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GLEICHHEIT/2510: Obama setzt Verfahren vor Militärkommissionen fort


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Obama setzt Verfahren vor Militärkommissionen fort

Von Tom Eley
21. Mai 2009
aus dem Englischen (16. Mai 2009)


In einer schmallippigen, drei Absätze kurzen Erklärung gab Präsident Barack Obama am Freitag seine Entscheidung bekannt, die Prozesse gegen dreizehn Guantánamo-Häftlinge vor den Militärkommissionen wieder aufzunehmen. Die Prozesse sollen wieder aufgenommen werden, sobald der Kongress geringfügige Verfahrensänderungen vorgenommen und das Gesetz über die Militärkommissionen von 2006 novelliert hat. Das Gesetz gab den Tribunalen des ehemaligen Präsidenten George W. Bush, die dieser Ende 2001 per Exekutivverordnung eingeführt hatte, seinen juristischen Segen. Die Entscheidung ist Teil der umfassenderen Absicht der Obama-Regierung, die wichtigsten antidemokratischen Initiativen der Bush-Regierung im Zusammenhang mit dem "Krieg gegen den Terror" unter leicht veränderten Vorzeichen fortzusetzen.

Obama benannte fünf Änderungen. Erstens: "Aussagen, die durch Misshandlung von Gefangenen und erniedrigende Verhörmethoden erpresst wurden, werden als Beweismittel nicht mehr zugelassen. Obama erklärte nicht, ob diese Änderung bedeutet, dass alle Geständnisse wertlos geworden seien, oder wie die Angeklagten beweisen können, dass sie gefoltert wurden. Es ist so gut wie sicher, dass alle der noch in Guantánamo verbliebenen 240 Häftlinge gefoltert wurden. Rechtsexperten sagten der New York Times, dass es fast unmöglich sein könnte, Schuldsprüche ohne Geständnisse der Gefangenen zu erreichen.

Weiter erklärte Obama, dass Hörensagen nur noch bedingt verwendet werden kann, "so dass die Partei, die gegen die Einführung von Hörensagen Einspruch erhebt, nicht mehr die Verlässlichkeit dieser Aussage widerlegen muss." Vertreter des Weißen Hauses haben zugegeben, dass die wichtigste juristische Überlegung für die Wiederbelebung der Militärtribunale die Beibehaltung der Zulässigkeit von Hörrensagen war, das vor Zivilgerichten nicht akzeptiert wird, aber den größten Teil der Beweise gegen die Beschuldigten ausmacht. Hörensagen ist die Aussage von Dritten, die nicht ins Kreuzverhör genommen werden können. Im Kontext von "Terrorprozessen" ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Aussagen von Geheimagenten und vielleicht von ausländischen Verhörspezialisten gemeint sind, die Folterungen ausgeführt haben. Obama versucht solche Aussagen dadurch einzuschränken, dass Staatsanwälte ihre Verlässlichkeit glaubhaft machen müssen, und nicht der Angeklagte ihre Unzuverlässigkeit beweisen muss, wie vor Bushs Tribunalen

Obama sagte weiter, dass die Angeklagten größere Freiheit haben sollen, sich einen Verteidiger aus dem Pool von amerikanischen Militäranwälten auszuwählen, dass es ihnen nicht mehr zum Nachteil ausgelegt werden soll, wenn sie vor Gericht die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten, und schließlich, dass "die Richter der Militärkommissionen ihre eigene Zuständigkeit überprüfen können. Die konkrete Bedeutung und die Anwendung dieser Änderungen wurde nicht erläutert.

Die Prozesse der dreizehn Gefangenen vor dem Militärtribunal hatten schon begonnen, als Obama die Verfahren am 20. Januar per Exekutivverordnung vorläufig aussetzte. Das Auslaufen der Anordnung am 20 Mai veranlasst die Regierung jetzt, ein leicht geändertes Verfahren für die Tribunale in Kraft zu setzen. Außerdem hat die Regierung das Schließungsdatum des Gefängnisses in Guantanmo Bay im Januar vor Augen.

Es ist nicht klar, auf wie viele der verbliebenen ca. 240 Häftlinge in Guantánamo die neuen Regeln Anwendung finden werden. Washingtons Bemühungen, Aufnahmeländer für Gefangene zu finden, waren bisher nur mäßig erfolgreich. Nach einer Woche Terror-Angst-Kampagne der Republikaner hat sich Obama stillschweigend von seiner oft geäußerten Absicht distanziert, einige Guantánamo-Häftlinge vor amerikanische Gerichte zu stellen. Prozesse vor zivilen Gerichten würden höchstwahrscheinlich neue Enthüllungen über Folter und Misshandlungen des US-Militärs und der CIA an den Tag bringen, und es würde klar, dass die Beweise gegen die Angeklagten im Wesentlichen auf Hörensagen beruhen, und entsprechend zu Freisprüchen führen würden.

Aber die Bedeutung von Obamas Entscheidung geht weit über die Guantánamo-Häftlinge hinaus. Sprecher des Weißen Hauses erklärten dem Wall Street Journal, dass die neuen Kommissionen nicht nur für die aktuellen Guantánamo-Häftlinge gelten würden, "sondern möglicherweise auch für Gefangene, die bei zukünftigen Antiterroroperationen gemacht werden." Entgegen seiner Behauptung drehen sich Obamas neue Pläne nicht darum, Guantánamo "abzuwickeln", oder den juristischen Schlamassel der Bush-Ära auszumisten.

Obamas zentrales Anliegen ist es, ein System zu finden, das, wenn gewünscht, Schuldsprüche liefert, und gleichzeitig die juristischen Fallstricke, das Chaos und die Inkompetenz der Bush-Tribunale vermeidet. Das Wall Street Journal berichtet: "Regierungsvertreter sagen, dass in mindestens fünfzig Fällen die Gefangenen als zu gefährlich angesehen werden, um sie freizulassen, aber die Regierung zu wenig Beweise hat, um sie anzuklagen." Seit 2001 haben bei fast 800 Gefangenen in Guantánamo erst drei Prozesse vor den Militärkommissionen das Entscheidungsstadium erreicht.

Senator Lindsay Graham, Republikaner aus South Carolina, hat gesagt, dass der Rechtsberater des Weißen Hauses, Greg Craig über Änderungen an den Militärkommissionen im Zusammenhang mit der Einrichtung eines "Gerichts für Nationale Sicherheit" nachdenke. Dieses Gericht könne zeitlich unbegrenzte Haft gegen Gefangene verhängen, die die Exekutive oder das Militär als "gefährlich" einstufen, gegen die aber zu wenige Beweise vorliegen, um sie vor Gericht zu stellen. Das ist der Prototyp einer permanenten sogenannten "Star Chamber", eines Gerichts in den Händen der Exekutive, das letztlich auch gegen innenpolitische Gegner eingesetzt würde.

Nach Informationen der Medien hat Obama John Murphy als Vertreter der Anklage ausgewählt. Murphy ist Marinereservist und stellvertretender Bundesanwalt in New Orleans. Er hatte unter der Bush-Regierung Salim Hamdan angeklagt, Osama bin Ladens Fahrer. Im Verfahren gegen Hamdan versuchte Murphy an die niedrigsten Instinkte der nur aus Militärs bestehenden Jury zu appellieren. Er nannte das kleine Licht "ein verstocktes al-Qaida-Mitglied" und verlangte von den Geschworenen ein Urteil, das unsere Gesellschaft absolut sicher vor ihm schützt. ... Ihr Urteil sollte deutlich machen, dass die Vereinigten Staaten euch jagen und ein hartes aber angemessenes Urteil über euch sprechen wird, wenn ihr den Terrorismus materiell unterstützt." Murphy zeigte drastische Bilder von den Zerstörungen des 11. September und sagte: "Ihr Schuldspruch wird ihre Gerechtigkeit sein. Ihre Arbeit ist unsere Gerechtigkeit und Sie sollten nicht davor zurückschrecken." Obwohl es ein sorgfältig ausgewählter und vorbereiteter Testlauf der Militärkommissionen unter der Bush-Regierung war, wurde Hamdan nur zu weniger als sechs Jahren Gefängnis verurteilt. (Siehe: "Guantánamo trial sentence stuns Bush administration")

Vor Obamas Erklärung am Freitag kam es zu weiteren Indiskretionen "hoher Regierungsvertreter", die unter dem "Mantel der Anonymität sprachen", und anderer ungenannter "informierter Quellen", die sich dieses Mal gegenüber Associated Press und dem Wall Street Journal äußerten. In den vergangenen zwei Wochen gab es einen ständigen Fluss von Indiskretionen aus Kreisen des Weißen Hauses gegenüber der Presse, wie der New York Times und der Washington Post über die bevorstehenden Änderungen an den Militärkommissionen. Damit wurde versucht, die Unterstützung des Militär- und Geheimdienstapparats und führender Republikaner für die Änderungen zu bekommen. Das hat sich gelohnt. Ebenso wie für die Unterdrückung der Photos, die amerikanische Militärangehörige bei der Folterung, Tötung und Vergewaltigung von Gefangenen zeigen, hat das Weiße Haus den Applaus der Rechten bekommen.

Graham sagte: "Ich stimme mit dem Präsidenten und den Kommandeuren überein, dass es jetzt an der Zeit ist, einen neuen Anlauf zu nehmen und unsere Haftpolitik zu stärken. Ich stimme den Maßnahmen des Präsidenten heute zu." Senator Joe Lieberman, unabhängiger Falke aus Connecticut, sagte, dass Obama "bekräftigt hat, dass wir uns im Krieg befinden und dass für diese Gefangenen das Kriegsrecht gelten muss." Der Republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell aus Kentucky nannte das "eine ermutigende Entwicklung".

Andere Republikaner rieben sich die Hände. Der Republikanische Präsidentschaftskandidat des letzten Jahres, Senator John McCain, stichelte gegen Obamas Kehrtwende. "Ich freue mich, dass Präsident Obama jetzt diesen Standpunkt einnimmt", sagte er. Ari Fleischer, ehemals Pressesprecher der Bush-Regierung, forderte Obama auf, jetzt "anzuerkennen, dass seine Kritik im Wahlkampf falsch war."

Im Wahlkampf hatte sich Obama fälschlicherweise als Gegner des Gefängnislagers Guantánamo und der Militärkommissionen dargestellt und damit das Lob und die Unterstützung liberaler Organisationen erhalten. Diese Gruppen übersahen die Tatsache, dass Obama nie ein prinzipieller Gegner war. Er gab das in der Erklärung am Freitag praktisch zu, als er darauf hinwies, dass sich seine Kritik an Bushs System von Militärtribunalen darauf bezog, dass es keine "schnelle und sichere Verurteilung der Gefangenen ermöglichte, die sich damals in unserer Hand befanden". Schuld oder Unschuld spielt in Obamas Denken offenbar keine große Rolle.

Bürgerrechtsgruppen verurteilten die Entscheidung umgehend, alle mit fast den gleichen Worten. "Keiner der Inhaftierten in Guantánamo könnte nicht auch vor einem normalen Bundesgericht angeklagt werden. Auch die Änderungen werden die Geburtsfehler der Kommissionen nicht beseitigen oder sie legitimieren", sagte Jonathan Hafetz, Anwalt der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union. Elisa Massimino, Direktorin von Human Rights First, sagte, dass ein "Herumdoktern an den Symptomen der Militärkommissionen zukünftige Prozesse nicht von dem Makel von Guantánamo befreien wird." Rob Freer, ein Forscher von Amnesty International stimmte dem zu und sagte: "Noch so viel Flickschusterei an seinen Ausführungsbestimmungen, kann dieses diskreditierte System nicht retten."

Die Bürgerrechtsgruppen haben immer noch nicht verstanden, dass Obamas "Herumdoktern" nicht ein untauglicher Versuch ist, ein juristisches Problem zu lösen. Obama ist entschlossen, die quasi-diktatorischen Vollmachten des Präsidenten zu erhalten. Diese Methoden sind letztlich das notwendige Ergebnis nicht des "Kriegs gegen den Terror", sondern des Militarismus' der amerikanischen Gesellschaft, der von der tiefen sozialen Krise getrieben wird. Die Militärkommissionen - und Folter - sind das unvermeidliche Ergebnis von Aggressionskriegen, die Washington heute führt, um dem Niedergang des amerikanischen Kapitalismus entgegenzuwirken.

Den Gegnern der Missachtung demokratischer Rechte bringt Obama die gleiche Verachtung entgegen, wie sein Vorgänger.

Obamas erster Satz "Militärkommissionen haben in den Vereinigten Staaten eine lange Tradition" - ist eine zynische Verdrehung. Historisch wurden Militärtribunale unter klar definierten Umständen in großen Kriegen eingesetzt: im Befreiungskrieg, dem Krieg von 1812, dem Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Ende der Feindseligkeiten hörten sie auf zu bestehen. Obama versucht, wie Bush vor ihm, ein dauerhaftes Justizsystem unter Kontrolle der Exekutive zu etablieren und das mit dem angeblichen "Krieg gegen den Terror" zu rechtfertigen. Dieser soll sich nach Auffassung politischer und militärischer Strategen in Washington jahrzehntelang hinziehen. Gefangene, die in dieses Justizsystem geraten, werden es vielleicht nie wieder verlassen.

Kurz vor Obamas Erklärung hatte das Repräsentantenhaus einen neuen Nachtragshaushalt für die Finanzierung der Unterdrückungskriege im Irak, in Afghanistan und Pakistan genehmigt. Der Kongress mit seiner Demokratischen Mehrheit billigte das 97 Mrd. Dollar Paket mit 368 zu 60 Stimmen. Nur 51 Demokraten stimmten dagegen.

In einer Verbeugung vor der Republikanischen Minderheit wurden 80 Millionen Dollar aus dem Gesetz herausgenommen, die Obama beantragt hatte, um Guantánamo zu schließen. Demokratische Abgeordnete befürchten beschuldigt zu werden, "Terroristen in die USA zu bringen". Zu guter Letzt fügte das Repräsentantenhaus noch eine Klausel ein, die bestimmt, dass Gefangene erst zwei Monate, nachdem Obama einen Plan für ihren Weitertransport vorgelegt hat, "in die USA" gebracht werden dürfen.

Dieses jüngste Beispiel Partei übergreifender Politik wurde in Washington und den amerikanischen Medien kräftig gefeiert. Der Senat wird nächste Woche über ein ähnliches Gesetz abstimmen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.05.2009
Obama setzt Verfahren vor Militärkommissionen fort
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2009