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GEGENWIND/530: "Die EU und die Arbeiter und Volksbewegung"


Gegenwind Nr. 292 - Januar 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Europa-Seminar der MLPD:
"Die EU und die Arbeiter und Volksbewegung"
Situationsbeschreibungen, Schlussfolgerungen und Perspektiven

von Klaus Peters



Aus Anlass ihres 30jährigen Bestehens hatte die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) am 2. und 3. November in Dortmund ein Europa-Seminar organisiert, an dem über 1200 Interessierte aus 29 Ländern teilnahmen. Ein beachtlicher Erfolg einer vergleichsweise kleinen Partei, mit einem durchaus höheren politischen Potenzial. Bedeutende Wahlerfolge sind bisher ausgeblieben, doch kaum eine andere politische Organisation kann ein ähnliches Spektrum politischer Qualitäten vorweisen. Bezieht man sich wie die MLPD konsequent auf den wissenschaftlichen Sozialismus, sind Inhalte, Strategien und Konsequenzen ziemlich klar vorgegeben. Politische Arbeit auf dieser Basis ist mit permanenter Bildungsarbeit untrennbar verbunden.


Die Aktivitäten der EU und ihrer Hauptakteure stehen spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise im Fokus einer kritischen der Öffentlichkeit. Während Massenmedien und bürgerliche Parteien über Schuldige, Gewinner und, Verlierer oder einzelner Gegenmaßnahmen streiten, ging es auf dem Seminar erwartungsgemäß um grundsätzliche Fragen und Antworten.

Der erste Teil des Seminars diente der Beschreibung der Entwicklung der EU zu einem imperialistischen Wirtschafts- und Machtblock. Der zweite Teil und dritte Teil beinhalteten Situationsbeschreibungen, Schlussfolgerungen und Perspektiven für grundlegende politische Veränderungen. Die Diskussionen waren trotz relativ gefestigter und durch die Entwicklung bestätigter Standpunkte auch mit Korrekturen von Einschätzungen und gemeinsamen Standpunkten verbunden.


Die EU ...

... und ihre Entwicklung zu einem imperialistischen Wirtschafts- und Machtblock

Die EU hat sich aufgrund ihrer inzwischen erlangten Größe und ihrer kapitalistischen Struktur geradezu zwangsläufig zu einem imperialistischen Wirtschafts- und Machtblock entwickelt. Dieser Schluss lässt sich insbesondere aus dem Grundlagenvertrag, auch als Lissabon-Vertrag bekannt, ableiten, der die ursprünglich vorgesehene, durch Volksabstimmungen gestoppte Verfassung fast vollständig ersetzt. Im Mittelpunkt des Vertragswerks steht die Wirtschaftspolitik. Neu ist, dass von allen Mitgliedstaaten eine Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten verlangt wird. Die Rüstungsvorhaben zielen auf außereuropäische bzw. auf Einsätze außerhalb der EU ab. Aus dem Lissabon-Vertrag lassen sich dagegen keine relevanten sozialpolitischen Zielsetzungen entnehmen. Auch das tatsächliche Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten zeichnet sich nicht gerade durch entsprechendes vorbildliches Engagement aus. In der EU dominiert das Machtstreben der großen Mitgliedstaaten unter denen Deutschland den Ton angibt. Das formale Hauptziel, zum "wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum" zu werden, hat sie trotz ihrer neoliberalen und imperialistischen Wirtschaftspolitik verfehlt.


Europa in der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise

Die 2008 ausgelöste Weltwirtschaft- und Weltfinanzkrise macht die Widersprüchlichkeit des kapitalistischen Wertesystems deutlich. Die Immobilienblase in den USA war zunächst der Auslöser, der zu einer Bankenkrise mit einem bis zu diesen Zeitpunkt unvorstellbarem Ausmaß geführt hat, die vor allem auch in Europa, verheerende Wirkungen hatte. Die Regierungen pumpten Geld in die Banken, vielfach wurden auch kurzfristige Konjunkturprogramme beschlossen. Damit erhöhten sie jedoch in drastischem Ausmaß die bereits im größten Teil der betroffenen Länder überhöhten öffentlichen Schulden. Die trotz der Konjunkturprogramme einsetzende Degression der Wirtschaft traf Länder wie Griechenland und Portugal am stärksten. Als Gegenmaßnahme beschloss die EU gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) Sparprogramme, damit verbunden waren Erhöhungen der Mehrwertsteuer, Kürzungen bei den Gehältern, Sozialausgaben und weitere Privatisierungen. Aufgrund der drastisch gestiegenen Schulden erhöhten sich auch die Zinsen für neue Staatsanleihen. Die EU und der IWF stellten über den neu geschaffenen EFSF (Europäischer Stabilitätsmechanismus/Rettungsschirm) Finanzmittel für die besonders betroffenen Mitgliedstaaten zur Verfügung, die aber an die Vorgaben der Sparprogramme gebunden sind und deren Einhaltung durch die Troika (EU, EZB und IWF) überwacht werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) agierte zudem durch den Aufkauf von Staatsanleihen. Hinzu kam ein teilweiser Schuldenerlass. Dieses Krisenmanagement kann jedoch die grundsätzlichen Probleme des kapitalistischen Systems nicht lösen. Die Bemühungen um eine vorübergehende Verbesserung sollen Illusionen hervorrufen und die Menschen erneut beruhigen. Es zeichnen sich nach Auffassung mehrerer Referenten jedoch Möglichkeiten und die Bereitschaft für einen Systemwechsel ab. Festzustellen sei, dass durch die gegenwärtige Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise mehr Länder betroffen seien als 1929, zudem würde die Sowjetunion als Korrektiv und Gegengewicht fehlen. Dadurch seien die Dimension der Krise und ihre Folgen dramatischer zu bewerten.

Eine angemessene Reaktion auf die krisenhafte Entwicklung der Lebensbedingungen der Menschen erfordere gemeinsames Handeln unter Berücksichtigung der Besonderheiten in den verschiedenen Weltregionen und Ländern. Diese Zwangsläufigkeit zeige beispielsweise die Situation in der Autoindustrie. Es müsse zur Kenntnis genommen werden, dass sich Produktion und Absatz trotz Globalisierung nicht beliebig ausweiten ließen. Willkürliche Schließungen von Werken seien aber nicht hinzunehmen. Am Beispiel Opel ließe sich deshalb auch deutlich machen, dass neue kleine Unternehmen ohnehin keine Chance am Weltmarkt hätten. Die Automobilarbeiter müssten gemeinsam für gerechte, für systemisch-politische Lösungen kämpfen.

Da nur Arbeit und Natur als Reichtumsquellen für die Menschen in Betracht kommen, ergibt sich eine prinzipielle Kritik am Privateigentum. Die sprunghafte Verschärfung der Umweltbelastung und der Ausbeutung der Natur sei auch die Folge gegenwärtiger Eigentumsverhältnisse. Der den Kapitalismus kennzeichnende gesetzmäßiger Zusammenhang der Ausbeutung des Menschen und der Ausbeutung der Natur werde vielfach nicht erkannt oder ignoriert. Weltweit operierende Konzerne würden vielmehr sogar die These verbreiten, gerade sie könnten - diese Gesetzmäßigkeit verdrängend - die Probleme der Menschheit lösen.

Neben dem eigentlichen Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, geht es um konkrete Maßnahmen, darum, akute soziale oder gesundheitliche. Fragen zu lösen, um die Menschen zu befähigen, ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können.


Die Entwicklung des Stimmungsumschwungs in Europa und der Aufschwung von Massenkämpfen (10 Thesen):
  1. Die Abwälzung der Folgen der Weltwirtschaftskrise auf die Massen hat zu zahlreichen Massenprotesten, vor allem in Südeuropa geführt.
     
  2. Die Massen wollen unter den Bedingungen der Regierungen nicht mehr leben, die Herrschenden sind nicht mehr in der Lage, die Menschen in der bisherigen Weise zu regieren.
     
  3. Kleinbürgerliche Einflüsse durch Occupy oder Attac können die Massenproteste nicht ersetzen. Eine sozialistische Perspektive ist unverzichtbar.
     
  4. In einigen Ländern (Griechenland, Bulgarien) ist es zu einer Radikalisierung gekommen.
     
  5. Die Massenproteste machen die führende Rolle des Industrieproletariats deutlich. Gewerkschaften haben ihre Rolle als Kampforganisationen wiedergefunden, Solidaritätsstreiks flankieren den Kampf der am stärksten Betroffenen.
     
  6. Der Aufschwung der Massenkämpfe hat auch die kämpferische Frauenbewegung erfasst.
     
  7. Die Massenarbeitslosigkeit verwehrt der Jugend ihre Perspektiven.
     
  8. Es geht um einen weltanschaulichen Kampf, der Kapitalismus ist nicht alternativlos, es gibt eine sozialistische Perspektive.
     
  9. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen erfordert eine Selbstorganisation, die alltägliche Solidarität muss gestärkt werden.
     
  10. Internationale Kooperation und Solidarität müssen ebenfalls gestärkt werden. Dies geschieht durch länderübergreifende Konferenzen, Durchführung gemeinsamer Kampftage, durch gemeinsame Schulungen und Aktionen.

Der Vorsitzende der Partei, Stefan Engel, wies darauf hin, dass seit 1923 eine lange nichtrevolutionäre, nicht durch Massenstreiks und Massendemonstrationen gekennzeichnete Zeit vergangen sei. Seitdem habe der Staat im Dienste der Herrschenden gestanden. Streiks seinen Ausdruck der Freiheit und Schulen des Kampfs des Volkes. Neu in der jetzigen Phase sei der länderübergreifende Kampf.


Situationsbeschreibungen von Vertretern internationaler Parteien und Organisationen

Arbeitskämpfe können nur, so ein Berichterstatter aus Griechenland, mit internationaler Unterstützung gewonnen werden. Relativ gut vernetzt auf europäischer Ebene sind die kommunistisch orientierten Zusammenschlüsse der Hafenarbeiter. Ein Vertreter aus den USA kritisierte die auf Maximalprofite, Lügen und Krieg basierende Politik seines Landes.

Schilderungen aus Südafrika über die Lage der Arbeiter, über den Kampf der Minenarbeiter, belegten Dimension und Dramatik der gegenwärtigen Auseinandersetzungen. Die gegenwärtige Entwicklung sei schließlich auch durch eine drohende und regional bereits wirksam gewordene Weltklimakatastrophe gekennzeichnet. Diese fordere eine kämpferische Massenumweltorganisation. Die Potenziale für neue revolutionäre Bewegungen müssten sich entwickeln und seien die notwendige Konsequenz zur Abwendung der krisenhaften Entwicklung.

Bangladesch, ein Land, das mit 160 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, braucht internationale Unterstützung in besonders massiver Form.

In einem weiteren Beitrag wurde auf die von Politik und Medien kaum thematisierten weitreichenden Folgen der Leiharbeit hingewiesen, die die Menschen letztlich auch an der Familiengründung hindere. Ein Vertreter aus Chile warnte vor sogenannten radikalen Linken, die ihre politische Ausrichtung auf das Prinzip "Bewegung ist alles" ausrichte, dies sei der falsche Weg. Eine Vertreterin aus Sachsen-Anhalt wies auf die besonderen Schwierigkeiten in Kleinbetrieben hin, in denen gewerkschaftliche Aktivitäten kaum möglich seien. Ein Mitarbeiter des Flugzeugbauers Airbus/ EADS wies unter anderem auf den hohen Anteil der Leiharbeit und auf bemerkenswerten Einfluss kämpferischer Gewerkschafter hin. Ein Gast aus Kolumbien schilderte Probleme des Rohstoffabbaus und die Folgen des Bürgerkriegs, der in seinem Land seit vielen Jahren stattfindet.

Mehrere Vertreter von Automobilherstellerbetrieben und Zulieferbetrieben kritisierten das reformistische Standortdenken, auch der Beschäftigten, vor allem aber rechter Gewerkschafter und forderten internationale Zusammenarbeit und Solidarität, etwa die Einführung einer 30-Stunden-Arbeitswoche.

Vertreterinnen der Frauenbewegung erläuterten an Beispielen das Grundproblem, dass der Staat Dienstleister des Finanzkapitals sei und die Vorsorge für die Familie als Privatangelegenheit betrachtet werde. Die Lehre von Marx und Engels umfasse nicht nur die Arbeit Sondern das ganze Leben. Der Grad der weiblichen Emanzipation sei ein Maß für die allgemeine Emanzipation.

Ein Umweltaktivist sprach sich für die intensivere Befassung mit Fragen und Lösungen zur Abwendung einer Klimakatastrophe aus. Notwendig sei eine Verbindung der Betriebs- und Umweltarbeit. Die Spaltung in verschiede Kampffelder sei zu überwinden. Der bisher überwiegende Appellcharakter sei unzureichend. Eine nachhaltige, durch Kreislaufwirtschaft geprägte Wirtschaftsweise müsse durchgesetzt werden. Dies schließe den Kampf um die Denkweise und damit die Überwindung der kleinbürgerlichen Denkweise selbstverständlich ein.

Ein Vertreter aus dem Irak erinnerte an den dort geführten Kampf gegen die Besatzungsmächte. Die dort stationierten 200.000 Soldaten aus 29 Ländern seien 200.000 Terroristen. In Indonesien, so der Bericht eines Vertreters des Landes, herrsche eine besonders antikommunistisch ausgerichtete Erziehung. Es gäbe auch entsprechende Veröffentlichungsverbote. Eine Vertreterin aus München wies auf Kriminalisierungsversuche gegenüber Sozialisten auch in Deutschland hin. Sozialisten würden als Verteidiger von Fehlentwicklungen dargestellt. Als Reaktion sei eine starke Anti-Antikommunismusbewegung erforderlich. In ähnlicher Weise äußersten sich Vertreter der Jugendbewegung Rebell.


Schlussfolgerungen und Perspektiven

In der Abschlussdiskussion wurde nochmal auf die besondere Rolle der Jugend hingewiesen, die Industriearbeiterjugend müsse mit den Studenten gemeinsam agieren. Solidarität müsse insgesamt stärker gelebt werden, das bedeute, Verantwortung auch für die zu übernehmen, die man nicht kenne. Das kapitalistische System hätte bisher keines der grundlegende Problem gelöst, das zeige beispielhaft die Ausdehnung der krisenhaften Entwicklung der Umwelt.

Ein noch stärkerer Zusammenschluss in den sozialistischen Organisationen sei nötig. Im Sinne der Pariser Commune gehe es um die Herrschaft der Arbeiterschaft, gerechte Arbeitslöhne und die Abwählbarkeit der jeweils Verantwortlichen. Zu Kulturrevolutionen könne es auch im Sozialismus kommen. Es gehe nicht nur um den Kampf für bessere Arbeitsplätze, der Umweltschutz hätte bei diesem Kampf bisher weitgehend gefehlt. Es gehe um den Kampf ums ganze Leben. Es sei festzustellen, dass Anspruch und Wirklichkeit nicht immer übereinstimmten. Man solle sich in die Auseinandersetzung in andere Länder nicht einmischen, die dortigen Kämpfe für Freiheit und Sozialismus aber unterstützen. Der Verrat Chinas am Sozialismus sei eine schwere Last. Das Vertrauen würde untergraben, wenn die Einheit von Wort und Tat nicht übereinstimmten, würde zur Spaltung beitragen. Dies zu verhindern, erfordere den ganzen Einsatz.

Das Europaseminar hat nach Auffassung der Verantwortlichen den Erkenntnisprozess über die Entwicklung der Strategie weiter gefördert. Der Aufschwung von Massenkämpfen sei deutlich geworden. Die Organisiertheit der Arbeiter- und Volksbewegung sei gestärkt und die Voraussetzungen für die gegenseitige Unterstützung währen damit wesentlich verbessert worden.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 292 - Januar 2013, Seite 16-18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2013