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GEGENWIND/558: Nichtwählen führt zur Delegitimation von Gewählten


Gegenwind Nr. 299 - August 2013

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

PARTEIEN
Nichtwählen führt zur Delegitimation von Gewählten

Von Klaus Peters



Wenn nur weniger als die Hälfte der Wähler ihr Wahlrecht nutzen, erhält eine Partei, die weniger als 25% der Wahlberechtigten für sich gewinnen konnte bereits die absolute Mehrheit. Damit wird die Akzeptanz und Legitimation der Parteien, insbesondere der Regierenden und ihrer Entscheidungen, stark beeinträchtigt. Eine folgerichtige Konsequenz wäre, stärker auf die Initiativen von Nichtregierungsorganisationen einzugehen. Die NROs füllen Defizite aus, die die Politik nicht erkennt oder sogar verursacht.


Das Wählerverhalten und die Gründe für das Verhalten von Nichtwählern sind kürzlich vom Forsa-Institut, Berlin, untersucht und veröffentlicht worden. Die Demokratie ist in Gefahr, warnen auch die Forscher des Instituts. Weitgehend bekannt ist seit langem, dass sich viele Wähler und eben gerade die Nichtwähler von den gewählten Politikern nicht angemessen vertreten fühlen. Die Abgabe einer einzelnen Stimme innerhalb von 4 oder 5 Jahren ist eigentlich für aufgeklärte Bürger eine völlig unzureichende Möglichkeit des Engagements, zumal die dann Gewählten oft sehr viel Entscheidungskompetenz erhalten und teilweise auch noch üppig bezahlt werden. Manchen ist das immer noch nicht genug, wie diverse Skandale zeigen.


Demokratisierung, Erweiterung der Wahl- und Bürgerrechte

In einigen Ländern und auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland sind die demokratischen Rechte der Wähler und Bürger erweitert worden. Das beste Beispiel ist vielleicht die Schweiz, jedenfalls wenn es um die Möglichkeiten geht, Entscheidungen per Volksabstimmung herbeizuführen. Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern die Popularklage, die das eigentlich selbstverständliche Recht gewährleistet, dass Bürger unabhängig von ihrer persönlichen Betroffenheit Entscheidungen gerichtlich anfechten können. Den NROs müssten grundsätzlich nachgewiesene Unkosten bis zu einer bestimmten Höhe erstattet werden.

Weitere wesentliche Änderungen wären: die Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten, Trennung von Amt und Mandat, die Senkung der Abgeordnetendiäten, Bezahlung in Anlehnung an ein durchschnittliches Facharbeitergehalt, Senkung der Gehälter der Minister und Staatsekretäre, die völlige Offenlegung von Nebeneinkünften und Funktionen sowie die Begrenzung der Funktionen. Die Aufhebung der 5-Prozent-Klausel auch bei Landtags- und Bundestagswahlen ist ein weiteres Element, ebenso wie die Einführung des Kumulierens und Panaschierens. Auch die Festlegung der Reihenfolge der Parteien auf den Wahllisten nach Losentscheid könnte zu mehr Chancengleichheit und Akzeptanz beitragen. Neuen Parteien, Wählergemeinschaften und Einzelbewerbern sollte die Zulassung zu Wahlen erleichtert werden (niedrige Zahl von Unterschriften). Schließlich wäre es möglich, die Höhe der Wahlkampfkostenerstattung von der Wahlbeteiligung abhängig zu machen.

Die wohl größte Zahl der Nichtwähler sind paradoxerweise Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Gerade für sie wären grundlegende politische Veränderungen notwendig. Doch diese Veränderungen sind bekanntlich nur dann möglich, wenn eine wirklich große Zahl der Wähler anders wählt. Wenn also andere Möglichkeiten, wie ein Volksaufstand, ziemlich unwahrscheinlich sind, bleibt nur die Option, die von der Agenda 2010 und anderen eklatanten Ungerechtigkeiten besonders Betroffenen immer wieder zu informieren und zu mobilisieren.


Aufklärung, Solidarität und Glaubwürdigkeit

Alles nicht so ganz einfach, wenn trotz des Bruchs von Wahlversprechen, Verantwortung für unsinnige und kostspielige Großprojekte, für Agenda 2010 und zunehmende Ungerechtigkeiten, Verantwortung für Naturzerstörung und Krieg, doch immer wieder die Gleichen gewählt werden und die mit Unterstützung willfähriger Medien, bestehende Machtverhältnisse sichern und ausbauen. Voraussetzungen für eine Gegenoffensive sind vor allem Solidarität und Glaubwürdigkeit. Die Glaubwürdigkeit und Attraktivität beginnt und endet nicht nur bei den Wahlplakaten. Um Parteien interessanter zu machen, müssen diese attraktive Bildungs-, Beratungs-, Mitmach- und Unterstützungsangebote entwickeln.


KASTEN
Bereits bei der Bundestagswahl 2009 waren die Nichtwähler mit 28,2% die stärkste Wählergruppe. Seit 1983 ist die Wahlbeteiligung in Deutschland um 18,3 Prozent zurückgegangen. Nur in Portugal ging die Wahlbeteiligung noch weiter zurück.
In Dänemark und Schweden liegt die Wahlbeteiligung unverändert bei 85 und mehr Prozent.
In einer größeren Zahl von Ländern besteht Wahlpflicht mit Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Nichtwählern. Einige EU-Mitgliedsstaaten wie Belgien haben auch eine Wahlpflicht eingeführt, allerdings ohne Sanktionsmöglichkeiten.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 299 - August 2013, Seite 18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2013