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GLEICHHEIT/3032: Amerikanische Soldaten entschuldigen sich wegen Tötungen im Irak


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Amerikanische Soldaten entschuldigen sich wegen Tötungen im Irak

Von Bill Van Auken
27. April 2010
aus dem Englischen (23. April 2010)


Zwei Soldaten aus der Einheit, die in einem schockierenden Video gezeigt werden, das WikiLeaks kürzlich veröffentlichte, haben sich öffentlich beim irakischen Volk für das Massaker entschuldigt, das man in den Aufnahmen sieht. Nach ihrer Aussage war das Routine während ihres Einsatzes in dem von den USA besetzten Land.

Der "Offene Brief zur Versöhnung und Verantwortung an das irakische Volk" stammt von den ehemaligen Armeeangehörigen Josh Stieber und Ethan McCord. Sie waren im Juli 2007 beide Mitglieder der Kompanie Bravo des Zweiten Bataillons des 16. Infanterieregiments der ersten Infanteriedivision der Armee, als das Video von der Kamera eines Apache-Kampfhubschraubers, der irakische Zivilisten mit Maschinengewehrfeuer niedermähte, aufgenommen wurde. Mehr als ein Dutzend Iraker wurden getötet und etliche weitere verwundet, darunter zwei kleine Kinder. Unter den Toten befanden sich auch ein irakischer Photograph und sein Assistent - Namir Noor-Eldeen and Saeed Chmagh - beide Mitarbeiter der internationalen Nachrichtenagentur Reuters.

Der Hubschrauber gab amerikanischen Soldaten Unterstützung aus der Luft bei Razzien in Bagdad. Die Soldaten der Kompanie Bravo waren die ersten, die an dem Schauplatz nach dem Massaker ankamen, das der Kampfhubschrauber über ihnen angerichtet hatte.

Das Video, das WikiLeaks unter dem Titel "Kollateraler Mord" ins Internet gestellt hat, wurde im Internet ungefähr sechs Millionen Mal aufgerufen. Es erlaubt der amerikanischen und der Weltöffentlichkeit einen tiefen Einblick in die Schlächterei, die das US-Militär in den letzten zehn Jahren in den Kriegen im Irak und in Afghanistan begangen hat. Solche Bilder werden normalerweise in der Berichterstattung der offiziellen Medien zensiert.

Die Kamera zeigt unbewaffnete irakische Zivilisten bei dem vergeblichen Versuch, vor der 30-Millimeterkanone zu fliehen, die sie aus der Luft beschießt. Sie zeigt auch, wie der Hubschrauber erneut auf einen Minibus schießt, der angehalten hat, um den Verwundeten zu Hilfe zu kommen. Dabei werden der Fahrer und einer der Verwundeten getötet und zwei Kinder auf den Vordersitzen des Autos schwer verletzt.

Genauso erschreckend sind die über Funk aufgezeichneten Gespräche zwischen der Helikopter-Besatzung und ihrer Leitstelle während der Schießerei. "Oh ja, schaut euch diese toten Bastarde an", brüstet sich eins der Besatzungsmitglieder nach den ersten Schüssen. Als die Zielerfassung des Maschinengewehrs einen der Verwundeten fixiert, der über den Boden kriecht, hört man eins der Besatzungsmitglieder, wie er den Iraker auffordert, "eine Waffe in die Hand zu nehmen", damit er noch einmal auf ihn schießen kann. Und als sie schließlich darüber informiert werden, dass bei dem Angriff zwei Kinder verletzt wurden, ist sich die Besatzung einig, dass die Iraker selbst schuld seien "wenn sie ihre Kinder mit in ein Gefecht bringen".

Ethan McCord war einer der Soldaten vor Ort. Auf dem Video ist zu sehen, wie er eins der verwundeten Kinder nimmt und zu einem amerikanischen Militärfahrzeug rennt. Die Vorgesetzten entschieden, dass das Kind nicht in ein amerikanisches Feldlazarett gebracht werden sollte und McCord wurde für seine spontane menschliche Reaktion ein Verweis erteilt.

Josh Stieber gehörte zwar zu der Kompanie, war aber nicht zu dem Einsatz mitgenommen worden, weil er schon vorher mit seinen militärischen Vorgesetzten aneinander geraten war.

In dem Brief betonen die beiden, dass die tödlichen Gewaltakte gegen Zivilisten, die auf dem Video zu sehen sind, nicht ungewöhnlich, sondern "Alltag" im Irak war.

Das amerikanische Militär, das versuchte, das Video zu unterdrücken, hat das dokumentierte Vorgehen konsequent verteidigt. US-Verteidigungsminister Robert Gates geißelte am 13. April auf einer Pressekonferenz WikiLeaks, weil es die Aufnahmen in der Woche zuvor veröffentlicht hatte. "Diese Leute können alles veröffentlichen, was sie wollen, und werden nie zur Verantwortung gezogen", sagte er.

Er behauptete, sich das Video anzusehen, sei zu vergleichen damit, den Krieg "durch einen Strohhalm" zu betrachten und klagte an, es fehle "jeder Kontext und jede Perspektive".

Der Brief der beiden Irak-Kriegsveteranen macht aber klar, dass der wirkliche "Zusammenhang und die Perspektive" die eines schmutzigen kolonialen Aggressionskriegs sind und von Einsatzregeln geprägt ist, die die gesamte irakische Bevölkerung als eine Bedrohung für die Besatzungstruppen sehen.

In einem früheren Interview in ABC News rechtfertigte Gates das Töten, darunter auch das Schießen auf Verwundete und auf Leute, die ihnen zu helfen versuchen - ganz offensichtlich ein Kriegsverbrechen - damit, dass sich die amerikanischen Truppen in einer "Kampfsituation" befunden hätten.

Das US Central Command, das die militärischen Operationen in der Region leitet, hat nicht die Absicht, die Untersuchung des Zwischenfalls von 2007 noch einmal aufzurollen. Es hat überarbeitete Akten der ursprünglichen Untersuchung über die blutige Operation in Ost-Bagdad durch das Militär freigegeben. In dieser Untersuchung wird die Hubschrauberbesatzung freigesprochen, die Kamera des Reuters-Fotografen mit einem Granatwerfer verwechselt zu haben. Sie machte die ermordeten Journalisten selbst dafür verantwortlich, "ihren Status als Pressevertreter nicht sichtbar gemacht zu haben". Wie sie sich gegenüber einem Hubschrauber, der über ihnen flog, hätten identifizieren sollen, wurde in dem Bericht nicht erläutert.

"Das US Central Command hat gegenwärtig nicht die Absicht, diesen Kampfeinsatz erneut zu untersuchen, oder das Untersuchungsergebnis zu überprüfen", erklärte Rear Admiral Hal Pittman, der Pressechef von CentCom.

In ihrem Brief, der ins Internet gestellt und von Tausenden anderen mit unterzeichnet wurde, identifizieren sich die beiden Irakkriegsveteranen als "Soldaten, die euer Land vierzehn Monate lang besetzt haben."

Sie fahren fort: "Ethan McCord zog eure Tochter und euren Sohn aus dem Fahrzeug und hatte dabei die Gesichter seiner eigenen Kinder in der Heimat vor Augen. Josh Stieber gehörte der gleichen Einheit an, war aber an dem Tag nicht anwesend, obwohl er bei vielen anderen Gelegenheiten zu eurem Leid und dem Leid eures Landes beigetragen hat."

Die beiden ehemaligen Soldaten betonen, dass "das, was in dem WikiLeaks Video gezeigt wird, nur der Anfang ist, das Leid zu zeigen, das wir angerichtet haben. Aus unserer eigenen Erfahrung und den Erfahrungen anderer Veteranen, mit denen wir gesprochen haben, wissen wir, dass Dinge, wie auf dem Video, in diesem Krieg jeden Tag vorgekommen sind: So werden die amerikanischen Kriege in dieser Region geführt."

Weiter schreiben Stieber und McCord: "Wir bekennen uns zu unserem Teil am Tod und der Verwundung eurer Familienmitglieder. Wir erklären den Amerikanern, zu was wir ausgebildet wurden, und was wir im Namen von 'Gott und Vaterland' getan haben. Der Soldat in dem Video sagt, dass euer Ehemann die Kinder nicht aufs Schlachtfeld hätte bringen sollen, aber wir bekennen uns zu unserer Verantwortung dafür, diesen Kampf in eure Wohngebiete und zu euren Familien gebracht zu haben."

Als Antwort auf Robert Gates fügt der Brief hinzu: "Unsere Regierung ignoriert euch vielleicht, weil sie mehr um ihr öffentliches Ansehen besorgt ist. Sie hat auch viele Veteranen ignoriert, die physisch verwundet und psychisch geschädigt zurückgekehrt sind von dem, was sie in eurem Land gesehen und getan haben. Aber es ist längst überfällig, dass wir erklären, dass die Werte der Führer unseres Landes nicht mehr unsere sind. Unser Verteidigungsminister sagt vielleicht, dass die USA ihren Ruf deswegen nicht verlieren werden. Aber wir sagen, dass die Bedeutung unseres Rufs keinen Wert hat im Vergleich zu unserer gemeinsamen Menschlichkeit."


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.04.2010
Amerikanische Soldaten entschuldigen sich wegen Tötungen im Irak
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010