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GEGENWIND/388: AKW Krümmel - Aus bleibt aus!?


Gegenwind Nr. 251 - August 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

AKW Krümmel
Aus bleibt aus!?

Von Konstantin von Notz


Anlässlich der aktuellen Geschehnisse im Atomkraftwerk Krümmel steht die Frage nach der Zukunft der Atomenergie wieder im Mittelpunkt der politischen Debatte. Dabei wird deutlich: Wir stehen momentan an einem energiepolitischen Scheidepunkt. Von dem Ausgang der Bundestagswahl wird es abhängen, ob der mühsam erkämpfte Ausstieg aus der Atomenergie durchgezogen wird, oder ob wir ein Rollback der Atomwirtschaft erleben werden.


Sicher ist nur das Risiko

Die jüngste Kette von Störfällen im AKW Krümmel hat gezeigt, dass das Märchen von sicheren deutschen Atomkraftwerken ein für allemal auserzählt ist. Heute ist nur eines sicher: Atomkraft ist es nicht!

Was bisher in Krümmel geschah ist beinahe unfassbar: Im Juni 2007 geriet infolge eines Kurzschlusses einer der beiden Maschinentransformatoren des AKWs in Brand und löste eine Reaktorschnellabschaltung aus. Der Vorfall selbst und die Reaktion Vattenfalls offenbarten sowohl den schlechten technischen Zustand der Anlage als auch den Verfall der Sicherheitskultur beim Betreiber. Der Konzern gab über Wochen nur die Informationen bekannt, die sich beim besten Willen nicht mehr verheimlichen ließen. Die logische Konsequenz dieser Informationspolitik war der Besuch der Staatsanwaltschaft auf dem AKW-Gelände. Die damals unter dem Druck von Öffentlichkeit und Medien angekündigte Überprüfung der Zuverlässigkeit des Betreibers hat jedoch nie wirklich stattgefunden, eine für die Wiederinbetriebnahme gemachte Auflage zur Audio-Überwachung des Betriebs nie umgesetzt. Trotzdem erteilte das Kieler Sozialministerium Ende Juni 2009 die Genehmigung zum Wiederanfahren des Reaktors.

Bereits am 1. Juli 2009 kam es aufgrund des Ausfalls eines Eigenbedarftransformators zur erneuten automatischen Abschaltung. Der Vorfall wurde erst durch eine - von einem Mitglied der Bürgerinitiative gegen das AKW vorgenommene - Temperaturmessung des AKW-Kühlwassers bekannt. Vattenfall informierte nicht. Nachdem der Reaktor noch am gleichen Abend erneut ans Netz gebracht wurde, folgte nur drei Tage später die nächste Schnellabschaltung. Erneute Ursache: Ein Kurzschluss an einem der Transformatoren. Die lapidare Begründung Vattenfalls: Eine zwingend vorgeschriebene Sicherung habe man schlichtweg vergessen. Das alles nicht genug, stellte sich bei einer späteren Untersuchung heraus, dass zumindest einer der Brennstäbe des AKW beschädigt war. Im Reaktorkern wurden Metallsplitter gefunden, die offensichtlich aus Nachlässigkeit und unter Verletzung von Sorgfaltspflichten bei Reparaturen dorthin gelangt waren.


Die Atomwirtschaft ist ebenso inkompetent wie skrupellos

Das Strafgesetzbuch ahndet grob fahrlässiges Verhalten beim Betrieb eines AKWs mit Freiheits- oder Geldstrafe. Für einen solchen Verstoß besteht angesichts der jüngsten Ereignisse im AKW Krümmel, die eine eindeutige Parallelität zudem Störfall vor zwei Jahren aufweisen, hinreichender Tatverdacht.

Die Vorfälle im AKW Krümmel dokumentieren, dass die von der Atomlobby in der Aussicht auf Milliardengewinne gemachten Sicherheitsversprechen im Ernstfall Schall und Rauch sind und von Seiten der Betreiber Renditeinteressen vor Sicherheitsüberlegungen gestellt werden. Das Ausmaß, in dem die Verantwortlichen ihre Sorgfaltspflicht beim Betreiben des AKWs verletzten, ist jedoch nicht länger hinnehmbar. Aus diesem Grund haben wir vor wenigen Tagen Strafanzeige gegen die Verantwortlichen bei Vattenfall gestellt.

Wer zwei Jahre an einem AKW rumoperiert, um unmittelbar nach Wiederanfahren exakt die gleichen Fehler wie beim letzten Mal zu machen, spielt entweder ein höchstgefährliches Spiel oder ist mit dem Betrieb eines AEW schlichtweg überfordert! In beiden Fällen gehört dem Betreiber die Lizenz entzogen.


Die Kontrolle der Atomwirtschaft ist unzureichend

Unabhängig von den nicht länger hinnehmbaren sicherheitspolitischen Unzulänglichkeiten auf Betreiberseite haben die jüngsten Vorkommnisse im AKW Krümmel gezeigt, dass nach wie vor auch erhebliche strukturelle Mängel bei Sicherheit und Kontrolle der AKW-Betreiber bestehen, die derzeit geltenden Sicherheitsanforderungen an die Atomwirtschaft absolut unzureichend sind und eine umfassende Überprüfung der Sicherheitsstrukturen überfällig ist. Sämtliche deutsche Atomkraftwerke müssen hinsichtlich ihrer Sicherheitsstandards abermals untersucht und die ältesten sieben Meiler, darunter auch der Pannenreaktor in Brunsbüttel sowie das AKW Krümmel, sofort und ein für allemal abgeschaltet werden!

In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, inwieweit es Sinn machen könnte, die mit der Atomaufsicht überforderten Länder durch eine übergeordnete Instanz zu ersetzen. Ziel muss hierbei sein, der deutschen Atomaufsicht den Rücken zu stärken und das derzeitige Instrumentarium um spürbare Sanktionsmechanismen bis hin zur sofortiger Abschaltung betroffener AKW und dem Entzug der Betriebserlaubnis zu ergänzen. Eine Beweislastumkehr, mit der die Konzerne als Gefahrenverursacher beweisen müssten, dass ihre Anlagen sicher sind, ist ebenso überfällig. Der peinliche Zustand, dass sich zwar jeder Autobesitzer in Deutschland die Mangelfreiheit seines PKWs durch eine TUV-Plakette bestätigen lassen muss, AKW-Betreiber aber ihr risikoreiches Geschäft scheinbar auf gut Glück betreiben können, muss ein Ende gesetzt werden. Der Schmusekurs mit der Atomwirtschaft muss beendet, die Märchen der Atomwirtschaft entlarvt und die Erfolge der Erneuerbaren noch offensiver betont werden.


Die Geschichte der erneuerbaren Energien ist eine Erfolgsgeschichte

Seit der Weichenstellung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz befinden sich die regenerativen Energien in Deutschland auf einem unvergleichlichen Siegeszug. Rasant fallende Preise, technischer Fortschritt, erhöhte Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel: Alles spricht dafür, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen. Märchen, wie das von der Unverzichtbarkeit der Atomenergie, zu entlarven fällt leicht: Selbst 2007, als in Deutschland zeitweise sieben von 17 Atomkraftwerken aus technischen Mängeln stillstanden, exportierten wir noch jede Menge Strom, allein im Jahr 2007 circa 19 Milliarden Kilowattstunden. Bis zum Jahr 2022, wenn das letzte AKW vom Netz gehen soll, dürfte die durch Solarenergie, Windräder und Wasserkraftwerke eingespeiste Energie im Vergleich zu heute um das Fünffache gestiegen sein. Die Geschichte der Erneuerbaren Energien in Deutschland ist bislang dermaßen erfolgreich verlaufen, dass bereits heute der Kampf um die Vorherrschaft im deutschen Stromnetz zwischen Energie aus erneuerbaren und konventionellen Quellen wie der Atomkraft voll entbrannt ist. Heute stehen wir an einem energiepolitischen Scheideweg. Von der Entscheidung, welche energiepolitische Gabelung wir wählen, hängt ein gutes Stück der Zukunft unseres Landes ab.


Fazit: Deutschland steht energiepolitisch am Scheideweg

Atomkraft ist ganz bestimmt keine "Brückentechnologie". An ihr festzuhalten hieße, die Brücke zu einer sicheren, umweltverträglichen und langfristig günstigen Energieversorgung abzureißen. Ab sofort heißt "Atomkraft, nein danke!" deshalb auch gleichzeitig "Energiewende, ja bitte!". Trotz des unkontrollierbaren Risikos, hoher Kosten, einer nach wie vor ungelösten Endlagerfrage und den kaum zu leugnenden Erfolgen der Erneuerbaren Energien kündigten schwarzgelbe PolitikerInnen bereits an, den vereinbarten Atomausstieg nach den Bundestagswahlen rückgängig machen zu wollen. Deutschland steht demnach vor einer energiepolitischen Richtungsentscheidung. Am 27. September 2009 gibt es genau zwei Alternativen: Entweder "Weiter mit Atom!" oder "Energiewende jetzt!". Es wäre absurd, arbeitsplatz- und innovationsfeindlich, wenn Deutschland unter dem Druck der Atomwirtschaft seine Führungsrolle bei den Erneuerbaren Energien jetzt aufgeben und die Erfolgsgeschichte der Regenerativen beenden würde. Statt an einer museumsreifen Risikotechnologie festzuhalten, müssen wir jetzt den eingeschlagenen Weg des Ausstiegs aus der Atomwirtschaft konsequent fortführen und uns den scheinheiligen Argumente der Atomwirtschaft mit aller Entschiedenheit entgegenstellen.

Die nächste Gelegenheit hierzu bietet sich auf der bundesweiten Demo gegen Atomkraft am 5. September 2009 in Berlin. Denn auch nach dem 27. September 2009 muss gelten: Aus bleibt Aus!


Der Autor kämpft seit langem gegen das vor seiner Haustür liegende AKW Krümmel. Er ist Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen Grünen für die Bundestagswahl 2009


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Quelle:
Gegenwind Nr. 251 - August 2009, Seite 28-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009