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GEGENWIND/781: Buch - Einblicke in Georgien. Nachbarn kennen lernen


Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Einblicke in Georgien: Nachbarn kennen lernen

von Reinhard Pohl


Drei Nachbarschafts-Programme hat die EU: Der "Regionale Kooperationsrat" soll die Westbalkan-Länder zur Mitgliedschaft führen. In der "Östlichen Partnerschaft" geht es um die Zusammenarbeit mit sechs ehemaligen Mitgliedern der UdSSR. Die "Mittelmeer-Union" schließlich funktioniert zur Zeit gar nicht.


Georgien gehört zur "Östlichen Partnerschaft", und dort zu den drei Staaten, die mit der EU assoziiert sind. Wie Moldau und die Ukraine können die Einwohnerinnen und Einwohner also visumfrei reisen, und nach und nach sollen die Regelungen der Gemeinschaft übernommen werden.

Während hier in Deutschland über Tourismus oder Asyl diskutiert wird, wenn von Georgien die Rede ist, wird in Georgien über Demokratie, Korruption und Bekämpfung der Diskriminierung diskutiert. Dort setzt sich die Kirche mit Macht für die Aufrechterhaltung eines traditionellen Familienbildes ein, die Jugend will Veränderung, einzeln sieht man sich nach Auswanderungsmöglichkeiten um.

Dieser Sammelband stellt das Land mit 14 Beiträgen von 16 georgischen Autorinnen und Autoren vor. Es geht zumeist um die letzten 25 Jahre der Geschichte des Landes, das nur im Hochmittelalter unter der legendären Königin Tamar vereinigt und unabhängig war, danach nur noch einmal kurz nach dem Zusammenbruch Russlands von 1918 bis 1921. Insofern hat 1991 wirklich eine neue Phase der Geschichte begonnen, wenn auch gleich negativ mit Nationalismus und Bürgerkrieg.

Die Transformation Georgiens ab 1993 unter Präsident Schewardnadze verlief chaotisch und führte zu einer spürbaren Verarmung der Masse der Bevölkerung, der Wunsch nach Auswanderung hält bis heute an. Stabilisiert wurde das Land von Präsident Saakaschvili, der allerdings mit dem Krieg 2008 gegen Russland und einem zunehmend autoritären Regierungsstil seinen Kredit verspielte. Zur Zeit wird das Land nach einer Verfassungsänderung vom Parlament und dem Ministerpräsidenten regiert und steuert auf einem neoliberalen Kurs Richtung EU-Mitgliedschaft, die aber noch in weiter Ferne liegt.

Beleuchtet wird in dem Buch das Geschlechterverhältnis, die Rechte sexueller Minderheiten, Stadtplanung und Umweltschutz und das Parteiensystem. In einem Rückblick wird der "Sozialstaat" von 1918 vorgestellt, war doch Georgien das einzige Land des Russischen Reiches, wo sich nach dem Sturz des Zaren die Menschewiki, die Sozialdemokraten durchsetzen konnten.

Das Buch bietet interessante Einblicke in ein Land, der gerne als europäisches Land gelten will und gerne in Europa bekannter wäre. Es wäre Georgien zu wünschen, wenn auch an seiner politischen Entwicklung mehr Anteil genommen würde - nicht nur von den Regierungen, sondern vor allem von Nicht-Regierungs-Organisationen hierzulande.


Luka Nakhutsrishvili, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):
Georgien, neu buchstabiert.
Politik und Kultur eines Landes auf dem Weg nach Europa.

Transcript Verlag, Bielefeld 2018. 202 Seiten, 23,99 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018, Seite 58
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2018

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