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GLEICHHEIT/3050: EU-IWF Bailout - Sozialkürzungen in Griechenland beschlossen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU-IWF Bailout
Sozialkürzungen in Griechenland beschlossen

Von Alex Lantier
7. Mai 2010
aus dem Englischen (3. Mai 2010)


In einer Kabinettssitzung, die am 2. Mai vom griechischen Fernsehen übertragen wurde, kündigte der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou massive Sozialkürzungen an. Diese waren in der vergangenen Woche mit europäischen Repräsentanten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelt worden. Im Gegenzug zu diesen Sparmaßnahmen wurde beim Spitzentreffen der europäischen Finanzminister in Brüssel ein 110 Millionen Euro umfassendes Hilfspaket beschlossen, womit Griechenland zur Bedienung seiner Kredite befähigt werden soll.

Am 1. Mai noch hatten Zehntausende griechischer Arbeiter gegen die Entscheidung der Regierung demonstriert, um Notkredite nachzusuchen. Umfragen zeigen, dass 61 Prozent der Bevölkerung die Entscheidung Papandreous für Notkredite ablehnen. In weiten Kreisen rechnet man damit, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, sobald die Regierung anfängt, die Kürzungen mit Nachdruck durchzusetzen.

Papandreou versuchte der griechischen Bevölkerung einzuschärfen, sie werde gezwungen sein "große Opfer" zu bringen, und dass seine Regierung das Ziel verfolge, "den Staatsbankrott zu verhindern". Die griechische Regierung will das derzeitige Haushaltsdefizit von 14 auf 4 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) senken. Die griechische Staatsverschuldung beträgt aktuell 245 Mrd. Euro. Eine entsprechende Reduzierung des Haushaltsdefizits würde in den USA einen Betrag von 1,4 Billionen Dollar staatlicher Leistungskürzungen, in Deutschland ein Minus von 241 Milliarden Euro an staatlichen Leistungen ausmachen.

Da die griechische Wirtschaft von diesen Kürzungen mit voller Wucht getroffen wird, wird für dieses Jahr ein Wirtschaftsrückgang um 4 Prozent erwartet - gegenüber früheren Schätzungen von einem Rückgang von 0,3 Prozent.

Nach der Kabinettssitzung gab der griechische Finanzminister George Papakonstantinou einige Details der weiteren von der Regierung als notwendig erachteten Kürzungen bekannt. Danach kommt auf die Arbeiter im öffentlichen Dienst eine fünfzehnprozentige Kürzung ihrer Tariflöhne zu: was bisher als "13." und "14." Monatslohn ausbezahlt wurde, wird verschwinden und nur noch für Arbeiter mit einem Monatslohn unter 3000 Euro durch eine Zulage von jährlich höchstens 1.000 Euro ersetzt. Weiter werden die Löhne bis 2014 eingefroren. Andere Zulagen - die einen großen Teil des Gesamtslohns der Arbeiter im öffentlichen Dienst ausmachen - werden um weitere acht Prozent gekürzt, nachdem sie zuvor um zwölf Prozent gekürzt worden waren.

Die Rentner werden ebenfalls mit massiven Kürzungen konfrontiert. Das Rentenalter - 65 Jahre für Männer und 60 für Frauen - wird erhöht, und an die Lebenserwartung angepasst, während die Beitragszeit für die Vollrente von 37 auf 40 Jahre erhöht werden soll. Die Renten werden nach dem Durchschnittslohn des gesamten Arbeitslebens und nicht mehr nach dem letzten Jahreslohn berechnet.

Im Privatsektor wird für junge Arbeiter ein neuer Mindestlohn festgelegt, und die Regierung plant ein Gesetz abzuschaffen, welches Firmen verbietet, pro Monat mehr als zwei Prozent der Gesamtheit ihrer Beschäftigten zu entlassen. Gleichzeitig sollen die Richtlinien für Massenentlassungen gelockert werden.

Die Mehrwertsteuer - die die Arbeiterklasse am stärksten belastet - wird nach einer zweiprozentigen Erhöhung im März nochmals um zwei Prozent auf 23 Prozent erhöht. Gleichzeitig werden die Steuern auf Benzin, alkoholische Getränke und Tabakprodukte um zehn Prozent angehoben. Auch die Grundsteuern werden erhöht und Athen kündigte eine Einmalsteuer für "hochprofitable" Firmen an.

Weiter plant Athen die Privatisierung des öffentlichen Nahverkehrs und der Versorgungseinrichtungen - Schritte, die zweifellos die Preise für die Verbraucher dramatisch in die Höhe treiben werden, genau in dem Moment, in dem die Arbeiter mit sinkenden Löhnen und wachsender Arbeitslosigkeit konfrontiert sind. Es wird auch große Einschnitte bei den Ausgaben für Klinikinventar und bei der medizinischen Versorgung geben.

Sozialminister Andreas Loverdos sagte: "Dies ist der schwerste Moment, den das Land seit 1974 erlebt" - das heißt, seit dem Ende der Militärjunta, die von 1967 bis 1974 in Griechenland herrschte. In einem Kommentar zu Loverdos Bemerkung, äußert die Financial Times die Befürchtung, die Regierung könnte "die politische Kontrolle" über die zwei Millionen Arbeiter verlieren, die Mitglieder der Gewerkschaften ADEDY im öffentlichen, und GSEE im privaten Sektor sind, sowie die Befürchtung, "die Proteste könnten eine gewaltsame Wende nehmen."

Antonis Samaras von der rechten Oppositionspartei Neue Demokratie (ND) kritisierte Papandreous Kürzungen als "echtes Waterloo für die Perspektiven und die Politik der Regierung...Sie hatten uns zugesichert, das Stabilitäts- und Entwicklungsprogramm für dieses Jahr sei vollkommen ausreichend. Jetzt geben sie zu, dass sie gründlich gescheitert sind und setzen neue, viel drastischere Maßnahmen durch, die erneute Erhöhungen der indirekten Steuern und zusätzliche Einschnitte bei den Löhnen im öffentlichen Sektor bedeuten."

Auch Vertreter der Gewerkschaften äußerten sich kritisch zu den Kürzungen. Der ADEDY-Vorsitzende Spyros Papaspyros kündigte zusätzlich zu dem zusammen mit der GSEE für den 5. Mai geplanten nationalen Streiktag Proteste für den 3. und den 4. Mai an. Er sagte: "Die Maßnahmen werden öffentliche Reaktionen auslösen, die mit einer Vulkaneruption vergleichbar sind. Unser Einkommen wird noch weiter gekürzt, es wird zu Tausenden von Entlassungen kommen und die Lebenshaltungskosten werden durch die neuen Steuern noch weiter steigen."

GSEE-Sprecher Stathis Anestis verhieß eine "entschiedene und dynamische" Reaktion. Er forderte Änderungen der arbeitsrechtlichen Regelungen in der EU: "Wir fordern alle Europäer zum Nachdenken auf: Was für ein Europa wollen wir? Was für Beschäftigte?"

Die Stellungnahmen der Gewerkschaften verfolgen den Zweck, die allgemeine Ablehnung der Politik Papandreous zu dämpfen und zu verhindern, dass sie eine politisch unabhängige Stoßrichtung entwickelt. Die Streiks, die die Gewerkschaften organisieren, und die den Arbeitern als Versuch verkauft werden, Papandreou und die Kreditgeber Griechenlands zu "fairen" Kürzungen zu zwingen, haben die Regierung der sozialdemokratischen PASOK nicht gehindert, eine Kürzungswelle nach der anderen durchzuführen.

In Wirklichkeit, so berichtete die griechische Tageszeitung Kathemerini, sind die derzeitigen Kürzungen unter Beteiligung "führender Gewerkschaftsvertreter" ausgearbeitet worden. Viele Spitzenleute aus den Führungsetagen von ADEDY und GSEE sind Mitglieder von Papandreous PASOK. Aufgrund ihrer pro-kapitalistischen und regierungsfreundlichen Perspektive betrachtet man die Kürzungen Papandreous in den Gewerkschaften als unumgänglich für die Schuldentilgung bei den Kreditgebern Griechenlands.

Kathemerini fügte noch an: "Bei seinem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern (am 29. April) ließ Papandreou deutlich werden, dass IWF und EU Griechenland nur wenig Raum für Manöver zugestanden haben und harte Maßnahmen an den von Griechenland für dieses Jahr beantragten 45-Milliarden Notkredit knüpfen. Wie Gewährsleute sagten, verlangte er von den Gewerkschaftern, dies anzuerkennen und den Versuch zu unterlassen, politisches Kapital aus der Situation zu schlagen."

Am Abend des 2. Mai stimmten die Finanzminister der Eurozone auf einem Brüsseler Sondertreffen dem 110 Milliarden Euro umfassenden Rettungspaket zu.

Die europäischen Regierungen beschlossen die Rettungsaktion vor allem deswegen, weil sie befürchteten, dass ein Scheitern Griechenlands eine neue Finanzkrise und den Bankrott weiterer Länder wie Portugal und Spanien nach sich ziehen könnte. Ranging-Agenturen stuften die Schulden beider Länder erst kürzlich herunter. Da die Zinsen für neue Anleihen Spaniens und Portugals letzte Wochen stiegen, kündigten die sozialdemokratische Regierung von Premierminister José Louis Zapatero in Spanien und von Premierminister José Sócrates in Portugal letzte Woche weitere Sparmaßnahmen an.

Nach den Herabstufungen spanischer Kredite, gab es Meldungen, dass die offizielle Arbeitslosenrate des Landes kürzlich die 20 Prozent Marke überstiegen und seit Januar 2008 um 11,45 Prozent zugenommen habe. Achtzig Prozent der verloren gegangenen Stellen hatten Männer innegehabt, insbesondere in der Bauindustrie. Santiago Carbó, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Granada, sagte: "Der größte Teil der 20 Prozent ist strukturell bedingt. Dabei wird es auch bleiben."

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte, die deutsche Regierung wolle bald über das Rettungspaket für Griechenland im Parlament abstimmen lassen: "Es bestehen gute Aussichten, dass der Gesetzgebungsprozess in Deutschland am Freitag (dem 7. Mai) abgeschlossen werden kann."

Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie setze sich für die Genehmigung von 8,4 Milliarden Euro an Krediten für Griechenland ein. Das ist die erste Tranche eines deutschen Gesamtbeitrags von etwa 22 Milliarden Euro. Merkel bezeichnete die Rettungsmaßnahme als "absolut notwendig", damit "der Euro seine Stabilität wieder erlangt". Frankreichs Nationalversammlung hat am Dienstag einem 6,3-Milliarden Kredit zugestimmt, einem Teilbetrag des erwarteten Gesamtbeitrages Frankreichs in Höhe von 20 Milliarden Euro.

Es gibt Befürchtungen wegen einer neuen Bankenkrise, da der Wert griechischer Anleihen - die von den größten europäischen Banken als Sicherheit gehalten werden - zusammenbricht. Von den ungefähr 300 Milliarden Staatsschulden Griechenlands werden 164 Milliarden von Banken der Eurozone gehalten, davon 28 Milliarden von deutschen, 50 Milliarden von französischen und 20 Milliarden von italienischen Banken. Wegen "Verlagerungen auf Märkten mit Staatsanleihen" berichtete Caja Madrid kürzlich über einen Rückgang ihres Vierteljahresgewinns um 79 Prozent.

Nach einem Bericht des Spiegel vom 3. Mai übte der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner Druck auf Deutschland aus, der Rettungsmaßnahme rasch zuzustimmen: "Von Amerika wurde auf Deutschland erheblicher Druck ausgeübt, dem Rettungspaket zuzustimmen. Bei einem Treffen der G7-Finanzminister letzte Woche in Washington verlangte Geithner vom stellvertretenden Finanzminister Joerg Asmussen, dass Deutschland seinen Widerstand so schnell wie möglich aufgibt."

Zehntausende Arbeiter gingen am 1. Mai in den größten griechischen Städten auf die Straße, und demonstrierten ihre Ablehnung der von der herrschenden Klasse eingeleiteten Kürzungen.

In Athen waren es 80.000 Arbeiter - nach Polizeiangaben 20.000 - die hinter Transparenten marschierten, auf denen zu lesen war: "Keine Opfer, die Plutokratie muss für die Krise bezahlen". Ein paar Hundert jüngere Demonstranten, die rote Fahnen trugen, stießen mit Polizisten im Sondereinsatz zusammen, nachdem sie versucht hatten, die Straße zum Parlamentsgebäude zu verbarrikadieren. Ein Polizeitransporter geriet in Brand, als er von Demonstranten mit Molotow-Cocktails beworfen wurde. Demonstranten strömten in Athen auf dem Syntagma-Platz zusammen und skandierten "Nein zur Junta des IWF" - eine Anspielung auf die Militärdiktatur von 1967-1974 in Griechenland.

Demonstranten unterbrachen Apostolos Kaklamanis, Parlamentarier und ehemaliger Parlamentssprecher der regierenden sozialdemokratischen Partei PASOK. Sie bewarfen ihn mit Wasserflaschen aus Plastik und schubsten ihn herum, bis er von der Polizei in Sicherheit gebracht wurde.

Etwa 5.000 demonstrierten in Thessaloniki. Einige Demonstranten zerstörten Schaufenster und Geldautomaten und lieferten sich Auseinandersetzungen mit den Sondereinsatzkräften der Polizei.

Die Proteste vom 1. Mai gingen dem landesweiten Generalstreik voran, zu dem ADEDY und GSEE aufgerufen haben. Nach einer am 30. April veröffentlichten Umfrage hatten 51,3 Prozent der Griechen vor, sich an den Straßenprotesten zu beteiligen, falls die Regierung ihre Sozialkürzungen und die gemeinsame Rettungsaktion Europas und des IWF weiterverfolgen sollte.

Die Londoner Times interviewte Jura-Studenten an der Athener Universität. Thanos Petrou, 21, sagte: "falls ich eine Stelle als Rechtsanwaltsanwärter bekommen sollte, werde ich nur 300 Euro monatlich verdienen. Wie kann man damit überleben?" Und die Times bemerkte dazu: "Einige reden schon von einer 'verlorenen Generation', die nie Arbeit oder sichere Verhältnisse haben wird."

Demonstranten, die in Presseberichten zitiert wurden, betonten die zerstörerischen Folgen, die die Sozialkürzungen auf das Lebensniveau der Arbeiter haben werden. Der in Athen demonstrierende Nikos Diamantopoulos, prangerte die von der Regierung Papandreou geplanten Kürzungen an: "Diese Maßnahmen sind zerstörerisch. Wie die Menschen morgen leben, wie sie überleben, ich weiß es nicht."

Virginian Kalapotharakou, ein Buchhalter, der sich streikenden Matrosen und Hafenarbeitern in Piräus angeschlossen hatte, nannte die Kürzungen Papandreous "sehr reaktionär. Sie versuchen alle Rechte abzuschaffen, die wir uns in früheren Jahren erkämpft haben."

Tassos Anestis, ein Werftarbeiter, sagte der Financial Times : "Wir werden unter Maßnahmen zu leiden haben, die die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds verhängt haben ... aber es sollten diejenigen bezahlen, die die Wirtschaft ruiniert haben."

Siehe auch:
Die Krise in Griechenland und der Kampf für die
Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa
(27. April 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/apr2010/grie-a27.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.05.2010
EU-IWF Bailout
Sozialkürzungen in Griechenland beschlossen
http://wsws.org/de/2010/mai2010/gri2-m07.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010