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GEGENWIND/748: Energiewende - Eine europäische Lösung muss her


Gegenwind Nr. 354 - März 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Buchvorstellung
Niemand kann die Klimaänderung alleine aufhalten
Eine europäische Lösung muss her

von Reinhard Pohl


Die Energiewende wurde Anfang des neuen Jahrtausends aufgerufen und machte in den ersten Jahren gute Fortschritte. Aber dann begannen die Gegner der Energiewende, sich zu organisieren, um Atomstrom und Kohlekraft zu retten. Vor allem leisteten sie Lobby-Arbeit, um den Atomausstieg rückgängig zu machen und den Kohleausstieg zu verhindern.


Dieses Buch zeichnen die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre aus europäischer Perspektive nach. Der Autor ist Abgeordneter im Europa-Parlament, kommt aus Luxemburg und ist bei den Grünen. Er sieht - sicherlich zu Recht - die Energiewende als lebensnotwendig für unser aller Zukunft an. Außerdem sieht er die großen Chancen für Europa, wenn es gelingt, in möglichst kurzer Zeit zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu leben.

Der Autor zeichnet die Politik nach, die "nach Rio" euphorisch begann und vor allem durch die Lobbyarbeit der großen Konzerne ab 2009 gebremst wurde. In Deutschland beschloss Rot-Grün den Atomausstieg, aber Schwarz-Gelb wieder den Atomeinstieg durch Laufzeitverlängerung. Erst durch die Katastrophe von Fukushima und die dramatischen Wahlerfolge der Grünen in Deutschland besann sich Angela Merkel eines Besseren, auch weil sie als Physikerin die Gefahren ohne Fremdgutachten beurteilen konnte.

Aber die Konzerne konnten überall punkten. Auch in Spanien gelang ihnen das Ausbremsen der ökologischen Energieerzeugung, in Großbritannien der Wieder-Einstieg in die Atomenergie, ebenso in Finnland, Ungarn und Bulgarien - wobei diese Energieform inzwischen natürlich nicht nur die teuerste und gefährlichste Variante ist, sondern auch Unmengen von Subventionen verschlingt. Auch die Kohle wird nur durch immense Subventionen im Rennen gehalten. In Deutschland wird die Förderung der Energiewende auf den Strompreis umgelegt, während die weitaus höheren Subventionen für Kohle und Atom aus den Steuern bezahlt werden - ein Erfolg der Konzerne, die damit der Bevölkerung vortäuschen, irgendwie würde Wind und Sonne doch etwas kosten.

Im Zweiten Teil beschreibt der Autor die Zukunft der Energiewende in Europa. Dabei geht es nicht nur um den Strom, der in der öffentlichen Diskussion zu Unrecht im Vordergrund steht. Es geht vor allem um die Energieeffizienz, bei deren Durchsetzung natürlich die Energieverkäufer die denkbar schlechtesten Verbündeten sind. Es geht außerdem um den Verkehr, hier zeigt sich ja, dass Europa der Entwicklung zum Beispiel gegenüber Japan und China immer weiter hinterherhinkt, der Diesel-Betrug der Automobil-Industrie in Deutschland ist nur eines der sichtbaren Symptome. Es geht vor allem um die Wärmedämmung von Gebäuden. Hier muss man verstärkt darauf achten, den Bestand zu modernisieren, denn die Neubauten sind insgesamt betrachtet viel zu gering in ihrem Effekt, selbst wenn man in der EU nur noch Null-Energie-Häuser erlauben würde.

Übrigens wäre die Wärmedämmung der bestehenden Häuser, die um 2050 in der EU etwa 80 Prozent der Häuser ausmachen werden, auch ein wichtiger Schritt in der Sozialpolitik, denn hier gibt es die mit Abstand größten Probleme für arme Menschen. Sie bekommen Sperren bei der öffentlichen Versorgung, wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können - und die Wärme ist nun mal der größte Posten. Wenn es gelingt, die Wärmekosten durch Dämmung zu halbieren, würden vor allem die ärmsten 20 Prozent der EU-BürgerInnen profitieren. Das scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass ein solches Vorhaben sich gegen andere nicht durchsetzen kann, vor allem gegenüber denen, die Wärme (oder die dafür notwendigen Energieträger) erzeugen und verkaufen.

In der Stromerzeugung ist ein wichtiger Faktor, um zu 100 Prozent erneuerbarer Energie zu kommen, die Digitalisierung und die Energieeffizienz. Der Leitungsausbau, der gegenwärtig propagiert wird, ist in einigen Regionen auch sinnvoll, sollte aber stets erst danach kommen. Die Propaganda der Konzerne, eine auf Wind und Sonne basierende Stromversorgung wäre nicht stabil und sicher genug, gehört ins Reich der Märchen. Es ist problemlos möglich, die gesamte EU mit Windenergie zu versorgen. Einige Ingenieure hatten vielleicht noch vor 30 Jahren einige Probleme damit, die Netzstabilität bei schwankenden Winden oder schwankender Sonneneinstrahlung sicher zu stellen. Aber seit 20 Jahren sollten sie es können, sonst gehören sie entlassen.

Der Autor plädiert dafür, die Kosten des Klimawandels auf die Verursacher umzulegen, statt sie aus Steuergeldern und durch Versicherungen zu bezahlen. Dann wären Kohlekraftwerke und Benzinmotoren sofort am Ende ihrer Laufzeit angelangt, weil niemand mehr die Umweltverschmutzung bezahlen könnte. Und er plädiert dafür, die Versicherungspflicht (die jetzt für fast alle Anlagen bereits gilt) endlich auf die Atomkraftwerke auszuweiten. Falls die 28 Regierungen eine solche Richtlinie übernehmen, würden Sekunden später alle Atomkraftwerke "freiwillig" abgeschaltet, übrigens ohne irgendwelche negativen Auswirkungen auf Leben und Wohlstand in Europa.

Die Energiewende, das. belegt der Autor überzeugend, würde (fast) allen Menschen in Europa nützen und wäre auch ein schönes Vorbild für den Rest der Welt. Treffen würde es den Profit von ein paar Dutzend Unternehmer und Aktionäre, die aber dadurch nicht in Not geraten würden.

Claude Turmes: Die Energiewende. Eine Chance für Europa.
Oekom Verlag, München 2017. 381 Seiten, 25 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 354 - März 2018, Seite 62 - 63
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2018

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