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GEGENWIND/790: Migrationspakt unterzeichnet - Rechte Kampagne für Nicht-Leserinnen


Gegenwind Nr. 364 - Januar 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Einwanderung
Migrationspakt unterzeichnet: Rechte Kampagne für Nicht-LeserInnen

von Reinhard Pohl


Rund 250 Millionen Menschen weltweit sind Migrantinnen und Migranten - sie haben das Land ihrer Staatsangehörigkeit verlassen, sie leben und arbeiten in einem anderen Land. Um diese Menschen, nicht um Flüchtlinge, geht es im "Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration", der am 10. Dezember von Vertreterinnen und Vertretern aus 164 Staaten in Marrakesch, Marokko, unterzeichnet wurde.

Es handelt sich bei dem Migrationspakt um einen UNO-Pakt. Das bedeutet, der Pakt gilt weltweit, sobald eine Mehrheit der Staaten ihn angenommen hat. Rund 20 Staaten haben die Unterschrift verweigert, unter ihnen die USA oder auch EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn - sie können aber durch ihre Ablehnung das Inkrafttreten nicht verhindern.

Rechtsextremisten haben weltweit eine Kampagne gegen den Pakt gestartet. Diese beruht darauf, dass solch ein UNO-Dokument nur schwer lesbar ist und die Öffentlichkeitsarbeit entsprechend schwierig. Das nutzt die rechte Kampagne aus, um offensiv Falschbehauptungen über den Migrationspakt zu verbreiten - im Vertrauen darauf, dass kaum jemand den Vertragstext liest.

Worum geht es?

Migration ist ein weltweites Phänomen. Menschen wandern aus, wandern weiter, wenn sie sich woanders bessere Lebensbedingungen versprechen und sie vor Ort nicht mehr genug hält. Das war schon immer so, aber in den letzten 30 Jahren sind die Verkehrsmittel erschwinglich geworden, und Informationen sind weltweit verfügbar.

Einzelne Länder verbieten ihren Bürgerinnen und Bürgern das Verlassen des Landes. Doch das war vor 30 Jahren noch der gesamte Ostblock. Heute haben fast alle Länder dieses Verhalten aufgegeben, die letzten "Exoten" sind Nordkorea oder Eritrea.

Einzeln können die Staaten die Migration nicht regeln, selbst wenn sie es für nötig halten. Das zeigen die hilflosen Versuche diverser Bundesregierungen, die Einwanderung aus Bulgarien oder Rumänien zu beschränken, obwohl innerhalb der Europäischen Union die Freizügigkeit gilt. Andere Länder versuchen es auch, indem sie periodisch MigrantInnen, denen sie keine individuellen Rechte zugestehen, einsammeln und per LKW oder Bus deportieren - sei es in die Wüste, sei es über die nächste Grenze.

Und da es einzeln nicht funktioniert, haben die Staaten - übrigens: vor vielen Jahren - beschlossen, ein paar grundsätzliche Regelungen auf UNO-Ebene festzulegen. Dabei geht es um Migration, nicht um Flucht. Für Flüchtlinge gilt die "Genfer Flüchtlingskonvention", ein Flüchtlingspakt steht ebenfalls auf der Tagesordnung der UNO, ist aber schwerer zu verhandeln, schon weil auf UNO-Ebene nur Regierungen verhandeln und diese Regierungen oft die Verfolger sind.

Der Migrationspakt hat zum Ziel, die Migration (die sowieso stattfindet) durch grundsätzliche Regelungen für alle Staaten produktiv zu machen und den Betroffenen, also den Migrantinnen und Migranten, Grundrechte zuzugestehen.

Landesgesetze bleiben in Kraft

Der Migrationspakt stellt keine Rechte von Staaten in Frage, den Umzug zu regeln. So schreiben die meisten Staaten vor, dass Migrantinnen und Migranten ein Visum beantragen müssen, bevor sie einreisen - das macht Deutschland so, daran ändert sich nichts. Es sind die deutschen Gesetze, die den Botschaften vorschreiben, dabei alle Antragstellerinnen und Antragsteller gerecht zu behandeln, also nicht Einzelne zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

Aber wenn ein Staat regelt, dass MigrantInnen ohne Visum keine Beschäftigungserlaubnis und keine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, ändert dieser Migrationspakt nichts daran, Abschiebungen von unerlaubt Eingereisten sind weiterhin möglich.

Anlass des Paktes

Der Anlass zur Formulierung des Paktes war die Masseneinwanderung 2015 und 2016 aus dem Nahen Osten nach Europa. Hierbei ging es ursprünglich um syrische Flüchtlinge, die vor den russischen Bombardierungen flohen. Mit ihnen kamen aber auch viele MigrantInnen, die nach den nationalen gesetzlichen Definitionen keine Flüchtlinge waren.

Es zeigte sich, dass kein Staat einzeln eine Regelung finden konnte, sondern sich alles erst in geordnete Bahnen lenken ließ, als Deutschland den Ländern an der Südgrenze (Österreich, Ungarn) zusagte, die europäischen Regeln einzuhalten, und ähnliche Zusagen von Ländern im Norden (Schweden, Dänemark) bekam.

Die heutige Situation in Mittelamerika und an den Grenzen zur den USA zeigen, dass auch die USA als einzelner Staat eine plötzliche Veränderung der Migrationszahlen nicht beherrschen können, auch wenn sie mit Asylverfahren an der Grenze die Flüchtlinge aus den Gruppen herauszupicken versuchen - dass die USA den Migrationspakt trotzdem ablehnen, hat innenpolitische Gründe.

Ziele des Paktes

Der Pakt soll die ungeregelte Migration reduzieren und die negativen Auswirkungen von Migration auf alle Beteiligten reduzieren - das betrifft negative Auswirkungen auf Staaten, aber auch negative Auswirkungen auf Migrantinnen und Migranten.

Als Vorteile werden der Arbeitskräfte-Bedarf der Industriestaaten gesehen, das wird innerhalb der EU ja immer wieder durch wissenschaftliche Studien bestätigt, außerdem die Rücküberweisungen der Arbeitskräfte in die Heimatländer. Bei vielen Ländern sind diese Rücküberweisungen fast so wichtig wie der Export, in der Regel weit wichtiger als Tourismus oder Entwicklungshilfe.

Diese Rücküberweisungen bestehen einerseits aus Hilfszahlungen an die zurückgelassene Familie, die in dem Herkunftsland meistens in Form von Devisen ankommen und direkt in den Konsum fließen. Teils kommen sie aber auch in Form von Investitionen an, wenn MigrantInnen in der Fremde vor allem Geld für einen Neustart im Herkunftsland verdienen und sparen.

Verbindlichkeit des Paktes

Der Pakt formuliert keine einklagbaren Rechte. Formuliert werden allerdings gemeinsame Ziele, auf die sich zumindest Organisationen und Parteien in Zukunft berufen können, vor allem wenn sie in bestimmten Ländern nicht umgesetzt werden. Das betrifft vermutlich nicht so sehr die Situation in Deutschland. Es kann aber die Situation auf den Baustellen für die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar oder die Situation der Hausangestellten in Saudi-Arabien betreffen. Denn diese Staaten regeln bisher keine Grundrechte für MigrantInnen, nehmen aber viele auf. Insofern schafft der Migrationspakt hier vielleicht nach und nach ein paar Grundrechte, die dann zum Gewohnheitsrecht werden könnten - umso unlogischer die Ablehnung durch rechte Parteien, die ihr eigenes Verhalten kaum werden erklären können, wenn man ihnen die konkreten Punkte des Paktes vorhalten würde.

Der Pakt fordert ferner die Regierungen auf, ihre Ziele in der Migrationspolitik zu formulieren. Hier allerdings ist auch Deutschland betroffen. Denn von der These aus der Ära Kohl "Deutschland ist kein Einwanderungsland" ist in der Realität nichts mehr übrig geblieben, es gibt aber auch kein Einwanderungsgesetz. Alle bisherigen Versuche, dann gerne auch "Zuwanderungsgesetz" oder "Integrationsgesetz" genannt, sind Von so großer Ängstlichkeit geleitet, dass sie in der Praxis nichts regeln, sondern nur unnötig komplizieren.

Allerdings gehört zur klaren Benennung der Ziele der eigenen Migrationspolitik Parteien, die eine Mehrheit im Parlament selbstbewusst nutzen. Dazu sind weder CDU noch SPD in der Lage, weil beide sich zur Zeit von der Am treiben lassen.

Keine neuen Verpflichtungen

Der Migrationspakt bedeutet zwar für die Unterzeichner-Staaten keine neuen Verpflichtungen, bekräftigt aber die existierenden Verpflichtungen: Die universellen Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich die UNO-Mitgliedsstaaten ohnehin verpflichtet haben, gelten auch für Migrantinnen und Migranten, so steht es in der Präambel. In Zukunft sollen aber Daten und Informationen dazu ausgetauscht werden, so die Selbstverpflichtung.

Der Pakt erwähnt die Verpflichtung der Herkunftsstaaten von Migration, die "negativen Ursachen" zu verkleinern und die Rückkehr und Integration von Rückkehrern zu unterstützen. Die Transitländer und Aufnahmestaaten sollen den Zugang zu Dienstleistungen, Informationen und Rechten erleichtern.

Die "UNO-Konvention zum Schutz von Wanderarbeitern und ihren Familien" wird nur in einer Fußnote erwähnt. Das liegt vermutlich auch daran, dass diese bindende Konvention bisher von keinem Zielland unterschrieben wurde, auch die EU will bisher die Rechte von Wanderarbeitern und ihren Familien nicht schützen.

Naturkatastrophen und Klimawandel

Der Pakt verlangt vorsorgliche Maßnahmen, damit Naturkatastrophen und Klimawandel Menschen nicht zur Migration zwingen. Solche Absätze durchziehen den gesamten Pakt, Migration soll nach Möglichkeit freiwillig bleiben - Migration als Wahl, nicht als Notwendigkeit.

Die Gegner des Paktes behaupten, der Pakt würde damit Naturkatastrophen und Klimawandel zum Asylgrund machen. Davon steht im Pakt nichts, aber schon der Wunsch nach Vorsorge scheint diese Menschen zu verstören, dass sie zu solchen Erfindungen greifen.

Grenzen

Der Pakt bekennt sich zu Grenzen und Grenzkontrollen, was kein Wunder ist, ist es doch ein Pakt von Regierungen. Allerdings weist der Pakt darauf hin, dass auch in Grenzgebieten die Menschenrechte gelten, und er weist besonders auf die Rechte von Kindern hin.

Das war ein Grund für Australien, den Pakt nicht zu unterschreiben. Australien fängt oft Familien im Grenzgebiet ab und sperrt sie in Lager auf Inseln. Da das auch Kinder betrifft, will Australien den Pakt nicht unterzeichnen - und gesteht damit indirekt ein, dass man sich der Kollision mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sehr wohl bewusst ist.

Pressefreiheit

Der Pakt bekennt sich zu dem Ziel, Informationen über Migration und Bedingungen der Zielländer zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Das soll insbesondere denen nützen, die über Migration nachdenken und vielleicht über die Zielländer und deren Einwanderungsbestimmungen falsche Informationen haben.

Es wird ferner dazu aufgefordert, Medien nicht mit öffentlichen Geldern zu unterstützen, die "systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern". Insbesondere dieser Punkt wird von der AfD kritisiert, sie sieht darin eine Beschränkung ihrer Meinungsfreiheit. Öffentliche Förderung erhält die AfD in Form von Wahlkampfkostenerstattung, Parteienfinanzierung und Zuschüssen zur Fraktionsarbeit. Interessant wäre zu erfahren, ob die AfD in der eigenen Arbeit "Intoleranz", "Fremdenfeindlichkeit" oder "Rassismus" entdeckt hat, denn nur dagegen wendet sich der Pakt.

Sozialversicherung

Der Pakt fordert dazu auf, Sozialversicherungen besser zu vernetzen. Wer also im Laufe des eigenen Lebens in mehreren Ländern gearbeitet hat, soll zuverlässig auch die erworbenen Rentenansprüche ausgezahlt erhalten. Davor drücken sich bisher viele Länder, die trotzdem den Pakt unterzeichnet haben.

Das ist für einige sicherlich auch ein rotes Tuch, auch wenn sich die Gegnerinnen und Gegner nicht öffentlich dazu bekennen können.

Staaten entscheiden über den Zugang

Kritisieren kann man - und muss man -, dass alle Rechte, die der Pakt Migrantinnen und Migranten zugesteht, unter einem Vorbehalt stehen: Jeder Staat soll weiterhin selbst entscheiden, wen er reinlässt und wen nicht. So darf Australien weiterhin den Zugang zu Visa nach Hautfarbe regeln, andere Staaten dürfen weiterhin fast alle Ankommenden in ein Asylverfahren zwingen, andere (wie Deutschland) setzen Mindestgehälter als Bedingung für ein Visum fest, damit nur Spezialisten einreisen.

Aber: Es ist eben ein Pakt im Rahmen der UNO, verhandelt zwar unter Mitwirkung vieler Organisationen der Zivilgesellschaft, aber unterschrieben letztlich von Regierungen. Und Regierungen stellen sich selbst und ihre Kompetenzen nicht in Frage und ordnen sich nur widerstrebend den Menschenrechten unter.

Dass Rechtsextremisten behaupten, im Pakt stünde ein "Menschenrecht auf Migration", ist insofern nur Propaganda für Dumme, steht im Pakt doch exakt das Gegenteil - deutlich und einfach nachzulesen.

Geheimpakt?

Verhandelt wurde der Pakt unter anderem im "Globalen Forum für Migration und Entwicklung", das unter dem Vorsitz von Deutschland und Marokko seit 2017 getagt hat. Das weltweite Treffen im Juli 2017 war nicht nur für Politikerinnen und Politiker, für Journalistinnen und Journalisten öffentlich, es wurde auch live im Internet übertragen. Wer wollte, konnte sich also von Beginn an informieren - und viele haben das auch getan.

Dass viele alle Gelegenheiten ausließen, erkennt man übrigens auch an den "Symbolbildern", die ARD und ZDF in ihrer Berichterstattung nutzen: Obwohl der Migrationspakt ausdrücklich die legale Migration zum Inhalt hat, bei der die Migrantinnen und Migranten mit einem Visum in der Tasche in ein anderes Land reisen, zeigen die Bilder oft Schlauchboote auf dem Mittelmeer - was mit dem Migrationspakt nichts zu tun hat.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 364 - Januar 2019, Seite 6 - 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2019

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