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GLEICHHEIT/2325: Sarkozys "neuer Kapitalismus"


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Sarkozys "neuer Kapitalismus"

Von Peter Schwarz
16. Januar 2009


Der französische Präsident hat am 8. Januar auf einer internationalen Tagung in Paris den Finanzkapitalismus scharf angegriffen. Der Traum der Globalisierung sei mit dem 11. September 2001 verflogen, erklärte Nicolas Sarkozy. "Man hat Wettbewerb und Überfluss für alle erwartet, doch man bekam Knappheit, Triumph des Renditedenkens, Spekulation und Dumping."

Die Krise des Finanzkapitalismus sei jedoch keine Krise des Kapitalismus, schränkte Sarkozy seine Kritik ein. Der Antikapitalismus sei eine Sackgasse, die Verneinung von allem, was mit der Idee des Fortschritts verbunden sei. "Man muss den Kapitalismus moralisch gestalten und nicht zerstören", betonte er. "Man darf nicht mit dem Kapitalismus brechen, man muss ihn neu begründen." Es gelte, die Rolle von Staat und Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die gegenwärtige Krise bedeute das Ende "der Vorstellung der öffentlichen Ohnmacht". Die wichtigste Tatsache der gegenwärtigen Krise sei die "Rückkehr des Staats".

Sarkozy sprach zu einem illustren Publikum. Zu der Tagung mit dem Titel "Neue Welt, neuer Kapitalismus" waren die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der britische Ex-Premier Tony Blair, die Chefs der Europäischen Zentralbank und der Welthandelsorganisation, drei Wirtschaftsnobelpreisträger sowie hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre angereist. Sie pflichteten Sarkozy im Wesentlichen zu, wobei sie sich weniger scharf ausdrückten.

Bundeskanzlerin Merkel forderte eine "neue Regelung der internationalen Finanzmärkte und Institutionen" und versicherte, sie werde dieses Mal hart bleiben, wenn die Akteure der Finanzmärkte wieder versuchen würden, die Politiker von der Durchsetzung neuer Regeln abzuhalten.

Arbeiter sollten Sarkozys Versprechen eines moralisch erneuerten Kapitalismus mit Argwohn aufnehmen. Es kündigt nichts Gutes an. Die Abkehr von der Ideologie der grenzenlosen Deregulierung bedeutet keinen Schritt in Richtung Sozialismus. Der Staat, dem Sarkozy mehr Einfluss verschaffen will, ist ein kapitalistischer Staat. Er vertritt die Interessen der Wirtschaft, und nicht die der arbeitenden Bevölkerung.

Sarkozy versteht unter der "Rückkehr des Staats" nicht die Unterordnung privater Profitinteressen unter die Bedürfnisse der Gesellschaft. Er will die Wirtschaft unter staatliche Obhut nehmen, um sie in der Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse und ihren internationalen Rivalen zu stärken.

In Frankreich hat diese Form der Staatsintervention eine lange Tradition, die bis auf Jean-Babtiste Colbert, den Finanzminister Ludwigs XIV. im 17. Jahrhundert zurückgeht. In den 1960er Jahren ließ Präsident de Gaulle wichtige Wirtschaftszweige wie die Auto- und Luftfahrtindustrie unter staatlicher Regie aufbauen, bei gleichzeitiger Unterdrückung der Arbeiterbewegung. In den 1980er Jahren verstaatlichte Präsident Mitterrand vorübergehend die Stahlindustrie, um Rationalisierungen und Massenentlassungen durchzusetzen.

Der Staatskapitalismus, zu dem sich Sarkozy nun bekennt, ist eng mit Protektionismus und Korporatismus verbunden. Der Staat stellt sich vor die nationalen Konzerne, sichert ihre Profite mit öffentlichen Geldern, hilft ihnen, Löhne und Arbeitsplätze abzubauen, schützt sie vor internationalen Übernahmen und stärkt sie im Kampf gegen ihre internationalen Konkurrenten.

Aufgrund der engen Verzahnung von Staats- und Konzerninteressen, droht jeder ökonomische Konflikt in einen politischen Konflikt auszuarten - wie dies derzeit im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine exemplarisch zu beobachten ist. Und vom politischen zum militärischen Konflikt ist es dann nur noch ein weiterer Schritt. Es mag ein Zufall gewesen sein, war aber dennoch von hoher Symbolkraft, dass die Tagung zum "neuen Kapitalismus" in der Ecole Militaire, der Pariser Militärakademie stattfand.

Die Milliardenpakete, mit denen die französische und die deutsche Regierung für die Verluste der Banken aufkommen und der Wirtschaft unter die Arme greifen, sind eng mit protektionistischen Maßnahmen verbunden. Frankreich hat einen 20 Milliarden Euro schweren Staatsfonds aufgelegt, um große Industrieunternehmen vor Übernahmen aus dem Ausland zu schützen. Und Deutschland hat sich aus demselben Grund an der Commerzbank beteiligt und will demnächst die Hypo Real Estate übernehmen.

Nach der Tagung zum "neuen Kapitalismus" trafen sich Merkel und Sarkozy im Elyséepalast, um Maßnahmen zur Unterstützung der heimischen Autoindustrie zu diskutieren. Angesichts massiver Hilfen der US-Regierung für die amerikanische Autoindustrie müssten europäische Autobauer in der gegenwärtigen Krise ebenfalls gestützt werden, hieß es danach.

Des Beistands der Gewerkschaften für diesen Kurs können sich Sarkozy und Merkel sicher sein. John Monks, der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds gehörte zu den Teilnehmern der Tagung. Und die französischen Gewerkschaftsführer gehen im Elyséepalast und im Arbeitsministerium an der Rue de Grenelle regelmäßig ein und aus, seit Sarkozy die Präsidentschaft übernommen hat.

Um die nationalen Konzerne zu verteidigen, sind die Gewerkschaftsfunktionäre bereit, jeden Angriff auf Löhne und Arbeitsplätze mit zu tragen und den eigenen Mitgliedern aufzuzwingen. Im Handelskrieg stehen sie uneingeschränkt hinter der eigenen Bourgeoisie. Während Staat und Wirtschaft enger zusammenrücken, rücken die Gewerkschaften näher an den Staat heran.

Leo Trotzki hatte dies schon vor 70 Jahren, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs beobachtet, als er schrieb: "Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits haben die Gewerkschaften ... einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften - soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen - entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben." (Die Gewerkschaften in der Epoche de imperialistischen Niedergangs)

Ein wichtiger Aspekt der Pariser Tagung waren scharfe Angriffe gegen die USA. Sie wurden zwar in Appelle an den neuen Präsidenten Obama gekleidet, von dem sich die europäischen Regierungen einen außenpolitischen Kurswechsel erhoffen. Doch Sarkozy ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er nicht länger bereit ist, die wirtschaftliche Vorherrschaft der USA zu akzeptieren.

"Ich bin in meinem politischen Leben stets für ein sehr enges Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika eingetreten", sagte er, "aber eines muss klar sein: Im 21. Jahrhundert gibt es keine alleinige Nation mehr, die sagen kann, was man tun oder denken soll."

Dann wurde er noch deutlicher und griff die wirtschaftliche Dominanz der USA offen an. "Wir akzeptieren den Status Quo nicht, wir akzeptieren die Unbeweglichkeit nicht, wir akzeptieren die Rückkehr zu einem Einheitsdenken nicht", sagte er. "In Bretton Woods gab es 1945 eine Währung [den Dollar]. Auf dieser Währung beruhte der Wohlstand der Welt. 2009 gibt es nicht mehr eine Währung, es gibt mehrere. Man wird darüber sprechen müssen, wie jeder seine Währung handhabt, seine Zinssätze. Es geht nicht mehr an, dass ein Land den anderen sagt: 'Zahlt unsere Schulden'. Es kann nicht mehr ein einziges Modell geben."

Die Arbeiterklasse muss diesen nationalistischen Kurs entschieden ablehnen, der in eine soziale und politische Katastrophe führt. Sie kann ihre Interessen nur verteidigen, in dem sie sich international zusammenschließt und für eine sozialistische Antwort auf die Krise kämpft.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.01.2009
Sarkozys "neuer Kapitalismus"
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009