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GLEICHHEIT/2492: Fünf Jahre nach der EU-Osterweiterung - Osteuropa in der Krise


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Fünf Jahre nach der EU-Osterweiterung
Osteuropa in der Krise

Von Markus Salzmann
7. Mai 2009


Es waren opulente Feste, mit denen die politische Elite am 1. Mai 2004 den Beitritt von 10 Mittel- und Osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union feierte. Vor fünf Jahren nahm die EU zehn Staaten mit rund 75 Millionen Einwohnern auf: Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen sowie die Mittelmeerinseln Malta und Zypern. Die Staats- und Regierungschefs der alten und neuen Mitgliedsländer überschlugen sich mit den Versprechen nach wirtschaftlichem Aufschwung, Wohlstand für die Bevölkerung und demokratischer Stabilität. Heute, fünf Jahre später, ist deutlich geworden, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Die osteuropäischen EU-Staaten stehen heute allesamt vor einem ökonomischen Kollaps. Ungarn, Lettland und Rumänien konnten nur durch massive internationale Hilfe vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Die Wirtschaftsleistung in Osteuropa ist dramatisch eingebrochen. Lettland wird nach zwölf Prozent Wachstum im vergangenen Jahr 2009 um mehr als 14 Prozent einbrechen. Die Industrien in Tschechien und der Slowakei, die weitgehend auf die Automobilproduktion ausgelegt sind, sind mit starken Einbußen konfrontiert.

Die Währungen in Osteuropa befinden sich im freien Fall. Die nationalen Währungen in Polen, Tschechien und den baltischen Staaten haben zwischen 10 und 30 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Durch ihren Verfall ist die staatliche und private Verschuldung rasant in die Höhe geschnellt. Die Haushaltsdefizite der baltischen Staaten gehören mittlerweile zu den höchsten in Europa. In Estland beträgt die In- und Auslandsverschuldung das Doppelte des Bruttoinlandsprodukt.

Die Regierungen in den Beitrittsländern wälzen die Krise rigoros auf die Bevölkerung ab. Jüngstes Beispiel ist Ungarn. Dort wurde unter Federführung der Sozialistischen Partei eine so genannte Expertenregierung eingesetzt, die ausschließlich aus Vertretern der Wirtschaft besteht und unverhohlen deren Interessen umsetzt. Massive Lohnkürzungen, Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst und eine weitere Beschneidung des ohnehin kaum noch vorhandenen sozialen Netzes sind die Folgen.

So hat der neue Regierungschef Gordon Bajnai bereits Lohnkürzungen bei den öffentlich Beschäftigten von 600 Milliarden Forint (etwa 2 Milliarden Euro), Abbau der geringen Sozialleistungen und Einschnitte bei der staatlichen Eisenbahn angekündigt.

Um in die Europäische Union aufgenommen werden zu können mussten sich die Beitrittsländer bereits der von Brüssel verordneten Radikalkur unterziehen. Die Privatisierungen der ehemals staatlichen Betriebe kostete Millionen Arbeitsplätze. Ein Sparpaket jagte das andere um vorgegebenen Haushaltsziele einzuhalten. Die relativ hohen Wachstumsraten, die durch die ausländischen Investitionen zustande kamen, schürten unter breiten Schichten die Hoffnung auf einen höheren Lebensstandard.

Angesichts der Wirtschaftskrise platzen aber auch die letzten Illusionen. In ihr wird der parasitäre Charakter des osteuropäischen Kapitalismus direkt offensichtlich. Internationale Konzerne, die mit osteuropäischen Niedriglöhnen glänzende Geschäfte machten, setzen die Arbeiter jetzt auf die Straße, weil der Absatz einbricht. Westeuropäische Banken, die in Osteuropa hervorragend verdienten, ziehen ihr Geld ab.

Für die Bevölkerung bleibt Arbeitslosigkeit und Armut. In den baltischen Staaten wird noch in diesem Jahr ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um bis zu 15 Prozent erwartet. In Ungarn gehen vorsichtige Schätzungen von 6 bis 8 Prozent aus. Wenn die Krise auf dem Automobilmarkt weiter voranschreitet, werden in Tschechien allein in diesem Sektor rund 300.000 Menschen ihre Arbeit verlieren.

Das wird die soziale Lage weiter verschärfen. Schon heute sind ein großer Teil der privaten Haushalte hoffnungslos verschuldet. Seit 2004 sind die Kosten für Energie um durchschnittlich 30 Prozent gestiegen. Die hohen Kosten für Miete und Lebensunterhalt fressen insbesondere in Städten wie Prag oder Budapest die geringen Gehälter fast vollständig auf. Junge Familien müssen häufig bei ihren Eltern wohnen, weil Wohnraum nicht erschwinglich ist.

Die üppigen Fördergelder aus Brüssel kamen der Bevölkerung in den osteuropäischen Staaten nicht zu Gute. Die meisten versickerten entweder in dunklen Kanälen oder nahmen den Umweg über öffentlich geförderte Projekte direkt in die Taschen reicher Unternehmer.

Nicht nur die Hoffnung auf wirtschaftliche und soziale Verbesserung mussten die neuen Beitrittsländer begraben. Auch das Versprechen demokratischer Verhältnisse war nur heiße Luft.

Von den etablierten Parteien in Osteuropa tritt keine auch nur ansatzweise für die Belange der Bevölkerung ein. Meist hat diese nur die Wahl zwischen rücksichtslos wirtschaftsliberalen und rückwärtsgewandten nationalistischen Kräften, welche die berechtigte Empörung in reaktionäre Kanäle lenken.

Die ehemaligen stalinistischen Kader haben sich zuerst selbst bereichert und verteidigen die marktwirtschaftlichen Verhältnisse mit allen Mitteln. Dies verleiht extrem rechten Kräften Auftrieb. In Ungarn sind nach neun Jahren sozialdemokratischer Regierung rassistische Übergriffe an der Tagesordnung. Der oppositionelle konservative Bürgerbund (Fidesz) unterhält beste Kontakte zu faschistischen Kräften. Bei Anti-Regierungsdemonstrationen geben die Ultra-Nationalisten den Ton an. In der Slowakei koaliert die Sozialistische Partei seit Jahren mit der neo-faschistischen Nationalpartei. Diese konnte während der Regierungszeit ihr Vermögen und ihren Einfluss stark vergrößern.

In den Protesten der letzten Monate zeigt sich, dass die Krise in den ehemaligen Beitrittsländern ein großes Konfliktpotenzial besitzt. In Lettland, Litauen und Ungarn, sowie in Rumänien und Bulgarien kam es zu teils massiven Protesten gegen die Folgen der Krise und die verantwortlichen Regierungen.

Heute ist klar, dass die EU die Erweiterung im Interesse der europäischen Finanzelite durchgeführt hat, die in den Beitrittsländern ein Reservoir billiger Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte sah. Gleichzeitig wurde das Elend in Osteuropa genutzt, um Lebensstandard und Löhne im Westen zu drücken.

Die Ausbeutung der östlichen Märkte wird aber gerade für den europäischen Bankensektor zum Bumerang. Das Engagement westlicher Geldinstitute in Osteuropa beläuft sich auf insgesamt 1.500 Milliarden Dollar. Allein die österreichischen Banken haben in den Ländern Osteuropas Kredite von 224 Milliarden Euro ausständig. Dies entspricht 78 Prozent der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung. Mit dem Ausbleiben auch nur von Teilen dieser Summen sind ganze Volkswirtschaften gefährdet.

Das gesamte Projekt der Erweiterung hat nur einmal mehr deutlich gemacht, dass eine Vereinigung Europas unter kapitalistischen Vorzeichen nicht möglich ist. Die Konflikte zwischen den europäischen Mächten treten in der Krise immer deutlicher zutage. Selbst ein Auseinanderbrechen der Eurozone ist nicht mehr unwahrscheinlich.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.05.2009
Fünf Jahre nach der EU-Osterweiterung
Osteuropa in der Krise
http://wsws.org/de/2009/mai2009/oste-m07.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009