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GLEICHHEIT/3711: Griechenland - Papandreou gewinnt Vertrauensvotum


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland: Papandreou gewinnt Vertrauensvotum

Von unserem Korrespondenten in Athen
23. Juni 2011


Das griechische Parlament hat dem umgebildeten Kabinett von Ministerpräsident Giorgos Papandreou am frühen Dienstagmorgen mit knapper Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Alle 155 Abgeordneten der regierenden PASOK-Partei stimmten für die Regierung, die 143 Abgeordneten aller anderen Parteien dagegen. Zwei unabhängige Abgeordnete blieben der Abstimmung fern.

Die Vertrauensabstimmung gilt als wichtiger Schritt, um ein weiteres Sparpaket über 78 Milliarden Euro gegen den massiven Widerstand der griechischen Bevölkerung durchzusetzen. 28 Milliarden davon sollen durch Einsparungen und höhere Einnahmen, 50 Milliarden durch die Privatisierung staatlicher Betriebe aufgebracht werden.

Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds hatten der griechischen Regierung ein Ultimatum gestellt. Sie wollen der Auszahlung der nächsten Tranche des bereits bewilligten 110-Milliarden-Euro-Kredits und einem zusätzlichen Kreditpaket erst zustimmen, wenn das Parlament das neue Sparpaket verabschiedet hat.

Mit einer Umbildung des Kabinetts und mithilfe des Vertrauensvotums versuchte Papandreou darauf, seine Partei zu disziplinieren, die unter dem wachsenden Druck der Straße Zerfallserscheinungen zeigt. Vergangene Woche war ein Abgeordneter aus der Fraktion ausgetreten und zwei weitere hatten ihre Mandate niedergelegt.

Papandreou zählte darauf, dass ihm alle PASOK-Abgeordneten das Vertrauen aussprechen, weil ihre eigenen Abgeordnetenmandate auf dem Spiel stehen; bei Neuwahlen verlöre nach den derzeitigen Umfragen jeder zweite seinen Parlamentssitz. Am 30. Juni soll nun über das Sparpaket abgestimmt werden. Papandreou setzt darauf, dass die Abgeordneten, die ihm diese Woche das Vertrauen ausgesprochen haben, nächste Woche nicht gegen die Regierung stimmen werden.

Völlig sicher ist das allerdings nicht. So erklärte der PASOK-Angeordnete Panayiotis Kouroublis, der bereits früher mit der Ablehnung des Sparpakets gedroht hatte, dem Parlament: "Ich stimme heute Nacht für die Regierung, aber das heißt nicht, dass ich ihr einen Blankoscheck ausstelle."

Am 3. Juli wollen die EU-Finanzminister dann erneut zusammenkommen und über die Auszahlung der nächsten Kredittranche entscheiden.

Die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia (ND), hält bisher trotz massivem Druck ihrer europäischen Parteifreunde am Nein zum Sparpaket fest. Sie verlangt eine Entlastung der Wirtschaft auf Kosten stärkerer Einschnitte im öffentlichen Dienst und bei den Sozialausgaben. Das Sparprogramm werde in seiner derzeitigen Form "nicht funktionieren", sagte ND-Führer Antonis Samaras im Parlament und forderte neue Verhandlungen. Seine Fraktion verließ während der hitzigen Debatte aus Protest sogar vorübergehend den Saal.

Auch Alexis Tsipras, der Führer der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), die der deutschen Linkspartei nahe steht, sprach sich gegen das Sparprogramm aus. "Das ist kein Programm zur Rettung der Wirtschaft, sondern ein Programm zur Plünderung vor dem Bankrott", sagte er.

In Wirklichkeit unterhält SYRIZA enge Beziehungen zu PASOK. Noch im vergangenen Herbst hatte Tsipras in der Hauptstadtregion Attica ein PASOK-Mitglied als Spitzenkandidat bei der Regionalwahl unterstützt, was zu einem Zerwürfnis innerhalb SYRIZA's führte. Doch angesichts des massiven Widerstands gegen die Regierung hält es Tsipras für angebracht, verbal auf Distanz zu gehen - was ihm umso leichter fällt, als Papandreou gegenwärtig noch über eine eigene Mehrheit verfügt.

Während die Abgeordneten im Parlament debattierten und abstimmten, sammelten sich vor dem Parlament auf dem Syntagma-Platz erneut Zehntausende, um ihrer Empörung über die Sparmaßnahmen und über die Regierung Ausdruck zu verleihen. Ab acht Uhr abends begann sich der Platz zu füllen, ab zehn Uhr war praktisch kein Durchkommen mehr.

Während an normalen Tagen das Bild des Syntagma-Platzes von den Aktivisten der "Empörten"-Bewegung beherrscht wird, die dort ein Zeltlager, verschiedene Stände und Diskussionsforen aufgebaut haben, strömten jetzt wieder zahlreiche Bewohner der Vorstädte herbei. Wir sprachen mit dem Angestellten Jorgos und der Lehrerin Helena, die mit einer Gruppe aus dem industriell geprägten Vorort Egaleo ins Zentrum gekommen waren.

"Wir sind hier, weil wir unser Leben zurückhaben wollen", sagte Jorgos. "Die Schulden sind illegal, sie sollten zurückgenommen werden. Das Geld hat uns nicht geholfen, es ist in die Taschen der Reichen und Privilegierten geflossen. Sie sollen es auch zurückzahlen."

"Es geht um unsere Existenz", sagte Jorgos weiter. "Die Bedingungen, die sie uns jetzt aufzwingen, lassen keinen Ausweg. In zwei, drei Jahren werden die Probleme noch viel größer sein." Notwendig sei eine sozialistische Politik, "aber eine wirklich sozialistische Politik, nicht das, was PASOK macht."

Das Problem sieht Jorgos darin, dass die Linke "mit zu vielen Stimmen" spreche. Auch von den Gewerkschaften hält er nicht viel. "Die meisten Gewerkschaften in Griechenland stecken unter einer Decke mit der PASOK-Regierung. Wenn die anderen an der Macht sind, üben sie etwas Druck aus, aber wenn sie selbst an der Macht sind, tun sie nichts."

Die eintägigen Generalstreiks, zu denen die Gewerkschaften wiederholt aufgerufen haben, bewirkten nichts. "Das 'Revolutionärste', was sie bisher gemacht haben, war eine Arbeitsniederlegung von vier Stunden", sagte Jorgos.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.06.2011
Griechenland: Papandreou gewinnt Vertrauensvotum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011