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GLEICHHEIT/2341: Am Tag der Amtseinführung - US-Märkte stürzen ab ...


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Am Tag der Amtseinführung:
US-Märkte stürzen ab und die weltweite Krise vertieft sich

Von Patrick O'Connor
24. Januar 2009
aus dem Englischen (21. Januar 2009)


Am selben Tag, als Barack Obama seinen Amtseid als 44. US-Präsident ablegte, stürzten die Aktien an der Wall Street steil ab und reagierten so auf weitere Anzeichen für eine Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus. Der Kursrutsch an der Börse, der durch Berichte über massive Verluste US-amerikanischer und europäische Banken ausgelöst wurde, war die schlimmste Börsenkrise an einem Amtseinführungs-Tag.

Der Industrieaktienindex des Dow-Jones schloss vier Prozent niedriger, verlor 332 Punkte und fiel unter die 8000-Marke auf 7949. Ebenfalls scharf nach unten bewegten sich der Standard & Poor's-500-Index (-5,3 Prozent) und der Nasdaq Composite Index (-5,8 Prozent). Der Dow Jones und der S&P befinden sich jetzt auf einem Zwei-Monats-Tiefststand; sie haben damit zum großen Teil die Erholung wieder zunichte gemacht, die auf die Präsidentschaftswahlen im November erfolgte. Damals haben die Märkte auf das Konjunkturpaket der Obama-Regierung gehofft. "Der Optimismus, dass die Gelder der Regierung die Wirtschaft wiederbeleben würde [hat sich] verflüchtigt", berichtet Bloomberg News.

Der Finanzsektor musste gestern den größten Schlag einstecken, als der S&P 500 Financials Index mit einem Minus von 17 Prozent schloss, der niedrigste Stand seit dreizehn Jahren.

Die Aktien der Bank of America schlossen 29 Prozent niedriger, Wells Fargo verlor 24 Prozent, JPMorgan Chase fiel um 21 Prozent, und die Werte der Citigroup sanken um 20 Prozent. Die State Street-Bank aus Boston, der weltweit größte institutionelle Disponent, stürzte um 56 Prozent ab, nachdem die Bank 6,3 Millarden Dollar an bisher noch nicht gemeldeten Verlusten in ihrem Investment-Portfolio bekannt gegeben hatte. Sie schockierte damit die Finanzanalysten, in deren Augen die Finanzoperationen der State Street zu den sichersten auf dem Markt gehörten.

Die Aktien britischer Banken stürzten ebenfalls ab, als sie massive Verluste meldeten, und die Regierung ein neues Rettungspaket bekannt gab. Die in New York notierten Aktien der Royal Bank of Scotland fielen um 69 Prozent, Barclays schloss mit einem Minus von 42 Prozent und HSBC Holdings verloren 15 Prozent ihres Werts.

Hinter dem neuesten Börsensturz der US-amerikanische und europäischen Bankaktien steht die wachsende Einsicht, dass keins der milliardenschweren Rettungspakete die zugrunde liegende Krise des Finanzsektors gelöst hat, die ursprünglich durch den Zusammenbruch des amerikanischen Hypothekenmarkts ausgelöst wurde. Nouriel Roubini, Professor an der Universität von New York, erklärte vor wenigen Tagen, dass die Verluste auf dem US-Finanzmarkt sich auf 3,6 Billionen Dollar belaufen könnten. "Wenn das stimmt, dann bedeutet das, dass das US-Banken-System tatsächlich insolvent ist, denn es verfügt über ein Kapital von 1,4 Billionen Dollar", erklärte er. "Dies ist eine systemische Bankenkrise."

Die Finanzkrise hat ihrerseits einen immer steileren Einbruch bei den globalen Wirtschaftsaktivitäten ausgelöst.

Die Europäische Kommission hat gestern vorausgesagt, dass die Wirtschaft der Eurozone im nächsten Jahr um 1,9 Prozent schrumpfen wird, bevor sie im Jahr 2010 um nur 0,4 Prozent wachsen wird. Die offizielle Prognose könnte die Situation noch unterschätzen. Wirtschaftsfachleute der Bank of America z. B. erwarten ein Schrumpfen der Eurozone um 2,6 Prozent in diesem Jahr.

Die europäische Kommission beschreibt die Situation als eine "tiefe und langwierige Rezession" und erklärt, sie erwarte, dass die Arbeitslosigkeit in den sechzehn Ländern der Euro-Zone bis zum Jahr 2010 zehn Prozent übersteigen wird. Europas größte Wirtschaften - und die wichtigsten Handelspartner der USA - gehören zu den Meistbetroffenen. Für Großbritannien wird ein Rückgang des Brutto-Inlandprodukts um 2,8 Prozent, für Deutschland um 2,3 Prozent, für Frankreich um 1,8 Prozent und für Italien um 2 Prozent für dieses Jahr prognostiziert.

Für Spanien erwartet man ebenfalls einen Rückgang um 2 Prozent in diesem Jahr, was zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit von 11 auf 19 Prozent führen wird. Spanien hat am Montag die Standard & Poors Einstufung (AAA) seiner Kreditfähigkeit wegen seines wachsenden Haushaltsdefizits verloren. Standard & Poors hat erklärt, es werde jetzt mehrere europäische Wirtschaften überprüfen, darunter auch Irland und Portugal. Wie Analysten erklären, sind auch die größten Wirtschaften der Region, wie Deutschland und Frankreich, voraussichtlich betroffen.

Großbritanniens hochschießende Schulden haben zu Spekulationen über seine Kreditwürdigkeit geführt. "Die Investoren machen sich Sorgen über die Kosten der Regierungsmaßnahmen und ihre Folgen, weil die Kreditaufnahme eskaliert und sich Großbritanniens Verschuldungsrate verdoppeln könnte", erklärte der führende Volkswirt der ECU-Gruppe gegenüber Associated Press.

Niedrigere Einstufungen bei der Kreditfähigkeit machen es für die Regierungen schwieriger und teurer, an Kapital zu kommen. Das wiederum führt zu Problemen der anhaltenden Haushaltsdefizite und zu wachsendem Druck, die Steuern zu erhöhen und die Sozialausgaben zu senken. Diese Maßnahmen tragen das Potential in sich, die deflationäre Spirale noch zu beschleunigen und Europa weiter in die Rezession zu treiben.

Die europäischen Produzenten haben die Produktion schon scharf gedrosselt. Ein soeben erschienener Artikel in Newsweek berichtete: "Die Zahlen sind erschreckend und das in zunehmendem Maße. Es gab einen heftigen Rückgang der industriellen Produktion in Europa; die letzten Monatszahlen weisen einen Jahresrückgang von 17 Prozent in Spanien, 13 Prozent in Großbritannien, 9 Prozent in Frankreich und Italien sowie 6 Prozent in Deutschland auf. Die Wirtschaften der Schwellenländer bewegen sich jetzt in dieselbe Richtung mit einem Rückgang von 9 Prozent in Russland und 4 Prozent in Brasilien."

Wichtige Industriebereiche sind besonders betroffen. Der Industriekommissar der EU, Günter Verheugen, warnte letzte Woche, einige der führenden Automobilhersteller könnten vom Konkurs bedroht sein. "Die Perspektiven für die Industrie sind gelinde gesagt brutal", erklärte er. "Wir haben einen dramatischen Rückgang der Autoverkäufe erlebt, insbesondere im letzten Quartal 2008 - mit einem Einbruch von mehr als 20 Prozent - und wir erwarten einen weiteren Einbruch von 20 Prozent für das Jahr 2009, der Auswirkungen für Hunderttausende wenn nicht Millionen von Arbeitern haben wird. Es gibt keine Grarantie dafür, dass alle großen europäischen Produzenten die Krise überleben können."

Massiver Arbeitsplatzabbau, Lohnkürzungen und mögliche Unternehmenspleiten werden auch in der US-Auto-Industrie erwartet. Das italienische Unternehmen Fiat verkündete gestern, es werde eine 35-prozentige Beteiligung an Chrysler erwerben. Die Vereinbarung soll es Chrysler ermöglichen, Fiats Technologie zum Bau kleinerer und Benzin sparender Fahrzeuge zu nutzen und dem amerikanischen Autobauer Zugang zu Fiats europäischem Vertriebsnetz zu verschaffen. Die Aktien von Fiat fielen nach der Ankündigung, aber das zeigt nur, wie wenig Vertrauen es überhaupt in den Automobilsektor gibt.

Welche Auswirkungen die Abmachung auch immer auf die Bilanzen der beiden Firmen haben wird, für die Automobilarbeiter bedeutet sie zweifellos weitere Werksstilllegungen, Arbeitsplatzabbau und Lohnkürzungen. Obwohl noch keine Einzelheiten verkündet wurden, haben Fiat und Chrysler dennoch erklärt, dass sie "erhebliche Möglichkeiten zur Kostensenkung" erwarten. Mitglieder der Geschäftsleitung von Chrysler fügten hinzu, sie würden die Mitarbeiter auffordern, "Opfer zu bringen", um die Umstrukturierung des Unternehmens zu unterstützen.

Ankündigungen von größeren Entlassungen werden täglich veröffentlicht. Der Fahrzeugverleiher Hertz Global will wegen rückläufiger Nachfrage weltweit 4000 Stellen kürzen. Clear Channel, der größte Radio-Sender der USA, hat 1850 Angestellte oder etwa 9 Prozent seiner Belegschaft entlassen. Ebenfalls um 9 Prozent verringert der Audio-Produzent Bose Corp seine Mitarbeiterzahl, er wird ca. 1000 Arbeiter entlassen. Warner Bros. Entertainment streicht etwa 800 Stellen oder 10 Prozent seiner Belegschaft. Mehrere Hundert dieser Stellen sollen in Billiglohn-Länder verlagert werden, darunter Indien und Polen.

Conoco Phillips, die zweitgrößte Raffinierie in den USA, hat angekündigt, dass sie 4 Prozent ihres Personals oder 1350 Jobs streichen werde. Das Chemieunternehmen Rohm & Haas entlässt 900 Arbeiter, etwa 6 Prozent der Gesamtbelegschaft, und friert die Löhne ein. Weitere Entlassungen werden im Finanzsektor erwartet. Laut Financial Times wird die Bank of America demnächst weitere 4000 Entlassungen verkünden.

Zusätzlich zu wachsenden Stellenstreichungen werden immer mehr Arbeiter gezwungen, beträchtliche Lohnkürzungen hinzunehmen. Ein Artikel im Wall Street Journal vom letzten Samstag stellt fest: "Zusätzlich zu Entlassungen kürzen die Unternehmen immer mehr die Löhne, eine Taktik, die, wie Wirtschaftshistoriker sagen, seit der Großen Depression nicht mehr in so gewaltigem Umfang eingesetzt wurde... Das letzte Mal, dass es in den USA Lohnkürzungen im großen Stil gegeben hat, war während der Großen Depression."

Siehe auch:
Banken fordern weitere Milliarden vom Staat
(22. Januar 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.01.2009
Am Tag der Amtseinführung:
US-Märkte stürzen ab und die weltweite Krise vertieft sich
http://wsws.org/de/2008/jan2009/kris-j24.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2009