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GLEICHHEIT/2984: Vor dem EU-Gipfel - Griechenlandkrise spaltet Europa


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Vor dem EU-Gipfel
Griechenlandkrise spaltet Europa

Von Stefan Steinberg
26. März 2010
aus dem Englischen (25. März 2010)


Europäische Diplomaten arbeiten fieberhaft an einem Kompromiss in der griechischen Schuldenkrise. Es ist fraglich, ob sie beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder am Donnerstag und Freitag in Brüssel ein politisches Debakel noch verhindern können.

Vor dem Gipfel kam es zu scharfen Differenzen zwischen führenden EU-Vertretern und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Letztere will keinem definitiven Hilfspaket zustimmen, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Inzwischen wird an den Börsen schon heftig auf einen Staatsbankrott Griechenlands gewettet.

Gleichzeitig unterhöhlt die Krise Griechenlands das internationale Vertrauen in die gemeinsame Währung der sechzehn Länder der Eurozone. Der Wert des Euro ist in den letzten Wochen stark gefallen.

Athen muss Dutzende Milliarden Euro aufbringen, um in den nächsten Monaten seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Durch das Fehlen eines finanziellen Stützungsabkommens wird die Spekulation gegen griechische Regierungsanleihen zusätzlich angeheizt. Erst kürzlich warnte der sozialdemokratische Ministerpräsident Griechenlands, Giorgos Papandreou, seine Regierung könnte nicht mehr in der Lage sein, ihre Schulden zurückzuzahlen. Dadurch würden die Refinanzierungskosten in die Höhe getrieben, und alle Einsparungen durch die drakonischen Sparprogramme würden wieder aufgefressen.

In Griechenland wächst der Widerstand gegen die Sparmaßnahmen, die schon zwei eintägige Generalstreiks provoziert haben. Die griechischen Gewerkschaften sind eng mit der sozialdemokratischen PASOK verbündet, die mit Papandreou an der Regierung ist. Sie tun, was sie können, um den Widerstand durch fruchtlose eintägige Aktionen und Proteste zu verzetteln und im Sande verlaufen zu lassen.

Die Gewerkschaften vertreten den Standpunkt, dass scharfe Einschnitte bei Arbeitsplätzen, Löhnen und Renten notwendig seien, wenn sie bloß "gerecht" seien. Vor allem müssten die Gewerkschaften bei der Umsetzung mit einbezogen werden.

Gleichzeitig schüren die griechischen Gewerkschaften Nationalismus, um den Zorn der Arbeiter von Papandreou abzulenken, und um einen gemeinsamen Kampf der europäischen Arbeiterklasse gegen Kürzungsmaßnahmen zu verhindern, die überall in der Europäischen Union durchgeführt werden.

Ein "hoher Vertreter" erklärte die Position der deutschen Regierung gegenüber Reuters so: "Handlungsbedarf besteht erst, wenn Griechenlands Kreditmöglichkeiten an den Kapitalmärkten erschöpft sind."

Vor einer Woche distanzierte sich Kanzlerin Merkel von ihrem Finanzminister und erklärte, sie sei bereit, ein Eingreifen des Internationalen Währungsfonds bei der Rettung Griechenlands zu akzeptieren. Sie betonte erneut, dass sie keinen Grund sehe, Griechenland die Unterstützung der EU anzubieten.

Andere EU-Länder, allen voran Frankreich, haben sich bisher gegen eine Intervention des IWF gewehrt. Diese Position teilen auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und die Europäische Zentralbank (EZB). Eine Lösung mit Hilfe des IWF, der in Washington sitzt, würde, wie der Spiegel schrieb, "als Bankrott der europäischen Politik" aufgefasst.

In einem Interview mit der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit bekräftigte das EZB-Vorstandsmitglied Lorenzo Bini Smaghi, dass die Zentralbank Finanzhilfen für Griechenland ablehnt, wenn sie vom IWF kommen. "Wenn der IWF eingreift, dann würde der Euro in den Ruf einer Währung geraten, die nur mit der externen Hilfe internationaler Organisationen überleben kann... Marktreaktionen in den letzten Tagen haben gezeigt, dass ein Eingreifen des IWF die Stabilität des Euro untergraben könnte."

In einem Radiointerview erklärte Merkel vergangene Woche nicht nur, Griechenland habe gar nicht um Geld der EU gebeten, sondern sie fügte hinzu, dass die Griechenlandkrise ihrem Wissen nach gar nicht auf der Tagesordnung des EU-Gipfels stehe.

Die Reaktion anderer europäischer Länder kam postwendend. Am Montag erklärte der französische Außenminister Bernard Kouchner, Griechenland werde definitiv auf der Tagesordnung stehen, und er sei zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden werde. Ähnlich äußerte sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Die griechische Regierung reagierte verbittert. Papandreou erklärte: "Wenn das Thema nicht auf der Tagesordnung steht, dann werden wir es draufsetzen."

Der französischen Präsident Nicolas Sarkozy und der spanische Ministerpräsident José Luis Zapatero schlugen ein getrenntes, vorgeschaltetes Treffen der sechzehn Länder der Eurozone am Donnerstag vor, um die Griechenlandkrise zu diskutieren. Das wäre in der zehnjährigen Geschichte der europäischen Währung erst das zweite Mal, dass ein solches Sondertreffen stattfindet.

Auch die Finanzmärkte bauten Druck für eine Vereinbarung in Brüssel auf. Sie ließen im Lauf der Woche den Euro gegenüber dem Dollar weiter absinken. Ein Marktstratege sagte am Mittwoch: "Der Euro wird immer verwundbarer..., weil die Händler realisieren, dass auch drei Monate nach der letzten Herabstufung von Griechenlands Kreditwürdigkeit immer noch keine Lösung in Sicht ist. Keiner weiß, wo das Land 56 Milliarden Euro herbekommt, um seine kurzfristigen Verpflichtungen zu erfüllen."

Vor diesem Hintergrund berichteten Regierungsquellen in Paris, Frankreich sei jetzt bereit, auf den deutschen Vorschlag einzugehen und den IWF ins Boot zu holen. Der IWF hat jedoch klar gemacht, dass er nicht die ganze Summe bereitstellen könne, die Griechenland benötigt, um seine Schulden zu bedienen. Die EU müsse auch ihren Teil beitragen. Einem Bericht der Financial Times zufolge ist der IWF bereit, zehn Milliarden aufzubringen. Das ist die Hälfte der zwanzig Milliarden Euro, die Griechenland benötigt. Der Rest müsse in Europa aufgetrieben werden.

Die führenden europäischen Politiker schaffen es nicht einmal, sich darüber zu einigen, welche Länder zu einem Hilfspaket für Griechenland beitragen sollen. Merkel hat bisher einen Beitrag Deutschlands ausgeschlossen. Sie argumentiert, eine solche Hilfe widerspreche dem europäischen Vertragswerk und sei nicht verfassungskonform.

Berlin besteht weiterhin darauf, dass der Druck auf die griechische Regierung, ihre Sparpolitik durchzusetzen, nicht nachlassen dürfe. Merkel schließt konkrete deutsche Hilfe aus und verlangt gleichzeitig entschieden, dass Hilfen aus anderen Quellen mit strikten Auflagen für die Forcierung der Sparprogramme versehen werden. Deutschland drängt außerdem darauf, dass jedes Abkommen in Brüssel an die Einführung noch strengerer Regeln für die Haushaltsdisziplin in der Eurozone gekoppelt werde.

Obwohl also EU-Vertreter und Diplomaten verzweifelt an einem Kompromisspapier für den Gipfel arbeiten, wird ein Schlusskommuniqué sicher keine verpflichtende Finanzzusage Europas enthalten.

Die europäischen Staaten reagieren auf die Krise mit zügellosem Nationalismus und verstärken damit die zentrifugalen Kräfte, die die EU auseinanderzureißen drohen. Mächtige Finanzeinrichtungen haben Griechenland als Präzedenzfall auserkoren, um den Lebensstandard der gesamten europäischen Arbeiterklasse zu senken. Nun wird Griechenland auch zum Schlachtfeld, auf dem die Zukunft der Eurozone und der europäischen Union insgesamt ausgefochten wird.

Siehe auch:
Europäische Finanzminister uneins über Bailout
für Griechenland (17. März 2010)

Griechische Schuldenkrise eröffnet neues
Stadium des Klassenkampfs (18. März 2010)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.03.2010
Vor dem EU-Gipfel
Griechenlandkrise spaltet Europa
http://wsws.org/de/2010/mar2010/grie-m26.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2010