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GEGENWIND/592: Eindrücke vom Europaparteitag der Linkspartei in Hamburg


Gegenwind Nr. 307 - April 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Ein Parteitag als Politiklabor
Eindrücke vom Europaparteitag der Linkspartei in Hamburg

von Klaus Peters



Die Linke muss sich stärker als andere Parteien mit den Widersprüchen in der Gesellschaft auseinandersetzen und spiegelt zwangsläufig auch einige der grundlegenden Widersprüche wider. Der Widerspruch von Bewusstsein und konkretem Handeln, von Egoismen und Solidarität oder von Ehrgeiz und mangelnder Kenntnis politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, von Internationalismus, regionalen und nationalen Interessen, sind nur einige dieser Widersprüche. Die Auseinandersetzung über mögliche Regierungsbeteiligungen kann die Partei zusätzlich schwer belasten.


Zu Beginn des Europaparteitags erhielt ein Sprecher der "Lampedusa-Flüchtlinge" die Gelegenheit, die Situation der Flüchtlinge und deren Erwartungen darzustellen. Als sonstige offizielle Gäste eingeladen waren eine Vertreterin des griechischen oppositionellen linken Parteienbündnisses Syriza und Inge Hannemann, die als Sachbearbeiterin in einem Hamburger Jobcenter offen Kritik an der Behandlung von Hartz IV-Empfängern geübt hatte und deshalb vom Dienst suspendiert worden ist. Ihre erfolgreiche Online-Massenpetition gegen die Sanktionsparagrafen des Sozialgesetzbuchs hatte auch die Partei Die Linke offensiv unterstützt.

Auf dem Parteitag vom 15./16. Februar ging es zwar vorrangig um die Europapolitik, doch bundespolitische Themen oder Bezüge waren doch in allen Reden und einer Vielzahl der Anträge unverkennbar. Das Europäische Parlament besteht zumindest aufgrund des Wahlrechts eigentlich aus nationalen Teilparlamenten, wie eine Delegierte in der Begründung eines Antrags sehr deutlich machen konnte. Dies wird vermutlich auf längere Zeit so bleiben. Die Sprachbarrieren sind eben auch nicht zu unterschätzen. Selbst wenn alle Kinder, wie der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, vorschlug, von der ersten Klasse an eine einheitliche Fremdsprache (Englisch) lernen, werden sich die durch die Sprachenvielfalt ergebenden Probleme so schnell nicht lösen lassen. Wenn andererseits ein einheitliches Grundverständnis über die Ziele der Politik besteht, ist die Sprache kein wesentliches Hindernis mehr. Neben den genannten Widersprüchen und Konflikten geht es unweigerlich wie auch schon auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene darum, Minderheiten und Quoten zu berücksichtigen. In der Gemengelage mit der Delegierte konfrontiert sind, spielen zudem regionale und strömungspolitische Kräfteverhältnisse eine nicht unerhebliche und nicht immer klar erkennbare Rolle. Im innerparteilichen Wettbewerb geht es auch um die Verteilung finanzieller Mittel, um räumliche und personelle Präsenz.


Aufhänger Präambel

In der Berichterstattung im Vorfeld und nach dem Parteitag hatten sich linke Medien wie das Neue Deutschland und die junge Welt ausführlich, teilweise engagiert, mit den Positionen von Strömungen und Personen auseinandergesetzt, während die bürgerlichen Medien sich üblicherweise eher mit Stimmungen und spezifischen Gegensätzen befassen. Aufhänger war für die bürgerlichen Medien zunächst die relativ deutliche Kritik der Linkspartei an der EU, die in der Präambel zum Entwurf des Europawahlprogramms als neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch bezeichnet worden war. In der Linkspartei entstanden dadurch aus verschiedenen Gründen Unsicherheiten, die zu einer längeren, mehr erklärenden formulierten Präambel führte. Insgesamt ist das Wahlprogramm durch zahlreiche Änderungsanträge, obgleich nur zum Teil berücksichtigt, nochmals deutlich umfangreicher geworden. Der von Wolfgang Gehrke und Diether Dehm eingebrachte, mit Begründung nur 12 Seiten umfassende Alternativentwurf, der für eine größere Zahl von Wählern und gesellschaftliche Bewegungen interessanter sein sollte, ist von den Verfassern bereits zu Beginn der Programmdebatte zurückgezogen worden, soll aber als Drucksache in größerer Auflage veröffentlicht werden.



Kasten
Immer wieder in Talkshows einzuladen oder Angebote, Beiträge in bürgerlichen Medien zu veröffentlichen, werden von den Massenmedien und den übrigen bürgerlichen Medien als Alibi benutzt. Eigenes politisches Engagement, die politische Kleinarbeit können nicht ersetzt werden. Wie die Herrschenden die Wirklichkeit interpretieren zeigte die Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine: Gewalttätige Proteste, Errichtung von Barrikaden, Besetzung und Zerstörung öffentlicher Gebäude, Einsatz von Molotowcocktails, Diebstahl von Waffen, Misshandlung und Tötung von staatlichen Bediensteten, Kooperation mit Faschisten, wurden ignoriert, verharmlost, die Versuche zur Herbeiführung eines Umsturzes auch massiv befördert. Und das alles soll zu "neuen demokratischen Verhältnissen" führen?
Deshalb Unterstützung der Medien [1], die berichten, wie sie lügen und diese Aufklärung auch in den gesellschaftlichen Bewegungen, auf unseren Straßen und Plätzen deutlich machen.
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Rhetorische Variationen und Emotionen

Die besonders wortgewandten Spitzen der Partei ernteten erwartungsgemäß den meisten Beifall für ihre Redebeiträge. Offensichtlich spielt auch die bei einer politischen Rede eingesetzte Lautstärke eine nicht zu unterschätzende Rolle, um sich beliebt zu machen. Zumindest eine Journalistin bemerkte, dass sich Sarah Wagenknechts Rede, die den wohl stärksten Beifall erhielt, auch durch Schreien auszeichnete. Ebenfalls erwähnenswert war ein "Jauchzen" aus den Reihen des Publikums. In Talkshows ist beides nun mal nicht so sehr angebracht. Emotionale Erwartungen müssen aber, da wo es möglich ist, sowohl bei den Medien, als offensichtlich auch bei den Parteigenossinnen und Parteigenossen erfüllt werden.

In einer großen Wochenzeitung bilanzierte die Autorin eines umfassenden, aber erwartungsgemäß tendenziell negativen Berichts über den Parteitag, Die Linke sei noch nicht erwachsen, müsse sich gefälligst wie es andere schon vorgemacht haben, auch anpassen.


Wahl der Kandidatenliste

Eine Kandidatenliste war vom Bundesausschuss der Partei vorgeschlagen worden. Erwartungsgemäß standen bisherige Mitglieder der Fraktion, die aus 8 Abgeordneten besteht, auf dieser Liste. Gerechnet wird mit der Erhöhung des Stimmenanteils von 7,5 Prozent auf etwa 10 Prozent. Ein besonderes Anliegen des zuständigen Bundesausschusses war, die Kandidaten aus den östlichen und westlichen Bundesländern auf der Vorschlagsliste angemessen zu berücksichtigen. Die Delegierten aus den östlichen Bundesländern stellen aufgrund der Mitgliederzahlen die größere Anzahl der insgesamt etwas mehr als 500 Delegierten. Schließlich setze sich die nicht unumstrittene frühere PDS-Vorsitzende und derzeitige Vorsitzende der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/ Nordische Grüne Linke (GUE/NGL), Gabriele (Gabi) Zimmer aus Thüringen, wie vorgeschlagen, auch als Spitzenkandidatin durch. Die Vertreter aus den östlichen Bundesländern werden, zumindest von den bürgerlichen Medien, gern als Ost-Pragmatiker oder Reformer bezeichnet. Gabriele Zimmer war in der abgelaufenen Legislaturperiode unter anderem dadurch aufgefallen, dass sie eine anti-kubanische Resolution unterstützt hatte bei der Auszeichnung eines kubanischen Konterrevolutionärs im Plenarsaal des EU-Parlaments sitzen geblieben war. Auf Platz 2 konnte sich der bisherige EU-Abgeordnete und frühere Gewerkschafter Thomas Händel, (Franken) entgegen dem Vorschlag des Bundesausschusses durchsetzen. Auf die weiteren aussichtsreichsten Plätze kamen Cornelia Ernst (Sachsen), Helmut Scholz, (Mecklenburg-Vorpommern), die bisherige Abgeordnete Sabine Lösing (Niedersachsen), Fabio de Masi (Nordrhein-Westfalen, Mitarbeiter von Sarah Wagenknecht), Martina Michels (Berlin) und auf Platz 8 Martin Schirdewan (Mitarbeiter der Bundestagsfraktion). Damit stehen 5 Ostdeutsche und 3 Westdeutsche auf relativ sicheren Listenplätzen. Die vom Ausschuss gesetzte und von den Schleswig-Holsteiner unterstützte bisherigen EU-Abgeordnete Sabine Wils aus Hamburg konnte sich, ebenso wie der frühere EU-Abgeordnete und Friedensaktivist, Tobias Pflüger (Baden-Württemberg), für einen vorderen Listenplatz nicht durchsetzen. Beide zogen daraufhin ihre Kandidatur zurück. Auf Platz 9, ursprünglich Platz 11, ist die Bremerin Sofia Leonidakis gewählt worden. Platz 10 ging an Malte Fiedler (Berlin), Kandidat de Linksjugend (solid).

Die Wahlliste spiegelt einige Tendenzen wider. Die mitgliederstarken östlichen Landesverbände sind entsprechend stark vertreten. Die Mehrheit der Kandidatinnen und Kandidaten vertreten eher die Positionen des "Forums demokratischer Sozialismus", das auch Regierungsbeteiligungen anstrebt. Mehrere Kandidatinnen und Kandidaten kommen aus dem "Parteiapparat", sind oder waren bereits Abgeordnete. Bewerberinnen und Bewerber mit speziellem fachlichen Hintergrund und Seiteneinsteiger haben es schwer.

Die Möglichkeiten einer vergleichsweise kleinen Fraktion, sind prinzipiell gering, auch wenn es zu einer gemeinsamen Fraktion mit den anderen im Parlament vertretenen linken Parteien kommt. Als Spitzenkandidat der europäischen Linken steht bereits Alexis Tsipras, der Vorsitzende des Parteienbündnisses Syriza aus Griechenland, fest. In der letzten Legislaturperiode war es in der deutschen Delegation zu einigen Problemen gekommen. Der Vorsitz musste neu gewählt werden, das Verhalten von Gabi Zimmer und leider auch das des verstorbenen früheren Fraktionsvorsitzenden Lothar Bisky waren problematisch bis inakzeptabel. Lothar Bisky hatte für die Einrichtung einer "Flugverbotszone" der NATO über Libyen gestimmt.


Erhebliche Defizite

Das beschlossene Europawahlprogramm und auch der zurückgezogene Alternativentwurf gehen nur sehr eingeschränkt auf den zunehmenden Stadt-Land-Gegensatz ein. Es ist davon auszugehen, dass Entscheidungsträger und Delegierte in der Mehrheit aus städtischen Agglomerationen kommen und entsprechend geprägt sind. Praktisch keine Rolle spielt auch die Straßenverkehrssicherheit mit jährlich immer noch 28.000 Getöteten in den Mitgliedstaaten und jährlichen sozio-ökonomischen Kosten von 250 Milliarden Euro [2] in der gesamten EU. Aussagen zu einer europäischen Energiepolitik sind sehr allgemein gehalten. Die Energieversorgung soll zwar in öffentliche Hand überführt werden, die Linkspartei unterstützt jedoch wie prinzipiell alle anderen Parteien eine nationale, nicht zu Ende gedachte, in mehrfacher Hinsicht unsynchronisierte Energiewendepolitik. Die auf privaten Profit ausgerichtete Förderung und Probleme im Zusammenhang mit Trassenplanungen werden ausgeblendet. Die Europäische Landschaftskonvention ist beispielsweise auch kein Thema.

Der Europawahlkampf ist als Chance zu begreifen, statt utopischer Forderungen wie "100 % sozial", "sofortiger Ausstieg" oder "Energierevolution" sollten sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Strategien auf allen Ebenen nach vorne gebracht werden.

Dabei hat die Kooperation mit den bisher weitgehend zersplittert und gruppenegoistisch agierenden gesellschaftlichen Bewegungen, die sich auch allzu leicht durch "Bürgerdialoge" hinhalten oder gar ruhig stellen lassen, eine herausragende Rolle. Das aufgeladene Wahlprogramm mit dem Titel "Europa geht anders, sozial, friedlich, demokratisch" ist dazu in der vorliegenden Form aber nur bedingt geeignet.



Kasten

Die AfD, deren Europawahlprogramm bisher nur aus wenigen Sätzen besteht, dem Abschnitt Europapolitik des Bundestagswahlprogramms, dürfte sich erneut als Konkurrent der etablierten Parteien, einschließlich der Linkspartei, erweisen. Die AfD hatte der Partei Die Linke bei den Bundestagswahlen überraschend rund 340.000 Stimmen abgenommen. Die AfD ist die einzige nennenswerte Partei, die die EEG-Förderung sehr kritisch sieht und fordert, die gesetzlich bereits verankerte Förderung nur aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren.

Durch den Wegfall der Mindestquote (bisher 5 %) im deutschen Wahlrecht zur Europawahl, werden weitere kleinere Parteien in das Europaparlament einziehen. Dies wird vermutlich dazu führen, dass bei der derzeitigen Parteienkonstellation die großen Parteien weniger Mandate erhalten.

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Anmerkungen

(1) Die großen öffentlichen Büchereien, zumindest die in Schleswig-Holstein und Hamburg, blockieren bislang, also seit über zwei Jahrzehnten, das "Neue Deutschland" und die "junge Welt".

(2) Angaben für 2012, siehe hierzu European Transport Safety Council (ETSC): Position papers, z.B. "Road Safety Manifesto for the European Parliament Elections May 2014", www.etsc.eu

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Quelle:
Gegenwind Nr. 307 - April 2014, Seite 22-24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2014