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GEHEIM/243: Libanon in der Zerreißprobe - Die Fälscher von Beirut


GEHEIM Nr. 4/2008 - 31. Dezember 2008

LIBANON IN DER ZERREISSPROBE
J'accuse ...!
Die Fälscher von Beirut.

Von Jürgen Cain Külbel


"Ich klage an!" Mit diesen Worten dürften die Verteidiger der "Verdächtigen" im Mordfall Rafik Hariri nicht erst ab Januar 2009 in Den Haag vor dem UN-Sondertribunal für Libanon auftrumpfen. Denn die ehemaligen deutschen UN-Chefermittler in dem Politkrimi, der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis und der Erste Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt, Gerhard Lehmann, "Deutschlands erfolgreichster Terroristenjäger", so glaubt es zumindest Stern-Autor Oliver Schröm, die für die Verhaftung eben jener Verdächtigen verantwortlich zeichnen, sind nun selbst ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Ein libanesisch-französisches Anwaltsteam hatte im März 2008 bei UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Aufhebung der Immunität von Herrn Mehlis beantragt, damit dem der Prozess gemacht werden könne.

Der Pariser Anwalt Akram Azouri teilte nun am 27. August 2008 auf einer Pressekonferenz in Beirut mit, "die Rechtsbeistände von General Jamil Sayyed, ehemals Chef des libanesischen Geheimdienstes Sûreté Générale, haben in Frankreich Klage gegen Detlev Mehlis eingereicht wegen Fälschung von Ermittlungen und Einberufens unechter Zeugen". Nun wurde wohl in die Tat umgesetzt, was der libanesische Rechtsanwalt Malek El Sayyed bereits am 3. April 2008 in Beirut in Erwiderung auf den 10. Report der UN-Untersuchungskommission, die im Mordfall Hariri ermittelt, avisiert hatte: Es sei eine "internationale Klage gegen den ehemaligen Chef der internationalen Untersuchungskommission Detlev Mehlis, seinen Assistenten Gerhard Lehmann, den libanesischen Staatsanwalt Saeed Mirza sowie die Untersuchungsrichter Elias Eid und Saqr Saqr" im Anmarsch, da die, so stand es damals einen Tag später in den libanesischen Tageszeitungen An Nahar und Daily Star, "als verantwortlich gelten für die ungerechtfertigte und fortgesetzte Inhaftierung der vier (libanesischen) Generäle", die sich die Deutschen im Sommer 2005 zu Tatverdächtigen im Mordfall Hariri auserkoren hatten.

Dem Autor liegen Briefe, Memoranden und der Briefwechsel der Verteidigung mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan und seinem Nachfolger Ban Ki-Moon sowie der libanesischen Justiz vor, deren Inhalte, so sie sich als wahr erweisen, von erheblicher Brisanz, auch für die deutsche Außenpolitik, sein könnten.


Zwei deutsche James Bonds

Der "deutsche Fuchs" Detlev Mehlis und seine "Terroristen-Spürnase" Gerhard Lehmann jagten 2005 im Auftrag der UN die Mörder des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Sie wurden überraschend schnell fündig, brachten mit der Gelassenheit des Lolly-lutschenden Cops Theo Kojak zur Freude der Washingtoner Befehlskette und der proamerikanischen Marionetten im Libanon acht Menschen ins Gefängnis und hielten sich mit dem Thriller monatelang in den Top Ten der internationalen Medien. Doch mit den merkwürdigen Methoden des noch seltsameren Kriminaler-Duos, so die Vorwürfe stimmen, beschäftigt sich soeben die französische Justiz: Die "Beweise", die sie 2005 präsentierten, scheinen nach Darstellung der Verteidigung wie aus dem Hut gezaubert und würden, so sie sich als wahr erweisen, eher einer juristischen Walpurgisnacht zur Zierde gereichen, denn einem internationalen Tribunal Basis für eine Anklage sein.

Mehlis und sein Assistent Lehmann, 2006 als vermeintlicher "Sam" im CIA-Entführungsfall Al-Masri schon einmal ganz oben in der internationalen Schlagzeilenhitparade, hatten sich Mitte Mai 2005 im Auftrag von UN-Generalsekretär Kofi Annan auf den Weg nach Beirut gemacht, um Täter und Hintergründe des verheerenden Bombenattentates vom 14. Februar 2005, dem der ehemalige libanesische Premierminister Rafik Hariri sowie 22 Menschen zum Opfer gefallen waren, aufzuklären. Mehlis gab sich gegenüber dem Tagesspiegel, wie dpa am 15. Mai 2005 berichtete, großspurig, wollte das Kapitalverbrechen in der Rekordzeit von drei Monaten aufklären: "Ich habe vor, es in dieser Zeit zu schaffen". Die praxisunübliche Vision quetschte er, mit vielen Millionen Dollar und einer Mannschaft von später bis zu über hundert Ermittlungsgehilfen ausstaffiert, Ende August 2005 in Form: In einer Nacht- und Nebelaktion "empfahl" er der libanesischen Justiz, die Chefs der vier einheimischen und pro-syrischen Sicherheitsdienste wegzusperren, denn der Berliner "fühlte" eine "Verschwörung libanesisch-syrischer Sicherheitsbeamter", roch, dass "syrische Offizielle in das Attentat involviert waren" und begründete sein Konstrukt bekanntlich mit den Aussagen gekaufter Zeugen. Harte Beweise fand er nicht.

Seither sitzen die Generäle Jamil El Sayyed, Raymond Azar, Ex-Chef des Militärgeheimdienstes, Ali al-Hajj, vormals Leiter der internen Sicherheitsdienste und Mustafa Hamdan, ehemaliger Kommandeur der Präsidentengarde, bar jeden Beweises und ohne Anklage, im libanesischen Karzer. Kein Kriminaler verhört sie, Besuchszeiten werden nach wie vor sukzessive verkürzt, liegen momentan bei zweimal fünfzehn Minuten pro Woche, und Zeitungen, Fernsehen waren lange Zeit tabu bis das Internationale Rote Kreuz dem ein Ende setzte. Anwalt Malek El Sayyed, Sohn des gleichnamigen Generals und Mitglied der französisch-libanesischen Verteidigercrew um Akram Azouri, Antoine Korkmaz, Raphaelle Neron, Jerrod Brawel, Naji Boustany, die seit Monaten an der "internationalen Klage" arbeiteten und sich um die Freilassung der Inhaftierten in dieser "Scharade", so Azouri, bemüht, erklärte gegenüber der Tageszeitung Neues Deutschland (ND): "Ich möchte kein Wort über die Klage verlieren. Alles, was ich sagen kann ist, dass es vertraulich abläuft; es betrifft die Sachkunde des Tribunals, die Ankläger und die Inhalte (der Anklage). Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass (die Klage) sich gegen all diejenigen richtet, die an der Manipulation der Untersuchung mitgewirkt haben; das betrifft Sachbeweise und Aussagen."

Doch das scheint ein Understatement zu sein. Dem Autor liegt ein Schriftstück vor, das Anwalt Azoun am 1. April 2008 an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und den Untergeneralsekretär für Rechtsangelegenheiten und Rechtsberater der UN, Nicolas Michel, gerichtet hat. Darin heißt es: "Detlev Mehlis gewährte dem libanesischen Fernsehsender LBC ein Interview, das am Dienstag, den 18. März 2008 um 21.30 Uhr gesendet wurde, in dem er in sehr ironischer und sehr bösartiger Form die zweijährige Tätigkeit der Kommission unter Vorsitz (seines Nachfolgers Anm. d. Red.) Herrn Brammertz kritisierte. Er diskreditiert auch die technische Arbeit der Kommission und beschädigte die Glaubwürdigkeit der von ihr durchgeführten Untersuchung erheblich. Er verzerrte die Tatsachen und verteidigte die falschen Zeugen, um den libanesischen Gerichten einen Vorwand zu geben, diese Festnahmen auf unbestimmte Zeit abdecken zu können. Zudem bekräftige er die Gültigkeit der Empfehlung zur Festnahme von General El Sayyed, die er vor mehr als zwei Jahren an die libanesische Justiz adressiert hatte. Bitte betrachten Sie das als einen offiziellen Antrag zur Aufhebung der gerichtlichen Immunität des internationalen Richters Detlev Mehlis vor dem Gerichtsverfahren, dass wir gegen ihn planen. Wir fordern die Vereinten Nationen auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen."


Syrische Leiche gesucht - Mord eingeplant?

Manipulationsvorwürfe wurden bereits am 12. November 2006 laut: General El Sayyeds Anwälte bezichtigten Mehlis auf einer Pressekonferenz im Beiruter Sheraton Coral Beach Hotel der "Vorlage falscher Tatsachen und falscher Aussagen", damit sie ihren Klienten, "einen politischen Gefangenen, ins Gefängnis" werfen konnten. Anwalt Korkmaz gegenüber den Reportern: Mehlis und sein Team hätten "exzessiv Fakten fabriziert und imaginäre Zeugen befragt".

Doch das Ganze in Zeitlupe. Ende Mai 2005, lange vor Beginn der offiziellen Untersuchungen der UN-Kommission in Richtung "Tatverdacht Generäle", näherte sich der Kriminalhauptkommissar Gerhard Lehmann offenbar auf sehr befremdliche Art und Weise der "Wahrheitsfindung" an. In der schriftlichen Erklärung des französischen Verteidigerteams um Anwalt Korkmaz vom 12. November 2006, dem Memorandum Nummer 8 des Anwaltsteams vom 17. Februar 2006 an Detlev Mehlis, dem Memorandum Nummer 10 vom 30. März 2006 an Serge Brammertz und dem Memorandum Nummer 14 vom 26. September 2007 an den libanesischen Untersuchungsrichter Saqr Saqr sämtliche Dokumente liegen dem Autor vor -, wird eine Vorgehensweise der Deutschen beschrieben, die, sollte sie stimmen, die Grenzen der Legalität überschritten hat: "Am 30. Mai 2005 wurde General El Sayyed von einem Sicherheitsoffizier der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland gewarnt, da Mitglieder der internationalen Untersuchungskommission ihn dringend geheim interviewen wollten." O-Ton El Sayyed: "Am 31. Mai 2005, nach meinem Rücktritt, empfing ich in meiner Wohnung den Chefermittler der Internationalen Kommission, Gerhard Lehmann, der von Herrn Stephan E. (Name ist der Redaktion bekannt), Polizei-Vertreter in der deutschen Botschaft in Beirut, begleitet wurde. Der Besuch war von Herr Lehmann über die Sûreté Générale angefordert worden, auf der Basis, dass das Thema der Begegnung geheim gehalten und sich auf die Teilnehmer der Sitzung, über die der Leiter der Kommission, Richter Detlev Mehlis, informiert war, beschränken würde. Während der besagten Sitzung und nachdem Herr Lehmann meine Reputation als auch die frühere Zusammenarbeit zwischen der Sûreté Générale und seinem Land während meiner Amtszeit lobte, bat er mich, ihnen bei der Untersuchung in folgender Weise zu helfen: Ich sollte eine mündliche Mitteilung an den syrischen Präsidenten Bashar Al Assad übermitteln und ihn überzeugen, eine unabhängige syrische Justizkommission zu bilden sowie ein 'substantielles syrisches Opfer' auszuwählen, das gestehen würde, das Attentat ohne Wissen des syrischen Regimes verübt zu haben. Das besagte 'Opfer' würde dann durch einen Autounfall oder einen Suizidversuch getötet aufgefunden werden, und die Akte wäre damit geschlossen, so dass der Weg für eine politische Lösung bleibt, analog der, die von Präsident Gaddafi im Fall Lockerbie verwendet wurde. Mir wurde gesagt, andernfalls wäre das syrische Regime in großer Gefahr. Während der Begegnung habe ich natürlich meine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, Syrien die besagte Nachricht zu übermitteln, unter der Bedingung, dass Herr Lehmann mich mit einigen greifbaren Beweisen versorgt, die bezeugen, dass Syrien in der Tat an der Ermordung beteiligt war. Ich erklärte, dass ich in Ermangelung solcher Nachweise nicht in der Lage wäre eine derartige Nachricht zu übermitteln; die Syrer würden es so empfinden, als dass ich sie in eine Falle locke. Herr Lehmann antwortete, dass er nicht einen einzigen Beweis habe und bestand darauf, mir zwei Tage zu geben, um seinen Vorschlag positiv zu bedenken. Als ich entgegnete, dass meine Antwort doch klar war, erhärtete er seinen Rat, wies darauf hin, dass es auch in meinem eigenen Interesse wäre."

Zwei Tage später, am 2. Juni 2005, so stellen es die Anwälte und der Inhaftierte dar, suchten die beiden Deutschen den General ein zweites Mal auf. El Sayyed gab diesbezüglich zu Protokoll: "Ich wiederholte meine erste Reaktion, schlug vor, dass Herr Terje Rød-Larsen (UNO-Sondergesandter für die Umsetzung der Resolution 1559 des UNO-Sicherheitsrates, die unter anderem Syrien zum Abzug aus dem Libanon aufforderte) die besagte Nachricht selbst überbringen soll. Lehmann behauptete dann, dass es in meinem eigenen 'Interesse' sei, die Nachricht zu übermitteln, sonst würde ich das Opfer werden. Am 5. Juli 2005 wurde ich von der Kommission im Mövenpick Hotel endlich als Zeuge gehört. Herr Lehmann begrüßte mich am Eingang des Hotels und brachte mich zum Leiter der Kommission, Detlev Mehlis, der mich fragte, der Kommission in allgemeiner Form zu helfen. Ich wurde dann zu einem anderen Untersucher gebracht, der mein einstündiges Zeugnis aufzeichnete. Herr Lehmann verabschiedete sich schließlich von mir und sagte, er würde mich später kontaktieren."

Am Nachmittag des 15. August 2005, behauptet der Inhaftierte General El Sayyed, besuchte Lehmann ihn allein zu Hause und begann das Gespräch angeblich so: "Präsident Hariri wurde von einer Verschwörung getötet, an der die Syrer beteiligt sind. Sie betreffend, sie haben noch immer eine viel versprechende Zukunft vor sich, ihre Rolle wird wichtig sein, und wir möchten, dass sie auf unserer Seite stehen. Sie haben bestimmt etwas gewusst oder gehört. Wenn sie nicht auf unserer Seite sind, wenn sie nicht ein Opfer liefern, werden sie ihr eigenes Opfer werden. Nehmen sie sich eine Woche, um darüber nachzudenken (...). Ich werde morgen ins Ausland gehen und kehre am Ende der Woche zurück." Der General, so ließ er es von seinen Anwälten protokollieren, will entgegnet haben: "Ich bin an ihrer Seite, mit all meiner Erfahrung und meinem Wissen über Einzelpersonen, Institutionen, Intentionen und Arbeitsmethoden, all dies steht ihnen zur Verfügung. Aber sie möchten, dass ich ihnen ein Opfer an meiner statt liefere. Ich kann weder so eine Sache tun noch eine Lüge ausdenken." Lehmann soll erwidert haben: "Antworten Sie nicht zu schnell, nehmen sie sich eine Woche zum Reflektieren."

In jenem Zeitraum gab es nach Darstellung von General El Sayyed vier Telefongespräche über dieses Thema zwischen ihm und Lehmann; das letzte am 21. August 2005, etwa eine Woche vor seiner Festnahme. Darin will er bekräftigt haben, dass er keine Story erfände, um seine Haut zu retten, dass er voll und ganz bereit wäre, die Kommission zu unterstützen. "Diese Tatsachen sind durch Aussagen und Beweise dokumentiert", so der Militär, der nach eigenen Angaben, dokumentiert im Brief vom 27. September 2007 an den Untersuchungsrichter Saqr Saqr, die Konversationen mit dem Deutschen mitgeschnitten haben will: "Es muss darauf hingewiesen werden, dass ich während der geheimen Verhandlungen vor meiner Verhaftung absichtlich mehrere Telefonate mit Gerhard Lehmann aufgezeichnet habe, um seine professionell unethischen Vorschläge zu dokumentieren; einschließlich direkter Bedrohungen. Ich habe Kopien dieser Aufzeichnungen an die Internationale Untersuchungskommission und später auch dem Untersuchungsrichter ausgehändigt."

El Sayyeds Anwälte haben offenbar dieses "Beweismittel Tonband" dem Chefermittler Mehlis übergeben. Und angeblich, so eine libanesische Quelle, sollen die Deutschen das Band wohl nach Beendigung ihrer Tätigkeit für die UN mitgenommen und nicht, wie es eigentlich hätte sein sollen, dem Nachfolger und neuen Leiter der UN-Kommission, dem belgischen Staatsanwalt Serge Brammertz, übergeben haben. Die Anwälte händigten dem Belgier deshalb im Nachhinein eine weitere Kopie aus, "die beweist, dass solch ein Angebot zwischen Lehmann und dem General stattgefunden hat". Roula Talj, Ex-Beraterin der libanesischen Regierung, jetzt im Medienbüro General El Sayyed, sagte gegenüber dem Autor, "das Band sei Brammertz und auch libanesischen Richtern übergeben worden. Kopien wurden zudem weltweit an sicheren Orten deponiert".


Choreographie kriminalistischen Irrsinns

Doch zurück zu den Lehmann'schen Täterermittlungen. Die deutschen Spezialisten schickten nun am 30. August 2005 um 5.30 Uhr in der Frühe den britischen Untersucher Ken Korlet mit mehreren Polizeiwagen zum Haus des Generals. "Herr Korlet bat mich, ihn zum Sitz der Kommission in Monteverde zu begleiten. Er händigte mir einen Haftbefehl aus, der lediglich vom Leiter der Kommission, Richter Mehlis, unterzeichnet worden war. Die Kommission war 'gemäß Aussagen von Zeugen, die von ihr gehört worden waren', der Auffassung, das ich Tatbeteiligter sei", so zumindest protokollierten die Anwälte El Sayyeds Aussage. Der General soll hernach angeblich vom britischen Untersucher Larry Laurence ohne anwaltlichen Beistand einem längeren Verhör unterzogen worden sein, das nach seinen Angaben gegen 11 Uhr begann und mehr als 800 Fragen beinhaltete zu Geburt, Familie, Beruf, finanzieller Lage, seinen Beziehungen im Libanon und im Ausland, zum getöteten Präsidenten Hariri, dem Attentat, über Besuche im Ausland und in Syrien usw. "Die Dutzenden Fragen, eine nach der anderen - einschließlich Analysen, Anspielungen, hypothetischen Vorwürfen -, wurden vom Flüstern eines Ermittlers, der ihm angeblich eine Offerte gemacht haben soll, unterbrochen: 'Mister El Sayyed, steigen sie in das richtige Boot, sie haben noch immer eine Chance.'" Die "Befragung" wurde bis Mitternacht fortgesetzt, ohne dass eine Konfrontation mit irgendwelchen Beweisen, Zeugen oder Verdächtigen stattgefunden habe.

Anwalt Azouri schilderte den weiteren Hergang in einem Memorandum, das ND vorliegt, so: "Der Präsident der Kommission, Herr Detlev Mehlis, trat dann mit dem Chef-Ermittler Gerhard Lehmann in den Raum; sie waren allein mit General El Sayyed. Herr Mehlis hörte die gesamte Zeit über zu; ohne etwas sagen. Herr Lehmann bekräftigte das Angebot, was im Haus von General El Sayyed gemacht worden war, und fügte hinzu: 'Das ist ihre letzte Chance, sie haben eine Zukunft, retten sie ihre Haut. Sie wissen bestimmt etwas. Präsentieren sie uns ein Opfer, ehe sie es selbst werden.' Der General bekräftigte seinen früheren Standpunkt und fragte Mehlis: 'Sie sind ein erfahrener Richter, ich spreche zu ihrem richterlichen Gewissen, schauen sie mir in die Augen, und sagen sie mir, dass ich etwas verberge.' Mehlis blieb stumm, Lehmann stand auf und sagte: 'Glauben Sie mir, sie könnten das Opfer sein.' El Sayyed beobachtete Mehlis und entgegnete ihm: 'Wenn das eine Angelegenheit von Politik und Opfer ist, und keine Frage der Untersuchung und des Rechts, dann werde ich kämpfen bis zum Ende der Welt.' Worauf Lehmann antwortete: 'Sie werden jetzt im Gefängnis (damit) beginnen und sie werden dort für eine lange Zeit bleiben, vergessen sie nicht, ihre Haut zu retten.' Dann ging er mit Mehlis."

Am nächsten Tag, am 1. September 2005, habe dann der deutsche Ermittler R. die Vernehmung fortgesetzt und angeblich Lehmanns Angebot wiederholt: "Stehen sie zu uns, das ist ihre letzte Chance. Wir wissen, dass sie ihre Tochter Sarah lieben, sie können in diesem Moment an ihrer Seite sein, wir können sie jetzt freilassen - geben sie uns etwas." El Sayyed widersetzte sich nach seinen Angaben. "Ich kann keine Lüge oder Story erfinden, und ich kann ihnen kein Opfer liefern, auch wenn der Preis dafür ist, Sarah nicht sehen zu können."


Lehmann'sche Geisterbeschwörung?

Am 19. Januar 2006, um 10.45 Uhr, wurde mein Mandant (El Sayyed)", so erinnerte sich Anwalt Azouri schriftlich, "von der Kommission geladen, um gehört zu werden. Die Befragung wurde in meiner Anwesenheit von Herrn Ken Korlet, assistiert von der Übersetzerin Frau Hoda Abdul-Farag, durchgeführt. Herr Korlet informierte uns, dass Herr Gerhard Lehmann kommen würde, da er meinen Mandanten sehen wollte. Er fügte hinzu, dass während der Abwesenheit von Herrn Mehlis (der Ende Dezember 2005 den Dienst für die UNO quittiert hatte) und vor der Ankunft von Herrn Brammertz, Herr Lehmann als der amtierende Präsident der Kommission betrachtet wurde. Herr Korlet sagte, das eigentliche Ziel der Tagung würde meinem Mandanten von Herrn Gerhard Lehmann offenbart werden.

Ein paar Minuten später kam Herr Lehmann in den Raum. Ich fasse zusammen, was er gesagt hat: 'Ich möchte, dass sie an Herrn El Sayyeds Zukunft denken. Wir bewegen uns in Richtung eines Internationalen Tribunals. Wir haben Herrn Khaddam's Aussage in unseren Händen. Das ist eine eidesstattliche Erklärung, und als Herr Hariri ermordet wurde, war Herr Khaddam (Syriens) Vize-Präsident. Ich lese zwei Sätze aus seiner Aussage vor: 'Es war eine gemeinsame Planung. Auf der libanesischen Seite war es in erster Linie Jamil El Sayyed. Herr Khaddam hat vergangene Woche ausgesagt. Ich werde ihnen ein Angebot machen, dass ich auch den anderen drei Generälen mache. Ich biete ihnen den Vorteil, dass sie der erste sind, an den ich es adressiere, weil der erste, der es akzeptiert und etwas sagt, einen gewissen Vorteil gegenüber den anderen in dieser Untersuchung haben wird. Aber ich kann nicht alles versprechen.' Mein Klient fragte dann Herrn Lehmann, ob er auf das gleiche Angebot hinweist, dass er ihm bereits vor seiner Verhaftung in Anwesenheit des deutschen Polizeibeamten Stephan E. und noch einmal am Tag seiner Festnahme in Anwesenheit von Herrn Mehlis gemacht hatte, das heißt, ein 'pikantes' und glaubwürdiges Opfer zu präsentieren. Herr Lehmann nickte zustimmend. Mein Klient wurde dann ungehalten und erklärte, dass ihn die dritte Wiederholung dieses Angebots zutiefst beleidigt und fügte hinzu, dass es nicht das sei, was er unter objektiven und glaubwürdigen internationalen strafrechtlichen Ermittlungen verstehe. Er lehnte das Angebot sofort ab, wie er es zuvor getan hatte. Herr Lehmann insistierte und wandte sich an mich in meiner Eigenschaft als Anwalt des Generals. Er bat mich, mit ihm privat auf dem Korridor zu sprechen, wo er mich aufforderte, meinen Mandanten zu seinen Sinnen zurückzubringen und ihn von seinen realen Interessen zu überzeugen. Ich habe den Generalstaatsanwalt vom Inhalt dieser Sitzung, die teilweise von Herrn Korlet niedergeschrieben jedoch nicht unterzeichnet wurde, informiert. Das Interview mit Herrn Lehmann wurde gänzlich aufgezeichnet. Mein Klient ist bereit für eine Gegenüberstellung mit Herrn Lehmann."

General Jamil El Sayyed und sein Anwalt Azouri haben die Verantwortlichen bei den Vereinten Nationen mehrmals schriftlich von diesen "Vorkommnissen" in Kenntnis gesetzt; letztmalig in einem Memorandum an UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon. The Associated Press veröffentlichte am 10. April 2008 erstmals den von der "westlichen" Presse bislang nicht besprochenen Vorwurf El Sayyeds, dass "ein Ermittler der UNO-Kommission (Lehmann) ihn drei Monate vor seiner Inhaftierung gefragt hatte, eine Nachricht an Syriens Präsidenten Bashar Assad weiterzuleiten und den zu überzeugen, der Kommission ein syrisches Opfer von einem bestimmten Kaliber zu präsentieren, das das Verbrechen gestehen und letztendlich tot aufgefunden werden würde".


Ein Kreuz mit den Zeugen

Sollte sich das alles bewahrheiten, könnte das Timing für diesen, von El Sayyed behaupteten "unmoralischen Deal" Indiz für eine politische Annäherung der deutschen Untersucher an den Fall sein. Denn die neokonservativen Krieger in Washington heulten schließlich seit dem Tage des Attentates, dass die Haupttäter in der syrischen Regierung säßen, brauchten für den geplanten "Regime Change" in der Levante den "rauchenden Colt", nämlich harte Beweise, dass Syriens Präsident Bashar Assad in persona die Liquidierung Rafik Hariris anbefohlen hatte. Wen wundert es da, dass auch Dick Cheneys Fünfte Kolonne für den "Ernstfall Libanon", das berüchtigte "United Staates Committee for a Free Lebanon", in dem sich neben zahlreichen exillibanesischen Umstürzlern, reiche Banker und hochrangige US-Regierungsmitglieder tummeln, allesamt Leute, die in der Levante einen Kapitalismus amerikanischer Bauart pflanzen möchten, schon 2004 eine "Abschussliste" für die politische Elite des Libanon in Form eines Kartenspiels entworfen hatte. Darauf waren Rafik Hariri auf der Herz-As-Karte und die vier Generäle mit der Kennzeichnung "Wanted" zur Jagd freigegeben worden. Zufall hin Zufall her; es waren jedenfalls Mehlis und Lehmann, welche die per US-Spielkartensteckbrief Gesuchten im weitesten Sinne des Wortes "abschossen".

Doch dem medialen und krachenden Feuerwerk nach der Inhaftierung der "Verdächtigen" folgte ein Echo. Mehlis hatte sein "libanesisch-syrisches" Täterkonstrukt offenbar allein auf den Aussagen dreier merkwürdiger Kronzeugen aufgebaut: Der erste "Zeuge", Hussam Taher Hussam, ein ehemaliger syrischer Geheimdienstler, "berichtete" ihm im Sommer 2005 von mehreren konspirativen Treffen in Damaskus, darunter im Präsidentenpalast, bei denen das Mordkomplott gegen Hariri geschmiedet worden sein soll. Mahir Assad, Bruder des syrischen Präsidenten und Chef der Präsidentengarde, sowie Assads Schwager, Asass Schaukat, Leiter des Militärgeheimdienstes, sollen daran teilgenommen haben. Einige Wochen später, Hussam Taher Hussam war die Flucht aus dem Libanon geglückt, erklärte er allerdings in einem TV-Auftritt, seine Aussage vor der Mehlis-Kommission sei durch Folter, Drogen und Schmiergeldangebote erzwungen worden. Und Fares Kashan, "ein Berater von Saad Hariri", dem Sohn des Ermordeten, so Hussam Taher Hussam "war sein Steuermann während der Untersuchung" gewesen. Kashan habe ihn unterrichtet, was er vor der Kommission auszusagen habe. In einem TV-Interview Ende November 2005 erklärte er zudem, der "maskierte Zeuge" gewesen zu sein, den die Deutschen dem General El Sayyed gegenübergestellt hatten. Er bezeichnete seine eigenen Aussagen als "einen Sack voller Lügen", die ihm sorgfältig eingebläut worden waren und beschuldigte zudem den libanesischen Innenminister Hassan Sabaa, das Parlamentsmitglied Saad Hariri und eine Anzahl Regierungsoffizieller der Komplizenschaft, ihn zur Falschaussage gezwungen zu haben. Angeblich wurde ihm auch eine große Summe an Bargeld in cash in Saabas Büro angeboten. Saad Hariri, den er zweimal traf, wollte ihn, so Hussam, nach erfolgter "Aussage" zur Gesichtsoperation nach Paris überstellen und ihm einen französischen Pass besorgen.

Ibrahim Michel Jarjoura, ein weiterer Zeuge, zog seine Aussage im Januar 2006 zurück. Im libanesischen New TV erklärte er, ein gewisser "Wissam" habe ihm als "Ermittler" nachgestellt und ihn in ein Appartement nahe des Riviera Hotels im Beiruter Stadtteil Al Manara gebracht, von dem er später jedes einzelne Möbelstück detailliert beschreiben konnte. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um die Wohnung des libanesischen Telekommunikationsministers Marwan Hamadeh handelte, eines engen Verbündeten von Saad Hariri. Und jener "Wissam" war der Bodyguard des Ministers. Hamadeh soll sehr "harsch" zu Jarjoura gewesen sein, soll ihn mit dem Stock geschlagen und verlangt haben, der internationalen Kommission zu erklären, dass er ein syrischer Agent sei, der namhafte prowestliche Politiker des Landes ausspioniere. Hamadeh soll ihm auch eine große Menge Geld angeboten haben. Als Jarjoura dem täglichen Druck und der Observation nicht mehr standhielt, sagte er später, entschloss er sich, "den falschen Zeugen" zu spielen.


Ein Kronzeuge

Mehlis wichtigster Kronzeuge indes, ein weiterer Syrer namens Suheir al-Saddik, meldete sich Anfang Juli 2005 "freiwillig" per Telefon aus Saudi-Arabien und bot "Informationen" aus dem "Herzen der Verschwörung" an. Saddik erzählte, sein südlich von Beirut in Chalda gelegenes Appartement sei das Hauptquartier der Verschwörer gewesen. Darin hätten seit Juli 2004 mehrere Vorbereitungstreffen für das Attentat stattgefunden; teilgenommen hätten vier Libanesen, darunter einige der verhafteten Generäle und sieben syrische Geheimdienstler. Das Appartement wurde kriminaltechnisch umgekrempelt, doch Spuren, auch nicht die geringste DNA-Spur, fanden sich weder von Saddik noch von den inhaftierten Generälen. Saddik, der nach eigenen Angaben wegen seiner Aussage vor Mehlis "zum Millionär wurde", wusste Dank des Geldsegens offenbar über alles Bescheid, auch, dass der "syrische Präsident Bashar Assad und sein libanesischer Amtskollege Emile Lahoud die Befehle zur Liquidierung des ehemaligen Premiers Rafik Hariri gegeben haben". Er ist auch der Zeuge, der den Mitsubishi, das Tatfahrzeug, das mit 1800 kg Sprengstoff in die Luft gejagt wurde, in einem syrischen Militärlager gesehen haben will. Später gab er dann auch noch handschriftlich zu Protokoll, an der Tat als Fahrer beteiligt gewesen zu sein und qualifizierte sich vom Zeugen zum Beschuldigten.

"Suheir war schon immer ein Schwindler und Trickser", behauptete sein Bruder Imad und deutete damit an, dass der auch für viel Geld den alles wissenden "Zeugen" mimt. Geld ist sein Elixier, genug davon habe er unterschlagen, saß deswegen sogar schon im Gefängnis, und seine Strafakte weist mehrere Verurteilungen wegen Fälschungen und Betrug auf Leichte Beute für besagten libanesischen Telekommunikationsminister Marwan Hamadeh, der gemeinsam mit Ministerpräsident Fouad Siniora, dem Politiker Saad Hariri, Sohn des getöteten Ex-Premiers, und dem Drusenführer Walid Jumblatt das prowestliche Lager im Libanon anführt, die "demokratische" Zedernrevolution vorangetrieben und Front gegen Syrien gemacht hatte. Der mehrfach verurteilte Betrüger und geldgeile Saddik ist nämlich kein Geringerer als der Ehemann von Hamadehs Nichte. Längst berichteten die arabischen Medien über die Details des vermeintlichen Zeugeneinkaufes: Saad Hariri lieferte die Millionen Bestechungsgelder und Onkel Hamadeh coachte den Ehemann seiner Nichte, was der dem UN-Chefermittler Mehlis vorzutragen habe. Der Ex-Zeuge Hussam Taher Hussam bekundete im April 2008 im libanesischen Fernsehen noch einmal, neben Fares Kashan habe auch "Hani Hammoud", beide Berater von Saad Hariri, alle Zeugen unterwiesen, was sie dem Herrn Mehlis sagen sollen". Kriminalakrobatik vom Feinsten.

Wie das Leben so spielt: Der wichtigste Kronzeuge, Suheir Saddik, der die Spur nach Syrien gelegt hat, ist seit Wochen spurlos verschwunden. Zuletzt stand er in Frankreich unter Hausarrest, eben wegen seiner Aussage, er sei selbst am Attentat beteiligt gewesen. Imad Saddik, der Bruder des Vermissten, beschuldigte nun die französischen Behörden und den Verwandten Minister Marwan Hamadeh, hinter dem Verschwinden seines Bruders zu stecken: "Die französischen Behörden haben sein Verschwinden vielleicht ermöglicht, um anderen zu helfen, ihn zu eliminieren oder sie haben es vielleicht sogar selbst getan." Omar al-Saddik, ein anderer Bruder, sagte, sein Bruder sei getötet worden, "um den Mord dann Syrien in die Schuhe zu schieben". Imad Saddik behauptete sogar, dass sein Bruder, der verlogene Kronzeuge, zur Zeit des Mordes an Ex-Ministerpräsident Hariri in Damaskus war, und dass er Belege dafür habe. Vor sieben Monaten hätte sein Bruder dann endlich auch versucht, reinen Tisch zu machen und sich der syrischen Botschaft in Paris zu stellen, er wurde jedoch daran durch Androhung der Liquidierung seiner Familie gehindert. Während der Kronzeuge Hussam Taher Hussam in besagtem Telefongespräch äußerte, Saddik erfreue sich momentan des Schutzes von Bandar Bin Sultan in Saudi-Arabien, der eigentlichen Heimat der Hariris, behauptete der ehemalige libanesische Parlamentarier und Chef der Tawheed Partei, Wiam Wahab, Saddik könnte "gekidnappt und liquidiert" worden sein.

"Meine Befürchtung ist, dass Saddik vor dem eigentliche Prozess verschwinden wird und ich (die Generäle) gegen eines von Saddiks TV-Interviews verteidigen muss", ahnte Anwalt Korkmaz schon im Herbst 2006. Allein auf der Grundlage des Lügengebildes dieses Mannes sitzen vier Generäle und vier libanesische Zivilisten seit knapp drei Jahren in Haft.

Mittlerweile bezeichnete auch der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCR) die Inhaftierung als "völlig illegal", was Herrn Mehlis im März in der Talkshow "Bi Kul Jur'a" des libanesischen Fernsehkanals LBC nicht abhalten konnte, der UNO "als Beobachter" zu widersprechen und seine Verhaftungsorgie als "legal" zu deklarieren. Mehlis' Nachfolger hingegen, der Belgier Brammertz, so jedenfalls formulierte es General El Sayyed Anfang 2006 in einem Brief an den libanesischen Untersuchungsrichter Saqr Saqr, "informierte meinen Anwalt, Herrn Akram Azoury, dass er die Empfehlung von Herrn Mehlis (die Generäle zu verhaften) als einen illegalen Akt unter Verletzung der Befugnisse der Kommission betrachte, und dass er folglich keine Empfehlung dieser Art, in dieser oder andere Weise, an die libanesische Justiz geben würde".


In Isolation

Der zweite der vier Generäle, Ali Al Hajj, vormals Leiter der internen Sicherheitsdienste, der noch immer in einem Käfig in totaler Isolation haust, brach am 2. Mai 2008 erstmals das Schweigen. In einem Interview für die libanesische Wochenzeitung Al-Intiqad sagte er: "Die Ermittlungen, die (seinerzeit) von den (libanesischen) Sicherheitsorganen ausgeführt wurden, standen zu der Zeit im Widerspruch zum politischen Projekt einer libanesischen Gruppe. Die Gruppe wollte nicht, dass die Untersuchung auf realen Daten basiert. Aber als sie sich von Daten, die von ausländischen Experten geliefert wurden, in die Enge gedrückt sahen, die der ehemalige Leiter der Kommission Detlev Mehlis nicht ändern konnte, begann sie, falsche Zeugen zu sammeln." Der Militär enthüllte, als die internationalen Ermittler ihm seinerzeit einen Film über den Zeugen Saddik zeigten, versuchte er aufzustehen und die Sitzung zu beenden, "aber der Ermittler bestand darauf, dass ich mir den Film bis zum Ende anschaue. Also sagte ich ihm, wenn die Untersuchung in diese Richtung geht, bedeutet das, dass sie nicht wirklich die Wahrheit wünschen". Al Hajj wies darauf hin, dass Serge Brammertz die von wem auch immer kreierten falschen Zeugen völlig ignoriert habe: "Ich fragte ihn am Ende meiner Vernehmung, warum er mich nicht über Saddik, den Hauptgrund meiner Inhaftierung, befragt hat. Er sagte mir einfach, dass er nichts mit diesem Zeugen zu tun habe. Die Leute, welche die falschen Zeugen erfunden, produziert, ausgebildet und sich um sie gekümmert haben, sind ebenso namentlich bekannt wie ihre Ziele", betonte Al Hajj.

Dass die Experten um einiges anders ticken als der Berliner Oberstaatsanwalt, kann in der libanesischen Tageszeitung As Safir nachgelesen werden, die am 21. Mai 2008 ein Interview mit dem Kanadier Luc Côté veröffentlichte, der zwischen 2003 und 2005 Chefankläger beim Sondergerichtshof für Sierra Leone und von 1995 bis 1999 Ankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda war. Auf die Frage, ob Mehlis'sche Ermittlungsmethoden, wie "Gegenüberstellungen" zwischen Zeugen und Verdächtigen, bei denen der Zeuge maskiert ist, hinter einem Vorhang sitzt oder eben seine "Anschuldigungen" per Videobotschaft von sich gibt, mit internationalem Recht in Einklang zu bringen sind, erklärte der Experte, er "habe in der Vergangenheit noch nie von ähnlichen Fällen dieser Art gehört. Aber es gibt einen bedeutenden Punkt: Man muss unterscheiden zwischen dem, was die Internationale Ermittlungskommission getan hat und den Untersuchungen die vom Ankläger des Tribunals betrieben werden. Ich möchte daran erinnern, was sich während der Ermittlungen ereignete, unabhängig von richtig oder falsch, wird vom Gericht untersucht werden, um zu entscheiden, ob das mit internationalen Standards konform geht oder nicht." Die UN-Mitarbeiterin Leila Zerroughi, Leiterin der Arbeitsgruppe "Arbitrary Detention" sprach es deutlicher aus: "Diejenigen, die die falschen Zeugen ermutigt haben, werden mit denen gemeinsam vor Gericht gestellt werden, unabhängig ihres Ranges oder ihrer Positionen."

Mehlis brach 2005 auf, um den Libanesen demokratische Rechtsstaatlichkeit zu lehren: "Schließlich ist die Kommission auch geschaffen worden, um im Mittleren Osten das Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren zu stärken und auf diese Weise auch präventiv zu wirken", bekundete er am 14. Februar 2008 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Bewahrheiten sich die massiven Anschuldigungen, die die Verteidigung erhebt, wird er in der internationalen Wahrnehmung letztklassig enden. Doch viel eher als fachliches Versagen, was es ja nicht ist, gesetzt dem Fall, es wird vorsätzlich manipuliert, muss ihm wohl vorgeworfen werden, dass er offenbar in Kauf genommen hat, dass seine sehr spezielle "kriminalistische Arbeitsweise" zwangsläufig solcherart "Ermittlungsergebnisse" produzieren mussten, die geeignet waren, die Spannungen zwischen den verfeindeten "prowestlichen" und "prosyrischen" Lagern des Libanon weiter anzuheizen und damit Gewalt zu produzieren in der Lage war, die ein Abgleiten des Landes in den Bürgerkrieg hätte zur Folge haben können. Durch die vermeintliche Pfuscherei, die keine ist, wenn man den Ermittlern ein politisches Motiv unterstellt, könnte Deutschland sogar indirekt mitverantwortlich gemacht werden für die mörderischen Lagerkämpfe in Libanon innerhalb der letzten beiden Jahre.


Notbremse?

Spekulativ bleibt, ob UN und Bundesregierung Ende 2005 die Notbremse gezogen und die Deutschen ihrer Posten enthoben hatten, vielleicht in der weisen Voraussicht, dass der Pfusch den aufgestachelten Libanesen nur weitere unschuldige Menschenleben kosten könnte. Und, um eben ein Abgleiten des Landes in den Bürgerkrieg zu verhindern.

Da hilft auch kein Jammern und Zetern des Oberstaatsanwaltes gegenüber der FAZ, das doch eigentlich sein Leben und das der UN-Ermittler in Gefahr gewesen wäre: "Die Sicherheitslage in Beirut war im Dezember 2005 jedoch so, dass auch nach Einschätzung der UN für mich, und damit auch für meine Mitarbeiter, akute Lebensgefahr bestand. Dazu kamen familiäre und berufliche Gründe, die mich veranlasst haben, mein Mandat nicht zu verlängern, obwohl mich Vertreter aller fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder, darunter auch der französische Präsident Chirac, sowie der UN-Generalsekretär darum gebeten hatten. Für die Sache war das leider nicht gut, für mich persönlich und mein und mein Umfeld wohl schon." Tatsächlich hatte die Terrorgruppe "Jund al-Scham", die sich zu drei, während der Amtszeit von Mehlis verübten Bobenanschlägen bekannte, dem Deutschen mit der Ermordung gedroht. Er galt den Terroristen als "Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad" respektive "israelisches Werkzeug". Nun, im Juni 2007 erklärte die Parlamentsabgeordnete Bahia Hariri, Schwester des Ermordeten Rafik Hariri, gegenüber den TV-Sendern Al-Jazeera und Al-Arabiyya, sie hätte "vor einigen Monaten einmal Jund al-Scham" Geld in Form einer "Entschädigung" gezahlt. Die Schwester des Getöteten schenkte also einer weltbekannten Terrorgruppe, die sich zu öffentlich Attentaten bekennt und mit der Ermordung desjenigen drohte, der die Mörder ihres Bruders aufspüren wollte, Moneten? Da drängt sich die Frage auf, ob "Jund al-Scham" nicht selbst ein Werkzeug der libanesischen Mächtigen war oder noch ist und vielleicht auch den Auftrag hatte, den Oberstaatsanwalt Mehlis offiziell "mordsmäßig" so zu beeindrucken, dass er den Libanon eben mit dieser Alibi-Begründung verlassen und seine "Ermittlungen" im Raum stehen lassen kann. Eben jene Ermittlungen, die politisch Mächtigen nachher nützen würden. Sozusagen die arabische Variante einer Win-Win-Strategie?

Doch Mehlis verteidigt seine "Ermittlungen" noch immer wie der Hund den erbeuteten Knochen: Im Fernsehauftritt auf LBC Mitte März 2008, so Anwalt Azouri, "widmete er 25 Minuten der Zeit, um auf seinen Nachfolger Brammertz dreinzuschlagen, die anderen 30 Minuten erklärte er, dass es nicht die Vereinten Nationen waren, die seine Ablösung einforderten".

Für das Bundesverdienstkreuz und den französischen Nationalen Verdienstorden l'Ordre national du Mérite hat es für Herrn Mehlis allemal schon gereicht. Fein. Und wie geht es Herrn Lehmann? Zwei Fragen hätte ich ihm gern gestellt: Erstens: Was wissen Sie von einem "Lockerbie-Deal"? Zweitens: Sind Sie endlich zum Kriminalrat befördert worden?


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ZUSATZINFORMATIONEN


Lockerbie-Anschlag

Am 21. Dezember 1988 wurde ein Bombenanschlag auf eine Boeing 747 der amerikanischen Fluglinie Pan American World Airways verübt. Das Flugzeug wurde in etwa 9.400 m Höhe in Schottland über der Ortschaft Lockerbie, Dumfries and Galloway nach der Explosion von 340-450 g Plastiksprengstoff zerstört. Alle 259 Insassen der Maschine, sowie elf Bewohner Lockerbies, kamen dabei ums Leben. Die so genannte Katastrophe von Lockerbie gilt mit 189 toten US-Bürgern als der verlustreichste Anschlag gegen Zivilisten aus den Vereinigten Staaten vor dem 11. September.

Schottische Strafgerichte kamen zu dem Schluss, dass es sich um einen staatsterroristischen Akt libyscher Geheimdienstler gehandelt habe und verurteilten 2001 im so genannten Lockerbieprozess den libyschen Geheimdienstoffizier Abdel Basset Ali al-Megrahi zu lebenslanger Haftstrafe. Libyen indes hat niemals auch nur irgendeine Beteiligung an dem Anschlag eingeräumt. Im Rahmen von Verhandlungen zur "Beilegung" seiner Konflikte mit den USA erklärte die Regierung in Tripolis, man "akzeptiere die Verantwortung für Taten seiner Offiziellen" und zahlte $ 2,46 Milliarden Entschädigung an die Hinterbliebenen der Opfer.

Der Prozess wird offenbar wegen eines möglichen "Justizirrtums" neu aufgerollt werden, da nach verschiedenen Eingaben und eidesstattlichen Erklärungen die Glaubwürdigkeit ehemaliger Zeugen in Frage gestellt ist und die Manipulation von Beweisen im Raum steht.


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Abdel Halim Khaddam. Was für ein Kronzeuge!

Gegen Ende seiner Amtszeit hatte Detlev Mehlis noch den ehemaligen syrischen Vizepräsidenten Abdel Halim Khaddam in dessen Exil in Paris vernommen. Der beschuldigte den syrischen Präsidenten Assad, den Hariri-Mord persönlich in Auftrag gegeben zu haben. Beweise konnte er allerdings nicht liefern. Mehlis meinte, Khaddam könne mit seiner Beschuldigungsprosa die "Ermittlungsergebnisse" der Deutschen zementieren.

Zum Zeitpunkt der Vernehmung wohnte Khaddam längst in einer der Pariser Villen des getöteten Hariri. Keinesfalls Zufall: Im Frühjahr 2006 schnürte Khaddams Enkelin die während der letzten Dekaden hinweg durch viel Geld zusammengeschweißten "Familienbande" noch stärker, indem sie in den Hariri-Clan hineingeheiratet hatte.


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Modus operandi der Ermittler

Gerhard Lehmann, der seit 1979 in der Abteilung Sonderaufgaben des BKA arbeitet, war bereits 1994 ins Visier der Berliner Staatsanwaltschaft geraten. Die wollte ihn wegen Nötigung verhaften, weil er bei der "Beschaffung" eines Kronzeugen im Prozess zum Anschlag auf das Berliner Kulturzentrum Maison de France den syrischen Diplomaten Nabil Chretah mit kompromittierendem Material nach Budapest gelockt, dort mit einem BND-Mann "verhört" hatte, bis der Mann "ein Wrack war" und sich zur "freiwilligen" Einreise nach Deutschland ergab, berichtete die Junge Welt am 5. Dezember 2005. Staatsanwalt Mehlis, der die Anklage gegen die Carlos-Gruppe/Johannes Weinrich leitete, intervenierte damals und schützte den geplagten BKA-Mann. Der bekannte Berliner Rechtsanwalt Jony Eisenberg auf seiner Webseite: "(Lehmann) sei als Zeuge im Strafverfahren um den Terroranschlag auf das Maison de France auch vom Gericht attestiert worden, zumindest in einem Punkt die Unwahrheit gesagt zu haben." "Ein Verteidiger, der in (diesem) Verfahren tätig war, beschreibt (Mehlis) als deutlich Syrien-lastig: Mehlis Bestreben sei es gewesen, syrische Geheimdienstkreise als Auftraggeber der Carlos-Truppe zu identifizieren, zum Teil gegen jede Beweislage", publizierte Eisenberg am 18. Mai 2005 in der TAZ.

Im Prozess um den Terroranschlag im Jahre 1986 auf die von GI's besuchte Berliner Diskothek "La Belle" bescheinigten die Richter dem anklagenden Oberstaatsanwalt Mehlis verbotene Vernehmungsmethoden. Der hatte bei dem Angeklagten Musbah Abulgasem Eter den "irrigen Eindruck" erweckt, er könne mit Strafmilderung rechnen, wenn er ein Geständnis ablege. Mehlis hatte den Libyer am 10. September 1996 auf Malta gemeinsam mit Botschafter Kunz und dem Kriminaloberrat Uwe Wilhelms als Vertreter des Landeskriminalamtes Berlin (LKA 513) und "Protokollführer" vernommen. "Am Vorabend der Vernehmung hätten sie Eter im Hotel Holiday Inn auf Malta klargemacht, dass sich 'glaubwürdige Angaben ... mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich strafmildernd für ihn auswirken könnten", berichtete der Spiegel am 20. Juli 1998.

Allerdings suchte die Bonner Staatsanwaltschaft den "Verhandlungspartner" des Oberstaatsanwaltes wegen Beihilfe zum Mord, Aktenzeichen 90 Js 161/85, sowie Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit gem. Paragraph 99 StGB, Aktenzeichen 4 BJs 71/86-1. Weil das Gericht nicht kompromissbereit war, widerrief Eter sein Geständnis und "beschuldigte sogar den amerikanischen Geheimdienst CIA, den Anschlag arrangiert zu haben. Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) hätten ihm genau vorgegeben, was 'ich sagen darf und was nicht'. Die Umstände, unter denen das Geständnis zustande kam, interessierten die Richter ungemein. An 17 Prozesstagen vernahmen sie Mehlis und den zuständigen Polizei-Ermittler Uwe Wilhelms. Tatsächlich hatte der scheinbar reumütige Eter bei der Staatsanwaltschaft lange eine Vorzugsbehandlung genossen. Er musste nicht ins Gefängnis, gemeinsam mit Personenschützern reiste er durchs Land, um seine vielfältigen geschäftlichen Aktivitäten zu pflegen. Erst als sich der Kronzeuge im Sommer 1997 nach Rom absetzte, kühlte die Verbindung zu den Fahndern ab. Nachdem ihn eine italienische Spezialeinheit festgenommen hatte, wurde Eter an Deutschland ausgeliefert und kam in Haft". (Spiegel 1998)

Beschluss der Kammer vom 09.07.1998


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1996: Crash in Portugal

Der ehemalige Oberstleutnant der Staatssicherheit der DDR, Rainer Wiegand, der Anfang der neunziger Jahre umfassend Informationen an den Bundesnachrichtendienst verriet, galt als sehr wichtiger Zeuge im "La Belle"-Prozess, in dem Detlev Mehlis die Anklage leitete. Als Mehlis ihn am 23. Juni 1996 über das Berliner Landeskriminalamt zwecks "ladungsfähiger Anschrift" mit verschlüsselter Funkübermittlung (FS-Nr. 66 von 9.24 Uhr) suchen ließ, da W. zum Zeugen ernannt worden war, wusste das Bundeskriminalamt Wiesbaden - Interpol sofort Rat und übermittelte die Fernschreiben Nr. 5350 vom 14. Juni 1996 und 7049 vom 18. Juni 1996. Darin stand: "Am 14.06.1996 um ca. 00.50 Uhr sind die beiden deutschen Staatsangehörigen (Ursula St. und Rainer Wiegand) bei einem Frontalzusammenstoß in der Nähe von Lissabon ums Leben gekommen. Wie die Polizei mitteilte, seien die beiden auf der Stelle tot gewesen. Sie waren in einem Mietwagen unterwegs und stießen mit einem Kleinlaster zusammen." Der Crash in der Gemeinde Montijo, so der Bruder des Verstorbenen, kann "nicht seitens meines Bruders eingeleitet worden sein. Das ist keine Handlungsweise meines Bruders, der von seinem Naturell her stets über den Dingen stand und alles im Griff hatte. Egal wie es um ihn stand, er handelte immer zu seinem Vorteil". Die portugiesischen Behörden nahmen Ermittlungen auf, um zu klären, ob es sich um Mord gehandelt haben könnte. Nach einem Monat stellten sie die Untersuchungen allerdings ein: Die Rekonstruktion des Geschehens an dem Ort, wo der Wagen [mit] dem Kleintransporter kollidiert war, ergab "keine Hinweise auf eine Straftat oder ein Attentat".


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Quelle:
GEHEIM Nr. 4/2008, 31. Dezember 2008, Seite 18-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2009