Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEHEIM/284: Kritische Stimmen zu Wikileaks aus Lateinamerika


GEHEIM Nr. 4/2010 - 13. Dezember 2010

GELEAKTE US-PAPIERE
Wem nützt Assange?
Kritische Stimmen zu Wikileaks aus Lateinamerika

Von der GEHEIM-REDAKTION


Eine Sache ist es, über das "Leaken" von Dokumenten aus dem US-State Departement zu diskutieren, eine andere sich kopflos hinter den Wikileaks-Frontmann Julian Assange zu stellen. "Der Kampf gegen Geheimdiplomatie ist ein wichtiger Beitrag für den Frieden und die internationale Solidarität. Öffentlichkeit und Transparenz sind Sand im Getriebe von Finanzhaien und Kriegstreibern. Deshalb stellt das Netzwerk Antikapitalistische Linke (AKL) auf seiner Internet-Seite Webspace für WikiLeaks zur Verfügung", teilte die Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Inge Höger, am 13. Dezember 2010 fest.

Aber aus der spanischsprachigen Welt sind kritische Stimmen zu hören, die zur Vorsicht vor einer allzu raschen Solidarisierung mit dem neuen Internet-Star warnen. Während die bisher zu Deutschland publizierten Unterlagen außer der Enttarnung eines FDP-Informanten eher Bekanntes über die Bundesregierung noch einmal bestätigt haben, passen die "geleakten" US-Depeschen zu Washingtons Generallinie, die ALBA-Staaten zu diskreditieren. Das ist nichts Neues, selbiges haben die USA und Kolumbien ab 2008 mehrfach versucht, als sie einschlägige Nachrichten publizierten, die sie auf den Laptops des ermordeten FARC-Kommandanten Raúl Reyes gefunden haben wollen. Die Kampagne lief weitgehend ins Leere, weil selbst Interpol eingestehen musste, dass die angeblichen Festplatten vor der Analyse manipuliert worden waren.

Dass die Veröffentlichung der US-Papiere eben dieser Machart entspricht, darauf hat GEHEIM-Redakteur Ingo Niebel in einem Interview mit Jean Guy Allard hingewiesen, das seit Anfang Dezember seine Runden durch diverse lateinamerikanische und spanische Blogs und Internetplattformen zieht.(1) "Der Unterschied besteht darin, dass diesmal 'angesehene' Medien des kapitalistischen Nordens, wie die New York Times, Der Spiegel, Le Monde usw. die Wikileaks-Dokumente als echt betrachtet haben; das war [Kolumbiens Präsidenten Alvaro] Uribe und [dem spanischen Medienkonzern] PRISA mit Reyes' Laptops nicht gelungen. Aber anscheinend hat 'jemand' dazugelernt", so Niebel.

In dieselbe Kerbe schlägt kurz darauf Pascual Serrano mit seinem Beitrag "Wikileaks, el ordenador de Raúl Reyes global" (Wikileaks, Raúl Reyes' globaler Computer).(2) Der spanische Medienkritiker setzt sich darin mit der bekanntermaßen einseitigen Lateinamerika-Berichterstattung der Tageszeitung El País auseinander. Das publizistische Flaggschiff des PRISA-Konzerns verfügt über das Privileg, die US-Dokumente mit Spanien- und Lateinamerika-Bezug zuerst publizieren zu dürfen. Serranos Schlussfolgerung lautet: "Es gibt dabei nur eine Angelegenheit, die einem verdächtig, sehr verdächtig vorkommt: Die enthüllenden Papiere sagen immer das, was die Macht wollte, dass wir es wüssten".

Die eigentliche Auswertung der Dokumente erfolgt dann auch nicht über El País, sondern von Experten, wie der Journalistin Eva Golinger, aber auch erst dann, wenn sie bei Wikileaks erschienen sind. Der Erkenntnisgewinn hält sich dabei in Grenzen, vielmehr wird auch hier Bekanntes bestätigt. Folgerichtig titelt Golinger: "Dokumente bestätigen Washingtons Pläne gegen Venezuela."(3) Und der kubanische Journalist Iroel Sánchez überführt El País der Parteilichkeit in dieser Sache, als das Blatt verschweigt, dass auch das PRISA-Vorstandsmitglied Juan Luis Cebrián an einem vertraulichen Gespräch mit dem US-Botschafter in Madrid teilgenommen hatte.(4)

Der Reigen kritischer Stimmen liesse sich nach Bedarf erweitern. Diese verklingen aber nahezu ungehört, nachdem Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt und eine breite Solidaritätskampagne für ihn eingesetzt hat. Der kanadische Journalist Jean-Guy Allard weist nach, dass eines der beiden mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer, die Kubanerin Anna Ardin, dem antikubanischen Spektrum zuzurechnen ist. Sie publizierte in entsprechenden Publikationen in Schweden, die Gelder von der CIA-Vorfeldorganisation USAID erhielten, und für die der Exil-Kubaner Alexis Gainza Solenzal verantwortlich zeichnet. Dieser wiederum vertritt die Unión Liberal Cubana von Carlos Alberto Montaner, der wegen seiner terroristischen Vergangenheit von der kubanischen Justiz gesucht und von der FDP für politische Zwecke nach Lateinamerika geschickt wird. Gainza nahm an antikubanischen Veranstaltungen der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung (KAS) und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) teil. Letztere verfügte während des Kalten Krieges über eine belegte CIA-Anbindung.(5)


ANMERKUNGEN

(1) http://www.rebelion.org/noticia.php?id=118094
(2) http://www.pascualserrano.net/noticias/wikileaks-el-ordenador-de-raul-reyes-global
(3) http://www.rnv.gov.ve/noticias/?act=ST&f=15&t=144505
(4) http://www.rebelion.org/noticia.php?id118565&titular=consejero-delegado-del-
grupo-prisa-en-cable-de-wikileaks-pero-%E2%80%9Celpa%C3%ADs%E2%80%9D-no-se-entera-
(5) http://www.granma.cubaweb.cu/2010/12/07/interna/artic02.html


*


Quelle:
GEHEIM Nr. 4/2010, 13. Dezember 2010, Seite
Copyright bei der Redaktion und den Autoren
Redaktion: GEHEIM-Magazin,
c/o Michael Opperskalski (v.i.S.d.P.)
Postfach 270324, 50509 Köln
Telefon: 0221/283 99 95, 283 99 96
Fax: 0221/283 99 97
E-Mail: redaktion-geheim@geheim-magazin.de
Internet: www.geheim-magazin.de

GEHEIM erscheint viermal im Jahr.
Einzelheft: 4,30 Euro
Jahresabo: 19,40 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2011