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GEGENWIND/816: Umweltaktivisten kapern Kreuzfahrtschiff


Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Verkehr
Umweltaktivisten kapern Kreuzfahrtschiff

von Günther Stamer


Rund 50 Klimaaktivist*innen hinderten am Pfingstsonntag den us-amerikanischen Kreuzfahrer "Zuiderdam" in Kiel sechs Stunden lang am Auslaufen indem sich Aktivist*innen auf die "Nase des Schiffes und die Festmacherleinen setzten und weitere es mit zahlreichen Schlauchbooten blockierten.


Von den zahlreichen Schaulustigen an Kiels Flaniermeile gab es dafür reichlich Zuspruch. Auf eine solche Aktion sei man in der Landeshauptstadt nicht gefasst gewesen, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) - deshalb habe es Stunden gedauert, bis Wasserschutzpolizei und Polizeispezialkräfte vor Ort gewesen seien, um den Weg für die Weiterfahrt des Kreuzfahrschiff freizumachen. Kurz vor 22 Uhr am Abend hatte die Polizei es, nachdem sie viele Nachschubboote angekarrt hatte, es endlich geschafft, alle Aktivist*innen aus dem Wasser zu entfernen. Nach 7 Stunden Blockade und fast 6 Stunden Verzögerung legte die "Zuiderdam" schließlich ab.

Die Zelte zur provisorischen Kreuzfahrtabfertigung wurden dann kurzerhand zur Gefangenensammelstelle umfunktioniert.

Kreuzfahrt killt Klima

Kreuzfahrtschiffe stehen wegen der von ihnen verursachten hohen Luftverschmutzung und dem hohen Energieverbrauch schon seit langem in der Kritik. "Wir lassen nicht mehr zu, dass Pazifikstaaten im Meer versinken, weil Urlauber*innen im Pool liegen und währenddessen von Stadt zu Stadt fahren wollen", heißt es in dem Flugblatt der Aktivistengruppe "Smash Cruiseshit".

"Kreuzfahrtschiffe tragen durch den Ausstoß von Treibhausgasen erheblich zur Klimakrise bei. Bei Fahrten in die Arktis lagern sich Rußpartikel auf dem Eis ab, wodurch das Eis noch schneller schmilzt. Doch nicht nur dadurch tragen Kreuzfahrtschiffe zur Zerstörung ihrer Zielorte bei, auch durch das Zerstören von Korallenriffen und durch Abgase in den Hafenstädten. In den Fjorden Norwegens, in denen die Abgase nicht abziehen können, ist das besonders stark sichtbar."

"Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Flyer verteilt, auch hier am Terminal. Der Seehafen Kiel hat aber stets versucht, unsere Versammlungsfreiheit auf jede erdenkliche Art einzuschränken und zu verhindern, dass wir uns an Passagier*innen wenden", erklärt die Aktivistin Johanna. "Nun sind wir eben auf diese Art unübersehbar und machen deutlich: Wir werden den Betrieb und erst recht einen weiteren Ausbau von Kreuzfahrten nicht tolerieren."

Malte Siegert vom Naturschutzbund (Nabu) lobte die Aktivisten: "Der Fall sorgt international für die Aufmerksamkeit, die in der Klimaschutz-Diskussion auch notwendig ist." Bislang sei die Kreuzfahrt "unter dem Radar der Öffentlichkeit" geblieben. Das müsse sich ändern, ist der Leiter des Fachbereichs Umweltpolitik des Nabu überzeugt. "Wenn sich 2000 Menschen ins Auto oder ins Flugzeug setzen, dann werden weniger Stickoxide freigesetzt, als wenn sie Schiff fahren", erklärte Siegert.

Eine Aussage, die Volker Matthias vom Helmholtz-Zentrum in Geesthacht bestätigt: "Mit knapp drei Kilogramm Stickoxid pro Passagier emittiert ein Schiff auf der 700 Kilometer langen Fahrt von Kiel nach Oslo mehr als sechs Mal so viel wie ein Flugzeug und mehr als acht Mal so viel wie ein Auto." Anders sieht es beim CO2-Ausstoß aus: Hier würden Auto und Schiff gleichauf liegen.

Boombranche Kreuzfahrt-Tourismus

Der Kreuzfahrt-Tourismus ist seit Jahren eine Boom-Branche und das Wachstum wird eher von der Kapazität der Schiffe als von der Nachfrage begrenzt. Im vergangenen Jahr buchten 2,23 Millionen Reisende aus Deutschland eine Kreuzfahrt, ein Plus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit stieg die Zahl der Kreuzfahrt-Passagiere um 6,7 Prozent auf 28,52 Millionen. 2019 werden voraussichtlich 30 Millionen Menschen weltweit eine Kreuzfahrt unternehmen. Kein noch so kleiner Pazifik-Archipel, keine noch so weit entfernte Bucht in der Arktis ist vor ihnen sicher. Und die Branche wächst und wächst: Die Auftragsbücher der Werften sind voll, der Trend geht zu Riesenschiffen für mehr als 4000 Passagiere. Doch der Boom hat gravierende Konsequenzen: Durch die Verklappung von Abfällen und giftigen Abwässern tragen die Kreuzfahrtschiffe zur Ausbreitung von "Todeszonen" in den Meeren bei. Ihre Abgase schädigen Mensch und Umwelt. Und die Anlaufhäfen ersticken an der Flut von Tagestouristen.

Allein in Kiel sind im vergangenen Jahr etwa 160 Kreuzfahrtschiffe ausgelaufen - und für die kommenden Jahre ist ein weiteres dickes Plus anvisiert. Deshalb auch der Bau eines weiteren Abfertigungsterminals. Dabei hat die Stadtverordnung Kiel erst vor einigen Wochen offiziell den "Klimanotstand" ausgerufen, der die Verwaltung der Landeshauptstadt verpflichte, unverzüglich konkrete Maßnahmen in Sachen Klimaschutz in die Wege zu leiten.

Eine dieser Kieler Bemühungen ist diese: In der Landeshauptstadt können einige Fähren (nach Schweden / Norwegen) mit Landstrom versorgt werden, damit die Dieselmotoren während der Liegezeiten abgeschaltet werden können. Verpflichtend ist das nicht - den Reedern ist der Landstrom zu teuer. Egal ob an Land, mit oder ohne Landstromanschluss oder auf See: Die natürlichen Ressourcen, welche die Kreuzfahrt-Branche verbraucht, sind gewaltig und mit den Klimaschutzzielen nicht vereinbar. Auch Flüssiggas (LNG) als Energielieferant für Kreuzfahrtschiffe, das einige Reedereien in Zukunft einsetzen wollen, kann keine Lösung sein, da diese fossile Ressource bei der Förderung (Fracking) und beim Transport (Methan-Schlupf) inakzeptable Auswirkungen auf Umwelt und Klima hat.

"Wenn es die Gesellschaft mit dem 1,5-Grad-Ziel ernst meint, werden wir in den nächsten Jahren einen drastischen Rückbau der Kreuzschifffahrt in Kiel benötigen. Lasst uns mit den noch existierenden Kreuzfahrtschiffen doch lieber die Seenotrettung im Mittelmeer unterstützen", schlugen die Aktivist*innen in Kiel vor.

Am Pfingstwochenende gab es auch in Venedig Proteste gegen die Kreuzfahrschiff-Industrie: Dort gingen 5000 Menschen auf die Straße.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019, Seite 12 - 14
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2019

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