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GLEICHHEIT/2630: SPD-Kanzlerkandidat Steinmeiers Plan für die deutsche Wirtschaft


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

SPD-Kanzlerkandidat Steinmeiers Plan für die deutsche Wirtschaft

Von Ludwig Weller
11. August 2009


Am 3. August stellte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier der Öffentlichkeit sein Wahlprogramm vor. Der so genannte "Deutschland-Plan" verspricht vollmundig vier Millionen Arbeitsplätze, Vollbeschäftigung in zehn Jahren und eine gerechtere Einkommensverteilung.

Diese grundlegenden sozialen Belange, deren Umsetzung Millionen Arbeiter und Arbeitslosen herbeisehnen, sind jedoch unvereinbar mit dem kapitalistischen Profitsystem. Millionen neue Arbeitsplätze mit gerechtem Auskommen sind durchaus machbar und keine Utopie. Um sie zu schaffen, bedarf es allerdings sozialistischer Maßnahmen. Solange die Gesellschaft und die Politik von der Finanzaristokratie und einer schmalen Wirtschaftselite beherrscht werden, wird die soziale Ungleichheit stetig wachsen. Nur eine soziale Bewegung von unten kann diese Finanzmacht brechen und demokratische Verhältnisse im Wirtschaftsleben herstellen. Die weltweiten Probleme können zudem nur international gelöst werden.

Eine solche Perspektive lehnen die SPD und ihr Spitzenkandidat, Vizekanzler Steinmeier, rundum ab. Der "Deutschland-Plan" liest sich wie die Abschlussarbeit eines Managerseminars. Er setzt ausschließlich auf die Stärkung der deutschen Konzerne und Unternehmen im Kampf um internationale Absatzmärkte und Rohstoffe.

Es ist aufschlussreich, dass das Wort Deutschland in Steinmeiers Papier 149 Mal vorkommt, soziale Gerechtigkeit dagegen nur zwei Mal. Unablässig geht es darum, dass Deutschland "Leitmärkte der Zukunft erkennen und ansteuern", die deutsche Softwarebranche auf "Augenhöhe mit der USA" gebracht werden und Deutschland "beim Leitmarkt Elektromobilität zum Durchbruch" verholfen werden müsse. Auch bei erneuerbaren Energien soll Deutschland bald den "Spitzenplatz" einnehmen.

Sätze wie "Wir wollen, dass Deutschland am Ende vorne liegt", "Darin ist Deutschland Spitze", "Die Effizienzrevolution in der Welt muss 'Made in Germany' sein" und "Exportweltmeister Deutschland" ziehen sich wie ein roter Faden durch das fast 70-seitige Dokument.

Man fragt sich unweigerlich, was mit dem Rest der Welt geschehen soll, wenn Deutschland auf allen Feldern "Weltmeister" sein will. Tatsächlich ist der "Deutschlands-Plan" ein Programm des Handels- und Wirtschaftskriegs. Doch darüber schweigt sich Steinmeier wohlweislich aus. Die Außen- oder gar die Militärpolitik erwähnt der amtierende Außenminister mit keinem Wort. Selbst die Europäische Union wird nur genannt, wenn es darum geht, was Deutschland in der EU durchsetzen will.

Der "Deutschland-Plan" richtet sich an die Chefetagen der großen Konzerne, den Mittelstand und die Gewerkschaftsbürokratie, der er einen Ausbau der Sozialpartnerschaft verspricht. "Unternehmen, in denen Belegschaft und Unternehmensführung an einem Strang ziehen, kommen besser durch die Krise", heißt es in dem Papier. "Wir wollen Wirtschaft, Gewerkschaften und Banken an einen Tisch holen, um Deutschlands strategische Erfolgsfaktoren über die Krise hinweg zu bewahren."

Auch für die "Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern" bei gleichzeitigem Lohnverzicht macht sich Steinmeiers Papier stark. Dies sei "ganz im Sinne nachhaltiger Unternehmensführung und -finanzierung und fördert die Sozialpartnerschaft im Unternehmen und der Volkswirtschaft."

Dagegen unternimmt Steinmeier noch nicht einmal den Versuch, an die Arbeiterklasse zu appellieren. Nach elf Jahren rot-grüner und rot-schwarzer Bundesregierung, deren unsoziale Politik Steinmeier maßgeblich zu verantworten hat (Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67 Steuergeschenke an die Reichen), hat die SPD offenbar die Hoffnung aufgegeben, breitere Unterstützung unter der arbeitenden Bevölkerung zu finden.

In der Einleitung des Wahlprogramms heißt es ausdrücklich: "Wir wollen keinen Gleichverteilungs- und Bevormundungsstaat ... Wir wissen, dass Wohlstand auf individueller und unternehmerischer Freiheit gründet."

Selbst so wichtige gesellschaftliche Bereiche wie das Gesundheitswesen behandelt das SPD-Programm unter rein ökonomischen Aspekten - als "Gesundheitswirtschaft". Die Gesundheitswirtschaft, heißt es im "Deutschland-Plan", sei "eine dynamische Wirtschaftsbranche mit hoher Innovationskraft und erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für den Standort Deutschland". Der "Gesundheitsstandort Deutschland" soll "international vermarktet" werden.

Dasselbe Schicksal widerfährt der Kultur, die Steinmeier als "Kreativbranche" bezeichnet. Es gelte, "die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Kreativbranche zu stärken und eine zukunftsweisende Standortpolitik zu betreiben", fordert er.

Nachdem die SPD von den Wählern bei unzähligen Landtags-, Bundestags- und Europawahlen abgestraft wurde, lautet Steinmeiers Motto "Weiter so". Das Ergebnis zeigt sich in den Umfragen. Nach den jüngsten Erhebungen kommt die SPD gerade noch auf knappe 20 Prozent. Schon in der Zeit als Gerhard Schröder Bundeskanzler war und Steinmeier für ihn als Kanzleramtschef die Agenda 2010 ausarbeitete, hatte die SPD Hunderttausende Mitglieder und nahezu jeden verbliebenen Rückhalt in der Arbeiterklasse verloren.

Einzig im Bildungsbereich verspricht der Deutschland-Plan "Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule". Großspurig erklärt er: "Der Zugang zu Bildung ist ein elementares Menschenrecht." Bis 2015 sollen zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung investiert werden.

Doch diese hohlen Versprechen sind aus vielen Gründen unglaubwürdig. Erstens hat die SPD erst vor wenigen Monaten zusammen mit der Union eine "Schuldenbremse" in der Verfassung verankert, die alle zukünftigen Regierungen in Bund und Ländern zwingt, Milliarden einzusparen. Alle Wahlkampfversprechen werden dieser Schuldenbremse zum Opfer fallen. Und zweitens ist die Bildung seit der ebenfalls von der Großen Koalition vereinbarten Föderalismusreform ausschließlich Ländersache. Die zukünftige Bundesregierung wird in diesem Bereich wenig zu sagen haben.

Den Niedriglohnsektor, der sich unter rot-grüner und schwarz-grüner Regie explosionsartig entwickelt hat, will Steinmeier weiter ausdehnen. Die miserablen Zustände im Pflegebereich sollen durch vermehrte "Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement in Pflege und Betreuung gestärkt werden." Die schlechten Arbeitbedingungen in der "Kreativbranche", wo "Beschäftigungen häufig befristet oder projektbezogen und seltener in feste, solidarische Strukturen wie Tariflöhne und Mitbestimmung eingebunden" sind, betrachtet das Steinmeier-Papier als "Reiz und Risiko zugleich: Viele Künstler und Kreative betrachten dies als Chance zur Selbstbestimmung und Weiterentwicklung." Die Maßnahmen, die er zur sozialen Absicherung vorschlägt, sind völlig ungenügend.

Der "Deutschland-Plan" tritt zwar - unter zahlreichen Vorbehalten - für einen "flächendeckenden Mindestlohn" ein. Doch er soll lediglich 7,50 Euro betragen, weit weniger als in benachbarten Ländern.

Steinmeier macht sich auch über ein historisches Grundproblem des deutschen Kapitalismus Gedanken, den Zugang zu Rohstoffen und Energie. Bekanntermaßen spielt er auch in der von Steinmeier geführten Außenpolitik eine große Rolle. Es sei nur an die weltweiten Einsätze der Bundeswehr, insbesondere ihre Beteiligung im Afghanistan-Krieg erinnert. Rüstungsgüter- und Kriegsmaterial zählen im Übrigen auch zu den deutschen Exportschlagern. Doch dafür offen zu werben, hält Steinmeier für etwas zu heikel, und die Frage des Militarismus lässt er vorsichtshalber beiseite.

Steinmeier geht die Frage etwas anders an, indem er sie mit dem Label "energie- und umweltschonend" versieht. Es heißt bei ihm: "Wer wettbewerbsfähiger sein will, muss sich in Zukunft auf Energie- und Rohstoffeffizienz konzentrieren. Diese Effizienzrevolution in der Welt muss "Made in Germany" sein." Genauso wie die Grünen, verspricht sich Steinmeier mit der "grünen Wirtschaft" ein riesiges Geschäft für die deutsche Wirtschaft.

Angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate kommt Steinmeier nicht darum herum, auf die internationale Finanzkrise einzugehen. Doch Anstatt ihre Ursachen zu untersuchen, verharmlost er sie als rein ideologisches Problem. "Ideologie als Ursache der Krise", lautet die Überschrift des entsprechenden Kapitels. Die "Lehre vom shareholder value" sei gescheitert.

Entsprechend absurd und chauvinistisch gefärbt sind Steinmeiers Lösungsvorschläge. "Die faire und nachhaltige Unternehmensführung in Deutschland" soll "weltweit als Vorbild" gelten. Dem "deutschen Handelsrechts, das sich an der Wertvorstellung des 'ehrbaren Kaufmannes' orientiert", soll zur Renaissance verholfen werden. Und immer wieder die Mitbestimmung, die enge Zusammenarbeit von Management und Gewerkschaften, als Antwort auf die Krise.

An anderer Stelle heißt es: "Diese Exzesse und ihre Folgen müssen allen, die Verantwortung tragen eine Lehre sein. Keine Wirtschaft kann es sich leisten, allein auf das schnelle Geld zu setzen und dabei das Maß zu verlieren. Die Gier gehört zum Menschen, aber wir können sie zügeln. Darum müssen wir die globale Finanzstruktur neu ordnen."

Diese hohlen Phrasen sollen verdecken, dass die SPD vor der Finanzoligarchie auf dem Bauche kriecht. Sie hat den Spekulanten durch Deregulierung und Steuersenkungen Tür und Tor geöffnet und seit Beginn der Krise alles getan hat, um sie zu schützen. Kein einziger Spekulant wurde zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen wurden den beteiligten Banken Milliarden an Steuergeldern ausgehändigt.

Aber darüber schweigt sich das Papier aus. Es muss dagegen kleinlaut zugeben: "Es fängt schon wieder an - als ob nichts passiert wäre. Milliardengewinne bei Banken, millionenschwere Gehälter bei staatlich kontrollierten Banken, Hedge Fonds, die ihre alten Geschäftsmodelle wieder aufleben lassen." Dass die SPD, sollte sie nach dem 27. September wieder der Regierung beteiligt sein, dagegen nichts unternehmen wird, kann als sicher gelten.

Die Gewerkschaften und einige Topmanager haben Steinmeiers Deutschland-Plan begrüßt. So kommentierte Emanuele Gatti, Vorstandsmitglied beim Medizintechnikhersteller Fresenius Medical Care: "Im Gesundheitssektor sehe ich ein großes Wachstumspotenzial". Und Leo Apotheker, der Vorstandschef des Softwareunternehmens SAP, meinte: "Hier haben wir gegenüber den USA und Indien großen Nachholbedarf."

Auch Banker wissen den Steinmeier-Plan zu schätzen. Dr. Dirk Notheis, Vorsitzender des Vorstands der Morgan Stanley Bank AG, sagte: "Wir brauchen mehr denn je einen Ideenstreit um die richtigen Zukunftsstrategien. Dafür liefert der Steinmeier-Plan eine solide Plattform. Es ist ein ganzheitliches Konzept und insgesamt eine seriöse Analyse."

Mit dem Deutschland-Plan versucht Steinmeier der Finanz- und Wirtschaftselite noch einmal vor Augen zu führen, dass sie sich auf ihn und die SPD in einer zukünftigen Regierung in gewohnter Weise stützen können.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.08.2009
SPD-Kanzlerkandidat Steinmeiers Plan für die deutsche Wirtschaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2009