Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3323: Ein weiteres Jahrzehnt des neokolonialen Kriegs in Afghanistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ein weiteres Jahrzehnt des neokolonialen Kriegs in Afghanistan

Von Peter Symonds
23. Oktober 2010


Im Vorfeld des nächsten Monat stattfindenden NATO Gipfels in Lissabon versuchen die Obama Regierung und ihre Verbündeten, die zu Hause mit einer ausgedehnten Anti-Kriegsstimmung konfrontiert sind, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen. Sie behaupten, dass die kriegerische Rolle der USA bzw. NATO in Afghanistan 2014 zu Ende gehen wird und dass es im nächsten Jahr zu Truppenabzügen kommen wird. Hinter verschlossenen Türen jedoch ist nicht die Rede von einem Ende des Krieges, sondern vielmehr von einer neo-kolonialen Besetzung, deren Ende offen ist.

Das plauderte die australische Premierminister Julia Gillard bei der Eröffnung einer Debatte über den Afghanistan-Krieg im australischen Parlament am Dienstag aus. Nach der Feststellung, man erwarte, dass der afghanische Präsident Hamid Karsai Ende 2014 die volle Verantwortung für die Sicherheit in seinem Land übernehme werde, sprach Gillard unverblümt aus, dass der "Übergangsprozess" nicht das Ende der Militärpräsenz in Afghanistan bedeute.

"Lassen Sie mich klarstellen", sagte Gillard, "dieser [Übergangsprozess] bezieht sich auf die afghanische Regierung, wenn sie die Verantwortung für die Sicherheit übernimmt. Die internationale Gemeinschaft wird sich über das Jahr 2014 hinaus in Afghanistan engagieren. Und Australien wird sich engagieren. Es wird immer noch etwas zu tun sein in Bezug auf Ausbildung und die weitere Zusammenarbeit hinsichtlich der Verteidigung. Die Hilfe für die Zivilbevölkerung und die Entwicklungshilfe werden weiter gehen ... Wir erwarten, dass diese Unterstützung, das Training und die Entwicklungshilfe in der ein oder anderen Form mindestens noch dieses Jahrzehnt dauern wird."

Während Minister und Beamte in den USA und anderen Ländern vage über eine anhaltende militärische Rolle in Afghanistan nach 2014 gesprochen haben, ist Gillard das erste Staatsoberhaupt, das erklärt, dass die militärische Besetzung unter der Führung der Vereinigten Staaten noch mindestens ein weiteres Jahrzehnt andauern wird. Ihre wiederholten Verweise auf die "neue internationale Strategie" unterstreichen die Tatsache, dass dies der Plan der Obama-Regierung ist. Und wenn Australien mit seiner gegenwärtigen, geringen Truppenstärke von 1.550 Mann beabsichtigt, dort weitere 10 Jahre zu bleiben, dann bereiten sich die USA und ihre engsten Verbündeten auf eine starke militärische Präsenz in Afghanistan auf unbestimmte Zeit vor.

Gillard, die ihre Stichworte aus Washington bezieht, rechtfertigt die andauernde Besetzung indem sie erklärt, Afghanistan dürfe "nie wieder ein sicherer Hafen für Terroristen werden". Die Intensivierung des von den USA angeführten Krieges richtet sich allerdings nicht gegen Al Qaida - der CIA zufolge gibt es davon nicht mehr als fünfzig in Afghanistan - sondern gegen die "Taliban". Der "Feind" sind Afghanen, hauptsächlich paschtunische Stammesangehörige, erbitterte Feinde der fortgesetzten militärischen Besatzung, die seit mehr als neun Jahren Tod und Zerstörung über die Zivilbevölkerung gebracht hat. Unterdrückung des "Terrorismus" bedeutet einen niemals endenden neo-kolonialen Krieg gegen die afghanische Bevölkerung.

Washingtons "Krieg gegen den Terrorismus" war immer nur ein Vorwand zur Verfolgung der US-Ambitionen auf die Vorherrschaft in den energiereichen Regionen des Nahen Ostens und Zentralasiens. Die US-Strategie wurde schon vor den 9/11-Angriffen auf New York und Washington sorgfältig ausgearbeitet. Der Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001 und die Unterwerfung des Irak im Jahr 2003 waren Teil eines umfassenderen Plans zur Umgestaltung des Nahen Ostens und zur Schaffung einer größeren US-Präsenz in Zentralasien. Die Obama Regierung, die sich mittlerweile auf die durch den Aufstieg Chinas gestellten Herausforderungen konzentriert, ist nicht bereit, die Stützpunkte im Irak oder Afghanistan, die sich in der Zukunft einmal als sehr nützlich erweisen könnten, preiszugeben. Ihre Truppenverstärkung in Afghanistan, ebenso wie die im Irak, zielt auf die Absicherung einer dauerhaften US-Präsenz, die auch Militärbasen mit einschließt und stellt gleichzeitig sicher, dass Karzais Marionettenregime mit seiner Armee den Löwenanteil in dem Kampf für die Unterdrückung des gegen die Besatzung gerichteten Widerstands übernimmt.

Wenn Gillard etwas offener über die US Pläne gesprochen hat, dann nur um zu zeigen, dass ihre Labor Regierung sich im Gleichschritt mit Washington befindet. Die australische Premierministerin hat bereits angedeutet, dass sie ihren Verteidigungsminister zur NATO-Konferenz nach Lissabon begleiten könnte. Dort würde sie im Einklang mit Obama Druck auf die anderen Verbündeten auszuüben, damit diese sich zu einem ähnlich offenen, militärischen Engagement verpflichten. Kanada hat angekündigt, dass es seine 2.800 Soldaten im nächsten Jahr aus Afghanistan abziehen will. Italien hat sich eine Frist bis 2014 für den vollständigen Abzug seiner 3.300 Mann starken Truppen gestellt. Trotz einer überwältigenden inländischen Opposition gegen den Krieg steht Gillard eindeutig auf der Seite der USA und versucht sich die volle Unterstützung der Vereinigten Staaten zu sichern, damit Australien seine eigene strategische Position im Südwest-Pazifik ausbauen kann.

Dem im nächsten Monat stattfindenden Geschacher über den "Übergangsprozess" ging ein Vorbereitungstreffen zu Afghanistan voran, das diese Woche in Rom stattfand. Der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Richard Holbrooke, bestand darauf, dass die Konferenz von Lissabon keinen Zeitplan dafür festlegt, wann einzelne Provinzen der militärischen Kontrolle Kabuls übergeben werden. Er betonte auch, dass "Übergang" nicht mit Truppenabzug gleichzusetzen ist, und stellte fest, dass die USA auf langfristige militärische Verpflichtungen drängen werden.

Im Vorfeld der Konferenz von Lissabon waren die USA bemüht, die durch Truppenaufstockung gemachten Fortschritte herauszustellen. In der Washington Post zum Beispiel behaupteten US-Beamte, dass im Rahmen des aggressiven Militäreinsatzes der letzten Monate Hunderte Taliban-Führer und mehr als dreitausend Kämpfer getötet oder gefangen genommen wurden. Das habe einige Gruppen von Aufständischen dazu gezwungen, Verhandlungen mit Karzai-Regierung in Erwägung zu ziehen. Sie sprachen von "Inseln der Sicherheit" in ehemaligen Taliban-Hochburgen, in denen Schulen wieder geöffnet wurden und sich Basare tummeln würden.

Die Abschlachtung von Taliban-Führern und Kämpfern, besonders im Rahmen der aktuellen Offensive rund um die im Süden gelegene Stadt Kandahar, ist weitgehend das Ergebnis von verstärkten Operationen der Spezialeinheiten. Wie die Schreckensherrschaft der Fliegerbomben sind diese Killertruppen dafür berüchtigt, Zivilisten zu töten, was unter den Afghanen die Verbitterung und den Hass in Bezug auf die Besetzung ihres Landes und das korrupte Marionettenregime in Kabul noch verstärkt. Mit den so genannten Inseln der Sicherheit im Süden - ein Ergebnis der Verstärkung der ausländischen Truppen auf 150.000 Mann - gehen Berichte über eskalierende Angriffe von Aufständischen im Norden des Landes einher.

Der optimistische Ton, den die Obama-Regierung und ihre Mitläufer wie Gillard anklingen lassen, kann nicht verbergen, dass neun Jahre Krieg sich für das afghanische Volk als ein absolutes Desaster erwiesen haben. Nach sehr konservativen Schätzungen der Vereinten Nationen sind mindestens 14.000 zivile Tote direkt auf den militärischen Konflikt zurückzuführen. Die militärische Besetzung unterstützt ein käufliches Regime in Kabul, das berüchtigt für Korruption und Wahlfälschungen ist. Die Mehrheit der Bevölkerung steckt immer noch in Armut und hat keinen Zugang zu elementaren Dienstleistungen wie Strom, Bildung und Gesundheitsversorgung.

Der einzige Weg, diesen verbrecherischen Krieg zu beenden und dem afghanischen Volk die Möglichkeit zu geben, über seine Zukunft zu entscheiden, ist es, den sofortigen und bedingungslosen Abzug aller ausländischen Truppen und die Zahlung von vielen Milliarden Dollar an Reparationenleistungen zu fordern.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 23.10.2010
Ein weiteres Jahrzehnt des neokolonialen Kriegs in Afghanistan
http://www.wsws.org/de/2010/okt2010/afgh-o23.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2010