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GLEICHHEIT/2742: Dollarsturz wirft Schlaglicht auf Bruchstellen im "Genesungsprozeß" der Wirtschaft


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nach der IWF Tagung
Der Sturz des Dollars wirft ein Schlaglicht auf die Bruchstellen im "Genesungsprozess" der Weltwirtschaft

Von Barry Grey
20. Oktober 2009
aus dem Englischen (10. Oktober 2009)


Der US Dollar fiel am 8. Oktober gegenüber anderen Währungen auf ein Vierzehn-Monats-Tief und beendete damit eine mehrtägige Abwärtsrallye, die unmittelbar auf die Halbjahrestagung von IWF (Internationaler Währungsfond) und Weltbank in Istanbul folgte.

Die US Währung, die seit Obamas Amtsantritt gegenüber einer ganzen Reihe von Währungen um 11,9 Prozent absackte, fiel am Donnerstag um weitere 0,7 Prozent. Die Zentralbanken Südkoreas, der Philippinen, Thailands, Indonesiens und Hongkongs griffen ein, um den Fall des Dollars gegenüber ihren Währungen zu bremsen.

Parallel zum Fall des Dollars stieg der Goldpreis auf neue Rekordhöhen und knackte an einigen Terminbörsen die 1.056 $ Grenze pro Unze.

Am letzten Donnerstag verkündete der Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, dass die USA ihren Leitzins anheben müssten, wenn sich die Wirtschaft "genügend erholt habe." Obwohl er keinen Hinweis darauf gab, wann das sein könnte, hatte seine Intervention die erhoffte Wirkung, dass der Dollar etwas von seinen Verlusten wieder gutmachen konnte.

Der Abwärtstrend des Dollars hatte am Donnerstag, dem ersten offiziellen Tag des Treffens, an Fahrt zugenommen. Die englische Zeitung The Independent hatte geschrieben, dass zwischen den Erdöl exportierenden arabischen Staaten und China, Frankreich, Japan und Russland geheime Verhandlungen über eine Ablösung des Dollars durch einen Korb anderer Währungen für den Handel mit Öl stattgefunden hätten. Die meisten der genannten Regierungen dementierten den Bericht später.

Ein anderer Faktor für die explodierenden Spekulationen um den Dollar war die am Donnerstag bekannt gegebene Entscheidung der australischen Zentralbank, den Leitzins anzuheben.

Der wachsende Druck auf den Dollar ist ein beredtes Zeichen für den systemischen Charakter der Wirtschaftskrise und die verschärften Spannungen zwischen den bedeutenden Mächten der Weltwirtschaft. Er steht im krassen Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen, die auf der IWF Tagung abgegeben wurden, die eine Rückkehr zu wirtschaftlichem Wachstum - wenn auch im Schneckentempo - voraussagen und eine neue Ära wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Kontrolle versprechen.

Die Schwächung des Dollars spiegelt den Zusammenbruch der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete und auf der unangefochtenen Vormachtstellung der USA beruhte. Der Crash an der Wall Street vom letzten Jahr und die daraus resultierende globale Rezession warfen ein Schlaglicht auf den gigantischen Niedergang der Position des amerikanischen Kapitalismus innerhalb der Weltwirtschaft und schädigte darüber hinaus das Ansehen und den Einfluss der USA in weltwirtschaftlichen Angelegenheiten.

Währenddessen versucht Washington sich sein explodierendes Haushaltsdefizit und die hohen Staatsschulden - zum Großteil angeheizt von den Billionen Dollar schweren Staatshilfen für die Wall Street - zu Nutze zu machen und die Last der Wirtschaftskrise auf seine größten Konkurrenten abzuwälzen. Seine Hauptgläubiger wie China und Japan sind in zunehmendem Maße über die Abwertung ihrer Dollarbestände besorgt, aber andererseits schier entsetzt über die Aussicht auf einen Zusammenbruch des Dollars.

Um die amerikanischen Exporte auf Kosten seiner exportabhängigen Rivalen China, Japan und Deutschland anzukurbeln, hat Washington den kontinuierlichen Verfall des Dollars stillschweigend geschehen lassen. Entsprechend werden US-Exporte billiger und Importe teurer. Diese nationalistische Politik hat die internationalen Spannungen bereits verschärft und birgt das Risiko einer ausgewachsenen Dollarkrise mit verheerenden Folgen sowohl für die amerikanische als auch die Weltwirtschaft in sich. Darüber hinaus untergräbt sie die Vormachtstellung des Dollars als der wichtigsten Weltreserve- und Handelswährung.

Letzte Woche warnte Weltbankchef Robert Zoellick: "Die Vereinigten Staaten liegen falsch, wenn sie die beherrschende Stellung des Dollars für selbstverständlich halten. Zukünftig wird es vermehrt andere Alternativen zum Dollar geben."

Am Freitag kommentierte das Wall Street Journal in einem Editorial unter dem Titel "Der dahin treibende Dollar" mit bitteren Worten: "Die Fed teilt der Welt mit, dass sie sich in erster Linie - vielleicht sogar ausschließlich - mit ihrer Binnenwirtschaft befasse. Wenn der Dollar gegenüber anderen Währungen an Wert verliert, ist das ihr Problem...

Die viel unmittelbarere Gefahr - in den nächsten Monaten - wäre es aber, wenn der Fall des Dollars zu einem Absturz würde. Aber auch ohne dass es zu einer Flucht aus dem Dollar kommt, kann die Schwankungsanfälligkeit der Devisenmärkte .... zu einer Runde konkurrierender Abwertungen führen, weil andere Staaten versuchen, ihre eigene inländische Export Lobby zu beschwichtigen."

Der IWF in Istanbul hat die zunehmend strittig werdende Frage der US-Geldpolitik bemerkenswerter Weise ignoriert. Dies entspricht dem Wunsch, die wachsenden Handels- und Wirtschaftskonflikte zu übertünchen und vage Richtlinien zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft und zur Vermeidung eines neuen Kollaps' voran zu bringen. Diese Tendenz war schon auf dem G-20-Gipfel der führenden Weltwirtschaftsmächte im letzten Monat in Pittsburgh erkennbar und diese Woche auf den Konferenzen von IWF und Weltbank.

Bei seiner letzten Vorhersage schätzte der IWF, dass die globale Wirtschaftsleistung dieses Jahr um 1,1 Prozent abnehmen und 2010 um 3,1 Prozent wachsen werde. Das vermutete Wachstum für 2010 liegt weiter unter dem der Vor-Krisenzeit und bedeutet ein weiteres Ansteigen von Arbeitslosigkeit und Armut.

Darüber hinaus hängt das anvisierte blutleere Wachstum zum Großteil von massiven staatlichen Stützungspaketen für die Banken und von anderen Konjunkturpaketen ab, die sich, den Angaben des IWF zufolge, bisher weltweit auf insgesamt zwei Billionen Dollar belaufen. Keiner weiß, was passieren wird, wenn die Regierungen anfangen, sich aus diesen Subventionen zurückzuziehen, die gigantische und untragbare Schuldenberge entstehen lassen, protektionistische Maßnahmen schüren und das Gespenst von Staatsbankrotten aufsteigen lassen.

Auf der Tagung begrüßte der IWF die Entscheidung des G-20-Gipfels, die G-20 zum richtungsgebenden Forum wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu machen. Zur G-20 gehören neben den in der G-7-Gruppe zusammengefassten hochentwickelten Industrieländern die größten Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien.

Der IWF begrüßte auch das " Regelwerk für starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum", das auf dem G-20-Gipfel angenommen wurde. Dieser Plan wurde von den USA gegen den Widerstand ihrer wirtschaftlichen Rivalen, in erster Linie gegen Deutschland und China, durchgesetzt. Er fordert von Schuldnerländern, wie z.B. den USA, ihr Defizit durch drastisches Zurückfahren des inländischen Konsums abzubauen und ihren Export zu erhöhen. Gläubigerländer wie China, Japan und Deutschland sollen ihren Überschuss verringern, indem sie die Inlandsnachfrage erhöhen und strukturelle "Reformen", einschließlich der Abschaffung verbliebener Arbeitnehmerrechte, durchführen, um so ihre Märkte weiter für amerikanische und internationale Investitionen zu öffnen.

China, Deutschland und andere Länder unterzeichneten das "Regelwerk" nur, weil es keinerlei Sanktionen oder Durchsetzungsmechanismen gegenüber Ländern vorsieht, die bei der Verwirklichung der vorgeschlagenen Änderungen scheitern. Dem IWF kommt die Aufgabe zu, unterstützende Analysen zur Verfügung zu stellen, um "Gruppenzwang" auszuüben, der die Länder auf Kurs bringen soll.

Obwohl alle dem Plan offiziell zustimmten, wird er allgemein als Versuch der USA angesehen, die Hauptlast der Krise auf ihre Rivalen abzuwälzen.

Ein anderer wichtiger Punkt in diesem "Regelwerk" ist die Anhebung der Stimmberechtigung der Schwellenländer innerhalb des IWF um mindestens 5 Prozent. Dieser Vorschlag rief den erbitterten Widerstand Deutschlands und Frankreichs hervor, die darin eine Reduzierung ihres Einflusses im IWF sehen.

Auf der Tagung in dieser Woche begrüßte der IWF die Anhebung des Stimmenanteils für die Schwellenländer um 5 Prozent, schob aber konkrete Vorschläge zu ihrer Umsetzung bis Januar 2011 auf. Die New York Times kommentierte: "Dies lässt genügend Spielraum sowohl für Spannungen zwischen den IWF Mitgliedern, die mehr Einfluss bekommen, und solchen, die ihn verlieren werden, als auch innerhalb der Gemeinschaft der hochentwickelten Industrieländer.

Europäische Länder, einschließlich Frankreich und Deutschland, sind schon dabei, verdeckt an der Aufrechterhaltung ihres Einflusses zu arbeiten, möglicherweise auf Kosten ihrer Nachbarn.

Außerdem ging der IWF nicht auf eine der umstrittensten Fragen ein, die des faktischen amerikanischen Vetorechts in der Organisation. Mit ihren siebzehn Prozent Stimmenanteil in einer Körperschaft, die 85 Prozent für wichtige Entscheidungen benötigt, können die Vereinigten Staaten jede bedeutende Entscheidung blockieren."

Ein dritter Eckpunkt des G-20 "Regelwerks", der vom IWF begrüßt wurde, ist eine strengere, globale Regulierung der Banken. Allerdings beinhalten die angenommenen Empfehlungen keine Durchsetzungsmechanismen oder Sanktionen. Auf dem G-20 Treffen wiesen die USA Vorschläge Frankreichs und Deutschlands zurück, Vergütungsobergrenzen für Banker einzuführen.

Zu den Aspekten dieses Regelwerks zur Wiederbelebung der Wirtschaft bemerkte die Financial Times am Donnerstag, dass die amerikanischen Banken alle ernsthaften Vorschläge für eine verschärfte Regulierung blockiert hätten und schloss: "Kurz gesagt, eine gründliche Überarbeitung internationaler Standards für die Bankenregulierung bleibt ein klares, aber äußerst ungewisses Ziel. Es beinhaltet Einschränkungen für enorm reiche Personen und Institutionen, deren politischer Einfluss genauso stark wie in der Zeit vor dem Ausbruch der Kreditkrise 2007 zu sein scheint."

Während keine Maßnahmen unternommen werden um die spekulativen Praktiken der Banken zu unterbinden, sind die Folgen der Krise, die sie ausgelöst haben, tiefgehend und umfassend. Der IWF berichtete, dass im Zuge der Krise atemberaubende zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung für immer verloren gegangen seien. Das bedeutet, dass die Weltbevölkerung ein bedeutendes Stück ärmer geworden ist.

Die Weltbank schätzt, dass die Krise weitere 90 Millionen Menschen in "extreme Armut" geworfen hat. Das sind Menschen, die von weniger als 1,25 $ täglich leben müssen.

Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zufolge hat die Arbeitslosigkeit in den dreißig einkommensstarken OECD Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg einen Höchststand von 8,5 Prozent erreicht. Sie warnt, dass die Arbeitslosigkeit Ende nächsten Jahres in den hochentwickelten Ländern auf knapp zehn Prozent steigen könnte, was bedeutet, dass seit dem Ausbruch der Krise 25 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben werden.

Die OECD weist auf die besonders schweren Folgen für junge Arbeiter hin, und spricht von dem Risiko einer "verlorenen Generation".

Der IWF warnt vor der Wahrscheinlichkeit eines "Aufschwungs ohne Arbeitsplätze". Viele bekannte Wirtschaftsexperten prophezeien, dass die Arbeitslosigkeit nicht vor 2015 unter das Vorkrisenniveau fallen werde. IHS Global Insight sagte voraus, das die Arbeitslosigkeit in den USA auch 2013 noch bei 8,1 Prozent liegen werde.

Was die vielgepriesene Restabilisierung der Finanzsystems angeht, schätzt der IWF, dass sich die Verluste und Abschreibungen bei Banken, Versicherungen, Hedge Fonds und anderen Finanzfirmen in den USA, Europa und Asien von 2007 bis 2020 zusammengenommen auf 2,8 Billionen Dollar belaufen werden. Das sind fünf Prozent aller Kredite und Wertpapiere, die von diesen Institutionen gehalten werden. Weil bis heute lediglich die Hälfte dieser Verluste bekannt geworden seien, balanciere das Finanzsystem weiterhin am Rande eines Abgrundes.

Der geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, pries die Tagung dieser Woche als "einmalige Gelegenheit die Nachkrisenwelt neu zu gestalten und in eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und Regulierung einzutreten."

Andere prominente Kommentatoren waren sehr viel weniger optimistisch. Die chinesische Website Xinhuanet.com schrieb: "Im Gegensatz zur Krise, die sich rasch und verheerend ausbreitete, wird die Wiederbelebung langsam und zerbrechlich sein. Die Finanzmärkte sind noch längst nicht stabil, die Anzahl der Arbeitsplätze geht immer noch zurück und in einkommensschwachen Ländern verschlimmert sich die Armut."

Michael Geoghegan, Geschäftsführer des HSBC Bank, sagte der Financial Times, dass er in den kommenden Monaten einen neuen Einbruch erwarte. Auf die Frage, ob sich die Welt in einer "V- oder W-förmigen Erholung befinde," sagte er, "Es ist die letztere."

Der milliardenschwere Investor George Soros sagte in Istanbul, dass die US-Banken "im Grunde genommen bankrott" seien, und dass ihre Zahlungsunfähigkeit jede spürbare Wiederbelebung behindern werde.

Der New Yorker Universitätsprofessor Nouriel Roubini, der den Börsencrash des letzten Jahres vorausgesagt hatte, warnte in einem Interview: "Die Märkte sind zu stark gestiegen, zu früh und zu schnell." Er verwies darauf, dass die Aktienmärkte seit ihrem Tief im März um 50 Prozent angezogen hätten und fügte hinzu, "Die Realwirtschaft hat sich kaum erholt, seit die Märkte diesen Weg eingeschlagen haben."

Er warnte, dass "schnelles Geld" schon einmal "Spekulationsblasen bei Aktien, Verbrauchsgütern, Krediten und in Schwellenländern" hervorgebracht hätte und schloss: "... Es kann sein, dass wir gerade die Saat für die nächste Periode finanzieller Instabilität legen."

Robert Prechter, Gründer von Elliot Wave International Inc, sagte voraus, dass der Standard & Poors Index 500 wahrscheinlich "deutlich unter" sein 12-Jahres-Tief vom 9. März fallen werde.

In einem Editorial mit dem Titel "Stöbern im Trümmerfeld der Wirtschaft" vom 6. Oktober fragte die Financial Times, wer für den gigantischen Verlust an Wirtschaftsleistung zahlen werde. Die Antwort wurde von Carlo Cottarelle und Jose Vinals angedeutet, zwei Wirtschaftsexperten des IWF, die schrieben: "Für die Lösung des fiskalischen Problems ist ein klarer Vorsatz und standfeste politische Entschlossenheit erforderlich: Reformen bei den Gesundheits- und Pensionsberechtigungen, Einschnitte in das Verhältnis anderer Ausgaben zum BIP und Steuererhöhungen sind unumgänglich."

Mit anderen Worten, die internationale Arbeiterklasse soll für die Krise bezahlen.

Siehe auch:
G-20-Gipfel bereitet Boden für die Verschärfung
internationaler Spannungen (29. September 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.10.2009
Nach der IWF Tagung
Der Sturz des Dollars wirft ein Schlaglicht auf die Bruchstellen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009