Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


GEGENWIND/656: "Wirtschaftssystem für die Superreichen"


Gegenwind Nr. 329 - März 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

"Wirtschaftssystem für die Superreichen"
Ungleichheit bei Vermögen nimmt weltweit und bei uns zu

Von Günther Stamer


Die altehrwürdige Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam (ansässig im englischen Oxford, 1942 gegründet) hat Mitte Januar 2016 mit ihrer Studie zur weltweiten Vermögensverteilung für Aufsehen gesorgt: Danach besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt so viel wie die 3,6 Milliarden Menschen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung. "Wirtschaftssystem für die Superreichen" ist diese jüngste Oxfam-Studie betitelt.(1) Und für die USA kennzeichnet der linke Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Bernie Sanders, die Situation folgendermaßen: "Das oberste Zehntel des obersten Prozents der Amerikaner hat fast so viel Reichtum wie die unteren neunzig Prozent der Bevölkerung. Allein die Familie Walton als Inhaber der Kaufhauskette Walmart besitzt mehr als die unteren 40 Prozent."(2)


Einen Grund für diese Entwicklung sieht die Oxfam-Studie in der unzureichenden Besteuerung von großen Vermögen und Kapitalgewinnen sowie in der Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen. Darüber hinaus fordert die Studie ein Ende des ruinösen Wettlaufs um die niedrigsten Steuersätze und eine Reform des internationalen Steuersystems.

Belegt werden mit dieser Studie nachdrücklich die Thesen des französischen Ökonomen Thomas Piketty, die er in seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" (2013) aufgestellt hatte. Wie der Zufall es will, ist dieses Buch gerade jetzt als Taschenbuch-Ausgabe neu auf dem deutschen Markt herausgekommen.(3) Piketty arbeitet in seinem Buch eine grundsätzliche Theorie des Kapitalismus heraus, die die Theorien zum Wirtschaftswachstum und zur Vermögensverteilung verbindet. Pikettys Kernthese lautet: Ungleichheit ist kein zufälliges, sondern ein notwendiges Merkmal des kapitalistischen Wirtschaftssystems; übermäßige Ungleichheit in einer kapitalistischen Wirtschaft kann daher nur durch staatliche Einschränkungen des Kapitalismus gelöst werden. Wird ein derartig exzessiver Kapitalismus - wie der derzeitige - nicht reformiert, so würde laut Piketty die formal-demokratische Grundordnung der bürgerlichen Gesellschaft gefährdet. Das Buch sorgte mit seinen gut belegten Thesen vor allem für eine internationale Debatte um die Besteuerung des globalen Reichtums, um Ungleichheit und Umverteilung. Seine - durchaus systemkonforme - Schlussfolgerung: Eine progressive Vermögenssteuer von bis zu zwei Prozent verbunden mit einer progressiven Einkommenssteuer, die im Spitzensatz bis zu 80 Prozent erreichen sollte. Dies geht manchem linken Kritiker zwar nicht weit genug - wäre aber immerhin ein Anfang.


Reich in Deutschland

Elisabeth Schaeffler führt die Liste der reichsten Deutschen an. Gemeinsam mit ihrem Sohn Georg besitzt sie 25 Milliarden Euro; auf Platz zwei liegt die Familie Reimann (Wella), die über rund 23 Milliarden Euro verfügt. Platz drei belegt Dieter Schwarz, Eigentümer der Schwarz-Gruppe, der Lidl und Kaufland gehören. Dahinter folgen der Aldi-Clan sowie die BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt. Einziger schleswig-holsteinischer Vertreter in diesem exklusiven Club ist die Lübecker Familie Dräger mit 850 Millionen. "Insgesamt war das vergangene Jahr für den Club der 500 Reichsten extrem erfolgreich. Ihr Vermögen wuchs um 12,6 Prozent auf zusammengerechnet 665 Milliarden Euro. Damit haben sie sich vom globalen Wohlstandskuchen deutlich mehr abgeschnitten als der große Rest. 2014 legte die globale Wirtschaftsleistung um lediglich 3,4 Prozent zu."(4)

Allein die drei aller reichsten Familien in Deutschland haben damit mehr Vermögen als die zwanzig Millionen ärmeren Haushalte des Landes. Dabei ist dies nur die Spitze des Eisberges. Denn: Während Einkommen aus Lohnarbeit und selbständiger Tätigkeit statistisch gut erfasst sind, gibt es bei der Vermögensmessung erhebliche Bewertungsprobleme und Lücken bei der Erfassung.

Aber selbst das Bundessozialministerium musste jetzt in Vorbereitung des 5. Armuts- und Reichtumsberichts(5) (der im Laufe des Jahres 2016 erscheinen soll) feststellen, dass sich die Vermögen an der Spitze der Vermögenspyramide immer mehr zusammenballen. Nach den jüngsten Daten - beruhend auf der alle fünf Jahre erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstatistik (EVS) - verfügten die reichsten zehn Prozent der Haushalte 2013 über mehr als die Hälfte des gesamten Netto-Vermögens: 51,9%. Fünfzehn Jahre früher, 1998, waren es 6,4-Prozentpunkte weniger: 45,1%. Der höhere Anteil bedeutet einen Zugewinn von 440 Milliarden Euro.

Dabei ist zu vermuten, dass die Ungleichheit in der Realität noch größer ist, da die EVS auf einer Stichproben-Erhebung basiert, deren Teilnahme freiwillig ist und die Vermögenswerte von den Befragten selbst geschätzt werden, was höchst problematisch bei Immobilien, Aktien, Kunst ist. Zudem gibt es Lücken bei der Erfassung von Kapitaleinkommen wie Zinsen und Dividenden. Insgesamt darf man wohl davon ausgehen, dass Wohlhabende eher zum Understatement bei der Bewertung des eigenen Vermögens neigen werden. Der Clou der ganzen EVS-Erhebung ist aber: Die reichsten 0,2 Prozent der Haushalte werden statistisch überhaupt nicht erfasst. Begründung: Keine repräsentative Erhebung möglich, Gefahr der Verzerrung der Statistik durch Größtvermögen.

Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die genau das Top-Segment der Superreichen zum Gegenstand hatte, kommt auf aufschlussreichere Ergebnisse. Die DIW-Forscher werteten dabei Quellen aus wie die Forbes-Liste, die Reichenlisten der Wirtschaftsmedien, Reichtumsberichte von Banken, Versicherungen und Fonds. Die Ergebnisse sind frappierend: "Insgesamt leitet sich daraus ab, dass die reichsten zehn Prozent der Vermögensverteilung 74 Prozent des gesamten Nettovermögens 2012 halten.

Die reichsten ein Prozent (1%)der Haushalte in Deutschland besitzen 33% der Vermögen.

Und die Spitze der Spitze: Das oberste Promille (‰) - das sind ungefähr 40.000 Haushalte, buchstäblich die Oberen Zehntausend - halten mehr als 17 Prozent des Reichtums.(6)

Dieses 0,2% Superreichen werden im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung überhaupt nicht erfasst. Die Kluft zwischen Arm und Reich tut sich also noch weiter auf.


Schwindende soziale Mobilität

Vom Tellerwäscher zum Millionär - das ist der Traum des Kapitalismus. War seine Erfüllung aber schon seit jeher recht unwahrscheinlich, so wird sie hierzulande immer unmöglicher. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung spricht von einer "deutlichen Verfestigung" der Einkommensverteilung. "Die sehr Reichen schweben regelrecht über den konjunkturellen Krisen, während viele Arme auch von einem länger andauernden wirtschaftlichen Aufschwung kaum profitieren" heißt es im WSI-Bericht vom November 2015.(7)

Die Ursache für diese Entwicklung liegt dem WSI-Report zufolge an der schrumpfenden Lohnquote. Diese Größe gibt an, welcher Anteil des Volkseinkommens auf die Arbeitnehmerentgelte entfällt. Im Jahr 2000 lag sie noch bei 72,5 Prozent. Derzeit sind es 69,1 Prozent, während der andere Teil der Volkseinkommen - die Gewinne und Vermögenseinkünfte - dafür zulegte.

Diese zunehmende Polarisierung der Gesellschaft bekommt die Mittelschicht zu spüren. "Für den Mittelstand haben sich die Aufstiegschancen verringert, die Abstiegsrisiken haben zugenommen." Gleichzeitig kann der oberste Teil der Gesellschaft sich dieser Tage sicherer sein als noch vor 25 Jahren, auch in Zukunft an der Spitze zu stehen.


"...wirkt die aktuelle Ungleichheitsdebatte überzogen"

Beinahe reflexhaft wird regelmäßig kurz nach Veröffentlichung von Untersuchungen über die wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft von einfluss- und finanzreichen Seiten von maßloser Übertreibung und Alarmismus gesprochen. So meldet sich z.B. Clemens Fuest (zukünftiger Chef und Sinn-Nachfolger des einflussreichen Münchner Ifo-lnstituts) mit "Zehn Thesen zur Ungleichheitsdebatte" in der Frankfurter Allgemeinen zu Wort.(8) Seine These lautet: "Die weltweite Armut hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch abgenommen. (...) Das ist eine Folge des Aufstiegs der Schwellenländer. In den reichen Industrieländern wächst zwar die Ungleichheit der Markteinkommen (...), der Sozialstaat federt die zunehmende Ungleichheit aber ab." Sein Fazit: "Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Ungleichheitsdebatte überzogen." Seine Thesen lenken den Blick fast ausschließlich auf die Einkommen der Lohnabhängigen und sollen zeigen, dass es diesen in den reichen kapitalistischen Ländern doch eigentlich "relativ gut" geht und dort, wo der Lohn nicht reicht, die "Transferleistungen des Staates" hilfreich zur Seite stehen. Aber, und nun wird es zynisch: "Vermögensungleichheit in Deutschland resultiert teilweise daraus, dass viele einkommensschwache Haushalte wenig sparen." Ein Blick und eine Problematisierung des immensen Reichtums auf Seiten des Kapitals und dessen überproportionaler Anstieg im Vergleich zu den Arbeitseinkommen werden in den "Thesen" völlig ausgeblendet.

"Man kann Armut und Reichtum nicht unabhängig voneinander bestimmen, sondern muss das Wohlstandsniveau der jeweiligen Gesellschaft als Vergleichsmaßstab berücksichtigen", so der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge.(9) "Da die kapitalistische Gesellschaft immer mehr Bereiche ökonomisiert, privatisiert und kommerzialisiert, d.h. beinahe alle Lebensabläufe stärker denn je über das Geld regelt, führt ein geringes Einkommen heute zu einer größeren sozialen Abwertung, als dies in früheren Geschichtsperioden der Fall war."


Große Koalition: Schutzpatron der Reichen

Die Milliardäre und Superreichen müssen in unserem Land um ihren Reichtum nicht bangen. Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden, Spekulationsgewinne) werden mit 25 Prozent weitaus niedriger besteuert als Arbeitseinkommen (bis zu 42%). Die Erbschaftssteuer bleibt eine Bagatellsteuer, da vererbtes "Betriebsvermögen" von der Besteuerung weitgehend verschont bleibt. Und die Vermögenssteuer bleibt weiter tabu, sie wird seit 1997 nicht mehr erhoben.

Die Kehrseite des Reichtums: 2014 waren in Deutschland rund 7,55 Millionen Menschen und damit 9,3 Prozent der Bevölkerung auf soziale Mindestsicherungsleistungen angewiesen. Damit stieg sowohl die Anzahl als auch der Anteil an der Gesamtbevölkerung gegenüber dem Vorjahr (7,38 Millionen, 9,1 Prozent) und auch gegenüber 2012 (7,25 Millionen, 9,0 Prozent) leicht an. Das geht aus den im Dezember 2015 veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. (siehe auch: Gegenwind 325/Oktober 2015: Armut? Welche Armut?)

Alleinstehende Hartz IV-Empfänger erhalten ab Januar 2016 404 Euro statt bisher 399 Euro. Vier Euro mehr bekommen Partner in einer Bedarfsgemeinschaft, während Kindern je nach Alter ein Plus von drei oder vier Euro zusteht. Gewerkschaften und linke Parteien fordern u.a. die sofortige Erhöhung der Regelsätze auf 500 Euro für Hartz IV-Empfänger.

Wie kann eine Wende in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Vermögensumverteilung von unten nach oben eingeleitet werden?

Neben einer spürbaren Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns und kräftigen Lohnerhöhungen in den kommenden Tarifkämpfen müssen vor allem die Steuerschrauben bei denen angezogen werden, die bisher alleinige Nutznießer neoliberaler Steuerpolitik waren. Das heißt: Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Darüber hinaus fordert z.B. Die Linke eine "Millionärssteuer": Die erste Million steuerfrei und dann fünf Prozent auf das weitere Vermögen. Eine Millionärssteuer würde nach ihren Berechnungen allein bei den 500 reichsten Deutschen zu Steuereinnahmen von 33 Milliarden Euro führen.

Schließlich gilt es, Kapitalflucht zu unterbinden und die Steueroasen zu schließen und Reformen des internationalen Steuersystems durchzusetzen, wie es z.B. attac mit der Finanztransaktionssteuer vorschlägt.


ANMERKUNGEN

(1) https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/oxfam-bericht-belegt-soziale-ungleichheit-nimmt-weltweit-dramatisch

(2) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.2.16

(3) Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. C.H. Beck 2016. 816 S. mit 97 Grafiken und 18 Tabellen. 16,95 Euro

(4) Der unsichtbare Club der 500 reichsten Deutschen, Die Welt 3.9.15

(5) www.armuts-und-reichtumsbericht.de/der-fuenfte-bericht

(6) DIW-Wochenbericht, 7/2015, S. 131

(7) WSI-Verteilungsbericht 2015. Reihe: WSI Report, Nr. 26, November 2015.

(8) FAZ 11.2.16

(9) junge welt 17.11.15

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 330 - März 2016, Seite 50-53
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der Gegenwind erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang