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GEGENWIND/373: Wahl des Europäischen Parlamentes - Eine Stimme für die Menschenrechte?


Gegenwind Nr. 248 - Mai 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Wahl des Europäischen Parlamentes
Eine Stimme für die Menschenrechte?

Von Manuel Raschke


Der Tod von nahezu 10.000 Flüchtlingen seit 1988 an Europas Küsten oder die von europäischen Regierungen geduldete Verschleppung von Terrorverdächtigen durch die CIA und deren mutmaßlichen Geheimgefängnisse in Osteuropa - dies sind nur zwei Kritikpunkte, welche Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International anführen, um die Lücke zwischen dem Selbstanspruch der EU als Vorreiter in der Menschenrechtspolitik und der tatsächlichen Realität in Europa zu verdeutlichen.

Dabei spielt für eine europäische Menschenrechtspolitik, welche diese Kluft zwischen reiner Rhetorik und wahrnehmbarer Wirklichkeit schließen möchte, das Europäische Parlament eine immer gewichtigere Rolle. Angesichts der Neuwahl des Europäischen Parlamentes am 7. Juni fordert Amnesty daher die Bürgerinnen und Bürger der EU auf, die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien zur Europawahl für eine aktive Menschenrechtspolitik zu verpflichten.

Die tausende Flüchtlinge, die sich jedes Jahr auf den gefährlichen Weg nach Europa machen und von denen etliche den Tod auf dem Landweg zuvor oder bei der Überfahrt über das Mittelmeer bzw. den Atlantischen Ozean finden, stellt dabei eines der drängendsten Menschenrechtsproblemen in der EU dar. Nicht allein wirtschaftliche Gründe, sondern auch Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen im eigenen Land treiben die Männer, Frauen und Kinder aus Afrika und anderen angrenzenden Regionen Europas zu dieser lebensgefährlichen Flucht in die EU.

Beispielsweise beantragten 2008 auf Malta nach einem Bericht der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR von den per Boot und kleinen Schiffen ankommenden Flüchtlingen 70 Prozent Asyl in der EU, wobei wiederum die Hälfte der Asylanträge von den Behörden anerkannt wurde.

Zwar nehmen die europäischen Regierungen das sich jedes Jahr wiederholende Flüchtlingsdrama durchaus wahr und erwägen Möglichkeiten für eine ungefährliche und legale Einwanderung nach Europa, doch letztendlich können sie sich im Europäischen Rat der Regierungschefs immer wieder nur auf weitere Maßnahmen zu einer noch stärkeren Abschottung der EU einigen. Angestrebtes Ziel ist dabei, die Flüchtlinge schon vor Erreichen der Grenzen der EU abzuweisen.

So hat die neu geschaffene Gemeinschaftsorganisation FRONTEX zur Sicherung der Außengrenzen der EU im letzten Jahr knapp 6.000 Bootsflüchtlinge, welche die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln erreichen wollten, noch auf hoher See zurück zur afrikanischen Küste hin wieder abgedrängt. Welche Methoden die Grenzbeamten dabei verwenden, um die Flüchtlinge bei derartigen Operationen von FRONTEX abzuwehren, schilderte auf erschütternde Weise der Haupteinsatzleiter der italienischen Militärpolizei in Rom, Saverio Manozzi, in einem Radiobeitrag des SWR im Juni 2008: der schriftliche Befehl zur Abwehr der illegalen Einwanderer habe darin bestanden, "an Bord der Schiffe zu gehen und die Lebensmittel und den Treibstoff von Bord zu entnehmen, so dass die Immigranten dann entweder unter diesen Bedingungen weiterfahren können oder aber lieber umkehren."

Mit diesem harschen Vorgehen erreicht es FRONTEX, dass den zurückgedrängten Bootsflüchtlinge die Möglichkeit verwehrt wird, einen Asylantrag in der EU zu stellen, obwohl ihnen nach Völker- wie Europarecht selbst auf hoher See dieses Recht eigentlich zusteht.

Eine derartige Missachtung des Asylrechts wie auch andere dokumentierte, schwerwiegende und systematische Verletzung der Menschenrechte allgemein hätten angesichts der bisherigen Verstöße gegen diese im EU-Vertrag verbrieften Grundfreiheiten schon längst ein europäischen Verfahren gegen Mitgliedsstaaten zur Folge haben müssen, wie es der EU-Vertrag in Artikel 7 vorsieht - einen Umstand, auf den das Europäische Parlament in seinem Bericht zur Lage der Grundrechte in der EU von 2004 bis 2008 noch einmal selbst hinweist.

Dass sich die Regierungen der europäischen Mitgliedsstaaten vielfach nicht für schwere Menschenrechtsverletzungen verantworten müssen, belegen auch die mehr als 1.000 Flüge des US-Geheimdienstes CIA über dem europäischen Luftraum zwischen 2001 und 2006, die entführte Terrorverdächtige in Folterländer wie Ägypten und Syrien gebracht haben. Europäische Regierungen, darunter die Bundesregierung, waren anscheinend über diese Flüge informiert. Das legt ein Bericht des Europäischen Parlamentes nahe, der nach dem Vorsitzenden des Ermittlungsausschusses Fava-Bericht genannt wird. In Osteuropa sollen gar Geheimgefängnisse der CIA bestanden haben.

Auf Druck von Menschenrechtsorganisationen hin stimmte das Europäische Parlament im Februar dieses Jahres einer Resolution zu, welche die wiederholte Duldung und Verschleierung derartiger menschenrechtswidriger Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste in der EU durch europäische Regierungen verurteilt. Auch das neue, sich nach der Wahl im Juni zusammenfindende Europäische Parlament ruft Amnesty International dazu auf, die Empfehlungen des sogenannten Fava-Berichtes weiter einzufordern. Dies beinhaltet nicht nur die Aufklärung hinsichtlich der Verwicklungen der Mitgliedstaaten in das Rendition-Programm der CIA, sondern auch die Umsetzung vorbeugender Maßnahmen, sodass die europäischen Regierungen derartige schwere Menschenrechtsverletzungen in der EU in Zukunft nicht mehr zulassen können.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 248 - Mai 2009, Seite 27-28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2009