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GLEICHHEIT/2746: Europäische Trotzkisten gedenken des 70. Jahrestags des Zweiten Weltkriegs


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Trotzkisten gedenken des 70. Jahrestags des Zweiten Weltkriegs

Von unserem Korrespondenten
22. Oktober 2009
aus dem Englischen (14. Oktober 2009)


Am 11. Oktober führten die europäischen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in London eine gemeinsame Veranstaltung über die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg durch.

Zu der Veranstaltung hatten die britische Socialist Equality Party und die deutsche Partei für Soziale Gleichheit gemeinsam mit Unterstützern des IKVI aus Frankreich eingeladen. Den Vorsitz führte Chris Marsden, der Nationale Sekretär der SEP, der die außerordentliche Bedeutung einer Zusammenkunft der europäischen Trotzkisten für einen Kontinent betonte, der im letzten Jahrhundert zweimal von einem totalen Krieg auseinander gerissen worden ist,

An das Publikum gewandt, sagte Marsden: "Ihr seid nicht aus einem allgemeinen Interesse heraus hergekommen, sondern aus politischer Sorge - weil ihr versteht, dass wir uns hier mit Fragen beschäftigen, die nicht nur historisch interessant sind. Wir sind hier, um die Frage einer revolutionären Perspektive für die moderne Zeit zu diskutieren - die Entwicklung einer revolutionären Perspektive gegen Krieg.

Unsere politische Organisation versucht, einen Weg zu den fortgeschrittensten Elementen der Arbeiterklasse und insbesondere ihrer Jugend zu finden. Unsere Aufgabe als Partei besteht darin, sie auszubilden und zu organisieren - als historisches Gedächtnis der Klasse, als ihre strategische Führung im Kampf gegen das Kapital und ihre politischen Verteidiger."

Barbara Slaughter von der britischen SEP sprach als erste zu der Versammlung. Slaughter ist das langjährigste Mitglied der trotzkistischen Bewegung und Mitglied im Zentralkommitee der Partei. Als der Zweite Weltkrieg begann, war sie zwölf Jahre alt. Sie beschrieb dessen Auswirkungen auf eine Jugendliche, die dadurch zum Sozialismus hingezogen wurde, aber durch den Einfluss des Stalinismus auf sie und ihre Eltern von der revolutionären Perspektive des Sozialismus abgeschnitten war.

Slaughter erklärte: "Ich trat 1945 im Alter von 18 Jahren der Kommunistischen Partei bei, weil ich diese Partei mit dem Heroismus der russischen Arbeiterklasse während des Krieges identifizierte und weil ich dem falschen Eindruck unterlag, dass es sich um eine revolutionäre Partei handle. Ich war entschlossen, wie Millionen andere, dass es kein Zurück zu den Leiden der Arbeiterklasse vor dem Krieg geben durfte, die ich miterlebt hatte...

Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass die Kommunistische Partei weit davon entfernt war, eine revolutionäre Partei zu sein. Aber ich sah keine Alternative. Erst als ich 1958, zwei Jahre nach der Ungarischen Revolution von 1956, der trotzkistischen Bewegung beitrat, verstand ich die Bedeutung all der Erfahrungen, die ich und Millionen anderer Arbeiter vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg durchlebt hatten."

Slaughter, deren Mutter aus Spanien kam, sprach über die Bedeutung des Verrats des Stalinismus an der Spanischen Revolution und die Desorientierung, die durch dessen Darstellung des Zweiten Weltkriegs als "Großen Patriotischen Krieg" gegen Deutschland entstand. Sie ging auch auf die Verbrechen des britischen Imperialismus gegen die deutsche Arbeiterklasse während des Krieges ein, die von der heutigen herrschenden Elite Britanniens entweder ignoriert oder gefeiert werden.

Françoise Thull sprach zu den Erfahrungen der französischen Arbeiter unter der Naziherrschaft und dem kollaborationistischen Regime von Marshall Philippe Pétain. Sie konzentrierte sich ebenfalls auf die Rolle der Kommunistischen Partei, die die Arbeiterklasse vor dem Krieg durch die Klassenkollaboration im Rahmen der Volksfront entwaffnet hatte. Sie hatte die revolutionäre Konfrontation mit der herrschenden Klasse während des Generalstreiks 1936 abgewürgt.

Thulls Familie kam aus dem Saarland, der Grenzregion, die abwechselnd vom deutschen und französischen Imperialismus beherrscht wurde. Nach der Einnahme der Region durch Hitler infolge der Volksabstimmung von 1935 wurden ihre sozialistischen Großeltern und deren ältester Sohn nach Frankreich deportiert. Ihr Vater diente in der französischen Armee und nahm am Kampf gegen die Wehrmacht teil, bis das Pétainregime an die Macht kam. Ihr Onkel wurde gezwungen, in der deutschen Armee an der Ostfront zu dienen. Er kam nicht zurück.

Die französische Bourgeoisie kollaborierte bei der Deportation und Ermordung der französischen Juden, Linken, Zigeuner, Homosexuellen und anderer, erklärte Thull. Nach dem Krieg und "unter Bedingungen, unter denen die große Mehrheit der französischen Bourgeoisie völlig diskreditiert war", haben die Stalinisten "jede unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse unterdrückt. Das heißt, sie haben die sehr aktiven trotzkistischen Kräfte in Frankreich brutal unterdrückt. Die Kommunistische Partei kämpfte für die Restauration eines bürgerlichen Staates - das heißt, die Beibehaltung der Profitwirtschaft auf dem Rücken der Arbeiterklasse."

Peter Schwarz, der Sekretär des IKVI und ein führendes Mitglied der deutschen Partei für Soziale Gleichheit erläuterte den Zuhörern Trotzkis Analyse über Hitlers Aufstieg zur Macht.

Der Faschismus erwuchs aus dem Streben der deutschen Bourgeoisie, eine europäische und globale Macht zu werden. Aber dies verlangte wiederum nach der Zerstörung der mächtigen sozialistischen Arbeiterbewegung. "Hitlers Antisemitismus stand in enger Verbindung mit seinem Hass gegen die sozialistische Bewegung", erklärte Schwarz. Deshalb gewann die Nazipartei die Unterstützung der herrschenden Klasse.

Hitler war nur dank des "völligen Versagens der großen Arbeiterparteien", der Sozialdemokraten (SPD) und der deutschen Kommunistischen Partei (KPD) in der Lage, an die Macht zu gelangen.

Die SPD lehnte die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Faschismus ab. Sie verschanzte sich stattdessen hinter dem Staatsapparat der Weimarer Republik und behauptete, er biete Schutz vor der faschistischen Gefahr.

Die Gewerkschaftsbürokratie ging noch weiter und distanzierte sich dreieinhalb Monate vor Hitlers Machtergreifung von der SPD. Nach Hitlers versicherte der ADGB dem Naziregime seine Loyalität, indem er erklärte, seine einzige Aufgabe bestehe darin, "seine Erfahrung und sein Wissen der Regierung und dem Parlament zur Verfügung zu stellen".

Die KPD stand unter dem Einfluss von Stalin. Sie denunzierte die SPD als "Sozialfaschisten" und lehnte einen gemeinsamen Kampf gegen die faschistische Gefahr ab. "Trotzki kämpfte unermüdlich für die Politik der Einheitsfront", sagte Schwarz. "Das hätte es der KPD ermöglicht, die Widersprüche zwischen der Sozialdemokratie und dem Faschismus zu nutzen, um die Arbeiterklasse zu vereinen, das Vertrauen der sozialdemokratischen Arbeiter zu gewinnen und die sozialdemokratischen Führer bloßzustellen. Die Weigerung der KPD, eine derartige Politik zu akzeptieren, führte zur deutschen Katastrophe."

Als sich die Sektionen der Kommunistischen Internationale weigerten, die kolossale Niederlage in Deutschland anzuerkennen und Lehren daraus zu ziehen, rief Trotzki zum Aufbau einer neuen, Vierten Internationale auf.

Julie Hyland, ein Mitglied der internationalen Redaktion der WSWS und führendes Mitglied der Socialist Equality Party in Britannien, schloss die Versammlung, indem sie darstellte, wie der Zweite Weltkrieg aus dem Kampf der rivalisierenden imperialistischern Mächte um die globale Hegemonie und insbesondere die Dominierung der eurasischen Landmasse entstand.

Sie erklärte, dass die erste moderne "eurasische Strategie" für die Weltherrschaft in Britannien von dem imperialistischen Strategen Halford Mackinder in seiner Schrift von 1904, "The Geographical Pivot of History" (Der geographische Angelpunkt der Geschichte) entwickelt worden sei. Mackinder bezeichnete die Kontinente Europa, Asien und Afrika als einer "Weltinsel" und vertrat den Standpunkt: "Wer Osteuropa regiert, beherrscht das Herzland, wer das Herzland regiert, beherrscht die Weltinsel, wer die Weltinsel regiert, beherrscht die Welt."

Das Interesse an Mackinders Analyse lebe gerade wieder auf, weil zu Zeit ein ähnlicher Kampf um die Kontrolle der "Weltinsel" und ihrer Ressourcen stattfinde, erklärte Hyland. Dies zeige sich in den Kriegen in Afghanistan, Irak und den wachsenden Drohungen gegen Iran. "Wie das IKVI festgestellt hat, ist ein neuerliches Drängen zur Neuaufteilung der Welt im Gange", sagte sie. "Und obwohl 60 Jahre vergangen sind, erscheint es wie eine Fortsetzung, wenn auch unter viel schärferen Bedingungen, als sie für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristisch waren."

Der erneute Kampf "um Kontrolle über Rohstoffe und Ressourcen besitzt eine objektive Logik", sagte Hyland. "Bisher hat die Sorge vor dem amerikanischen Unilateralismus weitgehend die Reaktionen der europäischen Bourgeoisie bestimmt." Aber das ändere sich in dem Maße, wie sich die Gegensätze zwischen allen wichtigen Mächten vertiefen.

"Im Zentrum des Kampfes um die Weltherrschaft steht ein massiver Angriff auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse", fügte sie hinzu, ein Angriff, der sich mit der Verschlimmerung der Weltwirtschaftskrise verstärken müsse.

"Heute leiden zum ersten Mal in der Geschichte über eine Milliarde Menschen bzw. fast jeder sechste Bewohner dieses Planeten Hunger... In den entwickelten Ländern sichern die Rettungspakete keine Jobs, sondern die Arbeitslosigkeit steigt überall und dient dazu, die Löhne zu senken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. In Wahrheit gilt 'die Krise als willkommene Möglichkeit, um Disziplin und Reformen durchzusetzen', wie es Martin Wolf in der Financial Times vom 8. Oktober prägnant ausdrückt", sagte Hyland.

"Handels- und militärischer Krieg setzen eine enorme soziale Umschichtung und die verstärkte Militarisierung des Lebens in jedem Land voraus", erklärte Hyland. Deshalb müsse die Opposition gegen die Kriegsgefahr und die Zerstörung der sozialen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse in Form eines Kampfs gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung und das Nationalstaatensystem, auf dem sie basiert, geführt werden, schloss sie.

Das Publikum reagierte begeistert auf die Veranstaltung und es gab viele Diskussionsbeiträge. Eine Sammlung ergab über 2.700 Pfund. Die World Socialist Web Site wird einige Reden, die bei der Veranstaltung gehalten worden sind, veröffentlichen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.10.2009
Europäische Trotzkisten gedenken des 70. Jahrestags des Zweiten Weltkriegs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009