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GEHEIM/285: Dirk Schmidt - Wessen Mann in La Paz?


GEHEIM Nr. 4/2010 - 13. Dezember 2010

BOLIVIEN
Dirk Schmidt - Wessen Mann in La Paz? Ein deutscher "Sicherheitsexperte" wird des bewaffneten Aufstandes beschuldigt

Von Ingo Niebel


Der deutsche Staatsbürger Dirk Schmidt sitzt seit Juli 2010 in bolivianischer Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zahlreiche Vergehen vor. Eines davon lautet auf "bewaffneten Aufstand". Von Woche zu Woche berichten Deutschlands Medien über die im Iran inhaftierten Journalisten, nur im Fall Schmidt herrscht das große Schweigen, obwohl man sonst jede kleinste Gelegenheit nutzt, um am Ansehen von Boliviens Prasidenten Evo Morales zu kratzen. Hat es vielleicht damit zu tun, dass der argentinische Geheimdienst Schmidt mit dem internationalen Waffenhandel während der Balkan-Kriege in Zusammenhang bringt? In seiner zweiten Heimat stand der Deutsche mit dem kroatisch-bolivianischen Söldner Eduardo Rozsa Flores in Kontakt, der vorhatte, Attentate gegen Morales und weitere Mitglieder seiner Regierung durchzuführen. Bisher hat er alle Anschuldigungen zurückgewiesen.

Gegenwärtig ist Dirk Schmidt trotz seines sehr geläufigen Namens der bekannteste Deutsche in der plurnationalen Anden-Republik.

Am 8. Juli 2010 nahmen ihn die Behörden unter dem Vorwurf fest, er hätte sich zum einen an einer bewaffneten Erhebung gegen die Regierung beteiligt. Zum anderen soll er sich der Erpressung der evangelikanischen Mennoniten-Gemeinde und weiterer Vergehen schuldig gemacht haben. In der Folge von Schmidts Verhaftung traten der stellvertretende Innenminister Gustavo Torrico und weitere höhere Chargen seiner Behörden von ihren Posten zurück. Die Oppositionspresse nutzte den Skandal, um auch Innenminister Sacha Llorenti und Präsident Morales unter Feuer zu nehmen, aber weitere Rücktritte blieben aus. In Deutschland liess man die Gelegenheit, das Andenland unter Druck zu setzen, ungenutzt vorbeiziehen, obwohl sonst jede Kleinigkeit zur negativen Berichterstattung über die Staaten der linken Bolivarianischen Alternative für die Völker unseres Amerikas (ALBA) herangezogen wird. Das ist nicht die einzige Ungereimtheit, die den Fall Schmidt umgibt. Vielmehr erinnert sie an eine Affäre, die sich 1993 ebenfalls in Bolivien ereignete, und an der der Deutsche beteiligt war.


Waffenschmuggel über Bolivien nach Jugoslawien

Die EPICON-Affäre hat ihren Ursprung im Waffenschmuggel, der Anfang der 1990er Jahre von Mitteleuropa aus nach Kroatien, Slowenien, Bosnien und in die Bundesrepublik Jugoslawien ging. Die genannten Länder bekämpften sich damals in den so genannten Balkan-Kriegen (1991-1995). Der Schmuggel war die logische Folge des von der UNO verhängten Waffenembargo, das eigentlich helfen sollte, die kriegerischen Handlungen zu beenden. Die Balkan-Kriege selbst waren wieder ein Produkt der bundesdeutschen, einst Bonner Außenpolitik, die ihren Deut zur Zerschlagung des ehemaligen sozialistischen Staatenblocks beitragen wollte. Die Vernichtung der sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien sollte dem deutschen Kapital den Weg auf den Balkan öffnen und auch den Einflussbereich der Berliner Politik entsprechend erweitern. Dazu war der schwarzgelben Koalition unter Helmut Kohl (CDU) jedes Mittel recht. Auf außenpolitischer Ebene provozierte der Christdemokrat den Krieg, indem er unter Missbrauch des Selbstbestimmungsrechtes der Völker den Separatismus in Kroatien und Slowenien anfeuerte und schließlich die Unabhängigkeit der beiden Staaten von Jugoslawien vorschnell anerkannte. Dabei stand ihm auf geheimdienstlicher Ebene der Bundesnachrichtendienst (BND) mit den dafür nötigen Sonderoperationen zur Seite. Die Kontakte des BND zu den entsprechenden "Partnern" in den beiden ehemaligen jugoslawischen Teilstaaten währten aber nicht ewig, da diese 1993/94 die Zusammenarbeit zugunsten der US-amerikanischen CIA beendeten.

Damals entwickelte sich Bolivien zu einem jener lateinamerikanischen Länder, das massiv Waffen einkaufte, obwohl es sich mit niemandem im Krieg befand. Laut einer Studie des UNO-Abrüstungsinstituts UNIDIR aus dem Jahr 1998 benutzten einige Waffenschmuggler das ärmste Land Südamerikas, um das Kriegsmaterial auf den Balkan zu schaffen. Im Mittelpunkt des Schiebernetzes sassen der Deutsche Gunter Pausch, der die Londoner Firma EPICON in Bolivien und Deutschland vertrat, sowie dessen Gattin Tania Zuazo. Die Bolivianerin hielt den Kontakt zum Außenministerium in La Paz, das die echten Dokumente lieferte, auf denen inexistente Militärs anschließend Waffen orderten. Darüber hinaus offerierten neben EPICON auch die portugiesische ETEM und die bulgarische KNITEX diese Papiere. Bei der Fälschung der Endabnehmerzertifikate waren gemäß UNIDIR die Bolivianer Norberto Quiroga und Fernando Chuquimia, Manuel Borda und Mirna Palacios, Antonio Peñaranda und Lupe Jauregui beteiligt.

Die UNO-Behörde erhielt diese Informationen vom argentinischen Geheimdienst Secretaría de Inteligencia del Estado (SIDE), der der Regierung in Buenos Aires unterstellt ist. Als Verfasserin des UNIDIR-Berichts über den Handel mit Kurzfeuerwaffen in Lateinamerika zeichnet deren damalige Direktorin, Silvia Cucovaz, verantwortlich. Dieser Quelle folgend, war es die deutsche Polizei, die Anfang 1993 ihre bolivianischen Amtskollegen über den Waffenschmuggel informierte. Gemeinsam mit Interpol gelang es den Bolivianern, den Schmugglerring zu zerschlagen. Cucovaz hat ihrem Beitrag zum UNIDIR-Report eine Graphik beigelegt, die einen "Dirk Schmidt" als einen der "Hauptwaffenhändler" und einen gewissen "Dick Schmidt" als einen der "identifizierten Kunden" nennt.


Schmidt auf der Flucht vor der deutschen Justiz

Der in Bolivien verhaftete Dirk Schmidt hat in der Vergangenheit unterschiedliche Statements zu seiner Tätigkeit abgegeben. So erzählte er der Tageszeitung El Deber am 22. Januar 2002, dass er 1993 "eine Ermittlung über bolivianische Diplomatenpässe, die in Deutschland über die Presse angeboten wurden", geleitet hätte. Damals sei er ein Privatermittler gewesen, der nach La Paz reiste, wo er nicht nur den "Verbindungsoffizier" in der deutschen Botschaft, sondern auch die dortige Polizei informiert habe.

Diese Version passt erstens nicht so ganz zu der Tatsache, dass das Bundeskriminalamt in der Lage ist, solche Ermittlungen mit eigenen Beamten durchzuführen. Zweitens lässt Schmidt offen, wer ihm die Reise bezahlt hat. Und drittens erwähnt er nicht, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main bereits 1993 wegen Betrugs an den US-Streitkräften in Deutschland gegen ihn ermittelte. Just im selben Jahr ließ sich Schmidt in Bolivien nieder und erhielt eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis. Der einzige Schönheitsfehler daran war lediglich, dass diese bereits auf einen Mexikaner ausgestellt war.

Schmidt schien den deutschen Strafverfolgern so wichtig zu sein, dass diese 1995 seine Auslieferung beantragten, wie Gerichtskreise dem Autor dieses Artikels bestätigten. Die Bolivianer nahmen Schmidt daraufhin in Auslieferungshaft, die er nach drei Monaten am 3. September 1995 als freier Mann verließ. Das Oberste Gericht hatte das deutsche Gesuch aufgrund eines "technischen Formfehlers" abgelehnt. Ungeklärt ist, ob die USA ihrerseits gerichtlich gegen Schmidt vorgegangen sind.

Trotz der juristischen Pleite oder gerade deswegen hielt die deutsche Botschaft in La Paz ein wachsames Auge auf den deutschen Staatsbürger. Darauf verweist der Journalist Wilson García Mérida in einem Beitrag für die bolivianische Publikation Datos & Análisis. Demnach stellten die Berliner Diplomaten 1997 fest, dass Schmidt mittlerweile im bolivianischen Interpol-Büro arbeitete, obwohl ein deutscher Haftbefehl gegen ihn vorlag. Deshalb kontaktierte der für Konsularangelegenheiten Verantwortliche Stefan Herzberg am 1. September 1997 den Polizeigeneral Tomás Asturizaga. Mérida, der das entsprechende Schriftstück einsehen konnte, schreibt, dass die deutsche Justiz gegen Schmidt wegen "der Fälschung von amtlichen Reisepässen zum Zweck der Gründung eines internationalen Unternehmens, um Waffen im Namen Boliviens für das Ex-Jugoslawien zu kaufen", ermittelte. Trotz alledem blieb Schmidt unbehelligt.

Deutsche Justizquellen bestätigten auf Anfrage, dass gegen Schmidt am 11. März 1999 vor dem Landgericht Frankfurt Anklage wegen Betrugs erhoben wurde. Ein Prozess fand aufgrund der Abwesenheit des Angeklagten nicht statt. Am 9. April 2008 verjährte die Straftat und der Fall kam zu den Akten.


Schmidts Leben in Bolivien

Im Gespräch mit den Medien gab Schmidts bolivianische Ehefrau, Karina Flores, die über gute Kontakte zu staatlichen Behörden und zu Morales' Bewegung für den Sozialismus (MAS) verfügt, an, das Ehepaar und seine vier Söhne hätten ab 1995 ihren Lebensunterhalt von den Einnahmen aus 40 Hektar "bebauten Bodens" bestritten. Außerdem hätte ihr Gatte über 200.000 US-Dollar "aus einer Erbschaft" verfügt. Flores bezeichnet ihren Mann als einen "Sicherheitsexperten". Da die bolivianische Presse Schmidts erlernten oder ausgeübten Beruf nicht näher beschreiben konnte, nannte sie ihn einen "mil oficios" (Tausendsassa). Laut Medienberichten heiratete der Deutsche 1998 seine Frau, mit der er seit acht Jahren zusammen war.


Zorn eines Söldners

Im Frühjahr 2009 geriet Schmidt erneut ins Fadenkreuz der bolivianischen Justiz, als diese begann, das Umfeld des Söldners Eduardo Rozsa Flores aufzuklären. Der Bolivianer kroatischer Herkunft war im April jenen Jahres in Santa Cruz bei einer Schießerei ums Leben gekommen, als die Polizei sein schwerbewaffnetes Kommando aushob. Mit dem Geld bolivianischer Unternehmer sollte er Attentate gegen die Regierung Morales verüben.

Rozsa war ein Veteran der Balkankriege, der einerseits Kontakt zur neofaschistischen Ungarischen Garde verfügte. (GEHEIM 25(2010)1 berichtete.) Über diese Schiene warb er einige Mitglieder seines Kommandos an. Andererseits verfügte er über einen Draht zum US-Auslandsgeheimdienst CIA. Sein Verbindungsmann war der ehemalige ungarische Offizier und CIA-Spion Istvan Belovai. Diesen wies Rozsa an, er möge Schmidt überprüfen, weil "unsere aufstrebende Kraft nicht die Waffen kaufen kann, da Schmidt sie bereits erworben hat. Anscheinend arbeitet er für Interpol". So steht es in einer Mail, die der Journalist Wilson García Mérida einsehen konnte. Darin bezeichnet Rozsa Schmidt auch als einen "Agenten der Stasi aus Ostdeutschland". Schmidt soll 1961 in Münden zur Welt gekommen sein. (In Deutschland gibt es zwei Städte, die so heißen, und beide liegen seit 1949 auf dem Territorium der Bundesrepublik.)

Die weitere Recherche hat ergeben, das Schmidt seit seiner Verhaftung vom zuständigen deutschen Konsul Michael Biste betreut wird. Diese Art der Unterstützung steht prinzipiell jedem verhafteten deutschen Staatsbürger zu, der sie in Anspruch nehmen will. Bistes Name kam 2005 in die Presse, als das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen im bolivanischen Gefängnis Palmasola (Santa Cruz) einsitzenden deutschen Drogenkurier zitierte, der den Diplomaten beschuldigte, er würde für den BND arbeiten. Das rief den SPD-Bundestagsabgeordneten und Lateinamerika-Verantwortlichen Lothar Marks auf den Plan, der auf seiner Internetseite die Zeitschrift wegen ihrer Berichterstattung kritisierte und so versuchte, die Ehre des Honorarkonsuls wieder herzustellen.

Vor diesem Hintergrund steht die Staatsanwaltschaft in Bolivien vor der Herausforderung, herausfinden zu müssen, ob Schmidt auf eigene Rechnung oder für jemand anderes tätig war.


Dieser Artikel ist die erweiterte, aktualisierte und deutsche Version des Beitrags, den die baskische Tageszeitung Gara am 5. September 2010 unter dem Titel "Huellas alemanas tras los intentos de desestabilzación en Bolivia" veröffentlicht hat.

(http://www.gara.net/paperezkoa/20100905/219020/es/Huellas-alemanas-tras-intentos-desestabilizacion-Bolivia)

Eine spanische Fassung steht auch auf www.geheim-magazin.de.


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Quelle:
GEHEIM Nr. 4/2010, 13. Dezember 2010, Seite 21-22
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2011