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GLEICHHEIT/3355: Hinter Skandal um Berlusconi steht Rechtswende der italienischen Politik


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hinter Skandal um Berlusconi steht Rechtswende der italienischen Politik

Von Marc Wells
13. November 2010


Die Enthüllungen über Sex- und Korruptionsaffären des italienischen Premiers Silvio Berlusconi weisen klar auf eine Krise der italienischen Politik hin. Der neofaschistische Politiker Gianfranco Fini tritt als größter Herausforderer Berlusconis auf und versucht schon, eine mögliche Verbindung mit stalinistischen Politikern auszuloten.

Karima el-Mahroug, auch als Ruby bekannt, ist die vorerst letzte junge Frau in der Reihe von Berlusconis Eroberungen, von Noemi Letizia über Patrizia D'Addario bis zu Nadia Macrí. Im Fall Ruby ist auch der Verdacht der Polizeikorruption mit im Spiel, da aus Polizeiberichten hervorgeht, dass die Mailänder Staatsanwaltschaft Karima im Zusammenhang mit einem Prostitutionsfall geschützt hat.

Pietro Ostuni, Polizeichef von Mailand, berichtete, dass Berlusconi ihn persönlich angerufen habe, um Rubys Freilassung zu verfügen. Der Regierungschef gab als Grund die Gefahr diplomatischer Verwicklungen an und sagte, er kenne die junge Frau persönlich. Berlusconi soll die falsche Behauptung erhoben haben, Ruby sei eng mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak verwandt.

Die Sexskandale sind für die herrschende Klasse eine willkommene Gelegenheit, um die arbeitende Bevölkerung von der tiefen Wirtschaftskrise abzulenken. Die Herrschenden sind tief über die Frage zerstritten, wie die neue Rechtswende zu bewirken sei, die nötig ist, um den Lebensstandard der Arbeiter abzusenken. Noch ist nicht entschieden, wer künftig Regierungschef sein soll, doch herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass Berlusconi nicht mehr tragbar sei. Seine Unpopularität würde neue Angriffe auf die Arbeiterklasse zu einem explosiven politischen Risiko machen.


Der Aufstieg neofaschistischer Politiker

Der Bruch Finis, eines Mitglieds der Regierungskoalition, mit Berlusconis Partei Popolo della Libertà (PdL) musste die Arbeiterklasse schon aufhorchen lassen. Offenbar gibt es sehr weitgehende Pläne für neue Kürzungen und Repressionen. Fini distanzierte sich im Sommer vom Premierminister und gründete eine neue Parlamentsfraktion, die im Januar politische Partei werden soll.

Vergangenes Wochenende fand nun der erste nationale Kongress dieser neuen Gruppierung statt, die sich Futuro e Libertà per l'Italia (Freiheit und Zukunft für Italien, FLI) nennt. Untermalt von den Klängen der italienischen Nationalhymne forderte Fini dort: "Berlusconi muss zurücktreten". Über die Regierung, der er selbst als Führungsmitglied angehört hatte, sagte Fini, sie habe "ihren Kurs verloren. Sie schlingert nur noch herum".

Bezeichnenderweise wenden die Neofaschisten sich den stalinistischen Parteien zu. Fini versicherte, er werde sich zwar "den Linken nicht unterordnen, doch wir müssen mit dieser Angst vor den Kommunisten Schluss machen. Die Welt ist viel komplexer."

Das politische Erbe der FLI reicht bis in die Zeit der Benito-Mussolini-Diktatur zurück, obwohl sich Fini systematisch bemüht, seine faschistische Vergangenheit zu verbergen und sich ein "demokratisches" Mäntelchen umzuhängen. Doch Finis Mentor war Giorgio Almirante, der in Mussolinis Regierung eine aktive Rolle gespielt und insbesondere das antisemitische "Rassenmanifest" von 1938 unterstützt hatte.

Almirante suchte 1980 nach einem jungen Nachfolger, der seine neofaschistische Partei, das Movimento Sociale Italiano (MSI), führen konnte. In einem Interview mit dem Corriere della Sera erklärte er damals, wenn die nationalistische, staatlich-korporatistische Partei überleben wolle, müsse sie sich ihrer typisch faschistischen Nostalgie-Symbolik entledigen, ohne in ihrem Grundziel einer autoritären Staatskontrolle der Bourgeoisie Zugeständnisse zu machen.

Fini übernahm diese Perspektive und vertritt heute einen Flügel der Bourgeoisie, der Berlusconi gerne loswerden möchte. Finis Verbindungen zur Großindustrie wurden vor kurzem deutlich, als er erklärte, er unterstütze den Kurs von Emma Marcegaglia, der Präsidentin es Unternehmerverbands Confindustria.

Vor einer Woche beschwerte sich Marcegaglia, Italien sei "paralysiert" und "im Rückgang" begriffen. Es sei nötig, "den Sinn für Würde und Respekt vor politischen Einrichtungen des Staates wieder herzustellen".

Sie wurde noch präziser, als sie betonte, die Wirtschaftskrise sei eine politische Frage. In einer Botschaft an das politische Establishment beschwerte sie sich über eine "niedrige Wachstumsrate" und Verzögerungen bei der Durchsetzung der bereits beschlossenen Reformen. Solche "Reformen" werden weitere Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter beinhalten, sie werden die Sozialausgaben beschneiden und einen Sparhaushalt bringen. Das wird die Hauptaufgabe der Regierung sein, die nach Berlusconi kommt.

Diesem wirtschaftlichen Niedergang liegt eine allgemeine Systemkrise der Weltwirtschaft zugrunde. Der IWF schätzt, dass die italienische Arbeitslosenrate bis Ende 2010 auf 10,5 Prozent steigen wird. Für Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren liegt die Rate mit 26,3 Prozent besonders hoch.

Wie der Gouverneur der italienischen Zentralbank, Mario Draghi, in einem Bericht vor kurzem schrieb, ist das Bruttosozialprodukt seit Beginn der Rezession 2008 um fast sieben Punkte zurückgegangen. Besonders die Arbeitskosten seien in Italien im Vergleich zur übrigen EU sehr hoch. Von 1998 bis 2008 hätten sich die Lohnstückkosten in Italien um 24 Prozent erhöht, während sie in Deutschland verringert worden seien.

Der Bericht nimmt besonders die Arbeiter aufs Korn. Ihre Löhne seien zu hoch, es sei unabweisbar, dass Arbeiter länger arbeiteten und weniger verdienten, um die Konkurrenzfähigkeit italienischer Unternehmen zu erhöhen. Demnach müssen die Arbeitskosten letztlich auf das Niveau der extrem ausgebeuteten Arbeiter in China und anderen Entwicklungsländer sinken.

Diese Zielsetzung gibt es nicht nur in Italien. In den Vereinigten Staaten führt Präsident Barack Obama massive Angriffe auf Löhne und den Lebensstandard durch, wie sich besonders an den Kürzungen zeigte, die den Arbeitern bei Chrysler und General Motors aufgezwungen wurden. Das von Sarkozy jüngst durchgesetzte Rentengesetz hat die Sparmaßnahmen in Frankreich in Übereinstimmung mit dem IWF weit voran gebracht. In Griechenland setzt die sozialdemokratische Regierung von Giorgos Papandreou rücksichtslos bis zu dreißig Prozent Lohnsenkung durch.


Der Bankrott der so genannten Linken

Wenn neofaschistische Tendenzen wiederaufleben, dann erfordert dies eine Erklärung, ganz besonders in einem Land, das im zwanzigsten Jahrhundert zwei Jahrzehnte lang eine brutale faschistische Diktatur erlebte. Wie kann die politische Lage so nach rechts abdriften, während die Arbeiter doch sichtbar nach links drängen, wie die Streiks und Protestaktionen der jüngsten Zeit immer wieder beweisen?

Der Grund liegt in dem Vakuum, das der völlige Bankrott der als links geltenden Parteien hinterlassen hat. Dies trifft besonders auf die verschiedenen, aus Rifondazione Comunista entstandenen Splittergruppen zu. Die so genannte Linke übernimmt die Rolle, den bürgerlichen Staat zu bewahren, koste es was es wolle. Dies kann sogar die Form einer Kollaboration mit den Neofaschisten annehmen, oder - wie bisher - einer Teilnahme an Mitte-Links-Regierungen, welche die Arbeiterklasse scharf angreifen.

Die Regierung von Romano Prodi von 2006-2008 bestand aus einer Koalition aus mehreren Mitte-Links-Organisationen und Parteien wie Rifondazione, den Erben der italienischen Stalinisten. Die Prodi-Regierung verfolgte eine derart reaktionäre Politik, dass sie 2008 zusammenbrach. Rifondazione hatte sie die ganze Zeit unterstützt.

Die Prodi-Regierung setzte Lohnsenkungen und eine Renten-"Reform" durch, die dem Grundrecht der Arbeiter auf einen würdigen Lebensabend einen schweren Schlag versetzte. In der Außenpolitik handelte Prodi im Wesentlichen in Absprache mit dem US-Imperialismus. Er unterstützte den fabrizierten "Krieg gegen Terror" als legitimes Argument, um verbrecherische Kriege in Afghanistan und dem Irak zu rechtfertigen, und schickte Truppen in den Südlibanon.

Bei der darauf folgenden Wahl wurde diese Politik abgestraft. Als Folge ihres Verrats verlor Rifondazione sämtliche Sitze im Parlament (siehe hierzu: "Der Preis des Opportunismus - Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien").

Der Kollaps von Rifondazione brachte eine Anzahl rechter Splittergruppen hervor. Paolo Ferrero, Mitglied der letzten Prodi-Regierung, wurde Rifondazione-Vorsitzender. Er ist das erstaunlichste Musterbeispiel eines politischen Opportunisten: Als Minister diente er der Prodi-Regierung als "linkes" Feigenblatt, während sie reaktionäre Maßnahmen gegen die Arbeiter verhängte.

Bezeichnenderweise gab Ferrero vor kurzem ein Zeichen der Zustimmung in Richtung Gianfranco Fini, als er öffentlich erklärte: "Fini hat Recht, wenn er sagt, dass die Berlusconi-Regierung mit ihrer wahnsinnigen Art nicht weitermachen darf." Wenn Finis Worte ernst gemeint seien, dann "sollte er ein Misstrauensvotum einleiten". Es gibt klare Anzeichen dafür, dass er eine neofaschistische Amtsübernahme unterstützen würde, um "Berlusconi loszuwerden".

Das ist die typische Haltung professioneller Opportunisten: Kommt es zur zentralen Frage der politischen Macht, zieht Rifondazione es vor, eine neofaschistische Regierung zuzulassen, anstatt selbst die Aufgabe zu übernehmen, die Arbeiterklasse zum Aufbau eines wirklichen Arbeiterstaats zu führen. Alle anderen "Links"-Parteien teilen im Wesentlichen diese Haltung.

Sinistra Critica, die pablistische Gruppe, die Rifondazione verlassen hat, als diese in die Prodi-Regierung eintrat, ruft zu einer breiten Koalition aller "Linken" mit Ausnahme von Prodis Demokratischer Partei (PD) auf. Dies ist ein Anzeichen, dass sie bereit wäre, mit ihren früheren Verbündeten innerhalb Rifondazione und der reformistischen Metallergewerkschaft FIOM zusammenzuarbeiten.

Ein weiterer Pablist, Marco Ferrando, war ebenfalls in der Führung von Rifondazione, ehe sie in die Prodi-Regierung eintrat. Ferrando nimmt eine ähnliche Position wie Sinistra Critica ein und betont: "Die antagonistische Linke ist von der Demokratischen Partei politisch unabhängig." Diese militante Linke, die er hier meint, ist allerdings ein Hirngespinst von Ferrandos Einbildung.

Frühere Rifondazione-Politiker diskutieren offensichtlich, ob sie zu ihrer arbeiterfeindlichen Allianz mit der Demokratischen Partei zurückkehren oder ihre zarten Verbindungen mit den Neofaschisten ausbauen sollen.

Noch plumper ist Nicchi Vendola von der Partei Linke, Ökologie und Freiheit (SEL, Sinistra Ecologia e Libertà), ebenfalls ein ehemaliger Rifondazione-Führer. Seine Rechtswende zeigt sich an einer offenen Übereinkunft mit der Demokratischen Partei, die eine offizielle Zusammenarbeit vorwegnimmt.

Als Gouverneur der Region Apulien in Süditalien hat er sich als zuverlässiger Agent des Kapitals bewährt. Vor kurzem rühmte er sich während seines regionalen Wahlkampfs in einem Interview, er habe eine "neue, schwungvolle, nicht-klaustrophobische Vorstellung von internationaler Konkurrenz" entwickelt. Wie die Financial Times berichtet, wird Apulien von Investoren gelobt, weil es unter Vendolas Führung zur attraktivsten Region Süditaliens aufgestiegen sei.

Pier-Luigi Bersani, der Sekretär der Demokratischen Partei, ein ex-Stalinist aus der früheren Kommunistischen Partei Italiens (PCI), erklärte, Fini habe "richtige Worte" gesprochen, doch er müsse auch "richtige Taten" folgen lassen. Dies ist in der Tat eine Aufforderung zur Zusammenarbeit in naher Zukunft bei der Bildung einer Übergangsregierung, noch ehe es zu Neuwahlen kommt.

Bersanis Rolle kann am besten im Zusammenhang mit den Mitte-Links-Regierungen von Prodi, D'Alema und Amato (1996-2001) und von Prodi (2006-2008) verstanden werden, in denen er jeweils Ministerposten bekleidet hat. Alle diese Regierungen führten Privatisierungen durch, die zum Abbau und der Zerstörung jener sozialen Infrastruktur führten, welche die Arbeiterklasse nach dem zweiten Weltkrieg in bitteren Kämpfen errungen hatte.

siehe auch:
Der Preis des Opportunismus - Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien
http://www.wsws.org/de/2008/apr2008/rifo-a24.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.11.2010
Hinter Skandal um Berlusconi steht Rechtswende der italienischen Politik
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/ital-n13.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010