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GLEICHHEIT/2978: Massive Entwicklung von Altersarmut


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Massive Entwicklung von Altersarmut
DIW-Studie: Unter 600 Euro Monatsrente in Ostdeutschland

Von Elisabeth Steinert
23. März 2010


Die Rückkehr weit verbreiteter Armut im Alter ist vorprogrammiert. Die Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden vor allem in Ostdeutschland für viele Rentner im Vergleich zum heutigen Stand drastisch fallen.

Zu diesem Ergebnis kommt die im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellte und Mitte vergangener Woche veröffentlichte Studie. Hinter dem sperrigen Titel: "Erwerbsbiografien und Alterseinkommen im demografischen Wandel - eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland" verbirgt sich sozialer Sprengstoff.

Millionen Menschen werden in den kommenden Jahren von ihrer Rente nicht mehr Leben können. Nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Ein-Euro-Jobs und Billiglöhnen steuert ein großer Teil der Bevölkerung auf krasse Armut im Alter zu. Das nüchterne Zahlenwerk des DIW macht deutlich, in welchem Ausmaß die rot-grüne Bundesregierung (1998-2005) und die anschließende Große Koalition aus SPD und CDU/CSU das Sozialsystem zerstört haben.

Vor allem in Ostdeutschland werden die Renten in die Nähe der Grundsicherung von 600 Euro oder sogar darunter absinken, bei Frauen gar unter 500 Euro.

Die Studie analysiert, welche Auswirkungen die Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Ost und West und die politischen Maßnahmen mehrerer Bundesregierungen auf die zukünftigen Rentenzahlungen haben. Seit mehreren Jahrzehnten führen die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, der starke Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnbereich, die Zunahme von Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung und Scheinselbstständigkeit dazu, dass sich die Beschäftigten nur noch geringere Rentenansprüche erwerben können.

Verstärkt wird diese Tendenz noch durch die Absenkung des Rentenniveaus mittels der sogenannten Rentenreformgesetze unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und schließlich der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors unter der rot-grünen Regierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD).

Die Studie nimmt für die Untersuchung in ihrem Berechnungsmodell das Jahr 2005 und die Geburtsjahrgänge 1937 bis 1971, unterteilt in Gruppen von jeweils fünf Jahren, zur Grundlage. Sie schreibt die Erwerbsbiografien ab dem Basisjahr 2005 bis zum erwarteten individuellen Renteneintrittsalter unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie Arbeitsmarktentwicklung, Vollzeit-, Teilzeittätigkeit, Bildungsgrad fort. Bei der Einschätzung der Effekte der Rentenreformen der letzten Jahre geht die Studie davon aus, dass die Löhne sich jährlich um durchschnittlich 1,7 Prozent erhöhen.

In Wirklichkeit sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2009 zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller Beschäftigten in Deutschland um 0,4 Prozent gesunken, vor allem aufgrund des sprunghaften Anstiegs der Kurzarbeit.

Aufgrund dieser optimistischen Annahme einer durchschnittlichen Lohnsteigerung von 1,7 Prozent prognostiziert die Studie zumindest für Westdeutschland auch künftig noch relativ geringe Rentensenkungen bei den Männern. Bei den Frauen im Westen sagt die DIW-Studie einen leichten Anstieg der Rentenanwartschaften voraus, allerdings auf niedrigem Niveau.

In Ostdeutschland muss hingegen sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern mit einem deutlichen Rückgang der durchschnittlichen Rentenansprüche der jüngeren Geburtsjahrgänge gerechnet werden. Die DIW-Forscher führen dies vor allem auf die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wende in den neuen Bundesländern zurück. Unterbrochene Erwerbsbiografien mit häufigem Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit, Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen der Arbeitsagenturen und Beschäftigung sind die Folge. Ein weiterer Faktor sind die geringen Löhne im Osten.

Erwerbsunterbrechungen und Arbeitslosigkeit beeinflussen die Rentenansprüche direkt über die Rentenversicherungszeiten. In Ostdeutschland generell und bei den Männern in Westdeutschland zeigt sich aber auch, dass jüngere Geburtsjahrgänge zu einem bestimmten Alter deutlich weniger Jahre in einer Vollzeitbeschäftigung verbracht haben und wesentlich länger arbeitslos waren als ältere Geburtsjahrgänge.

Außerdem machen sich längere Ausbildungszeiten bei der Anzahl der Beschäftigungsjahre bemerkbar. Männer in Westdeutschland sind in der Gruppe von 1967-1971 ungefähr drei Jahre weniger in Vollzeit tätig als die älteste Gruppe von 1937-1941. Diese Entwicklung verläuft bei allen Bildungsgruppen ähnlich. Dagegen steigt die Arbeitslosigkeit in der jüngeren Gruppe mit geringer Bildung auf mehr als sieben Jahre, verglichen mit drei Jahren bei Personen mit mittlerer Bildung und zwei Jahren bei Personen mit höherer Bildung.

Für Ostdeutschland ergibt die Vorausberechnung der Studie einen dramatischen Anstieg der Zeiten von Arbeitslosigkeit und einen Rückgang der Vollzeitbeschäftigung bei den jüngeren Gruppen. Dies gilt in der Tendenz auch für Frauen und Männer mit höherer Bildung. Bei der Gruppe ostdeutscher Männer in den Geburtsjahrgängen von 1967-1971 mit geringer oder mittlerer Bildung häufen sich die Jahre mit Arbeitslosigkeit auf mehr als neun Jahre.

Bei den ostdeutschen Frauen mit geringer oder mittlerer Bildung sinkt die Dauer der Vollzeittätigkeit von über 30 Jahren in der ältesten Gruppe (1937-1941 geboren) auf 24 Jahre in der jüngsten Gruppe (1967-1971 geboren), in der Gruppe mit höherer Bildung von ungefähr 35 Jahren auf weniger als 27 Jahre. Die Jahre der Arbeitslosigkeit ostdeutscher Frauen in der jüngsten Gruppe erhöhen sich bei der Gruppe mit geringer oder mittlerer Bildung drastisch auf 13 Jahre, bei der Gruppe mit höherer Bildung immer noch auf sieben Jahre.

Die Auswirkungen der jüngsten Finanzkrise und der tiefsten Krise des kapitalistischen Systems seit den 1930er Jahren sind noch gar nicht in die Ergebnisse der Studie eingeflossen. Schon vor den Effekten durch den Ausbruch der weltweiten Krise von 2008 erreichen in Gesamtdeutschland in Zukunft vor allem gering Qualifizierte sehr viel schwieriger das bisherige Rentenniveau. Die überdurchschnittlich hohe Quote von Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen und gering Qualifizierten besonders in der Gruppe Jüngerer in Ostdeutschland, die erst in kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, bewirkt schon seit 20 Jahren geringe Einzahlungen in die Rentenversicherung und damit einen Rückgang der späteren Rentenhöhe.

Die älteren ostdeutschen Jahrgänge können heute durchschnittlich noch 900 bis 1 000 Euro Rente erwarten. Für die zwischen 1962 und 1971 Geborenen wird nur noch mit Renten in Höhe der Grundsicherung von etwa 600 Euro gerechnet. Bei den Frauen steigen die Renten bis zu den Jahrgängen 1947-1951 an. Bei den darauf folgenden Jahrgängen fallen die Renten von einem Niveau von rund 800 Euro bis auf unter 500 Euro bei den jüngsten Jahrgängen. Selbst eine günstigere Entwicklung des Arbeitsmarktes, die die Autoren der Studie in einem Alternativszenario unterstellten, könnte den negativen Trend nicht stoppen und die bisherigen Einbußen durch lange Zeiten von Arbeitslosigkeit und geringen Löhnen nicht wieder ausgleichen.

Nur in der Gruppe der westdeutschen Frauen ist laut der Studie ein leichter Anstieg des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags über alle Altersgruppen von im Schnitt 449 Euro auf 591 Euro möglich, d.h. von einem sehr niedrigen Niveau aus. Das kommt durch die durchschnittlich bessere Bildung sowie einer Zunahme der Erwerbstätigkeit zustande, besonders in der Teilzeitbeschäftigung. Mit Teilzeitarbeit sammelt man zwar auch nur unterdurchschnittliche Rentenansprüche, die jedoch zu einer relativen Verbesserung zu früheren Zeiten führen, als Frauen oft nicht erwerbstätig waren.

Die gesetzlichen Maßnahmen, die die Renten im Verhältnis zu den Löhnen langsamer anwachsen lassen, werden sich nach der Studie erst in Zukunft in größerem Maße bemerkbar machen. Bei den jüngsten Jahrgängen (1967-1971), die die Studie berücksichtigt, verursacht dieser Effekt eine 14prozentige Verringerung der Renten. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Anhebung des Renteneintrittalters auf 67 Jahre mildert die Rentenabsenkung zwar etwas, führt aber immer noch zu einem Minus von etwa zehn Prozent.

Die DIW-Studie stellt fest: "Aus sozialpolitischer Sicht wird deswegen befürchtet, dass diese Arbeitsmarktentwicklungen in Verbindung mit den bereits beschlossenen Maßnahmen zur langfristigen Senkung des Rentenniveaus zu einer Zunahme der 'Altersarmut' und steigenden Sozialtransfers führen könnten."

Als Gegenmaßnahmen schlägt die Studie unter anderem vor, die Lebensarbeitszeit weiter zu erhöhen. Der vorzeitige Renteneintritt mit entsprechenden Abschlägen sollte nur noch möglich sein, wenn die zu erreichende Altersrente über der Grundsicherung liegt. Im Klartext heißt das, dass gerade wenig Qualifizierte immer länger arbeiten und trotzdem immer ärmer bleiben sollen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.03.2010
Massive Entwicklung von Altersarmut
DIW-Studie: Unter 600 Euro Monatsrente in Ostdeutschland
http://wsws.org/de/2010/mar2010/stud-m23.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2010