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GEGENWIND/513: Konsumverweigerung als politische Strategie


Gegenwind Nr. 287 - August 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Konsumverweigerung als politische Strategie

von Klaus Peters



"Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar" (Ingeborg Bachmann)

Abschied von Wachstum und bedenkenlosem Konsum - Das Leben ist mehr als arbeiten und einkaufen - Dem alternativen Leben gehört die Zukunft - Zukunftsfähig sein heißt anders leben.


"Konsum - solange der Vorrat reicht" lautete der Titel eines Vortrags zu dem die Attac-Regionalgruppe Itzehoe Dr. Bruno Kern von der Initiative Ökosozialismus aus Mainz am 15. Juni eingeladen hatte. Die Itzehoer Gruppe erfüllte damit eine wichtige Aufgabe als selbstorganisierter Träger politischer Bildung. Regierungen und Parteien, die Medien und konventionelle Bildungseinrichtungen haben es bislang bewusst vermieden, sich mit dem Thema Konsumkritik grundsätzlicher auseinander zu setzen, denn Wachstum und Konsum sind Kernelemente der neoliberalen Ideologie.

Der Gast aus Mainz, gebürtige Wiener, referierte fundiert und beeindruckend über die vielfältigen negativen Folgen des ungehemmten Konsums und über Auswege aus der Konsumgesellschaft. Die anspruchsvolle Programmatik weckte erwartungsgemäß auch einige Zweifel. Die Argumentation Bruno Kerns, die von einigen Teilnehmern auch durch eigene Erfahrungen ergänzt werden konnte, war jedoch so beeindruckend, dass sich eine nahezu uneingeschränkte Zustimmung einstellte. Die Umsetzung der politischen vorgestellten Strategie durfte allerdings ähnlich mühsam und langwierig sein, wie das berühmte "Bohren dicker Bretter". Spektakuläre Ereignisse, katastrophenähnliche Entwicklungen, die viele Menschen unmittelbar betreffen, könnten die Umsetzung einer solchen Strategie wiederum stark beschleunigen.

So völlig neu sind Konsum- und Wachstumskritik keineswegs. Am bekanntesten dürfte die von Donella und Dennis Medows Anfang der siebziger Jahre im Auftrag des Club of Rome veröffentlichte Studie "Die Grenzen des Wachstums" sein, die bereits zu einem Umdenken und zu einem grundlegend verändertem Verhalten von Politik und Gesellschaft aufforderte. Prinzipiell gleiche Forderungen beinhaltete die Agenda 21, Ergebnis der UNCED (United Nations Conference for Environment and Development) von 1992 in Rio de Janeiro.

Mit der vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) 2008 herausgegebenen Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" wurde zuletzt erneut umfassend begründet an Politik und Gesellschaft appelliert, umzudenken und Verhaltensänderungen einzuleiten.

In den letzten 20 Jahren hat sich der Handlungsdruck verstärkt. Klimabelastung durch Treibhausgase und der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie waren Auslöser für die intensivierte Propagierung einer "Energiewende". Die Protagonisten der Energiewende versuchen jedoch den Eindruck zu erwecken, dass eine Energiewende ohne negative Nebenwirkungen, bei unverändertem Wachstum und ohne grundlegende Änderungen unserer Lebensweise möglich ist. Bruno Kern hält massiv dagegen und spricht von einer Verschleierung der Wirklichkeit. Er begründet seine sieben Thesen zur Konsum- und Wachstumskritik mit den Ergebnissen der Auswertung mehrerer einschlägiger Studien.


I Konsumkritik ist der nüchterne Blick auf die Realität

Nach allen seriösen Studien muss der Verbrauch von Ressourcen in den Industrienationen bis 2050 um 90 Prozent reduziert werden. Durch ein Ausweichen auf erneuerbare Energien und konsequente Kreislaufwirtschaft kann diese Reduktion nur zu einem sehr geringen Teil ausglichen werden. Mit erneuerbaren Energien wird hauptsächlich ein. Teil des Strombedarfs abgedeckt, der nur knapp 20 Prozent des gegenwärtigen gesamten Energiebedarfs beträgt. Auch die Nutzung erneuerbarer Energien zur Stromerzeugung oder zur Erzeugung von Treibstoff ist mit einigen gravierenden negativen Nebenwirkungen verbunden und stößt eigentlich bereits an ihre Grenzen. Das Potenzial für Effizienzsteigerungen ist grundsätzlich ebenfalls begrenzt und vielfach schon ausgeschöpft. Effizienzsteigerungen unterliegen zudem dem Gesetz des sinkenden Ertrags, d.h. höhere Effizienzsteigerungen sind mit einem noch höheren Aufwand verbunden. Bei einer Bilanzierung ist also immer der gesamte Prozess zu betrachten. Wachstum erfordert grundsätzlich einen ebenfalls immer weiter steigenden Energie- und Ressourceneinsatz.


II Konsumkritik ist eine logische Konsequenz des Eintretens für gerechte Verhältnisse weltweit

Es muss international gedacht werden. Nationale Lösungen sind völlig unzureichend. Die Universalisierbarkeit ist Kriterium für jede Ethik. Immanuel Kant (1724 - 1804): "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Gegenwärtig haben beispielsweise nur 6 % der gesamten Menschheit Flugreisen unternommen. Nach einer Auswertung und Individualisierung der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" sind holländische Wissenschaftler zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Erdenbürger nur alle 25 Jahre einen Fernflug unternehmen kann.


III Konsumkritik ist heute die am dringendsten geforderte Form der Ideologiekritik

Die neoliberale Ideologie baut auf ständigem Wachstum auf. Ständiges Wachstum aber benötigt immer mehr Ressourcen und immer mehr Energie. Diese Ideologie führt zum Konsumterror und ist deshalb die gefährlichste Ideologie. Ernst-Ulrich von Weizäcker, Sven Giegold, Bischof Wolfgang Huber und andere betreiben Realitätsverschleierung - "kleistern uns die Augen zu".


IV Konsumkritik ist ein wichtiger Aspekt des Kampfes um Demokratie

Wenn die Menschen nicht rechtzeitig auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet werden, drohen Veränderungen, die faschistische Züge annehmen können. Der Kampf um die Ressourcen wird bereits heute militärisch ausgetragen. In einer von Ex-Nato-Generälen herausgegebenen "Gesamtstrategie für militärische Einsätze" wird die Notwendigkeit militärischer Einsätze zur Sicherung der Rohstoffe und ihres Transports mehrfach erwähnt.


V Konsumkritik ist eine wesentliche Voraussetzung für die Durchschlagskraft unserer politischen Kämpfe

Die Kämpfe gegen die neoliberale Entwicklung und deren Projekte, wie beispielsweise Atom- und Kohlekraftwerke oder Flughäfen haben zu wenig die möglichen Folgen berücksichtigt. Um nicht in die Falle der Unglaubwürdigkeit zu laufen, ist auf diese Folgen: auf die Notwendigkeit weniger Energie zu verbrauchen, auch z.B. darauf, weniger Flugreisen zu machen, unmissverständlich hinzuweisen.


VI Konsumkritik ist nicht in erster Linie individueller Anspruch, sondern, eine kollektive Aufgabe

Konsumkritik allein ist kein Schlüssel zur Systemüberwindung. Gefordert sind zunächst die Bevölkerungsgruppen mit einem größten Verhaltensspielraum, den hohen Einkommen und Vermögen. Geringverdiener und Menschen ohne Einkommen und Einkommen sind prinzipiell nicht betroffen, da ihr Energie- und Ressourcenverbrauch weit unter dem Durchschnitt liegt.

Es müssen Solidarstrukturen und Räume, geschaffen werden, in denen sich Betroffene zumindest teilweise dem kapitalistischen Kreislauf von Produktion und Konsum entziehen können und jenseits davon "Lebensqualität" entdecken können.


VII Konsumkritik birgt vor allem in Gestalt einer politischen Konsumverweigerungsbewegung die Chance, die von uns als notwendig erachteten Veränderungen entscheidend mit voranzubringen

Mit Konsumverweigerungskampagne, darunter ist mehr zu verstehen als einzelne Boykotts, wesentlicher politischer Akteure als politische Strategie können die bekannten Protestformen erweitert werden und mehr politische Durchschlagskraft entwickeln.

Es ist eine langfristig angelegte Kampagne mit den Zielen:

  • Überwindung von Ohnmachtserfahrungen, neue Qualitäten entdecken
  • politische Signalwirkung, Wohlstandsversprechen zu delegitimieren,
  • Bewusstseinsbildung und Aufklärung notwendig.

Radikale Veränderungen sind nicht besonders populär, erst recht dann nicht, wenn sie mit Einschränkungen verbunden sind. Um diesem Problem auszuweichen, haben politische Parteien, Wissenschaftler und Publizisten verschiedene Taktiken angewandt, die aber, wie Bruno Kern eindringlich verdeutlichte, ungeeignet sind und die Menschen nur in die Irre führen.

Ein Systemwechsel, eine Überwindung des kapitalistischen Systems, ist, wie auch mehrere Diskussionsteilnehmer hervorhoben, unausweichlich. Die Bereitschaft solidarisch zu denken und zu handeln, muss vorhanden sein oder aufgebaut werden, um alternatives Leben demokratisch zu organisieren. Die Bildung ist auf der Basis einer neuen Ethik zu gestalten. Ansätze sind vorhanden, es reicht aber nicht aus, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Es kommt darauf an, langfristig und ganzheitlich zu denken und zu handeln.

Vorbildfunktionen sind hilfreich, doch es reicht natürlich auch nicht aus, wenn beispielsweise mehr Menschen mit der Bahn und dem Fahrrad fahren. Die Nutzung der Bahn und das Fahrradfahren müssen gegenüber anderen Verkehrsmitteln, die auch noch für enorme Umweltschäden verantwortlich sind, massiv gefördert werden. Die Regionen müssen (wieder) attraktiver werden, damit nicht immer mehr Menschen und Waren immer größere Entfernungen zurückgelegen.


Literatur:

Bruno Kern: Energiewende zwischen infantilen Phantasien und Ernüchterung, Mainz (2010)

Saral Sarkar/Bruno Kern: Ökosozialismus oder Barbarei, Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik, Köln/Mainz (2004, aktualisiert 2008)

Initiative Ökosozialismus: www.oekosozialismus.net

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Quelle:
Gegenwind Nr. 287 - August 2012, Seite 45-46
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2012