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GLEICHHEIT/2616: Großbritanniens Propaganda-Offensive für den Krieg in Afghanistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Großbritanniens Propaganda-Offensive für den Krieg in Afghanistan

Von Chris Marsden
31. Juli 2009
aus dem Englischen (28. Juli 2009)


Die Rede von Außenminister David Miliband im NATO-Hauptquartier in Brüssel zeigt deutlich, dass Großbritannien eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit den USA in Afghanistan anstrebt.

Die Öffentlichkeit ist zunehmend beunruhigt, dass Afghanistan sich sehr schnell zu einem schlimmeren und hartnäckigeren Debakel entwickelt als der Irak. Das gibt der Opposition gegen den Krieg und der Forderung nach einer Ausstiegsstrategie neue Nahrung. In Worten akzeptierte Miliband den Wunsch der Öffentlichkeit "zu wissen, ob und wie wir in Afghanistan Erfolgt haben können". Gleichzeitig demonstrierte er aber die Entschlossenheit der Regierung, sich über jegliche Antikriegsstimmung hinwegzusetzen und den neokolonialen Krieg voranzutreiben.

Seit Wochen ist die Regierung mit Forderungen der konservativen Opposition und hoher Militärs wie z.B. dem Chef des Generalsstabs Richard Dannatt konfrontiert, weitere 2.000 Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Großbritannien verfügt schon über 9.000 Soldaten in Afghanistan, im Vergleich zu 7.800 im letzten Jahr. Das ist ein Zehntel der 90.000 Mann starken von den USA beherrschten Streitkräfte.

Die Forderungen nach zusätzlichen Soldaten kamen, obwohl es allein in diesem Monat 70 Tote bei den internationalen Truppen gab, darunter 20 britische Soldaten. Seit 2001 wurden 189 britische Soldaten getötet, mehr als im Irak. Allein in einer Woche gab es 150 ernsthaft Verletzte in der Provinz Helmand im Südwesten Afghanistans.

Dennoch hat die Regierung ihre Bereitschaft signalisiert, zumindest einige weitere Soldaten zu entsenden. Diese Woche wurden 125 Soldaten in Marsch gesetzt, um die wachsende Zahl an Verwundeten auszugleichen - das war das erste Mal, dass Verwundete direkt ersetzt wurden. Verteidigungsminister Bob Ainsworth erklärte: "Nach den traurigen und tragischen Verlusten, die wir in den letzten Wochen erlitten haben, sind Verstärkungen notwendig, um sicherzustellen, dass wir das Tempo unseres Einsatzes aufrechterhalten können."

Am selben Tag, an dem Miliband seine Rede hielt, verkündeten Militärsprecher, "die erste Phase der Operation Panther-Kralle" sei erfolgreich gewesen und habe den Aufständischen in der Provinz Helmland "erhebliche" Verluste beigebracht. "Ich bin mir absolut sicher, das die Operation ein Erfolg war", erklärte Brigadier Tim Radford, der Befehlshaber der Einheiten in Helmand. Aber er ließ seiner Behauptung sofort die Warnung folgen, die Aufständischen würden "sich wieder" mit der lokalen Bevölkerung "verschmelzen", wenn keine zusätzlichen Truppen geschickt würden. "Wenn wir mehr hätten, könnten wir mehr tun", erklärte er.

Miliband behauptete ebenfalls, die Operation in Helmland und andere Bestandteile des US-geführten militärischen "Vorstoßes" trügen Früchte. Die Aufständischen würden militärisch auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze in die Enge getrieben, behauptete er.

Der Außenminister betonte, die afghanische Regierung müsse jetzt den Vorteil nutzen und Bündnisse mit den "pragmatischeren" Elementen unter den Aufständischen schließen. Das US-Marionetten-Regime von Hamid Karzai solle Spaltungen unter den oppositionellen Taliban ermutigen und dabei Bestechungsgelder, militärische Bündnisse und Angebote für Positionen in lokalen und der nationalen Regierung einsetzen. Akzeptable Verbündete seien alle, erklärte Miliband, die "eine lokale islamische Herrschaft wünschen", statt dem "globalen gewaltsamen Dschihad anzuhängen".

"Die Grundlage für eine Reintegration und Versöhnung ist eine deutlichere Wahlmöglichkeit: Größere Anreize, die Seiten zu wechseln und keine Probleme mehr zu bekommen einerseits, und schärferes Vorgehen gegen diejenigen, die sich weigern andererseits."

Eine solche politische Koalition wird erwogen, um die langfristige imperialistische Kontrolle über Afghanistan durch ein breiteres Netzwerk lokaler Anhänger sicherzustellen. Miliband sprach kurz darüber, Aufständischen die Möglichkeit zu geben, "das Land wieder zu bebauen, oder eine Rolle für einige von ihnen in den afghanischen Sicherheitskräften zu finden". Dieser Aufruf richtet sich an Stammesfürsten, Kriegsherren und Drogenschmuggler, denen man Machtpositionen im Austausch für die Zusammenarbeit mit den Besatzungskräften anbieten könnte.

In einer gleichzeitig erscheinenden Stellungnahme in der Financial Times ließ er seinem politischen Zynismus freien Lauf. Er betonte dort, es gäbe keine einheitlichen "Taliban". "Verschiedene Gruppen operieren in verschiedenen Gebieten über die afghanisch-pakistanische Grenze hinweg. Kooperation richtet sich nach den praktischen Gegebenheiten und ist taktischer Natur..."

"Die Afghanen werden aus verschiedenen Gründen in den Aufstand hineingezogen. Es gibt Soldaten, denen 10 US-Dollar am Tag gezahlt wird, Drogenhändler, die einen sicheren Weg für ihre Drogen suchen, und diejenigen, die fürchten, dass die Taliban siegen könnten und so auf Nummer sicher gehen... Es ist ein breites, aber oberflächliches von Zweckmäßigkeit bestimmtes Bündnis."

Milibands Äußerungen widersprechen früheren Versuchen, den afghanischen Konflikt als Krieg gegen eine Macht darzustellen, die fest mit Al Qaida verbündet ist, und der das letztendliche Ziel verfolgt, die Demokratie in Afghanistan wiederherzustellen. Er gibt jetzt zu, dass die Unterstützung für al-Qaida minimal ist. "Der Aufstand im Süden Afghanistans, der von Mitgliedern der ehemaligen Taliban-Regierung angeführt wird, hat die meisten Kämpfer und ist am besten organisiert", erklärte er gegenüber der FT. "Im Osten und in Pakistan gibt es eine Reihe anderer Fraktionen, darunter auch welche, die mit al-Qaida verbündet sind." (Hervorhebung hinzugefügt)

Und was den Rest angeht, so sollen deren Führer jetzt mit in die afghanische Regierung aufgenommen werden. Nach den Wahlen im nächsten Monat müsse die neue Regierung versuchen, ehemalige Taliban zu integrieren und "fähige Gouverneure und Bezirkshauptmänner" einzusetzen, die "auf der Grundlage der Stammesstrukturen und der Geschichte" arbeiten. Zu denjenigen, denen diese Funktion verliehen wird, müssen auch "konservative Paschtunen gehören"

"Man spricht oft über Afghanistan als dem 'Friedhof der Imperien'", schloss er. "Aber weder die internationale Gemeinschaft, und noch weniger Großbritannien, versuchen eine Kolonie zu errichten. Wir sind dort, um der afghanischen Regierung zu helfen und durch die zweigleisige Strategie von militärischer Macht und politischem Engagement den Aufstand zu beenden."

In Wirklichkeit gibt es keine klarere Definition einer klassischen imperialistischen Strategie, als die von Miliband skizzierte. Das Herrschen mittels lokaler Vertreter war schon immer die bevorzugte Methode der britischen Elite, die schon vor langer Zeit erkannte, dass man durch militärische Gewalt allein einen imperialen Besitz nicht sichern und behaupten kann.

Miliband sprach auch eine kaum verhüllte Drohung an Pakistan und andere benachbarte, regionale Mächte aus, die westlichen Interessen in Afghanistan nicht in Frage zu stellen. "Afghanistans Nachbarn müssen definitiv seine Zukunft als eigenständiges Land akzeptieren", schreibt er.

Die Forderung "mit den Taliban reden" äfft pflichtbewusst die Außenpolitik von Barack Obama nach und gibt die Erklärungen von US-Außenministerin Hillary Clinton wieder, die sie am 15. Juli bei einer Rede zur Außenpolitik vor dem Rat für Auslandsbeziehungen gemacht hat. Sie erklärte: "Heute sind wir und unsere afghanischen Verbündeten bereit, jeden willkommen zu heißen, der die Taliban unterstützt und sich von al-Qaida lossagt, die Waffen niederlegt und bereit ist, an der freien und offenen Gesellschaft teilzunehmen, die in der afghanischen Verfassung verankert ist.

Wir wissen, dass nicht alle, die mit den Taliban kämpfen, al-Qaida unterstützen, oder an die extremistische Politik glauben, welche die Taliban verfolgt haben, als sie an der Macht waren", fügte sie hinzu.

Im März äußerte Obama selbst gegenüber der New York Times, dass es "vielleicht vergleichbare Möglichkeiten" zur US-Strategie der Verhandlungen mit sunnitischen Aufständischen im Irak gibt.

Die afghanische Regierung reagiert schon auf die jüngsten amerikanischen Forderungen. Karzai erklärte am Montag vor einer Menschenmenge in der Taliban-Hochburg Kandahar im Süden, er strebe Friedensverhandlungen mit den Taliban an, wenn er im August wiedergewählt würde. Seine Regierung hat Berichten zufolge bereits ein Waffenstillstandsabkommen für die Zeit bis zu den Wahlen am 20. August mit dem Taliban-Anführer geschlossen, der den Bala-Morghab-Bezirk im nordwestlichen Badghis beherrscht.

Noch wichtiger ist die Rolle die Großbritannien dabei spielt, von der europäischen Union mehr Truppen und Mittel zu erhalten. Noch vor Milibands Nato-Rede am Freitag, den 24. Juli, führte Premierminister Gordon Brown am Telefon mit Obama Gespräche über Afghanistan. Danach verkündete Downing Street, es werde die ersten 125 Soldaten zur Verstärkung schicken. Brown und Obama einigten sich auch darauf, dass es wichtig sei, eine "bessere militärische und zivile Lastenverteilung unter den Nato-Verbündeten zu erreichen", wie ein Sprecher von Downing Street erklärte.

Der Kommandant der britischen Armee, Jock Stirrup, hatte sich zuvor beklagt, dass Großbritannien verglichen mit anderen Nato-Verbündeten "mehr als seinen Anteil" an den Kämpfen in Afghanistan leiste. Als Miliband vor der Nato sprach, betonte er ebenfalls, dass andere Länder mehr zu der militärischen Offensive beitragen müssten. "Die Menschen in Großbritannien ... wollen sichergestellt wissen, dass alle Mitglieder unseres Bündnisses bereit sind, [Afghanistan] den Vorrang einzuräumen, den es verdient", erklärte er. "Lastenverteilung ist ein Gründungsprinzip der Nato, und sie muss in der Praxis wie in der Theorie befolgt werden."

Bei einer Rede vor der Münchener Sicherheitskonferenz am 2. Juli kam Miliband mit seinen Forderungen noch direkter zur Sache. Die europäischen Mächte müssten sich, wie er es nannte ein "kühneres und weiter gespanntes Herangehen" zu eigen machen, das durch die "Realität nach dem Kalten Krieg" erforderlich geworden sei.

Afghanistan sei, erklärte er, "eine Prüfung sowohl für die EU als auch für die Nato... Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen Europas und Nordamerikas sind sehr eng miteinander verknüpft... Und dennoch wurde unsere Beziehung durch Meinungsverschiedenheiten über den Irak und in jüngerer Zeit durch Fragen der Lastenverteilung belastet, was dazu führte, dass von einer 'zweigeteilten Allianz' gesprochen wurde. Dies ist der Zeitpunkt, das Bündnis zu erneuern."

Auf demselben Treffen erklärte General David Petraeus, der Oberbefehlshaber der US-Armee im Nahen Osten und Zentralasien, dass zusätzliche Truppen in Afghanistan benötigt würden und dass er "es nicht versäumen möchte, einzelne Länder aufzufordern" ihren Beitrag sehr gründlich zu prüfen.

Siehe auch:
Großbritannien: Für einen Kriegsverbrecherprozess
über die Invasion im Irak (27. Juni 2009)

Nato unterstützt Ausweitung des Kriegs in Zentralasien
(7. April 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 31.07.2009
Großbritanniens Propaganda-Offensive für den Krieg in Afghanistan
http://wsws.org/de/2009/jul2009/mili-j31.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009