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GLEICHHEIT/3593: Massaker an Zivilisten in der Elfenbeinküste


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Massaker an Zivilisten in der Elfenbeinküste

Von Ann Talbot
6. April 2011


Bis zu eintausend Zivilisten sind Berichten zufolge in der Stadt Duékoué im westafrikanischen Land Elfenbeinküste niedergemetzelt worden. Dies ist die größte Opferzahl in der ehemaligen französischen Kolonie seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im November 2010.

Seit der Wahl herrscht eine Pattsituation zwischen den beiden rivalisierenden Kandidaten. Daraus hat sich inzwischen ein Bürgerkrieg entwickelt, da Alassane Ouattara versucht, den amtierenden Laurent Gbagbo aus dem Amt zu jagen. Ouattara wird von Frankreich, den USA und internationalen Körperschaften unterstützt.

Ouattaras Streitkräfte haben den größten Teil des Landes unter ihre Kontrolle gebracht, einschließlich der politischen Hauptstadt Yamassoukro und dem wichtigsten Hafen San Pedro. Sie kämpfen nun um die Herrschaft über die kommerzielle Hauptstadt Abidjan. Gbagbo genießt noch immer die Unterstützung seiner 2.500 Mann starken Präsidentengarde, einer unbekannten Zahl an Söldnern und der Patriotischen Jugendbewegung. Große Teile der Armee haben sich nach einer Resolution des Sicherheitsrates am 30. März Ouattara angeschlossen.

Frankreich und Nigeria haben die Resolution unterstützt, die alle staatlichen Angestellten aufforderte, Ouattara anzuerkennen. Dies war das Signal für den Beginn von Ouattaras Militärangriff auf Gbagbos Milizen.

"In gewisser Weise ist die Resolution möglicherweise die letzte Botschaft, die wir Gbagbo senden wollen, und sie ist sehr einfach: Gbagbo muss gehen", sagte der französische Botschafter bei der UN, Gerard Araud. "Nur so können ein landesweiter Bürgerkrieg und ein mögliches Blutbad in den Straßen von Abidjan verhindert werden", sagte er.

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die UN-Resolution hat einem Bürgerkrieg grünes Licht gegeben, der verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung hat. In den vergangenen Monaten sind schätzungsweise eine Million Menschen aus der Elfenbeinküste geflohen. Die Zahl ist in den letzten Tagen noch angestiegen. Viele sind über die Grenze in das benachbarte Liberia geflohen, wo nun in überfüllten Flüchtlingslagern eine humanitäre Katastrophe droht. Einwohner Abidjans ziehen sich in ihre Behausungen zurück, während um den Präsidentenpalast herum Bomben einschlagen, und bewaffnete Jugendbanden durch die Straßen ziehen. Geschäfte und Tankstellen werden geplündert.

Henry Gray, ein im Land arbeitender Koordinator der Ärzte ohne Grenzen, sagte zu Reportern: "Bis vor wenigen Tagen haben wir die Kliniken aufgesucht, aber die Situation in den Straßen hat sich derart verschlechtert, dass es zu gefährlich geworden ist, das Haus zu verlassen. Es gibt massenweise Plünderungen, und wenn du dich in den Straßen bewegst, wirst du zur Zielscheibe. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, vor allem in ärmeren Gegenden."

Frankreichs Politik in der Elfenbeinküste folgt dem Muster in Libyen, wo Frankreich und Großbritannien sich unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung eine UN-Resolution für eine Flugverbotszone sicherten. Die Militäraktionen in Libyen und der Elfenbeinküste spiegeln die zunehmend aggressive Haltung wider, die die Westmächte in Afrika einnehmen, wo der Wettbewerb um Ressourcen mit China und anderen aufstrebenden Ländern immer schärfer wird.

Frankreich hat seine militärische Präsenz in der Elfenbeinküste wieder verstärkt. Paris ist seit dem vorangegangenen Bürgerkrieg unter der Operation Licorne militärisch präsent. Operation Licorne erfolgte in Zusammenarbeit mit der United Nations Operation in Cote d'Ivoire (UNOCI). Paris hat seine Truppen neuerlich um 300 Mann aufgestockt und ihre Gesamtzahl damit auf 1.400 erhöht. Es hat auch die Kontrolle über den wichtigsten Flughafen übernommen.

AFP berichtete über eine Aussage von Colonel Thierry Burkhard, einem Sprecher der Operation Licorne. Er sagte: "Licorne hat in Abstimmung mit UNOCI die Kontrolle des Felix Houphouet-Boigny-Flughafens übernommen. UNOCI und Licorne-Truppen garantieren die Sicherheit und haben die Fluglotsendienste am Flughafen übernommen." Das würde, so Burghard, "zivilen und militärischen Maschinen erlauben, auf dem Flughafen zu landen, damit ausreisewillige Ausländer das Land verlassen können."

Es gibt etwa 12.000 französische Staatsbürger in der Elfenbeinküste, aber noch gibt es keine Pläne, sie zu evakuieren. Die UNO hat bereits ihr nicht-militärisches Personal abgezogen. Das Personal, dessen Anwesenheit nicht dringend erforderlich ist, wurde bereits vor Wochen außer Landes gebracht, als die UN-Gebäude von Gbagbos Kräften angegriffen wurden. Der Flughafen war zuvor in den Händen der UN und hätte für eine Evakuierung genutzt werden können, wenn das erforderlich gewesen wäre. Die französische Besetzung des Flughafens ist ein Akt kolonialer Aggression. Unter dem Deckmantel internationaler Legitimität und humanitärer Erwägungen versucht Frankreich, sich wieder direkte Kontrolle über die Elfenbeinküste zu verschaffen.

Die Toten von Duékoué sind das direkte Ergebnis dieser französischen Bemühungen, die eigene imperialistische Macht in Afrika wieder zu etablieren. Die Verantwortung liegt direkt im Elysée-Palast, wo Präsident Nicolas Sarkozy am Sonntag ein Treffen abhielt, um die Situation an der Elfenbeinküste zu diskutieren. Das Massaker fand statt, als Ouattaras Kräfte die Stadt eroberten.

Washington fühlt sich verpflichtet, Ouattara trotz der eigenen Unterstützung zu kritisieren. US-Außenministerin Hillary Clinton drückte ihre "Besorgnis" über das Massaker von Duékoué aus und forderte "die Kräfte des Präsidenten Ouattara auf, die Regeln des Krieges zu beachten und Angriffe auf Zivilisten zu unterlassen".

Guillaume Ngefa, stellvertretender Vorsitzender des UNOCI, sagte, hinter den Morden von Duékoué stünden Ouattaras Kräfte. "Wir haben Beweise, wir haben Bilder. Dies war eine Vergeltungsaktion."

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat mit Ouattara über die Toten gesprochen. Aber die UNO kann sich der eigenen Verantwortung nicht entziehen. Es gab eine 200 Mann starke Friedenstruppe, die zu der Zeit das ausführte, was sie selbst als "robuste Kontrollen" bezeichnet. UNOCI-Sprecher Hamadoun Touré behauptete, die UNO sei sich "nicht bewusst gewesen", dass Zivilisten in der Stadt angegriffen und ermordet wurden. Dabei hatte die UNO erst im Dezember einen 24-Stunden-Notruf installiert, damit die Bürger ihr Übergriffe berichten konnten. Der UNOCI zufolge gingen 9000 Anrufe ein.

"Wir werden von überall her angerufen, aus dem Norden, dem Osten, dem Süden, aus Abidjan und auch aus den Dörfern", sagte Guillaume Ngefa der Deutschen Welle.

Ngefa gab zu, dass Ouattaras Kräfte an anderen Orten Gräueltaten verübt hatten. In einem Fall war ein gesamtes Dorf entvölkert und seine Einwohnerschaft durch Ouattara-Anhänger ersetzt worden. Er wusste, dass es zu Vergewaltigungen gekommen war, und dass Gbagbo-Loyalisten "verschwunden" waren. Im Norden des Landes war sogar ein UN-Helikopter von Ouattara-Kräften angegriffen worden, wie er sagte.

Trotz dieser Informationen behauptet UNOCI, nicht gewusst zu haben, was in Duékoué passierte. Aber die Stadt war als potenzieller Krisenpunkt bekannt. Sie beherrscht die Kakao-Anbau-Region der Elfenbeinküste und ist ein strategischer Gewinn. In der Stadt gibt es seit langem Spannungen zwischen den Gruppen, die sich als Elfenbeinküsteneinwohner sehen, und "Fremden", die aus dem Norden des Landes kommen. In letzter Zeit sind Hunderte von Flüchtlingen in die Stadt gekommen und haben die Spannungen zwischen den rivalisierenden Gruppen verstärkt.

Überlebende sagten, sie seien nach dem Einmarsch von Ouattaras Kräften direkt zum Carrefour-Distrikt geflohen, der als Viertel von Gbagbo-Getreuen gilt. "Es gab zahlreiche Morde, sie zündeten den Platz an und brannten alles nieder", sagte Patrick Nicholson von der katholischen Caritas.

Die Opfer wurden erschossen oder mit Macheten niedergemetzelt. Zurückweichende Pro-Gbagbo-Kräfte und libysche Söldner fielen danach in Guiglo ein, einer etwa vierzig Kilometer entfernten Stadt, wo sie ausländische Kakao-Arbeiter massakrierten.

Noch ist das volle Ausmaß dessen, was passiert ist, nicht klar, aber das Massaker von Duékoué ist wohl belegt. Angestellte des Roten Kreuzes versuchen, die Leichen zur Identifizierung zu konservieren. Dorothea Krimitsas, Sprecherin des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) bestätigte: "Es gibt keinen Zweifel, dass sich in dieser Stadt etwas Schreckliches zugetragen hat, über das das ICRC Informationen sammelt. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass es sich um inter-ethnische Gewalt handelt."

Bischof Gaspard Beby Gneba schilderte die Lage von mehr als 1500 Personen, die in einem örtlichen Missionsgebäude Zuflucht gefunden haben:

"Es ist eine traumatische humanitäre Situation. Sie brauchen Nahrung, Medizin, Wasser sanitäre Einrichtungen. Die Leute haben alles verloren - Häuser, Kleidung - sie haben nicht einmal eine Matte, auf der sie schlafen könnten."

Flüchtlinge in Liberia erzählten der BBC, dass Kämpfer ihre Dörfer mit dem Befehl, "alles und jeden zu töten", angegriffen hätten.

"Ich kann nicht nach Hause zurückkehren", sagte einer. "Die Rebellen haben Waffen. Ich habe keine Waffe. Sie töten Menschen und vergewaltigen Frauen. Sie können Kinder töten und dann nehmen sie die jungen Kinder mit, damit sie kämpfen. Es ist unmöglich, ich kann nicht zurück."

Clinton blieb nichts anderes übrig, als Ouattara wegen des Wütens seiner Truppen zu verwarnen, aber Washington ist nichtsdestoweniger entschlossen, Gbagbo zu ersetzen, und lässt keinen Zweifel an seiner Unterstützung für Ouattara. Trotz des Massakers bekräftigte Clinton: "Gbagbo stürzt die Elfenbeinküste in die Anarchie. Er muss jetzt gehen, damit der Konflikt endet."

Baronin Ashton von der Europäischen Union wiederholte Clintons Aufforderung: "Alassane Ouattara ist der demokratisch gewählte Präsident der Elfenbeinküste", sagte sie. "Laurent Gbagbo muss sofort zurücktreten und sich den Behörden stellen."

Was Ashton "Behörden" nennt, sind die Kräfte, die in einem solchen Ausmaß Gräueltaten und Kriegsverbrechen zu verantworten haben, dass selbst die UNO die Mehrheit der Zivilopfer Ouattaras Seite zuschreibt. Ouattara wird nur deshalb unterstützt, weil er als Platzhalter für die Großmächte handelt, die sicherstellen wollen, dass die Elfenbeinküste unter ihrer Herrschaft bleibt.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.04.2011
Massaker an Zivilisten in der Elfenbeinküste
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2011