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GEGENWIND/504: In Schleswig Holstein überdurchschnittlich viele Verkehrsopfer


Gegenwind Nr. 283 - April 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

In Schleswig Holstein überdurchschnittlich viele Verkehrsopfer
Zahl der durch den Straßenverkehr Getöteten seit zwei Jahrzehnten erstmals wieder gestiegen

von Klaus Peters



Während die großen überregionalen Tageszeitungen eher am Rande über die seit zwei Jahrzehnten negativste Bilanz zur Straßenverkehrssicherheit in Deutschland berichteten, gelangten die Kernaussagen der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung der Straßenverkehrsunfälle 2011 in Schleswig-Holstein immerhin auf die Titelseite der Ausgaben des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags. Im letzten Jahr starben 3.991 Menschen auf deutschen Straßen. Gegenüber 2010 ist die Zahl der Straßenverkehrsopfer damit um 9,4 Prozent gestiegen. In Schleswig-Holstein starben 120 Menschen und damit 11,1 Prozent mehr als 2010.


Der erste Ende Februar als Pressemitteilung veröffentlichte Bericht des Statistischen Bundesamtes mit den exakten Zahlen zu den Straßenverkehrsunfällen des Jahres 2011 enthält als Begründung für die gestiegenen Unfallzahlen nur den lapidaren Hinweis auf den vergleichsweise milden Winter 2011. Üblicherweise wird bei sinkenden Unfallzahlen von den verantwortlichen Politikern und Behörden gern auf Erfolge. der Verkehrssicherheitspolitik verwiesen.

In diesem Jahr drückte der zuständige Verkehrsminister sein obligatorisches Bedauern aus und schloss sich wie andere Verantwortliche schnell der ersten pauschalen Begründung an. Die Polizei schob den Autofahrern die Schuld zu und wies auf die Notwendigkeit verstärkter Kontrollen hin, der Chef der GdP sprach jetzt von "verwilderter Verkehrsmoral". Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) gab immerhin eine differenziertere Stellungnahme ab und mahnte an, die Sicherheitspotenziale stärker auszuschöpfen.


Unverantwortliche Abwälzung der alleinigen Schuld auf die Verkehrsteilnehmer

Die Hauptunfallursachen werden offiziell immer noch allein den Verkehrsteilnehmern zugeordnet. Das Kraftfahrzeug ist zweifellos "gefährlicher" als jedes andere Verkehrsmittel oder gar der Fußgänger. Immer noch vernachlässigt wird die Tatsache, dass zunächst die Rahmenbedingungen der Mobilität zu betrachten sind. Diese Rahmenbedingungen werden durch sehr verschiedene Faktoren wie: Alternativen zum Kraftfahrzeug, Straßeninfrastruktur, Fahrzeugtechnik, Ausbildung, Überwachung und Verkehrsvorschriften gebildet.

Alle Faktoren müssten überprüft und optimiert werden. Je schlechter die Rahmenbedingungen, desto eher sind die Verkehrsteilnehmer überfordert. Solange die Rahmenbedingungen nicht stimmen, nicht dem "Stand der Technik" entsprechen, kommt es in besonderem Maß darauf an, dieser Überforderung entgegen zu wirken. Der "Stand der (Sicherheits-) Technik" wird bisher (grundgesetzwidrig) nur in einigen Teilbereichen der Daseinsvorsorge gefordert: im Gesundheitswesen, im Arbeitsschutz und im Bereich Technischer Umweltschutz. Bei der Umsetzung bestehen auch in diesen Bereichen teilweise dennoch nicht unerhebliche "Vollzugsdefizite". Bislang wird der "Stand der Technik" beispielsweise auch noch nicht bei der Tierhaltung gefordert und durchgesetzt.


Sicherheitspotenziale

Die Raumordnungspolitik hat einen großen Anteil an der Notwendigkeit und dem Bedürfnis nach Mobilität. Korrekturen von Fehlentwicklungen sind heute nur sehr schwer möglich. Eine Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe könnte Mobilitätszwänge verringern.

Alternativen zum Kraftfahrzeug stehen, weil diese Konzepte nicht vorhanden sind, am Anfang aller Sicherheitsüberlegungen. Die sicherste Alternative ist, wie eigentlich allgemein bekannt sein dürfte, die Bahn. Die Bahn muss also insgesamt attraktiver werden. Die Defizite des Bahnangebots sind ebenfalls überwiegend bekannt. Bei der Bahninfrastruktur: Netz, Bahnhöfe, einschließlich Bahnhofsumfeld (z.B. P & R) und bei der Auswahl von Zugmaterial ist der ländliche Raum besonders benachteiligt. Fragwürdige Großprojekte wie Stuttgart 21 werden dagegen mit einem Milliardenaufwand durchgezogen.

Bahncard 100 für alle geht wohl nicht. Bahncard 100, 1. Klasse, für Bundestagsabgeordnete geht aber schon. Ansonsten herrscht bei den Tarifen ein ziemliches Durcheinander. Vergünstigungen für Inhaber von Monatskarten sind abgebaut worden. Gelegentlich macht die Deutsche Bahn mit Angeboten für "Schnäppchenjäger" auf sich aufmerksam. In Österreich werden dagegen interessante Jahreskarten für Familien, Senioren und Jugendliche angeboten.

Die Straßeninfrastruktur weist ebenfalls erhebliche Defizite auf. Dabei geht es nicht um neue Straßen, eine Umgebungsstraße mag in einzelnen Fällen sinnvoll sein, auch die Einrichtung von Kreisverkehren oder Fahrradstreifen kann zur Erhöhung der Sicherheit beitragen. Es muss aber vor allem mehr zur Entschärfung der Fahrbahnränder getan werden. Durch Hindernisse am Fahrbahnrand, das sind im Wesentlichen Straßenbäume, erhöhen sich die Unfallfolgen dramatisch. Rund 20 Prozent der tödlichen Unfälle sind Unfälle im Zusammenhang mit Hindernissen am Fahrbahnrand. Seit einigen Jahren liegen sogar "Empfehlungen" des Bundesverkehrsministeriums vor, die vorgeben, wie derartige Unfälle zu minimieren sind. Demnach müssten Straßenbäume, die beispielsweise gefährlich nah am Fahrbahnrand oder beispielsweise in Kurven bzw. am Kurvenausgang stehen, vorrangig entfernt werden. Selbstverständlich ist Ersatz durch Bepflanzungen an anderer Stelle, an auch ökologisch günstigeren Standorten, zu schaffen. Straßen mit Baumreihen sind mit Leitplanken zu versehen, eine Alternative sind Geschwindigkeitsreduzierungen, deren Einhaltung jedoch auch ständig zu überprüfen ist. Leider setzen die zuständigen Länderbehörden die vorliegenden Empfehlungen nicht oder nur unzureichend um.

Die Fahrzeugsicherheitstechnik hat sich in der Vergangenheit immer weiter entwickelt. Beispiele sind das "Tagfahrlicht" und die "Fahrassistenzsysteme". Das Tagfahrlicht wird, nach anfänglichen, heute nicht mehr nachvollziehbaren Widerständen, wie "zusätzlicher Energieverbrauch", inzwischen in großem Umfang genutzt. Die Wirksamkeit der Nutzung der Sicherheitselemente ist prinzipiell nachgewiesen. Die Fahrzeughersteller werden jedoch nur zögernd dazu verpflichtet, entsprechende Entwicklungen serienmäßig anzubieten. Das Tagfahrlicht ist bislang übrigens nur für Neufahrzeuge, und dies nur aufgrund einer EU-Initiative, vorgeschrieben. Grundsätzlich sind größere und schwerere Fahrzeuge aus physikalischen Gründen sicherer als kleinere Fahrzeuge. Es muss daher eine Crash-Kompatibilität angestrebt werden. Der Einsatz von Gigalinern ist in diesem Zusammenhang natürlich extrem kontraproduktiv.

Die Fahrschulausbildung sollte wie beispielsweise in Österreich durch ein Gefahrentraining ergänzt werden. Das Schleuderrisiko ist bei neueren Fahrzeugen, die mit dem "Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP)" ausgerüstet sind, zwar geringer geworden, doch bei glatten Straßen oder beim Abkommen von der Fahrbahn nicht auszuschließen. Die Mehrzahl der Fahrzeuge ist schließlich noch nicht mit ESP ausgestattet.

Auf die Notwendigkeit der Überwachung ist im Zusammenhang mit der Straßeninfrastruktur schon hingewiesen worden. Niemand möchte gern überwacht werden, doch auf gefährlichen Streckenabschnitten und auch im Interesse von schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgänger und Radfahrer, ist dies notwendig. Eine der wichtigsten Verkehrsvorschriften ist die Begrenzung der zulässigen Geschwindigkeit. Nicht nur zur Vermeidung von Unfällen und zur Verminderung der Folgen nicht vermiedener Unfälle sind Geschwindigkeitsbegrenzungen sinnvoll und notwendig, selbstverständlich auch aus gesundheitlichen und umweltrelevanten (und klimarelevanten) Gründen. Auf diesem Sektor müsste sich Deutschland einmal EU-Verhältnissen anpassen, das würde maximale Geschwindigkeiten auf Autobahnen von etwa 110 km/h und auf Landstraßen von 90 km/h bedeuten.


Vision Zero

Das in Schweden entwickelten Verkehrssicherheitskonzept "Vision Zero - Null Verkehrstote, Null Schwerverletzte" enthält prinzipiell alle der hier genannten Maßnahmen. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hatte bereits 2004 einen Masterplan zur Umsetzung von Vision Zero vorgelegt. Eine Umsetzung von "Vision Zero" würde letztlich auch eine erhebliche Reduzierung der Unfallkosten bewirken, in Deutschland betragen die durch Straßenverkehrsunfälle verursachten Kosten über 30 Milliarden Euro jährlich. Für Schleswig-Holstein ist vom Gesamtverband der Unfallversicherer knapp eine Milliarde Euro errechnet und von der Polizei des Landes veröffentlicht worden. Es ist Zeit zu Handeln.

Siehe auch:
Wikipedia "Verkehrssicherheit"

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KASTEN
Die Rolle der Medien, irrationale Wahrnehmung von Risiken

Bestimmte Themen werden von den Massenmedien gemieden oder bewusst vernachlässigt. Die Straßenverkehrssicherheit gehört ebenso dazu wie Berichte über positive Entwicklungen in sozialistischen Ländern oder die negativen Folgen der Tierhaltung und des massiven Fleischkonsums. Die Gründe sind vielfältig: kapitalistische Grundausrichtung, Sicherung von Werbeeinnahmen, eigene Vorlieben, Ängste vor Reaktionen von Funktionären und Lobbyisten, Rücksichten auf bestimmte Leser-, Hörer- und Zuschauergruppen, Gewöhnungseffekte, Verdrängung von Mitschuld, mangelndes Verantwortungsbewusstsein usw.

Bekanntlich kann über Katastrophen aller Art nicht so ohne weiteres hinweggegangen werden. Oft werden sogar unmittelbar Vorsorgemaßnahmen beschlossen. Wenn es um den sogenannten Staatsschutz geht, überschlagen sich Politiker, Maßnahmen vorzuschlagen. Ganze Gesetzespakete sind beschlossen worden, die zur völlig unangemessenen offenen und heimlichen Überwachung der Bürger geführt haben.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 283 - April 2012, Seite 67-68
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012