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GEGENWIND/709: Buchvorstellung - Leben wie Trump in "America"?


Gegenwind Nr. 344 - Mai 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Buchvorstellung
Leben wie Trump in "America"?
Ein aktuelles Buch hinterfragt die "imperiale Lebensweise"

von Günter Stamer


Der Regierungsantritt Donald Trumps lässt in vielerlei Hinsicht nichts Gutes für die Zukunft erwarten. Scheinbar glaubwürdiger als seine bürgerliche Konkurrenz verspricht er, eine Lebensweise, die durch die von ihr hervorgerufenen und verschärften Krisen zunehmend in Frage gestellt wird, wieder zu stabilisieren. Eine Mauer soll die USA vor "illegaler" Einwanderung schützen, bereits Eingewanderte sollen ausgewiesen werden. Die US-Umweltbehörde will er kaltstellen - beschlossene Klimaziele weitgehend ignorieren. Die nach heftigen Protesten von der Obama-Administration suspendierte Dakota Access Pipeline zum Transport von umweltschädlich gefracktem Erdöl will Trump weiterbauen. Und nicht zuletzt geriert er sich auch wieder als "Weltgendarm" (siehe Syrien), dem Völkerrecht schnurz egal ist.


Aber dieser "Trumpismus" ist mehr als Donald Trump. Es ist eine aggressive politische Richtungsentscheidung entlang der Themen Krieg, Einwanderung, Handel und Umweltzerstörung - daherkommend im nationalistischen, demokratiefeindlichen, rassistischen Gewand. Auch in Europa begegnen uns eng verwandte politische Parteien und Bewegungen: Der Front National in Frankreich, der "Ungarische Bürgerbund" oder die AfD in Deutschland - um nur einige zu nennen. Die jetzt von den EU-Institutionen oder von der Bundesregierung geäußerten kritischen Töne gegenüber dem Auftreten von Trump sind natürlich scheinheilig und erschöpfen sich größtenteils in "Stilfragen". Denn auch sie betreiben fleißig das Geschäft des "Neoliberalismus", bei dem wirtschaftspolitisch vor allem drei Forderungen oben auf der Agenda stehen: Profit, Profit, Profit. Um das zu gewährleisten, gilt es, die "marktkonforme Demokratie" (Angela Merkel) entsprechend zu gestalten. Die jüngsten Skandale bei der Abgasmessung von Autos und die Verteidigung dieser Praktiken durch die Politik zugunsten Konzerninteressen sind nur die Spitze des Eisbergs - ganz zu schweigen von dem erpresserischen Umgang mit den vom "Exportweltmeister" gebeutelten südlichen EU-Staaten.

Trotz vielfältiger und offenkundiger Krisenprozesse herrscht "Normalität"

In dem im März erschienen Buch "Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus" gehen die Autoren Ulrich Brand und Markus Wissen der Frage nach, wie und warum sich in einer Zeit, in der sich Probleme auf den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Feldern häufen und zuspitzen, trotzdem "so etwas wie Normalität" herrscht. Sie machen das an der von ihnen als "imperiale Lebensweise" charakterisierten - immer globaler werdenden - spezifischen Art und Weise des Produzierens und Konsumierens fest. "Sie wirkt in vielen Teilen der Welt verschärfend auf Krisenphänomene wie den Klimawandel, die Vernichtung von Ökosystemen, die soziale Polarisierung oder die geopolitischen Spannungen. Gleichzeitig trägt sie aber dort, wo sich ihr Nutzen konzentriert, zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse bei."

Gemeint sind damit Produktions- und Konsummuster, die hohe soziale und ökologische Kosten verursachen und auf Arbeitskraft und Natur andernorts verlagern: Der globale Norden eignet sich die mineralischen, metallischen und agrarischen Ressourcen des globalen Südens an und beutet obendrein die dort lebenden Menschen als billige Arbeitskräfte aus.

Mit welchen Mechanismen dies geschieht legen die Autoren in acht Kapiteln dar:

Kapitel 1 An den Grenzen einer Lebensweise
Kapitel 2 Multiple Krise und sozial-ökologische Transformation
Kapitel 3 Der Begriff der imperialen Lebensweise
Kapitel 4 Die historische Entstehung der imperialen Lebensweise
Kapitel 5 Die globale Verallgemeinerung und Vertiefung der imperialen Lebensweise
Kapitel 6 Imperiale Automobilität
Kapitel 7 Falsche Alternativen. Von der grünen Ökonomie zum grünen Kapitalismus?
Kapitel 8 Konturen einer solidarischen Lebensweise

Eine erste kritische Bemerkung: Der Einstieg wird dem nichtakademischen Leser auf den ersten 70 Seiten des Buches nicht gerade leicht gemacht. Wabert es dort doch nach meinem Gefühl etwas zu heftig und sich wiederholend gramscinesisch und politsoziologisch - kürzer und prägnanter wäre hier mehr gewesen. Aber ab Kapitel 4 wird der Leser dann für sein Durchhaltevermögen belohnt - so z.B. durch einen sehr informativen Blick auf eine wichtige Etappe der Herausbildung "westlicher Lebensart" in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Auto, Eigenheim, Elektrogeräte

Seither wurden das Auto, das Eigenheim und Elektrogeräte Ausdruck und Symbole des "sozialen Aufstiegs" und der individuellen "Selbstverwirklichung" - von der herrschenden Ideologie massenwirksam in Szene gesetzt. Erkauft wurde dies von den Lohnabhängigen durch ein hohes Maß an Disziplin in hochgradig arbeitsteiligen Großunternehmen. Die Autoren zitieren in diesem Zusammenhang Henry Ford, der auch das Privatleben "seiner" Mitarbeiter kontrollierte: Diese "sollten sparsam leben, nicht viel rauchen und trinken, die Ehefrau sollte nicht erwerbsfähig sein und den Haushalt ordentlich führen." Nach den Zweiten Weltkrieg wurde dieses Modell durch die US-Army und die Massenmedien in große Teile der Welt exportiert.

In den 80er Jahren transformierte sich dieses "fordistische Geschäftsmodell" dann zum "globalen Neoliberalismus." Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung, Abbau von Handelsbeschränkungen, Privatisierungen öffentlicher Aufgaben, Liberalisierung der Finanzmärkte und drastischer Rückbau sozialpolitischer Errungenschaften sind seither dessen Merkmale. Dieses Produktions- und Konsummodell verschafft dem Kapitalismus eine neue Dynamik, bedeuten einen intensiveren Zugriff auf die billige Arbeitskraft in anderen Ländern und die natürlichen Ressourcen der Welt.

Damit werden aber nicht nicht nur die Profite der Konzerne gesichert, sondern es hat auch für mehr oder weniger große Teile der Bevölkerung in den Zentren des kapitalistischen Nordens - und selbst für die vom Abstieg bedrohten Menschen - einen materiellen Kern: In anderen Ländern unter schlechten sozialen und ökologischen Bedingungen gewonnene Rohstoffe oder hergestellte Produkte sichern einen gewissen Wohlstand. Und es überrascht nicht, dass diese "imperiale Lebensweise" auch vielen Menschen in den wirtschaftlich dynamischen Schwellenländern attraktiv erscheint und von großen Bevölkerungsteilen angestrebt wird. Ausführlich beschrieben wird dies im Buch am Beispiel von China.

"Die Zahl der PKWs stieg von 15 Millionen im Jahr 2003 über knapp 50 Millionen im Jahr 2009 auf 123 Millionen im Jahr 2014. Und auch die obere Klasse mit ihrem Hang zur protzigen Darstellung von Statussymbolen wie Wohnungen, Häusern und Autos wächst stark an. Im Jahr 2014 wurden schätzungsweise 40 Prozent der weltweit verkauften Luxusgüter von Chinesen erworben."

Automobilität in vielen Varianten

Besonders aufs Korn nehmen die Autoren die gesellschaftliche Fixierung auf die Automobilität, "die Monopolisierung von immer mehr Flächen für die Bedürfnisse des Autos, indem geselliges Leben vertrieben und nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer an den Rand gedrängt werden." Sie beginnen ihre Untersuchung mit der Feststellung, dass ausgerechnet zu einer Zeit, in der medial eine wachsende Diskussion um den Klimawandel und was jeder Einzelne dagegen tun könne, die Nachfrage nach besonders ressourcen- und emissionsintensiven SUVs zunimmt.

Und auch die gegenwärtige Diskussion um Elektro-Autos versehen die Autoren mit einem großen Fragezeichen. "Es wird davon ausgegangen, dass Autos mit Elektroantrieb per se umweltfreundlicher sind als solche mit Verbrennungsmotor, weil sie beim Fahren kein CO2 emittieren. Dabei ist selbst dies nicht ausgemacht, setzt es doch voraus, dass alle Elektroautos mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Und selbst wenn dies gelänge, wäre die für die Ökobilanz von Elektroautos wichtige Frage der Materialien und der Energie, die für ihre" Herstellung benötigt werden, noch offen."

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass in der gegenwärtigen Debatte über eine Mobilitätswende die entscheidenden Fragen nicht gestellt werden: Wie ließen sich Verkehrswege vermeiden bzw. verkürzen und wie könnten die wirklich nötigen Verkehrswege möglichst sozial- und umweltverträglich zurückgelegt werden?

Die Autoren geben zu bedenken, dass die Verankerung der Automobilität als Ausdruck individueller Lebensweise nicht nur der Macht der Autokonzerne geschuldet ist, sondern auch großer Teile der Bevölkerung einschließlich der Interessen der Kolleg*innen und Gewerkschaften. "Man könnte dies als tief verankerten automobilen Konsens' bezeichnen," so die Autoren.

Statt für einen "grüner Kapitalismus" für eine solidarische Lebensweise kämpfen

Im abschließenden Kapitel skizzieren die Autoren Akteure und Wege, die zu einer Überwindung der "imperialen Lebensweise" führen könnten.

Im Unterschied zur viel diskutierten These von Paul Mason (2016) sind die Autoren nicht der Meinung, dass der digitalisierte Kapitalismus die materielle Grundlage für einen "Postkapitalismus" schaffen kann. Jene These unterschätze die im Alltagsbewusstsein der Bevölkerung tief verankerten kapitalistischen Prägungen. Diese gelte es zu verändern, hierzu solle ihr Buches einen Anstoß liefern, stellen die Autoren resümierend fest. Aber wie beginnen? Wer hier als Leser zum Schluss auf einen echten "Knalleffekt" oder eine überraschende Pointe gehofft hatte, muss enttäuscht werden - denn er wird auch nach Lesen dieses Buches sich weiter den "Mühen der Ebene" (Brecht) stellen müssen. Dabei bleibt unklar, wer für die Autoren die entscheidenden Subjekte der Veränderung hin zu einer solidarischen Lebensweise sind und wer die Hauptgegner. So schwirrt der Begriff der "imperialen Lebensweise" ein wenig körper- und klassenlos durch das Buch. Diese kritische Anmerkung vorausgeschickt, regt das Buch auf jeden Fall zum tieferen Nachdenken an, u.a. im Umfeld der gegenwärtig landauf-landab geführten Debatte um "Industrie und Arbeit 4.0".

Die Autoren sehen in den starken Protesten, die Trumps Amtsführung begleiten, ebenso Hoffnungszeichen, wie die Erfolge von Bernie Sanders bei den US-Vorwahlen im vergangenen Jahr oder in den sozialen Bewegung der "Indignados" in Spanien oder den Zapatistas im Süden Mexikos. Widerstand gegen Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP, TISA und CETA, Massenproteste gegen Veranstaltungen wie das im Juli in Hamburg stattfindende G20-Treffen können wichtige Haltemarken gegen eine weitere Ausbreitung der "imperialen Lebensweise" sein. Und schließlich geht es um die Ausweitung von Räumen und Bündnissen, die emanzipatorisches Handeln, solidarischen Handel im Hinblick auf eine solidarische Lebensweise ermöglichen.

"Gerade aus einer linken Perspektive ist die Frage drängend, wie eine solidarische Lebensweise entstehen kann. Wir kennen viele Ansätze wie ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energie und ihre dezentrale Produktion, öffentlicher Verkehr und anderes mehr. Dazu gehören auch die Solidarität mit Geflüchteten sowie die Kämpfe um Ernährungssouveränität, Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie. In ihnen deutet sich eine der imperialen entgegengesetzte solidarische Lebensweise an."

Die Autoren

Prof. Ulrich Brand arbeitet zu Internationaler Politik an der Universität Wien und ist Mitherausgeber der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Markus Wissen ist Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Redakteur der PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Seit den 90er Jahren kooperieren beide Autoren unter anderem im Rahmen der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG).


Ulrich Brand/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. Oekom-Verlag München 2017. 224 Seiten, 14,50 EUR

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Quelle:
Gegenwind Nr. 34 - Mai 2017, Seite 50 - 52
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2017

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