über die eigene Region hinaus sind aber erst seit einigen Jahrzehnten möglich. Spätestens seit den siebziger Jahren ist auch vom Massentourismus die Rede.

Als Reaktion auf den Massentourismus, Reisen in immer weiter entfernt liegende Zielorte, die vorwiegend mit dem Auto, anfangs mit dem Zelt, oder dem Flugzeug erreicht wurden, entwickelten sich parallel andere Urlaubsformen. Als andere Urlaubsformen sind zu nennen: Bildungsurlaub, Abenteuerurlaub, Schiffsreisen, Skiurlaub und andere Sonderformen des Reisens: Fahrradreisen, Bootstouren, Wanderreisen, Klettern, Planwagenfahrten, Reiturlaub, Fastenreisen, Wellnessurlaub. Massentourismus und sanfter oder nachhaltiger Tourismus schließen sich eigentlich weitgehend aus. Es gibt allerdings Versuche, durch Zertifizierungen und Überplanungen auch den Massentourismus umweltverträglicher zu gestalten. Als Alternative zum Reisen ist in den letzten Jahren durch Bewusstseinsveränderungen oder aus finanziellen Gründen auch die Naherholung wiederentdeckt worden.

Wie in anderen Branchen hat sich im Tourismus auch ein großer Konzentrationsprozess vollzogen. Zwar gibt es fast überall auch noch einer großen Anzahl kleiner privater Vermieter. Die Anzahl der Konzerne und mittelständischen Tourismusakteure hat jedoch zugenommen. Tourismuskonzerne wie TUI verfügen über Reisebüros, Flugzeuge und Schiffe, über Ferienanlagen und Freizeiteinrichtungen. Oft kooperieren diese Anbieter mit Reiseveranstaltern vor Ort, mit Busunternehmen oder Autovermietungen. Die entsprechenden Komplettangebote kann kein Privatvermieter machen, eine konkurrenzfähige Preisgestaltung ist oft nur mit hohem persönlichem Einsatz realisierbar. Nur durch öffentliche oder auch private Tourismusbüros können Interessenten die gewünschten Angebote zusammengestellt werden.

Die Konkurrenzsituation mit den Konzernen, anderen Regionen und Ländern hat allerdings auch schon manchen Tourismusverband mit den ihm angeschlossenen Tourismusbüros bzw. -zentralen in finanzielle oder personelle Turbulenzen gebracht. Allzu oft sind auch Entwicklungen verschlafen oder Fehlinvestitionen getätigt worden. Die Folgen waren ungezügelter Landschaftsverbrauch durch Appartment- und Hotelanlagen mit der zugehörigen Infrastruktur, Verkehrsstaus trotz zusätzlicher Schnellstraßen und Autobahnen, Erhöhung der Unfallgefahren, Lärmbelästigung und Abgasbelästigung durch Autoverkehr und Flugbetrieb - durch erhöhten Straßenverkehr und erleichterten Flugbetrieb wurde die Bahn unattraktiver und vernachlässigt -, Zerstörung von örtlicher Bausubstanz und örtlichen Gemeinschaften, einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus.

Die spät vorgelegten Konzepte waren und sind unzureichend. Die vorhandenen Mängel sind auch durch schnelle Paradigmenwechsel nicht verschwunden. Die inzwischen aufgebaute wissenschaftliche Begleitung wirkt eher im Hintergrund und kann schwerwiegende Fehler nicht ohne weiteres kompensieren oder beseitigen.

Den Schleswig-Holsteinischen Tourismusverband, seine Untergliederungen wie der Nordseebäderverband haben einige Umstrukturierungen überstehen müssen. Nachhaltigkeit, Nationalpark, Naturschutz, ökologischer Landbau, Regionalmarketing, Biosphärenreservat und UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer sind kein integraler Bestandteil der bisher vorliegenden Tourismuskonzeptionen. Stattdessen wird weiter auf Strandbefahrung, Großveranstaltungen und Großprojekte (wie Fehmarnbeltquerung oder Großwindparks) gesetzt, die nachhaltigem Tourismus entgegenstehen. Der bisherige Leiter der. Schleswig-Holsteinischen Tourismusagentur wird übrigens, nach Pressemeldungen u. a. wegen Etatkürzungen und Kritik an der von ihm vertretenen Konzeption, nach Stuttgart wechseln.

Die systembedingten Probleme, z.B. Verpflichtung zur Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien, Entflechtung oder Vergesellschaftung von Konzernen, lassen sich ohnehin nur durch einen nationalen, europäischen oder globalen Paradigmenwechsel lösen. Auf nationaler Ebene kommt es darauf an, das Bahnreisen attraktiver zu machen, das schließt eine schnelle Anbindung der ländlichen Regionen ein. Auf nationaler oder europäischer Ebene muss eine Kerosinsteuer eingeführt werden, solange internationale Regelungen nicht zu erreichen sind. Lokale und, regionale Akteure sollten auf Nachhaltigkeit ausrichtete Konzepte fordern. Diese Konzepte müssen auch notwendige Rückbaumaßnahmen einschließen. Private Kleinvermieter sind zu unterstützen. Neue Elemente, wie überdachte Freizeiteinrichtungen, Nostalgiefeste oder Betreuungseinsätze sollten in die Konzepte eingefügt werden. Anspruchvolle Bildungs-/Kulturangebote müssen fester Bestandteil der Veranstaltungsprogramme sein.

Das Konzept des Landes und die teilweise für die Kreisebene (Nordfriesland 1997/Bericht 2005) und Ortsebene vorliegenden Konzepte enthalten prinzipiell einige gute Ansätze, diese müssen jedoch zeitnah umgesetzt und evaluiert(1) werden. Gleiches gilt natürlich für Regionale Entwicklungskonzepte (REK Nordfriesland: Analyse 2003/ Handlungsrahmen 2004).

Die Regionen, wie Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Süddänemark, sollten stärker miteinander kooperieren als konkurrieren. Die Öffentlichkeit müsste objektiv über die negativen Folgen bestimmter Urlaubs- und Reiseformen aufgeklärt werden.


Anmerkung:

(1) Die strategische Neuausrichtung auf die 3 Zielgruppen: Familien, anspruchsvolle Singles und Paare sowie ältere Menschen (Best Ager) findet allerdings nicht ungeteilte Zustimmung. Eine Evaluation des Tourismuskonzeptes Nordfriesland ist 2004 durchgeführt worden.


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Veröffentlichungen des Ministeriums für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Landes Schleswig-Holstein:

Das Tourismuskonzept für unser Land, gemeinsames Handeln. Gemeinsamer Erfolg! (2007)
Reiseziel Schleswig-Holstein: Gemeinsam zum Erfolg, Die touristische Neuausrichtung ist angelaufen (2007)
Schleswig-Holstein-Tourismus: Mit Qualität in die Zukunft, Informationshandbuch (2008)

Zusammen mit dem Tourismusverband Schleswig-Holstein herausgegeben:

Mehr Erfolg durch Kooperation, Ein Leitfaden zur Optimierung lokaler Strukturen im Tourismus in Schleswig-Holstein - Teil 1 (2008)
Teil II, Erfolgsfaktoren und Lösungsvorschläge aus der Praxis (2009)

Weitere interessante Veröffentlichungen zu Ortsentwicklungskonzepten, die zusätzlich zu Regionalen Entwicklungskonzepten und vor Tourismuskonzepten erarbeitet werden müssten:

Hoschschule Vechta: Studienobjekt Ortsentwicklungskonzept Brinkum (2003/2004)
Ministerium für Umwelt und Ministerium für Inneres und Sport des Saarlandes: Integrierte Gemeindeentwicklungskonzepte, Leitfaden für Städte und Gemeinden im Saarland (2008)

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Fakten und Zahlen

Tourismus allgemein

Das touristisch meist besuchte Bundesland ist Bayern mit rund 74 Millionen Übernachtungen, an zweiter Stelle steht Baden-Württemberg. Schleswig-Holstein liegt dicht hinter Mecklenburg-Vorpommern auf Platz 7 mit rund 22 Millionen Übernachtungen. Der Anteil der Ausländer beträgt im Durchschnitt etwa 13 Prozent.

Der Umsatz beträgt in Deutschland mit 2,8 Millionen Beschäftigen (teilweise Saisonkräfte) 140 Milliarden Euro, für Auslandsreisen werden in Deutschland jährlich rund 60 Milliarden Euro ausgegeben.


TUI

Die deutsche TUI AG mit Sitz in Hannover ist das größte Touristikunternehmen Europas und ist mit eigenen Gesellschaften, Reisebüros oder Hotels in zahlreichen Ländern vertreten. TUI ist aus verschiedenen Touristikunternehmen (Scharnow, Hummel, Dr. Tigges, Touropa) hervorgegangen, später kamen andere Beteiligungen hinzu, über Hapag-Lloyd ist sie aber auch an der Containerschifffahrt beteiligt. Die TUI AG (zwischenzeitlich auch Preussag AG) beschäftigt heute rund fast 70.000 Mitarbeiter. Der Umsatz betrug 2007 knapp 22 Mrd. Euro. TUI verfügt über:

- ca. 3200 eigene Reisebüros,
- 70 Reiseveranstalter,
- 152 Flugzeuge
- 279 eigene Hotels mit rund 165.000 Betten
- 141 Containerschiffe.
- 4 Kreuzfahrtschiffe.

Die TUI ist seit den siebziger Jahren auch an diversen Hotelketten beteiligt: Iberotel, RIU, Grecotels. Nach einer kürzlich erschienenen Meldung planen TUIfly und Air Berlin eine Zusammenarbeit.


Flugtourismus

Schleswig-Holstein ist über den Flughafen Hamburg und teilweise auch über den Flughafen Lübeck-Blankensee an das Flugnetz angeschlossen. Von Lübeck werden ca. 12 Innereuropäische Ziele, überwiegend durch sogenannte "Billigflieger" wie Ryanair angeflogen. Insgesamt sind in Deutschland inzwischen 10 größere Billigflieger tätig. Viele Bundesländer bemühen sich mit hohen Subventionen, Billigfliegern attraktive Regionalflughäfen anzubieten. Die Regionalflughäfen, insbesondere deren Ausbau sind wegen der finanziellen Defizite, der Fluglärmbelästigungen und des Landschaftsverbrauchs, oft auch Beeinträchtigung von Wald oder Naturschutzgebieten, sehr umstritten. Im Raum Lübeck sind etwa 1000 Personen in Vereinen aktiv. Durch Klagen konnten Einschränkungen bewirkt werden.

Näheres über die negativen Umweltwirkungen des Fliegens, die Situation der Angestellten bei den Low-Cost-Airlines über den Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD). www.vcd.org.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 248 - Mai 2009, Seite 18-20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2009